Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 18.06.2015) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 18. Juni 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Tatvorwurf der Bedrohung, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und der versuchten Körperverletzung sowie des Verstoßes gegen das Waffengesetz freigesprochen und hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung der Unterbringungsanordnung. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts leidet der Angeklagte, der seit Anfang des Jahres 2014 Kokainmissbrauch betrieb und seit Sommer 2014 kokainabhängig war, seit Anfang Mai 2014 unter einem „paranoiden Syndrom”, aus dem sich eine drogeninduzierte Psychose entwickelte. Im Verlaufe des Jahres 2014 kam es mehrfach zu bedrohendem und aggressivem Verhalten des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau, weil er die wahnhafte Vorstellung entwickelt hatte, dass seine Ehefrau ihn betrüge und beabsichtige, ihn für verrückt erklären zu lassen und aus der Familie zu entfernen.
Rz. 3
Am Abend des 18. November 2014 rief der Angeklagte zwischen 18.15 Uhr und 20.00 Uhr insgesamt sieben Mal den Zeugen S., mit dem er befreundet ist, an und bedrohte und beleidigte ihn. Nach dem letzten Telefonanruf verständigte der Zeuge S. die Polizei, weil er fürchtete, dass der im Besitz einer Schusswaffe befindliche Angeklagte die ausgesprochenen Drohungen in die Tat umsetzen könnte.
Rz. 4
Nachdem der Angeklagte im Rahmen der daraufhin eingeleiteten polizeilichen Suchaktion am Straßenrand stehend entdeckt worden war, näherte sich ihm PK H., der seine Dienstwaffe zog, weil er ein metallisch klickendes Geräusch wahrgenommen zu haben glaubte und befürchtete, der Angeklagte werde von seiner Schusswaffe Gebrauch machen. Nachdem er den Angeklagten aufgefordert hatte, seine Hände zu erheben, und sich ihm weiterhin näherte, ließ der Angeklagte die von ihm mitgeführte Schusswaffe, eine geladene Selbstladepistole der Marke Ceska/VZPR 50, Kaliber 7,65 mm, zu Boden fallen. Anschließend ließ sich der Angeklagte zunächst widerstandslos Handschließen anlegen; auf dem Weg zum Polizeifahrzeug sträubte er sich zunehmend gegen die polizeilichen Maßnahmen, insbesondere gegen die Durchsuchung seiner Person, in deren Verlauf in seiner Manteltasche ein weiteres Pistolenmagazin und ein aufgeklapptes Springmesser aufgefunden wurde. Der Angeklagte versuchte mehrfach gezielt, nach den Polizeibeamten zu treten und einem der Beamten einen Kopfstoß zu versetzen; dieser versetzte dem Angeklagten einen Faustschlag ins Gesicht und fügte dem Angeklagten hierdurch nicht ausschließbar eine Nasenbeinfraktur zu. Auf der Fahrt zur Polizeidienststelle versuchte der auf der Rückbank sitzende Angeklagte, dem neben ihm sitzenden Polizeibeamten einen Kopfstoß zu versetzen.
Rz. 5
Zur Tatzeit war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund der seit geraumer Zeit bestehenden drogeninduzierten Psychose in Verbindung mit einer akuten Mischintoxikation von Kokain und Alkohol – die Blutalkoholkonzentration betrug zum Tatzeitpunkt 1,84 Promille – erheblich beeinträchtigt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil nicht auszuschließen sei, dass er „aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, die jedenfalls seine Steuerungsfähigkeit erheblich gemindert hat, insgesamt im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt” habe (UA S. 20). Zugleich hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Rz. 6
2. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nicht tragfähig begründet.
Rz. 7
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76). Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervorgetreten sind, die sich im Rahmen dessen halten, was bei einem schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (BGH, aaO).
Rz. 8
b) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Die Urteilsgründe verhalten sich nicht näher zu der Frage, ob zwischen dem zum Tatzeitpunkt bestehenden Defekt und den Anlasstaten ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Dies versteht sich insbesondere für die von dem Angeklagten begangenen Widerstandshandlungen nicht von selbst. Zu einer besonders sorgfältigen Erörterung hätte hier auch deshalb Anlass bestanden, weil das Landgericht die Ursache für die Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten am Tattag in dem Zusammenwirken zwischen „psychotisch-wahnhaftem Erleben in Verbindung mit der akuten Mischintoxikation” gesehen hat. Die Maßregel des § 63 StGB setzt jedoch die sichere Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustands voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (Senat, Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44).
Rz. 9
Hinzu tritt, dass das Landgericht – dem Gutachten der Sachverständigen folgend – angenommen hat, dass seit Mitte April bzw. Mitte Mai 2015 nicht mehr vom Vorliegen einer drogeninduzierten Störung, sondern von einer – substanzunabhängig verlaufenden – Psychose im Sinne einer „schizo-affektiven Störung” auszugehen sei, ohne dass den Urteilsgründen das nunmehr vorliegende Störungsbild und sein möglicher Einfluss auf die künftige Legalprognose des Angeklagten entnommen werden könnte. Bei dieser Sachlage kann die Maßregelanordnung keinen Bestand haben.
Rz. 10
3. Die Sache bedarf daher insgesamt erneuter Verhandlung und Entscheidung. Auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO wird hingewiesen.
Unterschriften
Fischer, RiBGH Prof. Dr. Krehl ist an der Unterschrift gehindert. Fischer, Eschelbach, Zeng, Bartel
Fundstellen