Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Leitsatz (amtlich)
Wird dem Nebenkläger gemäß § 397 a Abs. 1 StPO ein Rechtsanwalt als Beistand bestellt, so erstreckt sich die Beiordnung nicht auch auf das Adhäsionsverfahren. Der Rechtsanwalt ist daher nicht befugt, für den Nebenkläger vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Angeklagten im Adhäsionsverfahren einzuklagen und seine diesbezüglichen Gebühren gegen die Staatskasse geltend zu machen, es sei denn er wurde dem Nebenkläger im Rahmen der Gewährung von Prozeßkostenhilfe gemäß § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO, § 121 Abs. 2 ZPO gesondert für das Adhäsionsverfahren beigeordnet.
Normenkette
StPO § 404 Abs. 5, § 397a Abs. 1; BRAGO § 97 Abs. 1 S. 4, § 102 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Der Nebenklägerin Li. wird im Adhäsionsverfahren für die Revisionsinstanz Prozeßkostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt J. aus L. beigeordnet.
Ihr weitergehender Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Revisionsinstanz ist gegenstandslos.
Gründe
Die durch die Tat des Angeklagten Geschädigte Li. hatte in erster Instanz beantragt, sie als Nebenklägerin zuzulassen und ihr sowohl für die Nebenklage als auch für die Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen im Adhäsionsverfahren Prozeßkostenhilfe zu bewilligen sowie Rechtsanwalt J. zur Vertretung beizuordnen. Das Landgericht hat die Geschädigte „als Nebenklägerin unter Beiordnung von Rechtsanwalt J.” zugelassen und ihr „Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt J. für die Klage im Adhäsionsverfahren bewilligt”. Die Nebenklägerin beantragt nunmehr, ihr auch für die Revisionsinstanz Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt J. beizuordnen.
1. Der Antrag ist gegenstandslos, soweit er auf die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für die Vertretung der Nebenklage im Revisionsverfahren gerichtet ist. Rechtsanwalt J. ist der Nebenklägerin durch Beschluß des Landgerichts vom 31. August 2000 als Beistand beigeordnet worden (§ 397 a Abs. 1 Satz 1, § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StPO). Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Beschlusses, ergibt sich aber bei dessen Auslegung anhand des zugrunde liegenden Antrags der Nebenklägerin. Denn diese hatte mit Schriftsatz vom 30. August 2000 zum einen Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Nebenklage mit Beiordnung von Rechtsanwalt J. als Beistand, zum anderen Prozeßkostenhilfe für das Adhäsionsverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt J. beantragt. Wenn das Landgericht daraufhin die Nebenklage „unter Beiordnung von Rechtsanwalt J.” zuläßt und daneben Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt J. allein für die Klage im Adhäsionsverfahren bewilligt, kann erstgenannte Beiordnung nur als Beistandsbestellung im Sinne des § 397 a Abs. 1 Satz 1 StPO verstanden werden. Diese wirkt jedoch für die Revisionsinstanz fort (BGH, Beschl. vom 10. November 1999 – 3 StR 431/99; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 397 a Rdn. 17).
2. Dagegen ist im Adhäsionsverfahren über den Prozeßkostenhilfeantrag der Nebenklägerin für die Revisionsinstanz gesondert zu entscheiden. Denn die Beistandsbestellung nach § 397 a Abs. 1 StPO erstreckt sich nicht auf das Adhäsionsverfahren. Für dieses besteht allein die Möglichkeit der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (§ 404 Abs. 5 StPO), über die für jede Instanz gesondert zu befinden ist (§ 404 Abs. 5 Satz 1 StPO, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
a) Allerdings könnte der Wortlaut der Bestimmungen der BRAGO, die die Gebührenansprüche des nach § 397 a Abs. 1 StPO als Beistand bestellten Rechtsanwaltes regeln, auf eine andere Gesetzeslage hindeuten. Für die Gebühren des dem Nebenkläger als Beistand bestellten Rechtsanwalts gelten nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BRAGO die Vorschriften der §§ 97, 98, 99 und 101 BRAGO über die Gebühren des Pflichtverteidigers sinngemäß. Indem § 102 Abs. 2 Satz 1 BRAGO ohne Einschränkungen auf § 97 BRAGO verweist, nimmt er auch auf § 97 Abs. 1 Satz 4 BRAGO Bezug. Dieser wiederum räumt dem Anwalt, der im Sinne des § 89 Abs. 3 Satz 1 BRAGO im Strafverfahren (ausschließlich) zur Durchsetzung vermögensrechtlicher Ansprüche tätig wird, einen Gebührenanspruch gegen die Staatskasse nach Maßgabe des § 123 BRAGO ein. Der Zusammenhang dieser Regelungen könnte den Anschein erwecken, daß die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand nach § 397 a Abs. 1 StPO auch dessen Tätigwerden für den Nebenkläger im Adhäsionsverfahren abdecke. Dementsprechend wird für den Fall der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO) wegen der Bezugnahme des § 97 Abs. 1 Satz 4 BRAGO auf § 89 BRAGO die Auffassung vertreten, daß die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger diesem auch die Befugnis einräume, den Angeklagten bei der Abwehr eines vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Adhäsionsverfahren zu vertreten, und er hierfür nach den Maßstäben des § 123 BRAGO aus der Staatskasse entschädigt werde. Einer gesonderten Bestellung des Verteidigers für das Adhäsionsverfahren (§ 404 Abs. 5 StPO) bedürfe es nicht (OLG Schleswig NStZ 1998, 101; Hartmann, Kostengesetze 30. Aufl. § 97 BRAGO Rdn. 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 140 Rdn. 5; Laufhütte in KK 4. Aufl. § 140 Rdn. 4; a. A. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO 14. Aufl. § 97 Rdn. 4 und Fraunholz in Riedel/Sußbauer, BRAGO 8. Aufl. § 97 Rdn. 12, die eine Entschädigung des im Adhäsionsverfahren tätig gewordenen Pflichtverteidigers aus der Staatskasse nach § 97 Abs. 1 Satz 4, § 123 BRAGO nur dann für möglich halten, wenn er insoweit im Wege der Gewährung von Prozeßkostenhilfe für den Angeklagten nach § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO gesondert beigeordnet wurde).
Ob dieser Ansicht für den im Adhäsionsverfahren tätig gewordenen Pflichtverteidiger wegen der engen tatsächlichen und rechtlichen Verbindung zwischen der Verteidigung des Angeklagten gegen die ihm vorgeworfene Straftat und der Abwehr der auf diese Straftat gestützten zivilrechtlichen Ersatz- oder Schmerzensgeldansprüche des Verletzten zu folgen ist, bedarf keiner Entscheidung. Die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand des Nebenklägers nach § 397 a Abs. 1 StPO erstreckt sich jedenfalls entgegen dem durch § 102 Abs. 2 Satz 1, § 97 Abs. 1 Satz 4 BRAGO erweckten Anschein nicht auf die Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche des Nebenklägers im Adhäsionsverfahren. Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte des § 397 a Abs. 1 StPO und des § 102 BRAGO sowie dem Gesetzeszweck des § 404 Abs. 5 StPO.
Mit der Neufassung des § 397 a Abs. 1 StPO durch Artikel 1 Nr. 7 des Zeugenschutzgesetzes vom 30. April 1998 (BGBl I 820 ff.) wurde zur Verbesserung des Opferschutzes erstmals die Möglichkeit geschaffen, dem Nebenkläger nicht nur Prozeßkostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes zu bewilligen, sondern ihm unter im einzelnen geregelten Voraussetzungen unabhängig von seiner Prozeßkostenarmut im Sinne des § 114 ZPO einen Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen. Durch Artikel 2 Nr. 2 Buchst. c desselben Gesetzes wurde § 102 Abs. 2 BRAGO eingeführt, der die Gebührenansprüche des Nebenklägerbeistandes gegen die Staatskasse regelt. In dem vorangegangenen Gesetzgebungsverfahren war jedoch zunächst eine entsprechende Gesetzesänderung nicht ins Auge gefaßt worden. Vielmehr wurde allein erwogen, durch eine Neufassung des § 397 a StPO die Anforderungen zu erleichtern, unter denen Prozeßkostenhilfe für die Nebenklage gewährt werden kann (vgl. den Gesetzentwurf des Bundesrates für ein 2. Opferschutzgesetz, BTDrucks. 13/6899 S. 4 f.; die Empfehlungen des Rechtsausschusses und des Ausschusses für Frauen und Jugend zum Zeugenschutzgesetz, BRDrucks. 933/1/97 S. 6 f.; die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, BRDrucks. 933/97 S. 2 f.). Erst in der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses wird § 397 a StPO in seiner dann Gesetz gewordenen Neufassung sowie die damit verbundene Einführung des § 102 Abs. 2 BRAGO in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht (BRDrucks. 212/98 S. 4).
Nach dem ursprünglichen Gesetzesentwurf war somit – wie schon nach der bisherigen Gesetzeslage (§ 397 a StPO in der Fassung des Opferschutzgesetzes vom 18. Dezember 1986, BGBl I 2496) – eine gesonderte Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Nebenklage einerseits und das Adhäsionsverfahren andererseits (§ 404 Abs. 5 StPO) vorgesehen. Damit wäre die Gewährung von Prozeßkostenhilfe an den Nebenkläger für die Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche gegen den Angeklagten im Adhäsionsverfahren weiterhin davon abhängig gewesen, daß der Nebenkläger prozeßkostenarm ist und seine beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 404 Abs. 5 Satz 1 StPO, § 114 ZPO). Dafür, daß sich hieran für die Nebenkläger, denen durch die letztlich Gesetz gewordene Neufassung des § 397 a Abs. 1 StPO die Möglichkeit der Bestellung eines anwaltlichen Beistandes eröffnet wurde, etwas ändern sollte, und insoweit eine Differenzierung zu den Nebenklägern gewollt war, für die die Bestellung eines Beistandes nicht in Betracht kommt (vgl. § 404 Abs. 5 StPO, § 397 a Abs. 2 StPO n.F.), ist nichts ersichtlich. Die Gesetzesmaterialien geben insoweit keine Auskunft. Der Vermittlungsausschuß hat seinen neuen Regelungsansatz ohne nähere Begründung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht.
Ein Hinweis darauf, daß nach dem Willen des Gesetzgebers § 397 a Abs. 1 StPO den Vorrang vor § 404 Abs. 5 StPO erhalten sollte, ist somit nicht vorhanden. Ein derartiger Wille des Gesetzgebers liegt auch fern, denn er wäre mit dem Gesetzeszweck des § 404 Abs. 5 StPO nicht vereinbar. Nach dieser Vorschrift soll dem Antragsteller für das Adhäsionsverfahren Prozeßkostenhilfe unter anderem nur dann gewährt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn der von ihm geltend gemachte vermögensrechtliche Anspruch Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 404 Abs. 5 Satz 1 StPO, § 114 ZPO). Damit soll verhindert werden, daß die Staatskasse mit Gebührenansprüchen belastet wird, die durch das Einklagen nicht bestehender oder überhöhter Ersatzansprüche im Adhäsionsverfahren entstehen. Dem könnte aber nicht mehr vorgebeugt werden, wenn der dem Nebenkläger nach § 397 a Abs. 1 StPO bestellte anwaltliche Beistand ohne weitere gerichtliche Prüfung auch im Adhäsionsverfahren für den Nebenkläger auftreten und für diesen jegliche Forderungen ohne Rücksicht auf deren Erfolgsaussicht geltend machen könnte sowie hierfür anschließend nach den Maßstäben des § 123 BRAGO entschädigt würde. Es erscheint ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber eine derartige Regelung treffen wollte.
§ 102 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 97 Abs. 1 Satz 4 BRAGO ist daher dahingehend auszulegen, daß der nach § 397 a Abs. 1 StPO dem Nebenkläger bestellte anwaltliche Beistand für sein Tätigwerden im Adhäsionsverfahren (§ 89 Abs. 3 BRAGO) dann nach den Maßstäben des § 123 BRAGO aus der Staatskasse entschädigt wird, wenn er dem Nebenkläger für das Adhäsionsverfahren unter Gewährung von Prozeßkostenhilfe gemäß § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO gesondert beigeordnet wurde.
b) Danach ist der Nebenklägerin im Adhäsionsverfahren Prozeßkostenhilfe für die Revisionsinstanz zu bewilligen und ihr Rechtsanwalt J. insoweit zur Vertretung beizuordnen.
Die Nebenklägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Prozeßkosten aufzubringen. Mit Schriftsatz vom 23. März 2001 wurde klargestellt, daß diese Kosten entgegen der insoweit fehlerhaft ausgefüllten, in erster Instanz zur Akte gereichten Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO nicht von einer Rechtsschutzversicherung oder anderen Stelle getragen werden. Die Erfolgsaussichten ihres Schmerzensgeldanspruches sind nicht mehr zu prüfen (§ 404 Abs. 5 Satz 1 StPO, § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Da der Angeklagte in der Revisionsinstanz durch seinen Verteidiger vertreten wird, ist der Nebenklägerin Rechtsanwalt J. beizuordnen, der ihr im Hauptverfahren bereits vom Landgericht nach § 397 a Abs. 1 StPO als Beistand bestellt wurde (§ 404 Abs. 5 Satz 2 StPO, § 121 Abs. 2 ZPO).
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 584819 |
NJW 2001, 2486 |
Nachschlagewerk BGH |
Rpfleger 2001, 370 |
StraFo 2001, 306 |