Verfahrensgang
LG Limburg a.d. Lahn (Entscheidung vom 26.10.2022; Aktenzeichen 7 T 130/22) |
AG Limburg a.d. Lahn (Entscheidung vom 17.08.2022; Aktenzeichen 8 M 1736/22) |
Nachgehend
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Limburg an der Lahn - 7. Zivilkammer - vom 26. Oktober 2022 wird auf Kosten des Gläubigers als unzulässig verworfen.
Gründe
Rz. 1
A. Die für den Gläubiger, das Land, tätige Gerichtskasse betrieb gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen fälliger Gerichtskostenforderungen. Sie beantragte im Juni 2022 die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben des Schuldners den Erlass eines Haftbefehls gegen diesen. Der Schuldner gab die Vermögensauskunft nicht ab. Die Gerichtsvollzieherin übersandte den Vorgang an das Amtsgericht zur Entscheidung über den Haftbefehlsantrag.
Rz. 2
Das Amtsgericht hat den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls mit Beschluss vom 17. August 2022 zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde des Gläubigers hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 13. September 2022 nicht abgeholfen.
Rz. 3
Der Gläubiger hat die Rücknahme des Vollstreckungsantrags unter Verwahrung gegen die Kostenlast erklärt, zum einen mit Schreiben vom 27. September 2022, eingegangen bei der Gerichtsvollzieherverteilerstelle am 27. September 2022 und bei der Gerichtsvollzieherin am 28. September 2022, zum anderen mit Schreiben vom 28. September 2022, eingegangen beim Amtsgericht am 29. September 2022.
Rz. 4
Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde des Gläubigers mit Beschluss vom 26. Oktober 2022 zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Rz. 5
Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Senat die Parteien auf die Rücknahmeerklärung hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme sowie gegebenenfalls Abgabe prozessualer Erklärungen gegeben. Der Gläubiger hat daraufhin erklärt, dass seine Forderung inzwischen beglichen sei. Er hat erneut hilfsweise - für den Fall nicht ordnungsgemäßer Übermittlung der früheren Erklärung - die Rücknahme des Vollstreckungsantrags erklärt und beantragt, dem Schuldner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Rz. 6
B. Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) Rechtsbeschwerde des Gläubigers ist wegen der spätestens im Rechtsbeschwerdeverfahren wirksam gewordenen Rücknahme des Vollstreckungsantrags unzulässig (§ 577 Abs. 1 ZPO).
Rz. 7
I. Die vom Rechtsbeschwerdegericht nach § 577 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde erstreckt sich auch auf die Beschwer des Rechtsmittelführers (vgl. MünchKomm.ZPO/Hamdorf, 6. Aufl., § 577 Rn. 6 f.; BeckOK.ZPO/Wulf, 49. Edition [Stand 1. Juli 2023], § 577 Rn. 1). Die Beschwer muss als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung für jedes Rechtsmittel nach der Zivilprozessordnung noch zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel gegeben sein; ihr Wegfall macht das Rechtsmittel unzulässig, so dass es nach § 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verwerfen ist (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - I ZB 24/17, DGVZ 2019, 79 [juris Rn. 12]). Die Beschwer des Gläubigers wegen der Zurückweisung seines Antrags auf Erlass eines Haftbefehls gegen den Schuldner entfällt, wenn er die Rücknahme seines - auch auf den Erlass eines Haftbefehls gerichteten - Vollstreckungsantrags erklärt (zur entfallenden Beschwer der im Haftbefehl bezeichneten Person nach Rücknahme des Vollstreckungsantrags vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2018 - I ZB 54/17, NJW-RR 2019, 317 [juris Rn. 13]). Der Gläubiger kann seinen Vollstreckungsantrag, der Voraussetzung für die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung ist, bis zur Beendigung der Zwangsvollstreckung jederzeit zurücknehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2017 - I ZB 36/16, DGVZ 2018, 36 [juris Rn. 7]; Beschluss vom 20. Oktober 2021 - I ZB 18/21, DGVZ 2022, 11 [juris Rn. 16], jeweils mwN).
Rz. 8
II. Im Zeitpunkt der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist der Vollstreckungsantrag des Gläubigers wirksam zurückgenommen. Das folgt jedenfalls daraus, dass der Gläubiger im Rechtsbeschwerdeverfahren hilfsweise erneut die Rücknahme des Vollstreckungsantrags erklärt hat. Es kann daher offenbleiben, ob die Rücknahme bereits im Verfahren der sofortigen Beschwerde wirksam geworden ist.
Rz. 9
C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Rz. 10
I. Über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist gemäß den Vorschriften der §§ 91 ff. ZPO zu entscheiden. Bei kontradiktorischen Rechtsbehelfsverfahren gehen sie der Regelung des § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO vor, nach der die notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung dem Schuldner zur Last fallen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 [juris Rn. 6 bis 8]; BGH, DGVZ 2019, 79 [juris Rn. 8]; BGH, Beschluss vom 28. April 2022 - V ZB 12/20, BWNotZ 2022, 426 [juris Rn. 4]; MünchKomm.ZPO/K. Schmidt/Brinkmann aaO § 788 Rn. 23; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl., § 788 Rn. 6; Zöller/Geimer, ZPO, 34. Aufl., § 788 Rn. 12; BeckOK.ZPO/Preuß aaO § 788 Rn. 12). Danach hat im Streitfall gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Gläubiger die Kosten seiner erfolglosen Rechtsbeschwerde zu tragen.
Rz. 11
II. Für die vom Gläubiger unter Berufung auf die Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 Fall 2 ZPO begehrte Kostenentscheidung zu Lasten des Schuldners ist kein Raum. Gemäß dieser Vorschrift ist der Kläger nach Rücknahme der Klage verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit sie dem Beklagten nicht aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind.
Rz. 12
1. Die Rücknahme des Vollstreckungsantrags löst bereits nicht die Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO aus, weil § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO - im Ausgangspunkt - als speziellere Regelung vorgeht (vgl. BGHZ 170, 378 [juris Rn. 5]; BGH, BWNotZ 2022, 426 [juris Rn. 4]; KG, NJW-RR 1987, 192; MünchKomm.ZPO/K. Schmidt/Brinkmann aaO § 788 Rn. 8; Zöller/Geimer aaO § 788 Rn. 20). Eine Rücknahme seiner Rechtsbeschwerde hat der Gläubiger nicht erklärt; sie würde ohnehin zu dessen (unbedingter) Kostentragungspflicht entsprechend § 516 Abs. 3 ZPO führen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 - II ZB 5/18, juris; Beschluss vom 30. November 2021 - IX ZB 61/20 [juris Rn. 5]).
Rz. 13
2. Unabhängig davon wären dem Schuldner auch nicht ausnahmsweise nach § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 Fall 2 ZPO die Kosten des Verfahrens aus einem anderen Grund aufzuerlegen. Die Vorschrift ermöglicht die Berücksichtigung prozessualer Besonderheiten wie etwa spezieller Kostentragungsvorschriften und bestimmter außerprozessualer Umstände wie etwa einer außergerichtlichen Vereinbarung über die Kostentragungspflicht des Beklagten oder über dessen Verzicht auf eine Kostenerstattung (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2022 - VIII ZB 44/21, NJW 2022, 1393 [juris Rn. 10]; BeckOK.ZPO/Bacher aaO § 269 Rn. 12 bis 12.4). Im Streitfall liegen solche prozessualen Besonderheiten oder außerprozessualen Umstände jedoch nicht vor. Vielmehr ist - wie ausgeführt (Rn. 10) - über die Kosten kontradiktorischer Rechtsbehelfe im Zwangsvollstreckungsverfahren nach den §§ 91 ff. ZPO zu entscheiden.
Rz. 14
III. Eine Erledigungserklärung hätte dem Gläubiger grundsätzlich offengestanden, um möglicherweise zu einer für ihn günstigen Kostenentscheidung zu gelangen (vgl. BGH, NJW-RR 2019, 317 [juris Rn. 10]; DGVZ 2019, 79 [juris Rn. 13 f.]). Die Rücknahme des Vollstreckungsantrags kann aber wegen ihres eindeutigen Inhalts nicht als Erledigungserklärung ausgelegt und wegen ihrer Wirksamkeit auch nicht in diesem Sinne umgedeutet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 - XII ZB 71/04, NJW 2007, 1460 [juris Rn. 10 f.]; Beschluss vom 19. August 2014 - VI ZB 17/13, NJW 2014, 3520 [juris Rn. 6]; Beschluss vom 17. Dezember 2020 - I ZB 38/20, NJW 2021, 941 [juris Rn. 35]).
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Fundstellen
Dokument-Index HI15989217 |