Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Berufungsfrist. Zwingende Zustellungsvorschriften. Zustellung durch die Post. Vermerk des Zustelldatums auf der Sendung
Leitsatz (redaktionell)
Wird bei der Zustellung durch die Post die Sendung einer Rechtsanwaltsgehilfin übergeben, das Datum der Zustellung aber nicht auf dem in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten verbliebenen Briefumschlag eingetragen, verstößt dies gegen zwingende Zustellungsvorschriften. Die Berufungsfrist wird hierdurch nicht in Gang gesetzt.
Normenkette
ZPO a.F. §§ 195, 187, 516
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 29.06.2001) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 29. Juni 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 50.000,00 DM = 25.564,59 EUR.
Tatbestand
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Herausgabe von Akten und Abtretung von Forderungen in Anspruch, die der Rechtsanwaltskanzlei zustehen, die die Klägerin mit dem Ehemann der Beklagten bis zu dessen Tod gemeinsam betrieben hatte. Die Beklagte verlangt widerklagend, daß die Klägerin an der Aufstellung einer Auseinandersetzungsbilanz mitwirken und ihr das sich daraus ergebende Auseinandersetzungsguthaben auszahlen solle. Mit Urteil vom 13. September 2000 hat das Landgericht die Beklagte zur Abtretung der Forderungen verurteilt, die Klage im übrigen aber ebenso wie die Widerklage abgewiesen. Nachdem zwei Versuche, das Urteil dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis zuzustellen, gescheitert waren, erfolgte die Zustellung am 12. Februar 2001 durch die Post. Ausweislich der Zustellungsurkunde wurde die Sendung der Rechtsanwalts- und Notargehilfin C. K. übergeben und der Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt. Tatsächlich war das Datum der Zustellung in die dafür vorgesehene Rubrik auf dem in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten verbliebenen Briefumschlag nicht eingetragen worden. Der Umschlag wurde von der Rechtsanwalts- und Notargehilfin K. mit dem Eingangsstempel der Kanzlei versehen, allerdings mit dem Datum des 13. Februar 2001. Die Beklagte hat unter dem 13. März 2001 Berufung gegen das Urteil vom 13. September 2000 eingelegt und sie nach entsprechender Fristverlängerung am 15. Mai 2001 begründet. Nach gerichtlichem Hinweis, daß die Zulässigkeit des Rechtsmittels zweifelhaft sei, hat sie fristgerecht wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags durch Beschluß als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.
Entscheidungsgründe
II. Das Rechtsmittel ist zulässig, §§ 519 b Abs. 2, 577 Abs. 2 ZPO a.F., und begründet. Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Berufung erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegt worden ist. Die Einlegung am 13. März 2001 war rechtzeitig, weil die Zustellung vom 12. Februar 2001 gegen zwingende Zustellungsvorschriften verstoßen und daher die Berufungsfrist nicht in Gang gesetzt hatte. Die Berufungsfrist begann erst am 13. Februar 2001.
1. Bei Zustellung durch die Post ist von dem Postbediensteten eine Urkunde aufzunehmen, in der er bezeugt, daß die ihrer Anschrift und ihrer Geschäftsnummer nach bezeichnete Sendung sowie eine Abschrift der Zustellungsurkunde übergeben worden sind, § 195 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F.. Die Übergabe einer Abschrift der Zustellungsurkunde kann dadurch ersetzt werden, daß der Postbedienstete den Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt und dies in der Zustellungsurkunde bezeugt, § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F.. Der Vermerk des Zustellungsdatums auf der Sendung ist ein für die Zustellung notwendiges, urkundlich zu bezeugendes Surrogat für die Übergabe der Abschrift der Zustellungsurkunde; zum Schutze des Zustellungsempfängers, der die an die Zustellung geknüpfte Rechtsfolge für und gegen sich gelten lassen muß, ist es erforderlich, daß ihm der Tag der Zustellung in Übereinstimmung mit der Zustellungsurkunde bekannt gegeben wird (BVerwG, Urt. v. 7. November 1979 – 6 C 47/78, NJW 1980, 1482). Es handelt sich um eine zwingende Zustellungsvorschrift, deren Nichteinhaltung zwar nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit der Zustellung führt, § 187 Satz 1 ZPO a.F., aber zur Folge hat, daß sie den Lauf von Notfristen, zu denen die Berufungsfrist gehört, nicht in Gang setzt, § 187 Satz 2 ZPO a.F. (vgl. Beschl. des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 9. November 1976 – GemS-OGB 2/75, BGHZ 67, 355; BVerwG aaO).
2. Der Postbedienstete hat, wie der Text der Zustellungsurkunde ergibt, bei der Zustellung des Urteils von der Möglichkeit des § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. Gebrauch machen wollen, das Zustellungsdatum jedoch nicht auf der Sendung vermerkt. Damit ist die Zustellung zwar wirksam, hat aber die Berufungsfrist nicht in Lauf setzen können. Diese Frist begann gemäß § 516 ZPO a.F. mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des Urteils, also am 13. Februar 2001. Die am 13. März 2001 bei Gericht eingegangene Berufung der Beklagten war damit rechtzeitig.
Da es einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter diesen Umständen nicht bedurfte, ist die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs durch das Berufungsgericht gegenstandslos.
III. Die Sache ist unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses entsprechend § 565 ZPO a.F. an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die – aus seiner Sicht mit Recht – nicht geprüfte Frage der Begründetheit der Berufung klärt.
Unterschriften
Röhricht, Goette, Kurzwelly, Münke, Graf
Fundstellen
Haufe-Index 929650 |
NJOZ 2003, 1050 |