Leitsatz (amtlich)
§ 83 Nr. 6 ZVG stellt einen Auffangtatbestand für sämtliche Fälle dar, in denen die Zwangsversteigerung oder die Fortsetzung des Verfahrens aus einem anderen Grunde als den in § 83 Nr. 1 bis 5 ZVG genannten Verfahrensmängeln unzulässig ist. Ein Versagungsgrund i. S. v. § 83 Nr. 6 ZVG ist auch das Fehlen der Ausfertigung des Titels im Versteigerungstermin. Wird trotz dieses Mangels der Zuschlag erteilt, legt der Gläubiger die Ausfertigung aber spätestens im Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde vor, so ist der Zuschlag nicht zu versagen, wenn festgestellt wird, dass der Titel während des gesamten Zwangsversteigerungsverfahrens unverändert Bestand hatte. In einem solchen Fall werden trotz des an sich gegebenen Versagungsgrundes die Rechte des Schuldners nicht beeinträchtigt, so dass sich der Versagungsgrund nicht auswirkt.
Normenkette
ZVG § 83 Nr. 6
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Beschluss vom 21.10.2003) |
AG Pforzheim |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der XI. Zivilkammer des LG Karlsruhe v. 21.10.2003 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Antrag des Schuldners auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist erledigt.
Wert des Beschwerdegegenstands: 521.000 EUR.
Gründe
I.
Die Beteiligte zu 2) betreibt aus der notariellen Urkunde des Notariats P. v. 19.1.2000 - 8 UR 112/00, in der der Schuldner eine Grundschuld über 705.000 DM bestellt und sich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat, die Zwangsversteigerung seiner Miteigentumsanteile. Das Vollstreckungsgericht hat mit Beschluß v. 25.7.2002 die Beschlagnahme des Grundbesitzes angeordnet. Mit Verfügung vom gleichen Tag hat das Vollstreckungsgericht die vollstreckbare Ausfertigung an die Gläubigerin zurückgegeben. In dem Versteigerungstermin v. 11.9.2003 hat das Vollstreckungsgericht den Beteiligten zu 3) als den mit einem Gebot von 310.000 EUR Meistbietenden den Zuschlag zu je 1/2 Miteigentum erteilt.
Der Schuldner hat gegen den Zuschlagsbeschluss sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, im Versteigerungstermin sei der Vollstreckungstitel nicht bei den Akten gewesen. Während des Beschwerdeverfahrens hat die Gläubigerin die vollstreckbare Ausfertigung der notariellen Urkunde wieder zu den Akten gereicht. Das LG hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt er die Einstellung der von der Gläubigerin aus dem Zuschlagsbeschluss betriebenen Räumungsvollstreckung. Zwischenzeitlich hat er das Objekt vollständig geräumt.
II.
Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Damit ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt.
1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Zuschlagsbeschluss wirksam. Im Zwangsversteigerungsverfahren habe die betreibende Gläubigerin dem Antrag auf Zwangsversteigerung nach § 16 Abs. 2 ZVG den Vollstreckungstitel beigefügt. Nach der Anordnung der Zwangsversteigerung könne der Titel im weiteren Verfahren wieder an den Gläubiger herausgegeben werden. Allerdings müsse der Titel im Versteigerungstermin zum Schutz des Schuldners wieder vorliegen, damit der Nachweis geführt werden könne, dass der titulierte Anspruch (noch) bestehe. Das Nichtvorliegen des Vollstreckungstitels hindere den Fortgang der Zwangsvollstreckung bis zur Behebung des Mangels und könne ein Versagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG sein. Werde aber wie hier die Vollstreckungsurkunde zurückgegeben, könne der Verfahrensmangel in der Beschwerdeinstanz, die eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz sei, mit Rückwirkung geheilt werden, denn die Wirksamkeit der Zuschlagserteilung werde insgesamt überprüft. So werde auch die - vom Schuldner nicht bestrittene - Tatsache überprüft, dass die Versteigerungsvoraussetzungen schon zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung vorgelegen hätten. Bei dieser Sachlage würden durch das Versäumnis des Vollstreckungsgerichts keine schutzwürdigen Interessen des Schuldners verletzt.
2. Die Rechtsbeschwerde meint, der Verfahrensfehler nach § 83 Nr. 6 ZVG sei ein absoluter Versagungsgrund; das Vollstreckungsgericht hätte den Zuschlag nicht erteilen dürfen. Die vom Beschwerdegericht angenommene Heilung des festgestellten Verfahrensmangels im Beschwerdeverfahren sei mit dem Zwangsversteigerungsgesetz nicht vereinbar. Nach dem Wortlaut des § 84 ZVG seien nur die in § 83 Nr. 1 bis 5 ZVG genannten relativen Versagungsgründe heilbar; ein einmal erwachsener absoluter Versagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG sei dagegen nachträglich nicht heilbar. Auf die Prüfung, ob schutzwürdige Interessen des Schuldners beeinträchtigt seien, komme es nicht an.
3. Der angefochtene Beschluss des LG ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Es gehört zu den tragenden Grundsätzen des Zwangsversteigerungsverfahrens, dass die vollstreckbare Ausfertigung des Titels und der Zustellungsnachweis sowohl im Zeitpunkt der Anordnung der Zwangsversteigerung als auch im Versteigerungstermin vorliegen müssen. Das Vollstreckungsgericht muss in der Lage sein zu prüfen, ob diese Vollstreckungsvoraussetzungen noch bei der Versteigerung und der Zuschlagserteilung vorliegen. Unterlässt es dies, liegt darin ein Versagungsgrund i. S. v. § 83 Nr. 6 ZVG. Im Streitfall hat das Vollstreckungsgericht die vollstreckbare Titelausfertigung nach der Anordnung der Zwangsversteigerung an die betreibende Gläubigerin zurückgegeben. Im Versteigerungstermin lag die notarielle Urkunde nicht vor.
Aus der Vorschrift des § 84 ZVG, nach der die Versagungsgründe in § 83 Nr. 1 bis 5 ZVG der Erteilung des Zuschlags nicht entgegenstehen, wenn das Recht des Beteiligten nicht beeinträchtigt wird oder er das Verfahren genehmigt, wird gefolgert, dass die in § 84 ZVG nicht in Bezug genommenen Verfahrensmängel nach § 83 Nr. 6 ZVG als absolute Versagungsgründe nachträglich nicht "heilbar" seien (OLG Hamm, Beschl. v. 29.11.1999 - 15 W 290/99, Rpfleger 2000, 171 [172]; OLG Königsberg JW 1930, 657 [658]). Zur Begründung wird unter Hinweis auf die Denkschrift angeführt, § 83 Nr. 6 ZVG erfasse alle Gesetzesverletzungen, bei denen sich der Umfang der Beeinträchtigung, welche den Rechten der Beteiligten drohe, nicht mit Sicherheit übersehen lasse. Bei einem solchen Verfahrensmangel müsse stets die Versagung des Zuschlags erfolgen (Stöber, ZVG, 17. Aufl., § 83 Rz. 4.1.; Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/Muth, ZVG, 12. Aufl., § 83 Rz. 1; vgl. Denkschrift zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung, Materialien zum Reichsgesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung nebst dem Einführungsgesetz v. 24.3.1897, S. 91).
b) Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Sie wird den Fällen nicht gerecht, in denen die vollstreckbare Ausfertigung des Titels zwar an den Gläubiger zurückgereicht wurde, aber während des gesamten Zwangsversteigerungsverfahrens vorhanden und in seiner Wirksamkeit nie beeinträchtigt war und entweder zwischen dem Versteigerungstermin und der Zuschlagserteilung oder im Laufe des Zuschlagsbeschwerdeverfahrens vor der Entscheidung über den Zuschlag oder der Entscheidung über die Zuschlagsbeschwerde dem Vollstreckungs- oder Beschwerdegericht wieder vorgelegt wird. Wie die Beschwerdegegner zu 3) zutreffend ausführen, stellt § 83 Nr. 6 ZVG einen Auffangtatbestand für sämtliche Fälle dar, in denen die Zwangsversteigerung oder die Fortsetzung des Verfahrens aus einem anderen Grunde als den in § 83 Nr. 1 bis 5 ZVG genannten Verfahrensmängeln unzulässig ist. Die Frage, ob ein Verfahrensmangel nach § 83 Nr. 6 ZVG zur Versagung des Zuschlags führt, ist unter Betrachtung des jeweiligen Versagungsgrundes anhand einer Interessenabwägung im Einzelfall zu beurteilen. Lässt sich der Umfang der Beeinträchtigung der Verfahrensrechte der Beteiligten genau übersehen und kann spätestens in der Beschwerdeinstanz festgestellt werden, dass trotz des Verfahrensfehlers die Rechte des Schuldners nicht verkürzt wurden, wirkt sich der Versagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG nicht aus und kann deshalb nicht zur Versagung des Zuschlags führen. Das trifft hier zu. Im Beschwerdeverfahren wurde durch die Vorlage des vollstreckbaren Titels nachgewiesen, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen während des gesamten Versteigerungsverfahrens unverändert vorgelegen haben. Deshalb ist der bloße formale Verfahrensfehler der vorübergehenden Entnahme des Vollstreckungstitels aus den Vollstreckungsakten kein Grund, der zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses zwingt.
Fundstellen
Haufe-Index 1131031 |
BGHR 2004, 919 |
EBE/BGH 2004, 4 |
NJW-RR 2004, 1366 |
WM 2004, 838 |
WuB 2004, 643 |
ZAP 2004, 650 |
ZfIR 2004, 489 |
InVo 2004, 293 |
MDR 2004, 774 |
Rpfleger 2004, 368 |