Entscheidungsstichwort (Thema)
Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme. Erstattung eines Gutachtens über die Notwendigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme durch behandlenden Arzt. Betreuungsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Betreuungsgerichtliche Genehmigung einer zwangsweisen Heilbehandlung
Leitsatz (amtlich)
a) In Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme kann der behandelnde Arzt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen mit der Erstattung des vor der Entscheidung einzuholenden Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme beauftragt werden.
b) Die Gründe für eine Abweichung von der Regelung des § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG sind in der Genehmigungsentscheidung darzulegen.
Normenkette
FamFG § 321 Abs. 1 S. 5
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Beschluss vom 02.09.2013; Aktenzeichen 4 T 49/13) |
AG Ravensburg (Beschluss vom 16.08.2013; Aktenzeichen XVII 307/13) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Ravensburg vom 2.9.2013 zu Ziff. 2) und 3) der Beschlussformel aufgehoben.
Insoweit wird das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit des Beschlusses des AG Ravensburg vom 16.8.2013 wird aufgehoben.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene wendet sich gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung ihrer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und ihrer zwangsweisen Heilbehandlung.
Rz. 2
Die Betroffene, die an einer paranoiden Schizophrenie leidet, steht unter Betreuung. Auf Antrag ihres Betreuers hat das AG zunächst im Wege einer einstweiligen Anordnung die Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus betreuungsgerichtlich genehmigt. Nach Einholung einer "fachärztlichen Stellungnahme zu § 1906 BGB und zur Zwangsmedikation" durch den Oberarzt der Klinik, in der die Betroffene untergebracht war, und der Anhörung der Betroffenen hat das AG mit Beschluss vom 16.8.2013 die Unterbringung für einen Zeitraum von weiteren zwölf Wochen genehmigt und die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung ausgesprochen. Zugleich wurde die Genehmigung zur zwangsweisen Behandlung der Betroffenen mit in dem amtsgerichtlichen Beschluss konkret bezeichneten Medikamenten für die Dauer von sechs Wochen erteilt. Insoweit hat das AG von einer Anordnung der sofortigen Wirksamkeit seiner Entscheidung abgesehen.
Rz. 3
Im Beschwerdeverfahren hat das LG die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet und den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellt. In dem durch den Berichterstatter als beauftragten Richter durchgeführten Anhörungstermin hat der Sachverständige in Anwesenheit der Betroffenen, ihres Betreuers, des Verfahrenspflegers und ihres Vaters als Bevollmächtigtem mündlich ein Gutachten zur Erforderlichkeit der Unterbringung und der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen erstattet.
Rz. 4
Das LG hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen und die sofortige Wirksamkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung auch hinsichtlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung zur zwangsweisen Behandlung der Betroffenen angeordnet. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 5
Die gem. § 70 Abs. 3 Nr. 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 6
1. Die Genehmigung der Unterbringung und der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen ist verfahrensfehlerhaft erfolgt, weil die Einholung des Sachverständigengutachtens nicht den Anforderungen des § 321 Abs. 1 FamFG genügt.
Rz. 7
a) Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Gemäß § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen. Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358 ZPO). Jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest formlos mitzuteilen, damit dieser ggf. von seinem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 ZPO Gebrauch machen kann. Ferner hat der Sachverständige den Betroffenen gem. § 321 Abs. 1 Satz 2 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnen. Andernfalls kann der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben. Schließlich muss das Sachverständigengutachten zwar nicht zwingend schriftlich erstattet werden, wenn auch eine schriftliche Begutachtung vielfach in Anbetracht des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs angezeigt erscheint. Jedenfalls aber muss das Gutachten namentlich Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchung und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen (BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 383/10, FamRZ 2010, 1726 Rz. 18 ff. m.w.N.). Dem wird das durch das Beschwerdegericht eingeholte Sachverständigengutachten nicht gerecht.
Rz. 8
b) Soweit es die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen betrifft, ist es zwar nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht den behandelnden Arzt zum Sachverständigen bestellt hat. Nach § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG soll das Gericht nur bei einer Unterbringung mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt hat. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei einer kürzeren Unterbringungsdauer der behandelnde Arzt zum Sachverständigen bestellt werden kann (BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 383/10, FamRZ 2010, 1726 Rz. 9).
Rz. 9
Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich der Genehmigung der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen. In Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung soll nach § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG der zwangsbehandelnde Arzt nicht zum Sachverständigen bestellt werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18.2.2013 (BGBl. I 266) mit Wirkung vom 26.2.2013 eingeführten Vorschrift wollte der Gesetzgeber gewährleisten, dass der gerichtlichen Entscheidung über die Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung eine unvoreingenommene ärztliche Begutachtung durch einen Sachverständigen vorausgeht, der nicht mit der Behandlung des Betroffenen befasst ist (vgl. BT-Drucks. 17/12086, 11). Die gegenüber §§ 280 Abs. 1, 321 Abs. 1 Satz 1, 4 FamFG erhöhten Anforderungen an die Qualifikation des Sachverständigen und die Einführung eines "Vier-Augen-Prinzips" (so Dodegge NJW 2013, 1265, 1270) tragen dabei dem Umstand Rechnung, dass die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung bei dem Betroffenen zu einem zusätzlichen schweren Grundrechtseingriff führt, der über die mit der Unterbringung verbundenen Beschränkungen des Betroffenen hinausgeht (Grotkoop in Bahrenfuss FamFG 2. Aufl., § 321 Rz. 14). Dass § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG trotzdem nur als "Soll"-Vorschrift ausgestaltet ist, beruht darauf, dass der Gesetzgeber eine fachlich fundierte Begutachtung erreichen, gleichzeitig aber durch die abgestuften Anforderungen den unterschiedlichen Verfahren und den Bedürfnissen der Praxis bei der Auswahl geeigneter Sachverständiger Rechnung tragen wollte (BT-Drucks. 17/12086, 11). Im Hinblick auf den genannten Schutzzweck der Vorschrift und die besondere Grundrechtsrelevanz einer medizinischen Zwangsbehandlung ist vor der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung regelmäßig die Begutachtung des Betroffenen durch einen neutralen Sachverständigen geboten. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen - etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit - kann das Gericht hiervon abweichen und im Einzelfall auch den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellen (Grotkoop in Bahrenfuss FamFG 2. Aufl., § 321 Rz. 14; Jurgeleit/Diekmann Betreuungsrecht 3. Aufl., § 321 FamFG Rz. 4; BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1.7.2013] § 321 Rz. 10). In diesem Fall hat das Gericht jedoch in dem Genehmigungsbeschluss nachvollziehbar zu begründen, weshalb es von § 321 Abs. 1 Satz 5 BGB abgewichen ist (Prütting/Helms/Roth FamFG 3. Aufl., § 321 Rz. 4; BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1.7.2013] § 321 Rz. 10; vgl. auch BT-Drucks. 17/12086, 11).
Rz. 10
Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht. Der vom Beschwerdegericht mit der Erstattung des Gutachtens beauftragte Sachverständige ist Oberarzt in der Einrichtung, in der die Betroffene untergebracht ist, und gleichzeitig ihr behandelnder Arzt. Das LG hat in den Gründen der Genehmigungsentscheidung nicht ausreichend dargelegt, aus welchen Gründen es von der Regelung des § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG abgewichen ist. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Abweichung von dem in der Vorschrift enthaltenen "Vier-Augen-Prinzip" rechtfertigen könnten.
Rz. 11
c) Auch soweit es die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen betrifft, ist das eingeholte Gutachten keine taugliche Grundlage für die Entscheidung des Beschwerdegerichts.
Rz. 12
Es fehlte an einer Untersuchung der Betroffenen nach Bestellung des Arztes zum Sachverständigen und vor Erstattung des Gutachtens. Die vom Gericht verwerteten Erkenntnisse, die der Sachverständige über die Betroffene gewonnen hatte, beruhen ausschließlich auf seiner Tätigkeit als behandelnder Arzt in der Klinik und nicht auf einer Untersuchung als Sachverständiger. Deshalb konnte die Betroffene keine Kenntnis davon haben, dass die durchgeführten Untersuchungen einer späteren Begutachtung dienen sollten. Zudem genügen die Äußerungen des Sachverständigen in der Anhörung nicht den an ein Gutachten i.S.d. § 321 FamFG zu stellenden Anforderungen. Es mangelt schon an einer Darstellung der von ihm durchgeführten Untersuchungen.
Rz. 13
2. Der angefochtene Beschluss kann danach keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu entscheiden, da es hierzu weiterer Feststellungen, insb. der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Frage der Unterbringung und der Notwendigkeit der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen bedarf. Die Sache ist deshalb an das LG zurückzuverweisen.
Rz. 14
3. Der in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthafte Antrag, auch die sofortige Wirksamkeit der Genehmigung der Unterbringung einstweilen außer Vollzug zu setzen (vgl. BGH vom 18.7.2012 - XII ZB 661/11, FamRZ 2012, 1556 Rz. 25), ist begründet.
Rz. 15
Das Rechtsbeschwerdegericht hat über den vorgenannten Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen (BGH v. 18.7.2012 - XII ZB 661/11, FamRZ 2012, 1556 Rz. 26; vgl. auch BGH Beschluss vom 21.1.2010 - V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97 Rz. 5).
Rz. 16
Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung aufzuheben ist. Nachdem die Rechtsbeschwerde Erfolg hat, weil die bisherigen Feststellungen die Genehmigung der Unterbringung und der ärztlichen Zwangsbehandlung nicht rechtfertigen, kann auch die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Unterbringungsgenehmigung keinen Bestand haben.
Fundstellen