Leitsatz (amtlich)
Zur Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114 Abs. 2 ZPO) bei Beantragung eines Mahnbescheids, wenn der Antragsgegner im Rahmen der Anhörung nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO bereits Widerspruch gegen einen etwaigen Mahnbescheid angekündigt hat (Fortführung von BGH, Beschl. v. 10.8.2017 - III ZA 42/16 [zur Veröffentlichung vorgesehen]).
Normenkette
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 688 ff.
Verfahrensgang
LG Coburg (Beschluss vom 19.12.2016; Aktenzeichen 33 T 36/16) |
AG Coburg (Entscheidung vom 05.10.2016; Aktenzeichen 15-7917439-04-N) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des LG Coburg - 3. Zivilkammer - vom 19.12.2016 - 33 T 36/16 - wird zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 2.000.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragstellerin reichte am 31.12.2015 beim AG einen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides gegen die Antragsgegnerin über eine Hauptforderung von 2.000.000 EUR als "Schadensersatz aufgrund fehlerhaft erteilter GVVO Genehmigung, Schreiben vom 7.11.2011 an KSA und nachfolgende Korrespondenz" ein. Gleichzeitig beantragte sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Mahnverfahren. Die Antragsgegnerin, der dieser Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Stellungnahme übersandt worden war, beantragte mit Schreiben vom 1.2.2016, den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückzuweisen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg biete. Sie werde gegen einen eventuellen Mahnbescheid unverzüglich Widerspruch einlegen.
Rz. 2
Das AG hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht des beabsichtigten Mahnverfahrens und wegen Mutwilligkeit zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das LG zurückgewiesen. Mit ihrer vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Antragstellerin die Aufhebung des Beschlusses des LG und die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das beabsichtigte Mahnverfahren.
II.
Rz. 3
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, eine hinreichende Aussicht auf Erfolg des Mahnverfahrens bestehe nicht. Eine solche Prüfung der Erfolgsaussicht sei nach zutreffender Auffassung auch im Rahmen eines Mahnverfahrens, für das Prozesskostenhilfe beantragt werde, vorzunehmen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Prozesskostenhilfe nur für das Mahnverfahren und nicht für ein sich anschließendes streitiges Verfahren beantragt werde. Es komme damit nur auf die Erfolgsaussicht des Mahnverfahrens und nicht eines streitigen Hauptsacheverfahrens an. Sinn und Zweck des Mahnverfahrens sei der Erwerb eines schnellen und kostengünstigen Vollstreckungstitels in Form eines Vollstreckungsbescheides. Gerade dieser Erfolg sei aber äußerst unwahrscheinlich, da die Antragsgegnerin Widerspruch gegen einen zu erlassenden Mahnbescheid angekündigt habe. Für ein von vorneherein aussichtsloses Mahnverfahren, bei dem von Anfang an nicht damit zu rechnen sei, dass ein Vollstreckungsbescheid ergehen werde, könne ein Antragsteller nicht erwarten, dieses auf Kosten der Staatskasse durchführen zu können. Ihm bleibe unbenommen, Klage beim zuständigen Gericht einzureichen und für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu beantragen.
Rz. 5
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Rz. 6
Dabei kann dahinstehen, ob der beabsichtigten Rechtsverfolgung im Mahnverfahren bereits deshalb die Erfolgsaussicht fehlt, weil mit einem Widerspruch der Antragsgegnerin gegen einen etwaigen Mahnbescheid zu rechnen ist. Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung erweist sich jedenfalls als mutwillig i.S.d. § 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO.
Rz. 7
a) Der sachliche Geltungsbereich der §§ 114 ff. ZPO erstreckt sich auf alle in der Zivilprozessordnung geregelten Verfahren. Für das Mahnverfahren kann - beschränkt auf dieses Verfahren - Prozesskostenhilfe bewilligt werden (allg. Meinung; vgl. nur Senat, Beschl. v. 10.8.2017 - III ZA 42/16 [zur Veröffentlichung vorgesehen]; MünchKomm/ZPO/Wache, 5. Aufl., § 114 Rz. 22; Musielak/Voit/Fischer, ZPO, 14. Aufl., § 114 Rz. 8; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Aufl., Vorbem. § 688 Rz. 12; Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., § 114 Rz. 2; jew. m.w.N.). Dabei gilt die Voraussetzung fehlender Mutwilligkeit auch für den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren (Senat, Beschl. v. 10.8.2017 - III ZA 42/16 [zur Veröffentlichung vorgesehen]; MünchKomm/ZPO/Wache, a.a.O.).
Rz. 8
b) Mutwilligkeit liegt insb. vor, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde (Senat, Beschlüsse v. 10.8.2017 - III ZA 42/16 [zur Veröffentlichung vorgesehen]; v. 21.11.2013 - III ZA 28/13, BeckRS 2013, 22403 Rz. 9; BGH, Beschl. v. 6.7.2010 - VI ZB 31/08, NJW 2010, 3522 Rz. 6; jew. m.w.N.). Aus der gem. Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit folgt, dass die mittellose Partei nur einer solchen "normalen" Partei gleichgestellt werden muss, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts, BT-Drucks. 17/11472, 29; BVerfG NJW 1991, 413; NJW 2013, 2013, 2014; Senat, Beschl. v. 10.8.2017 - III ZA 42/16 [zur Veröffentlichung vorgesehen]). Es ist nicht Zweck der Prozesskostenhilfe, auf Kosten der Allgemeinheit bedürftigen Personen Prozesse zu ermöglichen, die eine wirtschaftlich leistungsfähige Partei bei vernünftiger und sachgerechter Einschätzung der Sach- und Rechtslage nicht führen würde (BT-Drucks. 17/11472, a.a.O.; Musielak/Voit/Fischer, a.a.O., Rz. 30 m.w.N.). Das hypothetische Verhalten einer selbstzahlenden Partei, die sich in der Situation des Antragstellers befindet, ist folglich der Maßstab, der bei der Beurteilung der Mutwilligkeit anzulegen ist (BT-Drucks. 17/11472, a.a.O.).
Rz. 9
c) Danach ist die Rechtsverfolgung der Antragstellerin mutwillig. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage würde eine verständige Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, davon absehen, einen Mahnbescheid zu beantragen, auch wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass nach §§ 688 ff. ZPO vorliegen sollten. Denn sie kann - wie das Beschwerdegericht zutreffend erkannt hat - das mit dem Mahnverfahren verfolgte Ziel, den Erwerb eines schnellen und kostengünstigen Vollstreckungstitels in Gestalt eines Vollstreckungsbescheides, nicht mehr erreichen, nachdem die (Mahn-)Antragsgegnerin angekündigt hat, sie werde gegen einen eventuellen Mahnbescheid unverzüglich Widerspruch einlegen. Anhaltspunkte dafür, dass die Stadt Z. als Gegnerin des Mahnantrags von dieser erklärten Absicht noch Abstand nehmen könnte, hat die Beschwerdeführerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Das Mahnverfahren erscheint damit im Hinblick auf die Erlangung eines Vollstreckungstitels in Gestalt eines Vollstreckungsbescheides aussichtslos. Es ist bereits jetzt absehbar, dass die Beschwerdeführerin, will sie gegen die Antragsgegnerin einen Vollstreckungstitel erwirken, Klage erheben muss.
Rz. 10
Die Beschreitung eines prozessualen Weges, hier: des Mahnverfahrens, der erkennbar aussichtslos ist, ist mutwillig i.S.v. § 114 Abs. 2 ZPO (zur Mutwilligkeit einer Klage, wenn eine Vollstreckung aus dem erstrebten Titel dauerhaft aussichtslos ist, MünchKomm/ZPO/Wache, a.a.O., Rz. 77; BeckOKZPO/Reichling, § 114 Rz. 42 [Stand: 1.3.2017]; jew. m.w.N.). Eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägt, würde bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Verfahrenslage ihre Rechte nicht im Mahn-, sondern im Klageverfahren verfolgen. Die Beschwerdeführerin wird daher bei Versagung von Prozesskostenhilfe für das Mahnverfahren im Vergleich zu einer solchen "normalen" Partei nicht schlechter gestellt.
Rz. 11
d) Die vom Beschwerdegericht aufgeworfene Frage, ob Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren bereits mangels Erfolgsaussicht zu verneinen sei, wenn ein Widerspruch des Antragsgegners absehbar sei, ist nicht entscheidungserheblich, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung im konkreten Fall mutwillig erscheint und Prozesskostenhilfe schon deshalb nicht in Betracht kommt. Das Vorliegen von Mutwilligkeit kann auf der Grundlage der gesetzlichen Regelung und der vorliegenden Rechtsprechung abschließend beantwortet werden.
Rz. 12
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 9.3.2010 - VI ZB 56/07, VersR 2010, 832 Rz. 4).
Fundstellen
NJW-RR 2017, 1469 |
JZ 2018, 15 |
MDR 2017, 1259 |
Rpfleger 2018, 92 |
RVGreport 2017, 472 |
RVG prof. 2018, 24 |