Verfahrensgang
LG Kleve (Urteil vom 28.03.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 28. März 2011
- im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Nötigung sowie des Diebstahls und des Hausfriedensbruchs in Tateinheit mit Sachbeschädigung schuldig ist,
- im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und mit Bedrohung, wegen räuberischer Erpressung, wegen Nötigung, wegen Diebstahls und wegen Hausfriedensbruchs in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, die den Schuldspruch wegen Hausfriedensbruchs in Tateinheit mit Sachbeschädigung wirksam von ihrem Angriff ausnimmt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Der Senat ändert den Schuldspruch wie aus der Beschlussformel ersichtlich, weil das Landgericht das Konkurrenzverhältnis der vom Angeklagten in der Nacht vom 4. auf den 5. Juni 2010 verwirklichten Straftatbestände teilweise unzutreffend bewertet hat. Dabei vermag der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch mit hinreichender, die Verurteilung auch wegen räuberischer Erpressung tragender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Angeklagte bei seinem Verlangen nach Herausgabe von Geld seine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben der Geschädigten konkludent bekräftigte. Vergewaltigung und räuberische Erpressung stehen in Tateinheit zueinander (BGH, Urteil vom 14. November 1989 – 1 StR 569/89, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 7). Sie bilden eine natürliche Handlungseinheit.
Rz. 3
Der Generalbundesanwalt hat zu den Konkurrenzen im Übrigen in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Soweit das Landgericht in der Drohung, das Tatopfer solle ruhig sein, sonst werde es ihr ergehen ‚wie den vom Pappelsee’, eine Bedrohung gemäß § 241 Abs. 1 StGB gesehen hat, tritt diese hinter § 177 Abs. 1, 2 StGB zurück (BGH Beschluss vom 21. September 1993, 1 StR 510/93; Fischer StGB 58. Aufl. § 177 Rdn. 105; Träger/Schluckebier in LK 11. Aufl. § 241 Rdn. 27; a.A. Hörnle in LK 12. Aufl. § 177 Rdn. 192).
… Da nach den Feststellungen nicht auszuschließen ist, dass die nach Herausgabe des 20 EUR-Scheins vom Angeklagten ausgesprochene Aufforderung, mindestens zehn Minuten liegen zu bleiben, auch der Sicherung der Tatbeute und damit der Beendigung der räuberischen Erpressung gedient hat, ist von Tateinheit zwischen § 240 Abs. 1 StGB und §§ 253, 255 StGB auszugehen (vgl. Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 52 Rdn. 21).”
Rz. 4
Dem schließt sich der Senat an. Einer Änderung des Schuldspruchs wie aus der Beschlussformel ersichtlich steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 5
2. Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Bedenken bestehen gegen den Ausspruch über die Rechtsfolgen, weil das Landgericht die Prüfung der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterlassen hat, obwohl sich diese nach den Urteilsfeststellungen zum Alkoholkonsum des Angeklagten aufdrängte. Dies führt auch zur Aufhebung der gegen den Angeklagten festgesetzten Jugendstrafe.
… Nach den Urteilsfeststellungen hat sich bei dem Angeklagten unter dem Einfluss des elterlichen Vorbilds ein Alkoholproblem entwickelt. Er trank über [einen] längeren Zeitraum regelmäßig stärkere Alkoholika (Wodka, Whiskey) in größeren Mengen, um dem Alltag zu entkommen und Problemen aus dem Weg zu gehen (UA S. 4). Professionelle Hilfe hat er deswegen bislang nicht in Anspruch genommen (UA S. 4). Die UNESCO-Gesamtschule verließ er 2008 auf Grund von verstärkt auftretenden Verhaltensauffälligkeiten im schulischen und außerschulischen Bereich. Der Versuch, im Jahr 2010 den Realschulabschluss nachzuholen, scheiterte (UA S. 4). Vor den hier gegenständlichen Taten traf er sich in seiner Freizeit häufiger mit Freunden und konsumierte regelmäßig Alkohol (UA S. 5). Ob die schulischen Schwierigkeiten und die beiden Vorverurteilungen im Jahr 2008 im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol standen, geht aus dem Urteil nicht hervor. Während der Tat am 24. Juli 2010 war der Angeklagte jedenfalls angetrunken (UA S. 5). Auch vor dem Tatgeschehen am 5. Juni 2010 hatte der Angeklagte die ganze Nacht über Alkohol konsumiert (UA S. 6, 10). Nähere Angaben über die konsumierte Menge und deren Auswirkungen enthält das Urteil nicht. Schließlich hat die Kammer festgestellt, dass die beim Angeklagten vorliegenden Anlage- und Erziehungsdefizite ‚auch durch eine positive Entwicklung … in der Kürze der Zeit und – zumal was die Alkoholproblematik angeht – ohne professionelle Hilfe angesichts der langjährigen Manifestierung nicht nachhaltig in Zweifel gezogen werden [können]’ (UA S. 22).
Aufgrund dieser Feststellungen ist nicht auszuschließen, dass bei dem Angeklagten der Hang gegeben ist, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten auf diesen Hang zurückgehen. Mangels näherer Angaben im Urteil zu den Konsummengen und Konsumgewohnheiten sowie den konkreten Auswirkungen des Alkoholkonsums kann nicht geprüft werden, ob der Angeklagte in einem Umfang Alkohol konsumiert, durch welchen Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden und ob der Hang neben anderen Ursachen zu den Taten beigetragen hat (vgl. BGH NStZ 2010, 83 f.; Fischer aaO § 64 Rdn. 7). Den Gründen des angefochtenen Urteils ist auch nicht eindeutig zu entnehmen, dass die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB (Gefährlichkeitsprognose, Erfolgsaussicht) nicht erfüllt sind. Aufgrund der Formulierung im Urteil, der Angeklagte benötige auch hinsichtlich der Alkoholproblematik angesichts der langjährigen Manifestierung professionelle Hilfe, erscheint die Gefahr suchtbedingter und erheblicher weiterer Straftaten nicht ausgeschlossen.
Der Umstand, dass die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt den Angeklagten nicht beschwert, hindert das Revisionsgericht nicht, auf eine zulässig erhobene – und die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausdrücklich vom Angriff ausnehmende (BGHSt 38, 362) – Revision des Angeklagten das Urteil insoweit aufzuheben, wenn eine Prüfung der Maßregel unterblieben ist, obwohl die tatrichterlichen Feststellungen dazu gedrängt haben (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 64 Ablehnung 11 mwN). Die Nachholung der Unterbringungsanordnung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil allein der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
… Wegen des aufgrund § 5 Abs. 3 JGG bestehenden Zusammenhangs lässt der aufgezeigte Rechtsfehler den Strafausspruch nicht unberührt (vgl. BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 1 und 2; Diemer in Diemer/Schatz/Sonnen JGG 6. Aufl. § 5 JGG Rdn. 21).”
Rz. 6
Dem folgt der Senat. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB wird das Landgericht einen Sachverständigen hinzuzuziehen haben (§ 246a StPO).
Unterschriften
Becker, Pfister, Schäfer, Mayer, Menges
Fundstellen
Haufe-Index 2752678 |
NStZ-RR 2012, 8 |