Leitsatz (amtlich)
Der von der BeckAkademie angebotene, auf die Dauer von neun Monaten angelegte Fernkurs "Hochschulzertifikatskurs Rechtliche Betreuung" mit einem Arbeitspensum ("workload") von 1.080 Stunden (36 ECTS-Punkte) ist nicht mit einer abgeschlossenen Ausbildung an einer Hochschule i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG vergleichbar (Abgrenzung zu Senatsbeschluss v. 12.4.2017 - XII ZB 86/16 - juris).
Normenkette
VBVG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 22.11.2016; Aktenzeichen 19 T 349/16) |
AG Bad Freienwalde (Oder) (Entscheidung vom 25.08.2016; Aktenzeichen 60 XVII 104/11) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Frankfurt/O. vom 22.11.2016 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.
Wert: 22 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Beteiligte zu 1) begehrt eine Vergütung als Betreuer u.a. i.H.v. 44 EUR pro Stunde.
Rz. 2
Er ist seit mehreren Jahren als Berufsbetreuer des mittellosen Betroffenen bestellt und verfügt über einen Berufsabschluss als staatlich anerkannter Rettungsassistent. Ferner schloss er im Juni 2016 erfolgreich einen von der Hochschule Neubrandenburg und der BeckAkademie Fernkurse veranstalteten "Hochschulzertifikatskurs Rechtliche Betreuung" ab. Die Qualifizierungsmaßnahme ist auf die Dauer von neun Monaten angelegt und umfasst ein Arbeitspensum ("workload") von 1.080 Stunden (36 ECTS-Punkte).
Rz. 3
Der Beteiligte zu 1) hat beantragt, seine Vergütung für die Tätigkeit im Zeitraum vom 23.3.2016 bis zum 22.6.2016 auf 373,80 EUR zu Lasten der Staatskasse festzusetzen, ausgehend von einem Stundensatz von 33,50 EUR und ab dem 5.6.2016 von 44 EUR. Das AG hat die Vergütung auf 351,75 EUR festgesetzt und dabei einen durchgehenden Stundensatz von 33,50 EUR zugrunde gelegt. Das LG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Rz. 5
1. Das LG hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Rz. 6
Bei der Festsetzung der Betreuervergütung habe das AG gem. §§ 1836 Abs. 1 Satz 2 und 3, 1908i Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG zu Recht lediglich einen Stundensatz von 33,50 EUR zugrunde gelegt.
Rz. 7
Der Beteiligte zu 1) erfülle nicht die Voraussetzungen für einen erhöhten Stundensatz von 44 EUR. Hierfür sei der bei der Hochschule Neubrandenburg bzw. der BeckAkademie absolvierte "Hochschulzertifikatskurs Rechtliche Betreuung" nicht ausreichend. Der Fernlehrgang sei in seiner Wertigkeit nicht mit einem Hochschulstudium vergleichbar. Denn bei Betrachtung der maßgeblichen Kriterien des Zeitaufwandes und der Zulassungsvoraussetzungen zeige sich, dass der Lehrgang mit einer Stundenzahl von nur 1.080 und ohne erkennbare Zulassungsbeschränkungen keinem Hochschulstudium gleichkommen könne. Dabei bleibe nicht unberücksichtigt, dass der Fernlehrgang offenbar ausschließlich für das Betreuungsverfahren relevantes Wissen vermitteln soll, so dass insoweit wohl ein breiteres Spektrum betreuungsrelevanter Kenntnisse vermittelt werde als in einem Hochschulstudium, das dennoch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG erfülle. Entscheidend sei, dass § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG nicht ausschließlich an den Umfang vermittelter Kenntnisse, sondern auch an das Erreichen einer nicht selbstverständlichen beruflichen Qualifikation anknüpfe. Ein grundsätzlich auf viele Jahre angelegtes Hochschulstudium erfolgreich zu absolvieren, stelle schon an sich ein besonderes Leistungsmerkmal dar. Ansonsten hätte es der vergütungsrechtlichen Unterscheidung gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 VBVG zwischen einer abgeschlossenen Lehre und der abgeschlossenen Ausbildung an einer Hochschule nicht bedurft. Im Übrigen gehe auch der BGH ausdrücklich davon aus, dass Fortbildungen und/oder Ausbildungen mit einem festzustellenden Zeitaufwand von um die 1.000 Stunden gerade nicht mit einer Hochschulausbildung vergleichbar sein könnten, weil dies nicht im Ansatz den üblichen Regelstudienzeiten entspreche. Allein die Tatsache, dass der vorliegende Lehrgang regulär sogar in nur neun Monaten absolviert werden könne, zeige bereits hinreichend auf, dass er einem Hochschulstudium nicht vergleichbar gegenüberstehen könne.
Rz. 8
2. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.
Rz. 9
a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG beträgt der Stundensatz eines Berufsbetreuers 44 EUR, wenn der Betreuer über besondere Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, und diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind.
Rz. 10
Einer Hochschulausbildung vergleichbar ist eine Ausbildung, die in ihrer Wertigkeit einer Hochschulausbildung entspricht und einen formalen Abschluss aufweist. Gleichwertig ist eine Ausbildung nach ständiger Rechtsprechung des Senats, wenn sie staatlich reglementiert oder zumindest staatlich anerkannt ist und der durch sie vermittelte Wissensstand nach Art und Umfang dem eines Hochschulstudiums entspricht. Als Kriterien können somit insb. der mit der Ausbildung verbundene Zeitaufwand, der Umfang und Inhalt des Lehrstoffs und die Zulassungsvoraussetzungen herangezogen werden. Für die Annahme der Vergleichbarkeit einer Ausbildung mit einer Hochschul- oder Fachhochschulausbildung kann auch sprechen, wenn die durch die Abschlussprüfung erworbene Qualifikation Zugang zu beruflichen Tätigkeiten ermöglicht, deren Ausübung üblicherweise Hochschulabsolventen vorbehalten ist. Bei der Prüfung der Vergleichbarkeit hat der Tatrichter strenge Maßstäbe anzulegen (Senat, Beschl. v. 12.4.2017 - XII ZB 86/16 - juris Rz. 9; s. auch BGH v. 4.4.2012 - XII ZB 447/11, NJW-RR 2012, 774 Rz. 16; v. 18.1.2012 - XII ZB 409/10, FamRZ 2012, 629 Rz. 11 f.).
Rz. 11
Die Frage, unter welchen Umständen ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, die gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG die Bewilligung einer erhöhten Vergütung rechtfertigen, obliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob er die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt, Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt und die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (Senat, Beschl. v. 12.4.2017 - XII ZB 86/16 - juris Rz. 10 m.w.N.).
Rz. 12
b) Einer solchen Überprüfung hält die tatrichterliche Würdigung des LG stand. Es ist nichts dagegen zu erinnern, dass das LG den von dem Beteiligten zu 1) erfolgreich abgeschlossenen "Hochschulzertifikatskurs Rechtliche Betreuung" nicht als eine mit einem Hochschulstudium i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG vergleichbare Ausbildung angesehen und ihm deshalb eine Vergütung i.H.v. 44 EUR pro Stunde versagt hat.
Rz. 13
Das LG hat die Vergleichbarkeit der hier gegenständlichen Fortbildung mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium bereits an dem vergleichsweise geringen zeitlichen Umfang und an den fehlenden Zulassungsbeschränkungen scheitern lassen. Dass die hierzu getroffenen Feststellungen des LG unzutreffend sind, ist nicht ersichtlich und von der Rechtsbeschwerde auch nicht dargelegt. Da vorliegend bereits aufgrund dieser beiden Kriterien eine Vergleichbarkeit ausgeschlossen ist, bedurfte es im Übrigen keiner weiteren Feststellungen. Die Entscheidung des LG beruht daher entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht auf einer unvollständigen und rechtsfehlerhaften tatrichterlichen Würdigung. Das LG hat die maßgeblichen Kriterien rechtsfehlerfrei auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats gewürdigt. Durchgreifende Ermessensfehler zeigt die Rechtsbeschwerde insoweit nicht auf.
Rz. 14
aa) Unstreitig umfasst die vom Beteiligten zu 1) absolvierte Ausbildung zum Betreuer ein Arbeitspensum ("workload") von 1.080 Stunden (36 ECTS) bei einer Ausbildungsdauer von neun Monaten und bleibt damit erheblich hinter dem eines Bachelor-Studiengangs zurück, das sich in der Regel auf mindestens 180 ECTS bei sechs Studiensemestern erstreckt (vgl. Senatsbeschluss v. 12.4.2017 - XII ZB 86/16 - juris Rz. 15).
Rz. 15
Zwar hat der Senat für die Ausbildung zum "Zertifizierten Betreuer - Curator de jure" mit 90 ECTS (2.700 Stunden) bei einer Ausbildungsdauer von vier Semestern die tatrichterliche Würdigung noch gebilligt, wonach die zeitliche Abweichung nicht so gewichtig ist, weil die Ausbildung andere Kriterien erfülle, die für die Vergleichbarkeit mit einem Hochschulstudium kennzeichnend seien (Senat, Beschl. v. 12.4.2017 - XII ZB 86/16 - juris Rz. 15). Dabei hat er diese Entscheidung zu seiner bisherigen Rechtsprechung aber auch dahin abgegrenzt, dass letzterer jeweils Sachverhalte zugrunde lagen, in denen der mit den Ausbildungen verbundene Zeitaufwand erheblich von dem eines (Fach-)Hochschulstudiums abgewichen ist (vgl. BGH vom 4.4.2012 - XII ZB 447/11, NJW-RR 2012, 774 Rz. 18: 626 Unterrichtseinheiten von je 45 Minuten [Sparkassenbetriebswirt]; v. 18.1.2012 - XII ZB 409/10, FamRZ 2012, 629 Rz. 17: 900 Unterrichtseinheiten [staatlich anerkannte Sozialwirtin]; s. auch BGH v. 30.10.2013 - XII ZB 23/13 - FamRZ 2014, 117 Rz. 15: 1.000 Unterrichtsstunden [Betriebswirt (VWA)]). Zudem fehlten den Ausbildungen - anders als bei der Ausbildung zum "Zertifizierten Betreuer - Curator de jure" - auch andere für die Vergleichbarkeit mit einer Hochschulausbildung kennzeichnende Merkmale (Senat, Beschl. v. 12.4.2017 - XII ZB 86/16 - juris Rz. 15).
Rz. 16
Hinzu kommt, dass es vorliegend - worauf das LG ebenfalls zu Recht abhebt - nach den getroffenen Feststellungen an besonderen Zulassungsvoraussetzungen für die Aufnahme der Ausbildung fehlt. Während in dem vom Senat abweichend entschiedenen Fall (Senat, Beschl. v. 12.4.2017 - XII ZB 86/16 - juris Rz. 14) der Zugang nach der Prüfungsordnung eine abgeschlossene Berufsausbildung oder die Hoch- bzw. Fachhochschulreife sowie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung als Betreuer und zusätzlich eine positive Zulassungsentscheidung durch eine vom Fakultätsrat bestellte Zulassungskommission voraussetzte, fehlt es hier an entsprechenden Zugangsvoraussetzungen. Aus dem vom LG in Bezug genommenen Internetauftritt der BeckAkademie folgt vielmehr, dass weder das Abitur erforderlich ist noch eine Aufnahmeprüfung stattfindet. Die Prüfungsordnung selbst enthält keine bestimmten Anforderungen für den Zugang zur Ausbildung, also auch nicht den Abschluss einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Dass es besondere Zugangsanforderungen gäbe, legt auch die Rechtsbeschwerde nicht dar.
Rz. 17
Die tatrichterliche Würdigung des LG, dass bei einem Arbeitsumfang von 1.080 Stunden für die gesamte Ausbildung bzw. die Dauer des Fernlehrgangs von nur neun Monaten und fehlenden Zulassungsbeschränkungen eine Vergleichbarkeit mit einem Hochschulstudium nicht gegeben ist, ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu beanstanden. Vielmehr liegt insoweit eine erhebliche Abweichung zum (Fach-)Hochschulstudium vor, die auch durch andere Kriterien, die für die Vergleichbarkeit mit einem Hochschulstudium kennzeichnend sein könnten, nicht mehr kompensiert werden kann.
Rz. 18
bb) Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, dass der Fernlehrgang ausweislich der zur Akte gereichten Unterlagen staatlich geprüft bzw. von der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht zugelassen ist, und dass die Ausbildung ersichtlich im Schwerpunkt besondere Kenntnisse vermittelt, die für die Führung der Betreuung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG nutzbar sind. Zutreffend weist das LG daraufhin, dass § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG nicht ausschließlich an den Umfang vermittelter Kenntnisse, sondern auch an das Erreichen einer bestimmten beruflichen Qualifikation anknüpft. Eine lediglich 1.080 Stunden umfassende und über einen Zeitraum von neun Monaten laufende Ausbildung kann danach nicht mit einem Hochschulstudium vergleichbar sein, auch wenn sie im Übrigen Elemente eines solchen aufweist.
Fundstellen
Haufe-Index 10957982 |
FamRZ 2017, 1424 |
FuR 2017, 571 |
NJW-RR 2017, 965 |
FA 2017, 263 |
FGPrax 2017, 224 |
BtPrax 2017, 199 |
JZ 2017, 592 |
MDR 2017, 1211 |
Rpfleger 2017, 622 |
FF 2017, 379 |