Leitsatz (amtlich)
Bekämpft ein Wohnungseigentümer mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Enteignung einer zum gemeinschaftlichen Eigentum gehörende Fläche, so richtet sich der Streitwert bzw. im Falle der Klageabweisung der Wert des Beschwerdegegenstandes nach dem vollen Wert dieser Fläche.
Normenkette
ZPO §§ 6, 511a
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe |
LG Karlsruhe |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Beschluß des Senats für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. Juli 1999 – U 3/99 Baul – aufgehoben, soweit darin bezogen auf die Enteignung der Teilfläche des Flurstücks 267 der Gemarkung Horben die Berufung gegen das Urteil der Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Karlsruhe vom 3. März 1999 als unzulässig verworfen worden ist.
Die sofortige Beschwerde wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich auf die vorzeitige Besitzeinweisung bezieht.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.435 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Beteiligte zu 1 ist als Wohnungseigentümer in einer Wohnungseigentumsanlage Miteigentümer zu 57,7 tausendstel des zum Gemeinschaftseigentum der Wohnungseigentümer gehörenden Flurstücks 267. Durch Enteignungs- und Besitzeinweisungsbeschluß vom 16. Juni 1998 hat der Beteiligte zu 3 (Enteignungsbehörde) eine noch zu vermessende, ca. 45 qm große Teilfläche des Flurstücks 267 zugunsten der zu 2 beteiligten Gemeinde enteignet und die Beteiligte zu 2 ab dem 1. Juli 1998 vorzeitig in den Besitz der enteigneten Teilfläche eingewiesen. Den gegen diesen Beschluß gerichteten Antrag des Beteiligten zu 1 auf gerichtliche Entscheidung – mit dem Ziel der Aufhebung der Enteignung sowie der vorzeitigen Besitzeinweisung – hat das Landgericht (Kammer für Baulandsachen) mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, ein einzelner Wohnungseigentümer sei ohne ermächtigenden Beschluß der Eigentümergemeinschaft nicht berechtigt, gegen die Enteignung von Gemeinschaftseigentum vorzugehen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beteiligten zu 1 hat das Oberlandesgericht (Senat für Baulandsachen) mit der Begründung als unzulässig verworfen, die Beschwer des Beteiligten zu 1 überschreite nicht, wie in § 511 a Abs. 1 ZPO i.V.m. § 221 Abs. 1 BauGB vorgeschrieben, den Betrag von 1.500 DM. Diese Entscheidung greift der Beteiligte zu 1 mit der sofortigen Beschwerde an.
II.
Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, soweit der Beteiligte zu 1 mit ihr weiterhin die zugleich mit der – erst ab Rechtskraft wirksamen (vgl. § 117 Abs. 1 BauGB) – Enteignung angeordnete vorzeitige Einweisung der Beteiligten zu 2 in den Besitz der in Rede stehenden Teilfläche angreift. Denn wenn das Berufungsgericht – wie hier – die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß verworfen hat, unterliegt diese Entscheidung der sofortigen Beschwerde nur, sofern gegen ein Urteil gleichen Inhalts die Revision zulässig wäre (§ 519 b Abs. 2 2. Halbs. ZPO). Für Urteile über die vorzeitige Besitzeinweisung im Enteignungsverfahren ist aber die Revision, wie § 545 Abs. 2 ZPO ausdrücklich vorschreibt, nicht zulässig.
III.
Im übrigen – soweit es um die Enteignungsanordnung als solche geht – ist die (form- und fristgerecht eingelegte, § 577 Abs. 1, 2 ZPO) sofortige Beschwerde gegen den Verwerfungsbeschluß des Berufungsgerichts nach den genannten Vorschriften zulässig und auch begründet.
1. Das Berufungsgericht hält die Berufung für unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.500 DM nicht übersteige (§ 511 a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 221 Abs. 1 BauGB), sondern lediglich 282,15 DM betrage (nämlich 57,7 tausendstel des Werts von 4.950 DM der enteigneten Teilfläche zuzüglich geschätzter 30 % wegen der gleichzeitig angegriffenen vorzeitigen Besitzeinweisung). Diese Bewertung begründet es wie folgt: Maßgebend sei das Interesse des Antragstellers an der Anfechtung der Enteignung und vorzeitigen Besitzeinweisung. Der Wert eines gegen eine Enteignung gerichteten Antrags auf gerichtliche Entscheidung richte sich an sich nach dem Wert der enteigneten Fläche. Vorliegend werde dem Beteiligten zu 1 jedoch nicht als Alleineigentümer die Fläche entzogen, vielmehr sei nur sein Miteigentumsanteil betroffen; nur nach diesem Bruchteil bemesse sich sein Interesse. Ob der Streitgegenstand teilbar wäre, wenn andere Miteigentümer ebenfalls Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hätten, sei unerheblich. Hätte der Antrag auf gerichtliche Entscheidung Erfolg gehabt, so wäre der Beschwerdewert der Beteiligten zu 2 wegen der „Unteilbarkeit der Enteignung” mit 4.950 DM zu bemessen; hierauf könne sich der Beteiligte zu 1 für seine Beschwer jedoch nicht berufen. Der Beteiligte zu 1 mache nicht im Wege der Prozeßstandschaft einen Anspruch der Wohnungseigentümergemeinschaft geltend. Er versuche vielmehr, einen im Wege der Enteignung verfolgten Anspruch der öffentlichen Hand abzuwehren. Daß er dies als Antragsteller tun müsse, sei durch die Ausgestaltung des Enteignungsbeschlusses als Vollstreckungstitel bedingt.
2. Diese Beurteilung ist unrichtig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes bezogen auf die angegriffene Enteignungsanordnung richtet sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nach dem gesamten Wert der im Miteigentum des Beteiligten zu 1 stehenden enteigneten Teilfläche. Er beläuft sich mithin nach dem insoweit nicht streitigen Ansatz der Vorinstanzen auf 4.950 DM, so daß die gesetzlich vorgesehene Berufungssumme überschritten wird.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich nach dem Streitgegenstand, den der Beteiligte zu 1 mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Baulandgericht anhängig gemacht und mit seiner Berufung weiterverfolgt hat. Bei einem baulandgerichtlichen Verfahren, das gegen eine Enteignung betrieben wird, ist der die Enteignung anordnende Verwaltungsakt bzw. seine Rechtmäßigkeit Streitgegenstand. Dieser ist, wie das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkannt hat, regelmäßig mit dem Wert der enteigneten Fläche zu bewerten (vgl. Senatsurteil BGHZ 50, 291, 293). Der Umstand, daß der Beteiligte zu 1 als Wohnungseigentümer und bloßer Miteigentümer der vorliegend enteigneten Teilfläche nur mit einem ideellen Bruchteil beteiligt ist, gibt keinen Grund, bei der Bewertung des Streit- bzw. Beschwerdegegenstandes nur auf ein – wie das Berufungsgericht meint – entsprechend verringertes Interesse des Beteiligten zu 1 an dem von ihm verfolgten Antrag auf gerichtliche Entscheidung abzustellen. Denn der Beteiligte zu 1 bekämpft die Enteignungsanordnung des Beteiligten zu 3 als ganze, nicht etwa nur die Enteignung seines ideellen Miteigentumsanteils an der betroffenen Fläche. Folgerichtig nimmt auch das Berufungsgericht nach dem Zusammenhang seiner Ausführungen zur „Unteilbarkeit der Enteignung” an, daß im Falle eines Erfolgs des Antrags des Beteiligten zu 1 auf gerichtliche Entscheidung die Enteignungsanordnung insgesamt aufzuheben wäre. Ob der Beteiligte zu 1 als Miteigentümer ein Recht hat, den Enteignungsbeschluß als ganzen anzufechten oder nicht – wie das Landgericht in dem mit der Berufung angegriffenen Urteil gemeint hat – ist für die Bewertung des Streitgegenstandes/Beschwerdegegenstandes ohne Bedeutung. Für diese kommt es allein darauf an, daß der Beteiligte zu 1 ein solches Recht – in erster Linie unter Berufung auf eine gesetzliche Prozeßstandschaft nach § 1011 BGB – für sich in Anspruch nimmt.
Unterschriften
Rinne, Streck, Schlick, Dörr, Galke
Fundstellen
Haufe-Index 538737 |
NJW 2000, 80 |
BGHR |
EBE/BGH 1999, 347 |
NZM 1999, 1144 |
Nachschlagewerk BGH |
ZMR 2000, 37 |
ZfIR 2000, 64 |
MDR 1999, 1457 |
WuM 2000, 32 |
ZWE 2000, 35 |
BRAK-Mitt. 2000, 48 |