Leitsatz (amtlich)
›1. Die Anordnung der Entnahme von Blutproben zum Zwecke der Blutgruppenuntersuchung sowie die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Verweigerung der Untersuchung obliegen dem Prozeßgericht.
2. Die Durchführung der Beweisaufnahme kann einem anderen Gericht übertragen werden, das dann befugt ist, notwendige Zwangsmaßnahmen zu treffen.‹
Tatbestand
I. Der Kläger nimmt den Beklagten vor dem Amtsgericht Münster auf Feststellung der nichtehelichen Vaterschaft und auf Zahlung des Regelunterhalts in Anspruch. Das Amtsgericht hat durch Beweisbeschluß angeordnet, daß über die Abstammung des Klägers durch Einholung eines serologischen Gutachtens mit biostatistischer Auswertung, in das der Kläger, dessen Mutter und der Beklagte einzubeziehen seien, Beweis erhoben werden solle; mit der Erstattung des Gutachtens hat es den Direktor des Instituts für gerichtliche Medizin der Universität Münster beauftragt.
Nachdem der Gutachter dem Amtsgericht mitgeteilt hatte, daß eine Blutprobe des Beklagten nicht zu erreichen sei, weil der Beklagte nach Mitteilung des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg der Aufforderung zur Blutentnahme nicht folge, hat das Amtsgericht beschlossen, die angeordnete Blutuntersuchung solle nach § 372 a ZPO im Wege der Rechtshilfe vom Amtsgericht Ingolstadt bei dem Beklagten durchgesetzt werden. Das Amtsgericht Ingolstadt hat das Rechtshilfeersuchen abgelehnt, weil der Beschluß nach § 372 a ZPO nicht durch einen ersuchten Richter, sondern durch das Prozeßgericht zu erlassen sei. Das vom Amtsgericht Münster nach § 159 GVG angerufene Oberlandesgericht München hat durch den angefochtenen Beschluß das Rechtshilfeersuchen für unzulässig erklärt.
Das Amtsgericht Münster hat die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
II. Der Antrag ist nach § 159 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 GVG als Beschwerde zulässig.
Das Oberlandesgericht München, zu dessen Bezirk das ersuchte Amtsgericht Ingolstadt gehört, hat die Rechtshilfe für unzulässig erklärt. Das ersuchende Amtsgericht Münster (Oberlandesgerichtsbezirk Hamm) und das ersuchte Gericht gehören den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte an. Das ersuchende Amtsgericht Münster beantragt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
III. Die Beschwerde ist begründet.
Das Oberlandesgericht München hat die begehrte Rechtshilfe zu Unrecht für unzulässig erklärt. Das Amtsgericht Ingolstadt durfte das Rechtshilfeersuchen des Amtsgerichts Münster nicht ablehnen.
1. Nach § 156 GVG haben sich die Gerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Rechtshilfe zu leisten. Darum geht es hier. Vor dem Amtsgericht Münster ist ein bürgerlicher Rechtsstreit anhängig, in dem das Prozeßgericht eine Beweisaufnahme angeordnet hat. Gegenstand des Rechtshilfeersuchens dieses Gerichts ist eine richterlicher Amtshandlung, die das ersuchende Gericht kraft eigener Zuständigkeit rechtlich auch selbst vornehmen könnte, zu deren Vornahme es sich aber aus tatsächlichen Gründen nicht oder jedenfalls nicht ohne Schwierigkeiten in der Lage sieht und die es deshalb aus Zweckmäßigkeitsgründen einem anderen Gericht übertragen hat (vgl. RGZ 115, 368, 369; KG DR 1940, 695; Kissel GVG 1981 § 156 Rn. 30).
2. Das Ersuchen um Rechtshilfe ist nach § 157 GVG an das Amtsgericht zu richten, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorgenommen werden soll. Das ist hier das Amtsgericht Ingolstadt, in dessen Bezirk der Beklagte des Rechtsstreits wenn nicht wohnt, so doch seinen gewöhnlichen Aufenthalt mit fester Anschrift hat und erreichbar ist. Daß das ersuchte Amtsgericht Ingolstadt örtlich nicht zuständig wäre, ist auch weder geltend gemacht (vgl. § 158 Abs. 2 Satz 2 GVG) noch sonst ersichtlich.
3. Das Ersuchen um Rechtshilfe darf nach § 158 Abs. 1 GVG grundsätzlich nicht abgelehnt werden. Dies gilt nach § 158 Abs. 2 Satz 1 GVG allgemein für das Ersuchen eines im Rechtszuge vorgesetzten Gerichts. Im übrigen - und damit auch im Streitfall - ist das Ersuchen nur abzulehnen, wenn die vorzunehmende Handlung nach dem Recht des ersuchten Gerichts verboten ist.
§ 158 Abs. 2 Satz 1 GVG ist als Ausnahmebestimmung zu Absatz 1 der Vorschrift eng auszulegen (so zutreffend Zöller/Gummer ZPO 15. Aufl. GVG § 158 Rn. 3; Wieczorek ZPO 2. Aufl. GVG § 158 Rn. B III). In Rechtsprechung und Schrifttum ist insoweit anerkannt, daß eine Handlung dann verboten und dementsprechend ein Rechtshilfeersuchen abzulehnen ist, wenn die von dem ersuchten Gericht vorzunehmende Handlung schlechthin unzulässig ist (vgl. RGZ 162, 316, 317; BGH Beschluß vom 28. November 1952 - I ZB 15/52 = LM GVG § 158 Nr. 2 = JZ 1953, 230 mit Anm. Schwoerer; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 48. Aufl. GVG § 158 Anm. 2 B, C, D; Zöller/Gummer aaO. Rn. 3 ff.; Wieczorek aaO. Rn. B III ff.; Kissel aaO. § 158 Rn. 10 ff.; Kleinknecht/Meyer StPO 39. Aufl. GVG § 158 Rn. 2; Löwe-Rosenberg/Schäfer StPO 23. Aufl. GVG § 158 Rn. 2 ff.; KK/Schoreit StPO 2. Aufl. GVG § 158 Rn. 3 ff. - jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; vgl. auch die Übersichten von Berg MDR 1962, 787 und Schneider JVBl. 1969, 241 sowie ferner Schickedanz MDR 1984, 550).
4. Das Oberlandesgericht ist in dem angefochtenen Beschluß von diesen Grundsätzen an sich zutreffend ausgegangen. Ihm kann jedoch insoweit nicht gefolgt werden, als es im Streitfall das Vorliegen eines Ausnahmefalls bejaht und die begehrte Rechtshilfe für unzulässig erklärt hat.
a) Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Die Anordnung einer Blutuntersuchung nach § 372 a ZPO obliege ausnahmslos dem Prozeßgericht - das einen entsprechenden Beweisbeschluß hier erlassen habe - und könne ebensowenig wie die sonstige Anordnung einer Beweiserhebung einem Rechtshilfegericht übertragen werden. Soweit sich der zur Duldung einer Blutentnahme Verpflichtete weigere, seien etwaige Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Untersuchung ebenfalls von dem Prozeßgericht anzuordnen; für eine Übertragung der Entscheidung, ob oder welche Zwangsmaßnahmen anzuordnen seien, auf ein anderes Gericht im Wege der Rechtshilfe sei kein Raum. Es bleibe dem Prozeßgericht unbenommen, den Gerichtsvollzieher eines anderen Amtsgerichts mit der Vollstreckung angeordneter Zwangsmaßnahmen zu beauftragen, insbesondere der zwangsweisen Vorführung zum Zwecke der Untersuchung (§ 372 a Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Diesen Ausführungen kann nicht in allen Punkten gefolgt werden.
b) Es trifft allerdings zu, daß die Anordnung von Untersuchungen nach § 372 a ZPO, insbesondere der Entnahme von Blutproben zum Zwecke der Blutgruppenuntersuchung, durch das Prozeßgericht zu erfolgen hat. Es handelt sich dabei, wie sich aus der gesetzessystematischen Stellung der Vorschrift ergibt, um eine Beweisaufnahme durch Augenschein (§§ 371 ff. ZPO). Deren Anordnung obliegt, wie die Anordnung jeder Beweiserhebung, dem Prozeßgericht (vgl. §§ 144, 284, 355, 358, 372 Abs. 1 ZPO).
Im Streitfall ist eine solche Anordnung in dem Beweisbeschluß des Amtsgerichts Münster vom 25. November 1988 erfolgt, wie das Oberlandesgericht nicht verkannt hat. Denn durch diesen Beweisbeschluß hat das Prozeßgericht bestimmt, über die Abstammung des Klägers durch Einholung eines Blutgruppengutachtens unter Einbeziehung auch des Beklagten (Sachverständigen-)Beweis zu erheben, und zwar nach vorheriger (im Wege des Augenscheinsbeweises erfolgter) Untersuchung des Beklagten durch Blutentnahme.
c) Anderes gilt für die Durchführung der Beweisaufnahme. Die Einnahme des Augenscheins, hier die Untersuchung des Beklagten durch Blutentnahme (§ 372 a ZPO), kann nach § 372 Abs. 2 ZPO einem anderen Gericht übertragen werden. Besonderer Gründe für die Übertragung (wie sie etwa § 375 ZPO beim Zeugenbeweis verlangt) bedarf es nicht; sie steht im pflichtgemäßen Ermessen des Prozeßgerichts (vgl. Stein/Jonas/Schumann ZPO 20. Aufl. § 372 Rn. 3; Zöller/Stephan aaO. § 372 Rn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO. § 372 Anm. 3; Thomas/Putzo ZPO 15. Aufl. § 372 Anm. b).
Der Beschluß des Amtsgerichts Münster vom 14. April 1989, die angeordnete Blutuntersuchung nach § 372 a ZPO solle im Wege der Rechtshilfe vom Amtsgericht Ingolstadt beim Beklagten durchgesetzt werden, ist hiernach nicht schlechthin unzulässig, die von dem ersuchten Gericht vorzunehmende Handlung nicht verboten i.S. des § 158 Abs. 2 Satz 1 GVG. Denn es handelt sich dabei nicht um die unzulässige Übertragung einer dem Prozeßgericht obliegenden Beweisanordnung, sondern darum, daß dem Rechtshilfegericht ein Teil der Durchführung des Beweisbeschlusses vom 25. November 1988 übertragen wird.
d) Dem steht nicht entgegen, daß der Beklagte, der der Aufforderung zur Blutentnahme bisher nicht gefolgt ist, möglicherweise die Untersuchung verweigert und zu ihrer Durchsetzung deshalb Zwangsmaßnahmen (§ 372 a Abs. 2 ZPO) erforderlich werden könnten.
§ 372 a Abs. 2 Satz 1 ZPO verweist auf die §§ 386 bis 390. Hiernach hat im Falle einer Verweigerung der Untersuchung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung zwar das Prozeßgericht zu entscheiden, und zwar durch Zwischenurteil (§ 387 ZPO). Das setzt aber eine Verweigerung der Untersuchung unter Angabe von Gründen nach Maßgabe der §§ 386, 388, 389 ZPO voraus, die auch vor einem beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen kann. Bei einer Weigerung ohne Angabe von Gründen greift § 390 ZPO ein; die danach möglichen Maßnahmen kann nach § 400 ZPO auch der beauftragte oder ersuchte Richter treffen (vgl. Stein/Jonas/Schumann aaO. § 372 a Rn. 17 ff. , § 390 Rn. 16; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO. § 372 a Anm. 5, § 389 Anm. l, § 390 Anm. 1; unklar Zöller/Stephan aaO. § 372 a Rn. 15 einerseits und § 390 Rn. 4 sowie § 400 Rn. 3 andererseits).
e) Soweit das Oberlandesgericht deshalb angenommen hat, über etwaige Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Blutentnahme habe das Prozeßgericht zu befinden, für eine Übertragung dieser Entscheidung auf ein anderes Gericht im Wege der Rechtshilfe sei kein Raum, trifft dies nicht zu.
Dabei kann hier dahinstehen, ob der Beklagte für seine Weigerung Gründe anführt, über die in einem Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit der Weigerung zu entscheiden ist (§ 372 a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. §§ 386 ff. ZPO), oder ob er die Untersuchung ohne Angabe eines ernstlichen Grundes verweigert (§ 372 a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 390 ZPO). Im einen wie im anderen Falle bleibt die Übertragung der Augenscheinseinnahme auf ein anderes Gericht nach § 372 Abs. 2 ZPO rechtlich zulässig. Dem Prozeßgericht ist nur die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 ZPO vorbehalten. Die für diese Entscheidung erforderlichen Grundlagen kann nach § 389 Abs. 1 ZPO auch der beauftragte oder ersuchte Richter schaffen (vgl. Stein/Jonas/Schumann aaO. § 389 Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO. § 389 Anm. 1; Zöller/Stephan aaO. § 389 Rn. 1). Dessen Zuständigkeit für Maßnahmen gemäß § 390 ZPO bleibt ohnehin unberührt (§ 400 ZPO; vgl. oben zu d).
f) Ob die Übertragung der Augenscheinseinnahme auf ein anderes Gericht im Einzelfall (hier: im Hinblick auf einen sich möglicherweise anbahnenden Zwischenstreit) zweckmäßig oder notwendig ist, hat das ersuchte Gericht nicht zu prüfen. Dieses darf das Rechtshilfeersuchen deshalb auch nicht mit der Begründung ablehnen, die Rechtshilfe sei nicht erforderlich, weil das Prozeßgericht die Amtshandlung ebensogut selbst vornehmen könne. Eine solche selbständige Prüfungsbefugnis des ersuchten Gerichts wäre mit dem Sinn und Zweck des Rechtshilfeverfahrens nicht vereinbar. Ob das Prozeßgericht nach pflichtgemäßem Ermessen um die Gewährung von Rechtshilfe nachsucht, hat das Rechtshilfegericht vielmehr grundsätzlich hinzunehmen. Ein Ersuchen ist, wie ausgeführt, nur abzulehnen, wenn die vorzunehmende Handlung schlechthin unzulässig ist (vgl. die Nachweise oben zu 3, inbesondere BGH und KK/Schoreit, jeweils aaO.).
Im Streitfall kommt es deshalb auf die Erwägung des Oberlandesgerichts, das Prozeßgericht könne gegebenenfalls den Gerichtsvollzieher eines anderen Amtsgerichts mit der Vollstreckung angeordneter Zwangsmaßnahmen, insbesondere der zwangsweisen Vorführung zum Zwecke der Blutentnahme, beauftragen, nicht an.
IV. Das Rechtshilfeersuchen des Amtsgerichts Münster an das Amtsgericht Ingolstadt ist nach allem unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung des Oberlandesgerichts München für zulässig zu erklären. Das Amtsgericht Ingolstadt hat dem Rechtshilfeersuchen zu entsprechen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993041 |
NJW 1990, 2936 |
BGHR GVG § 156 Grundsätze 1 |
BGHR GVG § 158 Abs. 2 Satz 1 Ablehnung 1 |
BGHR ZPO § 372a Abs. 1 Rechtshilfe 1 |
BGHR ZPO § 372a Abs. 2 Satz 1 Rechtshilfe 1 |
DRsp IV(415)209a-b |
MDR 1991, 33 |
Rpfleger 1990, 408 |