Leitsatz (amtlich)
Die Suspendierung einer Vorsorgevollmacht setzt die Prognose voraus, dass der Bevollmächtigte trotz angeordneter (Kontroll-)Betreuung nicht den Wünschen des Vollmachtgebers entsprechend handeln und dadurch die Person des Vollmachtgebers oder dessen Vermögen erheblich gefährden wird, insbesondere weil zu erwarten ist, dass der Bevollmächtigte den Weisungen des (Kontroll-)Betreuers nicht folgt.
Normenkette
BGB § 1820 Abs. 4 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Berlin II (Entscheidung vom 30.01.2024; Aktenzeichen 87 T 297/23) |
AG Berlin-Charlottenburg (Entscheidung vom 09.11.2023; Aktenzeichen 56 XVII 73/22) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 87. Zivilkammer des Landgerichts Berlin II vom 30. Januar 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Rz. 1
Die 78-jährige Betroffene leidet an einer Demenz vom Typ Alzheimer, derentwegen sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Sie erteilte ihrem Nachbarn, dem Beteiligten zu 4, am 8. September 2019 Generalvollmacht unter Einschluss einer Betreuungsverfügung zu seinen Gunsten, und bestätigte und erneuerte die Vollmacht inhaltsgleich am 28. November 2020 und am 8. September 2021. Im Anschluss an einen am 18. August 2021 anwaltlich erklärten Widerruf der Vollmacht kam es zu Akzeptanzproblemen bei der Vollmachtausübung gegenüber der kontoführenden Bank.
Rz. 2
Das Amtsgericht hat eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Behörden-, Renten-, Versicherungs- und andere Sozialleistungsangelegenheiten sowie Gerichtsangelegenheiten, Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber dem Bevollmächtigten, Gesundheitssorge, Organisation der ambulanten Versorgung, Wohnungs- und Immobilienangelegenheiten und Entscheidung über die Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten der Post der Betroffenen eingerichtet. Weiter hat das Amtsgericht die Suspendierung der dem Beteiligten zu 4 erteilten General- und Vorsorgevollmachten sowie die Herausgabe sämtlicher Vollmachtsurkunden an den Betreuer angeordnet.
Rz. 3
Die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Aufgabenbereiche Behörden-, Renten- und andere Sozialangelegenheiten entfallen, die Entscheidung über die Entgegenahme, das Öffnen und Anhalten der Post der Betroffenen sich nur auf die den Aufgabenkreis betreffenden Postsendungen erstreckt, das Herausgabeverlangen sich nur auf einzeln bezeichnete Vollmachtsurkunden bezieht und das Amtsgericht spätestens bis zum 8. November 2024 über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung der Suspendierung der Vollmachten zu entscheiden hat.
Rz. 4
Hiergegen richtet sich die - vom Landgericht im Hinblick auf die nach § 1820 Abs. 4 BGB getroffenen Maßnahmen gesondert zugelassene - Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Rz. 6
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Es könne offenbleiben, ob die Betroffene bei Erteilung der Vollmachten noch geschäftsfähig gewesen sei. Auch bedürfe es keiner Entscheidung darüber, ob die Betroffene noch am 18. August 2021 in der Lage gewesen sei, die Vollmacht wirksam zu widerrufen. Denn die aufgeführten Angelegenheiten der Betroffenen, in denen Handlungsbedarf bestehe, könnten nicht im Sinne des § 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden, weil die Eignung des Bevollmächtigten erheblichen Bedenken begegne. Zwar bestünden keine Zweifel an dessen Redlichkeit, jedoch sei er nicht in der Lage, eine erhebliche Gefährdung für das Vermögen der Betroffenen entgegen deren geäußerten Wünschen abzuwenden. Er verhindere nicht ausreichend, dass es durch Handlungen der Betroffenen zu einem übermäßigen Abfluss liquider Mittel komme. So sei es von August 2020 bis März 2022 zu einem Verlust von 125.000 € gekommen, der im Wesentlichen auf entstandenen Anwaltskosten für Tätigkeiten beruhe, die die Betroffene für die außergerichtliche Wahrnehmung einer Vielzahl von Angelegenheiten in Anspruch genommen habe, was ihren objektiven Bedürfnissen jedoch nicht entspreche. Die Anwaltsbeauftragungen durch die Betroffene habe der Bevollmächtigte in deren Interesse unterbinden müssen, damit dauerhaft ausreichende Mittel zur Verfügung stünden, um den Wunsch der Betroffenen erfüllen zu können, ihren Lebensabend in ihrer Wohnung zu verbringen. Aufgrund der fehlenden Eignung des Bevollmächtigten könne auch dem Betreuungsvorschlag nicht gefolgt werden.
Rz. 7
2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 8
a) Ein Betreuer darf nach § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können (§ 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB). Eine wirksame Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Eine Betreuung kann aber gleichwohl erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint. Über Art und Umfang der zur Frage der Eignung des Bevollmächtigten durchzuführenden Ermittlungen entscheidet das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Sofern erhebliche Zweifel an der Befähigung oder Redlichkeit des Bevollmächtigten bestehen und sich die Gefahr für das Wohl des Betroffenen durch die Bestellung eines Kontrollbetreuers nach §§ 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 FamFG nicht hinreichend abwenden lässt, ist eine Vollbetreuung einzurichten. Liegen dagegen lediglich Mängel bei der Vollmachtsausübung vor, die behebbar sind, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken (Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2023 - XII ZB 334/22 - FamRZ 2024, 549 Rn. 7 mwN). Denn die Achtung des Selbstbestimmungsrechts eines Betroffenen gebietet es, seinen Wunsch, die Angelegenheiten von ausgewählten Bevollmächtigten regeln zu lassen, bestmöglich zur Geltung zu bringen. Hierzu kann ein Kontrollbetreuer, wenn der Bevollmächtigte mit der Regelung einer Angelegenheit des Betroffenen überfordert ist, verbindliche, an den Wünschen des Betroffenen orientierte Weisungen erteilen (vgl. Senatsbeschluss vom 29. März 2023 - XII ZB 515/22 - FamRZ 2023, 1150 Rn. 22).
Rz. 9
Das Landgericht hat nicht die Redlichkeit des Beteiligten zu 4 in Zweifel gezogen, sondern nur dessen Eignung, bestimmte, näher spezifizierte Angelegenheiten der Betroffenen wunsch- und bedürfnisgerecht zu besorgen. Aufgrund dessen hätte es sich die Frage vorlegen müssen, ob die Anordnung einer Kontrollbetreuung anstatt einer weitergehenden Vollbetreuung genügt, um der mit der Vollmachtserteilung ausgeübten Selbstbestimmung der Betroffenen zum Erfolg zu verhelfen. Dies wäre nur dann nicht der Fall, wenn bereits die begründete Erwartung besteht, dass eine Kontrollbetreuung erfolglos bliebe, weil der Bevollmächtigte dem Kontrollbetreuer gegenüber die Rechenschaft verweigern oder seine Weisungen nicht umsetzen wird. Dahingehende Feststellungen, die sich im vorliegenden Fall insbesondere nicht auf eine Unredlichkeit des Bevollmächtigten stützen können, sind nicht getroffen.
Rz. 10
b) Soweit die erteilte Vollmacht in Bezug auf Bankgeschäfte nicht effektiv ausgeübt werden kann, weil sie aufgrund eines vermeintlich erklärten Vollmachtwiderrufs bei der kontoführenden Bank auf Akzeptanzprobleme stößt, mag zwar - wie vom Bevollmächtigten selbst angeregt - eine Vollbetreuung mit darauf beschränktem Aufgabenkreis erforderlich sein. Insoweit fehlt es jedoch an einer ausreichenden Begründung dazu, weshalb entgegen der Betreuungsverfügung der Betroffenen nicht der Bevollmächtigte, sondern ein Berufsbetreuer bestellt worden ist. Denn nach § 1816 Abs. 2 Satz 1 und 3 BGB ist dem Betreuungswunsch des Betreuten zu entsprechen, es sei denn, die gewünschte Person ist zur Führung der Betreuung nicht geeignet. Auf Bankgeschäfte beziehen sich die vom Landgericht angenommenen Eignungsmängel des Bevollmächtigten jedoch nicht.
Rz. 11
c) Ebenfalls fehlt es an ausreichenden Feststellungen für eine Suspendierung der Vollmacht nebst Herausgabeanordnung. Für Vollmachten mit Vorsorgecharakter wie die hier vorliegende kann das Gericht gemäß § 1820 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BGB anordnen, dass der Bevollmächtigte die ihm erteilte Vollmacht nicht ausüben darf und die Vollmachtsurkunde an den Betreuer herauszugeben hat, wenn die dringende Gefahr besteht, dass der Bevollmächtigte nicht den Wünschen des Vollmachtgebers entsprechend handelt und dadurch die Person des Vollmachtgebers oder dessen Vermögen erheblich gefährdet. Für die Annahme einer derartigen Gefährdungslage genügt jedoch nicht die rückblickende Betrachtung des bisherigen Verhaltens des Bevollmächtigten für sich allein, sondern es bedarf einer Prognose seines zukünftigen Verhaltens (vgl. Senatsbeschluss vom 3. August 2016 - XII ZB 616/15 - FamRZ 2016, 1758 Rn. 17). Dabei sind auch die weiteren gerichtlichen Anordnungen in den Blick zu nehmen. Bei gleichzeitiger Anordnung einer Betreuung oder Kontrollbetreuung setzt die Suspendierung der Vollmacht die begründete Besorgnis voraus, dass der Bevollmächtigte künftig trotz dieser nicht den Wünschen und Interessen des Betroffenen entsprechend handelt, insbesondere weil zu erwarten steht, dass er den Weisungen des (Kontroll-)Betreuers nicht folgen wird. Auch hierzu fehlt es an ausreichenden Feststellungen, zumal das Landgericht die Redlichkeit des Bevollmächtigten nicht in Zweifel gezogen hat. Ebenso ist nicht die Feststellung getroffen, dass der Bevollmächtigte den - bis dahin vorläufigen - Betreuer bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgaben behindert habe (vgl. § 1820 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB).
Rz. 12
3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.
Rz. 13
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Guhling Günter Nedden-Boeger
Pernice Recknagel
Fundstellen
FamRB 2024, 7 |
ZNotP 2024, 338 |