Verfahrensgang
Anwaltsgerichtshof Hamm (Urteil vom 16.02.2024; Aktenzeichen 1 AGH 37/23) |
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das am 16. Februar 2024 verkündete Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger ist seit dem Jahr 2010 im Bezirk der Beklagten als Rechtsanwalt zugelassen. Mit Bescheid vom 24. August 2023 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Die Klage gegen den Widerrufsbescheid hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Rz. 2
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Rz. 3
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 2. Oktober 2019 - AnwZ (Brfg) 44/19, juris Rn. 3 mwN).
Rz. 4
a) Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls ist nach der Rechtsprechung des Senats allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.; vom 10. März 2014 - AnwZ (Brfg) 77/13, juris Rn. 3 mwN und vom 12. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 60/17, juris Rn. 4).
Rz. 5
b) Der Kläger hat sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides vom 24. August 2023 in Vermögensverfall befunden.
Rz. 6
aa) Der Anwaltsgerichtshof hat den Vermögensverfall des Klägers aus mehreren Schuldtiteln und Vollstreckungsaufträgen hergeleitet, die gegen den Kläger zum Zeitpunkt des Widerrufsbescheides bestanden (S. 9 f. i.V.m. S. 3 f. des angefochtenen Urteils). Dieses Vorgehen entspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats. Danach liegt ein Vermögensverfall vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 21. April 2016 - AnwZ (Brfg) 1/16, juris Rn. 6 und vom 15. Dezember 2017 - AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 4; jeweils mwN). Beweisanzeichen hierfür sind offene Forderungen, Titel und Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 29. April 2019 - AnwZ (Brfg) 21/19, juris Rn. 5; vom 16. Oktober 2019 - AnwZ (Brfg) 46/19, juris Rn. 5 und vom 17. November 2020 - AnwZ (Brfg) 20/20, juris Rn. 14; jeweils mwN).
Rz. 7
bb) Ein Rechtsanwalt, bei dem Beweisanzeichen für den Vermögensverfall wie offene Forderungen und Titel vorliegen, kann diese Schlussfolgerung nur dadurch entkräften, dass er umfassend darlegt, wie er die Forderungen zurückführen oder anderweitig regulieren wollte (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. April 2019, aaO Rn. 6 und vom 16. Oktober 2019, aaO Rn. 7; jeweils mwN). Er muss zudem ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und konkret darlegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind (Senat, Beschlüsse vom 21. Oktober 2019 - AnwZ (Brfg) 32/19, ZInsO 2019, 2520 Rn. 7 und vom 17. November 2020, aaO Rn. 25).
Rz. 8
Diesen Darlegungspflichten ist der Kläger, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend festgestellt hat (S. 10 f. des angefochtenen Urteils), nicht nachgekommen. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob der Kläger - wie er geltend macht - auf das ihm am 27. Juni 2023 zugestellte Anhörungsschreiben der Beklagten vom 22. Juni 2023 ohne sein Verschulden nicht reagiert hat. Denn auch seine nach Erlass des Widerrufsbescheids vom 24. August 2023 an die Beklagte gerichteten Schreiben und sein prozessualer Vortrag erfüllen die vorgenannten Darlegungspflichten nicht.
Rz. 9
Dies gilt zunächst für die an die Beklagte gerichteten Schreiben des Klägers vom 11. September 2023, 12. September 2023 und 20. September 2023. Dort tätigt der Kläger allein Angaben zu seinem Einkommen, nicht hingegen - wie indes nach den vorstehenden Grundsätzen der Senatsrechtsprechung erforderlich - zu seinen Gläubigern und Verbindlichkeiten.
Rz. 10
Die Ausführungen in den an die Beklagte gerichteten Schreiben des Klägers vom 8. März 2021, 23. August 2021, 6. September 2021 und 17. Mai 2022 (Anlagen K 5 - 8 zum Schriftsatz des Klägers vom 27. Mai 2024) sind, wie der Anwaltsgerichtshof ebenfalls zutreffend erkannt hat, nicht geeignet, nachhaltig geordnete Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Klägers zum Zeitpunkt des Widerrufsbescheides vom 24. August 2023 darzulegen. Der Senat schließt sich der Auffassung des Anwaltsgerichtshofs an, dass es in Anbetracht der im Jahr 2023 erneut zu verzeichnenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger nicht ausreicht, wenn dieser in seinem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 18. Dezember 2023 (S. 2) auf die "unveränderlichen (Familien)finanzen" in seinen Schreiben vom 8. März 2021, 23. August 2021, 6. September 2021 und 17. Mai 2022 Bezug nimmt. Vielmehr oblag es dem Kläger angesichts der neuerlichen, nach diesen Schreiben datierenden Vollstreckungsmaßnahmen, ein auf den Zeitpunkt des Widerrufsbescheids vom 24. August 2023 bezogenes vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorzulegen und konkret darzulegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind. Dies ist bis heute nicht geschehen.
Rz. 11
Der Kläger kann sich auch nicht auf einen seitens der Beklagten geschaffenen Vertrauenstatbestand dahingehend berufen, dass er seine Angaben auf seine Einkommenssituation habe beschränken dürfen. Er durfte sich angesichts der aktuellen, neuerlichen Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn im Jahr 2023 nicht darauf verlassen, dass die Beklagte sich wie - nach seinem Vortrag - in der Vergangenheit auch dieses Mal mit Angaben zu seiner Einkommenssituation zufriedengeben würde. Zudem musste ihm in Anbetracht der deutlichen Hinweise in dem Urteil des Anwaltsgerichtshofs seine Darlegungspflicht betreffend die nachhaltige Ordnung seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse einschließlich der Pflicht zur Vorlage eines detaillierten Verzeichnisses seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vor Augen stehen. Dennoch hat er auch mit der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung ein solches Verzeichnis nicht vorgelegt.
Rz. 12
Soweit der Kläger vorträgt, die von ihm erst nach dem Widerrufsbescheid vom 24. August 2023 erfüllten Forderungen wären spätestens im Anhörungsverfahren beglichen worden, wenn er von letzterem Kenntnis erlangt hätte, vermag auch dies ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht zu begründen. Die im Rahmen eines Widerrufsverfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 28 Abs. 1 VwVfG NW einzuräumende Anhörungsfrist dient nicht der Ermöglichung der Ordnung der Vermögensverhältnisse des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts (Senat, Beschluss vom 7. Dezember 2023 - AnwZ (Brfg) 25/23, juris Rn. 13 mwN). Diese ist von ihm vielmehr unabhängig von einem Verfahren betreffend den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vorzunehmen.
Rz. 13
Entgegen der Auffassung des Klägers hatte der Anwaltsgerichtshof auch nicht die Ausführungen des Klägers zu den Ursachen seiner "Liquiditätsengpässe" zu würdigen. Nach ständiger Senatsrechtsrechtsprechung ist es nach der Zielsetzung und dem Inhalt des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO für den Widerruf nicht entscheidend, aus welchen Gründen der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist und ob er dies verschuldet hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. Dezember 2021 - AnwZ (Brfg) 36/20, ZInsO 2022, 652 Rn. 10 mwN; vom 6. Mai 2021 - AnwZ (Brfg) 38/20, ZInsO 2021, 1437 Rn. 16 und vom 8. Januar 2018 - AnwZ (Brfg) 10/17, juris Rn. 23 mwN).
Rz. 14
c) Ein Zulassungsgrund im Sinne von § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO besteht nicht, soweit der Anwaltsgerichtshof eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden angenommen hat (S. 11 f. des angefochtenen Urteils).
Rz. 15
Nach der Rechtsprechung des Senats ist nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 11. Mai 2023 - AnwZ (Brfg) 33/22, ZInsO 2023, 1951 Rn. 11 m.zahlr.w.N.). Von einem solchen Ausnahmefall kann nur ausgegangen werden, wenn im Zeitpunkt des Widerrufs eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden (Senat, Beschlüsse vom 11. Mai 2023, aaO, und vom 10. Oktober 2022 - AnwZ (Brfg) 19/22 juris Rn. 7 mwN).
Rz. 16
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang die von ihm gewählte Form der "Selbstbeschränkung" in Gestalt eines deutlichen Hinweises in Regulierungsschreiben auf seine mangelnde Geldempfangsbefugnis anführt, begründet dies keinen Ausnahmefall im vorstehenden Sinne. Entscheidend ist, dass es dem Kläger auch bei der von ihm gewählten Form der Selbstbeschränkung möglich ist, diese jederzeit zu ändern und künftig - unüberwacht - wieder mit Mandantengeldern in Berührung zu kommen (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 82/18, ZInsO 2019, 1063 Rn. 8).
Rz. 17
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 6. Februar 2012 - AnwZ (Brfg) 42/11, juris Rn. 25 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Rechtslage ist eindeutig und nicht klärungsbedürftig. Das gilt insbesondere für die vom Kläger aufgeworfene, indes auf der Grundlage der Senatsrechtsprechung eindeutig zu verneinende Frage, ob der von ihm gewählten Form der "Selbstbeschränkung" ein den anerkannten Beschränkungen gleichwertiger Grad von Drittschutz im Sinne einer mangelnden Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden trotz Vermögensverfalls des Rechtsanwalts zugesprochen werden kann. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen (zu 1c) Bezug genommen.
III.
Rz. 18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Limperg Remmert Grüneberg
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Fundstellen
Dokument-Index HI16643750 |