Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 08.12.1964) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. Dezember 1964 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Klägerin war seit dem 1. März 1955 bei der Beklagten gegen unmittelbare Vermögensschäden versichert, die ihr durch einen näher bestimmten Teil ihrer Arbeitnehmer vorsätzlich oder fahrlässig zugefügt wurden (Vertrauensschadenversicherung in Form einer unbenannten Personen-Garantie-Versicherung). Die Klägerin wurde während des Versicherungszeitraumes in folgenden Fällen geschädigt:
1.
Ein Buchhalter (T.) unterschlug von ihm verwaltete Mietgelder in Höhe von etwa 24.000 DM.
2.
Ein Lagerverwalter (M.) entwendete Fremdware im Werte von annähernd 48.000 DM.
3.
Ein Lagerist, ein Lagermeister und ein Pförtner (Be., F. und Sc.) entwendeten gemeinschaftlich Flachglas im Werte von 25.740 DM.
4.
Ein Angestellter und ein Vorarbeiter (Le. und Pl.) entwendeten gemeinschaftlich etwa 182.000 Flaschen im Werte von rund 27.500 DM.
Die Beklagte lehnte eine Entschädigung der Klägerin ab und trat von Vertrage zurück. Beides begründete sie damit, daß die Klägerin entgegen der bei Vertragsschluß abgegebenen Erklärung über laufende Revisions- und Kontrollmaßnahmen ihr Personal völlig unzureichend überwacht und dadurch die Veruntreuungen ermöglicht habe.
Die Klägerin verlangt mit der Klage die Zahlung einer Entschädigung von 24.400 DM (4 * 6.100 DM als Teilbetrag für jeden Schadenfall).
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Dem Versicherungsverhältnis der Parteien liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Personen-Garantie-Versicherungen zugrunde. Der Antrag auf Abschluß der Versicherung enthält eine Reihe von Fragen, die mit den Antworten der Klägerin u.a., wie folgt, lauten:
"8. |
a) |
Was für Kontrollmaßnahmen sind eingeführt, um Schäden zu verhüten und baldigst zu entdecken? |
siehe unser Schreiben vom 26.2.55 |
|
b) |
Wie oft und durch wen erfolgt eine Bücher- und Kassenrevision? |
10. |
a) |
Wieviel der zu versichernden Personen erhalten ein Warenlager anvertraut? |
siehe unser Schreiben vom 26.2.55 |
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b) |
In welchen Zwischenräumen, in welcher Weise und von wem wird das Lager kontrolliert? |
In dem als Antwort angeführten Schreiben der Klägerin vom 26. Februar 1955 heißt es:
"Zu dem Antrag möchten wir erläuternd hinzufügen, daß die Überprüfung der von der Versicherung erfaßten Personen bei Einstellung durch Vorlage des polizeilichen Führungszeugnisses und durch Einholung von Auskünften erfolgt.
Unsere Läger werden das ganze Jahr hindurch laufend durch Stichproben kontrolliert, die uns deshalb besonders wertvoll erscheinen, als den Lagerhaltern vorher weder der Zeitpunkt der Kontrolle noch die Art der zu prüfenden Artikel bekannt sind. Die Kontrolle wird durch unsere eigens mit derartigen Aufgaben betraute Revisionsabteilung durchgeführt. Außerdem findet jedes Jahr eine körperliche Bestandsaufnahme statt, Weiterhin nimmt die Revisionsabteilung jeden Monat eine Kassenrevision vor. Wir glauben, daß somit von unserer Seite alles getan wird, um den in Frage kommenden Personen das Gefühl der ständigen Beaufsichtigung zu verleihen."
Die im Versicherungsschein stehenden "Besonderen Bedingungen" sehen unter Nr. 10 vor:
"Kontrollmaßnahmen
Die von der Versicherungsnehmerin in ihrem Schreiben vom 26. Februar 1955 angegebenen Kontrollmaßnahmen gelten als wesentlicher Bestandteil dieses Versicherungsvertrages."
II.
Das Berufungsgericht hat in Nr. 10 der Besonderen Bedingungen keine objektive Risikobeschränkung, sondern die Vereinbarung einer Obliegenheit gesehen. Ob aus der Verletzung dieser Obliegenheit durch die Klägerin die - nicht ausdrücklich vereinbarte - Leistungsfreiheit der Beklagten folge, könne, wie das Berufungsgericht ausführt, dahinstehen. Denn auf eine etwaige Leistungsfreiheit könne sich die Beklagte jedenfalls nicht berufen, weil sie das Versicherungsverhältnis nicht innerhalb der in § 6 Abs. 1 Satz 3. VVG vorgeschriebenen Monatsfrist gekündigt habe.
Das Berufungsgericht legt alsdann eingehend dar, daß die tatsächlichen Kontrollmaßnahmen der Klägerin zur Zeit der vier Schadenfälle entscheidend hinter den im Schreiben vom 26. Februar 1955 angegebenen Sicherungsmaßnahmen zurückgeblieben seien. Für die rechtliche Beurteilung gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder sei die Darstellung vom 26. Februar 1955 seinerzeit zutreffend gewesen; dann falle der Klägerin eine nachträgliche Gefahrerhöhung im Sinne der §§ 23, 25 VVG zur Last. Oder das Schreiben vom 26. Februar 1955 sei damals bereits inhaltlich unzutreffend gewesen; dann habe die Klägerin gefahrerhebliche Umstände unrichtig angezeigt (§§ 16, 17 VVG) und die Beklagte sei zu Recht fristgemäß (§ 20 VVG) vom Vertrage zurückgetreten. In beiden Fällen sei die Beklagte leistungsfrei.
Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß das Schreiben der Klägerin vom 26. Februar 1955 einmal den Inhalt einer Besonderen Bedingung (Nr. 10) bildet, insoweit aber nicht zur Leistungsfreiheit der Beklagten führen kann, zum anderen als Antwort auf die im Versicherungsantrag gestellten Fragen eine vorvertragliche Anzeige darstellt. Die Darlegungen des Berufungsgerichts zur Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht tragen zusammen mit dem Vorbringen der Klägerin die angefochtene Entscheidung. Damit sind alle Rügen gegenstandslos, mit denen die Revision die Annahme einer Gefahrerhöhung bekämpft, weil sie die dafür geltenden Vorschriften neben den Bestimmungen der §§ 6, 32 VVG nicht für anwendbar hält (vgl. dazu Prölss VersR 1965, 31).
III.
1.
Der Versicherungsnehmer hat nach § 16 Abs. 1 VVG dem Versicherer bei Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeigen, die geeignet sind, auf den Entschluß des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluß auszuüben. Als gefahrerheblich gilt dabei im Zweifel ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat (§ 16 Abs. 1 Satz 3 VVG). Das trifft für die hier im Versicherungsantrag gestellten Fragen nach den eingeführten Kontrollmaßnahmen, nach der Art und Häufigkeit der Kassenrevisionen und Lagerkontrollen zu. Von der vollständigen und richtigen Beantwortung dieser Fragen, zu der allein die Klägerin in der Lage war, hing für die Beklagte die Beurteilung des zu übernehmenden Risikos ab. Denn Gegenstand der von den Parteien abgeschlossenen Versicherung ist der Schutz des Versicherungsnehmers gegen Verraögensschäden, die ihm aus Veruntreuungen der "Vertrauenspcrsonen" drohen, das sind alle in die Versicherung eingeschlossenen Arbeitnehmer des Versicherungsnehmers (hier rund 500 Personen), die unterschrifts- oder verfügungsberechtigt sind, Bücher oder wichtige Aufzeichnungen führen, Geld oder Waren verwalten oder befördern oder diese Aufgaben auf Grund ihrer Dienststellung an sich ziehen und tatsächlich ausüben können (vgl. von Halem, Kreditversicherung, 1964, 89). Hierfür kann, wie es im vorliegenden Falle geschehen ist (Nr. 1 der Besonderen Bedingungen), eine "unbenannte" Versicherung vereinbart werden. Die Vertrauenspersonen werden dann nicht namentlich genannt, sondern nur als Zugehörige eines bestimmten Persdnenkreises näher bezeichnet, insbesondere nach ihrer Tätigkeit. So waren hier z.B. alle Lagerarbeiter, Lohnzahlungsmeister, Kassenboten und Kraftfahrer, soweit sie mit Geldtransporten beauftragt werden, in die Versicherung eingeschlossen. Bei dieser Versicherungsform obliegt es allein den Versicherungsnehmer, die "Vertrauenspersonen" bei ihrer Einstellung zu überprüfen und während ihrer Tätigkeit laufend zu überwachen (von Halem a.a.O. 105). Die Kontrollmaßnahmen des Versicherungsnehmers bestimmen danach maßgeblich den konkreten Umfang der, versicherten Gefahr, Hierüber muß der Versicherer zuverlässig Bescheid wissen, bevor er sich über den Abschluß und den Inhalt einer unbenannten Personen-Garantie-Versicherung schlüssig wird. Darin liegt die weitreichende Bedeutung der im Versicherungsantrag gestellten fragen nach den eingeführten Kontrollmaßnahmen und ihrer Beantwortung durch das Schreiben der Klägerin vom 26. Februar 1955.
2.
Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer vorvertraglichen Anzeige ist durch einen Vergleich festzustellen. Die läge, wie sie sich nach der Erklärung des Versicherungsnehmers darstellt, ist mit der Lage, die tatsächlich vorhanden gewesen ist, zu vergleichen.
a)
Was die Beurteilung der Anzeige selbst betrifft, so ist ihr Inhalt nach den allgemeinen Regeln zu ermitteln, die für die Auslegung einer Erklärung gelten. Maßgebend ist die Bedeutung, die der Anzeige objektiv zukommt. Es ist also zu ermitteln, wie die Anzeige von einem Vernunft igen und sorgfältigen Beurteiler aufgefaßt werden mußte. Es kommt nicht darauf an, wie sie der Versicherungsnehmer persönlich aufgefaßt hat. Seine Erklärung ist daher unrichtig, wenn ihre objektive Bedeutung mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt, mag er auch die Vorstellung und den Willen gehabt haben, seine Erklärung mit den Tatsachen in Einklang zu bringen (Kisch, Handbuch des Privatversicherungsrechts; II: Die Lehre von der Versicherungsgefahr, 1920, 266/67).
Nach den vorstehenden Grundsätzen ist das Berufungsgericht verfahren, als es die Angaben der Klägerin vom 26. Februar 1955 unter Berücksichtigung der damit beantworteten Fragen der Beklagten nach Art und Zahl der eingeführten Kontrollmaßnahmen ausgelegt und auf diese Weise rechtlich fehlerfrei den Inhalt und die Bedeutung der vorvertraglichen Anzeige ermittelt hat.
b)
Das Berufungsgericht hat für die aufgedeckten Veruntreuungen festgestellt, daß jahrelang weder laufende Kassenrevisionen noch überraschende Lagerkontrollen durchgeführt worden seien, die tatsächlichen Kontrollmaßnahmen auch nicht annähernd den im Schreiben der Klägerin vom 26. Februar 1955 angegebenen Kontrollmaßnahmen entsprochen hätten.
Diese rechtlich einwandfreien Feststellungen beziehen sich zwar auf die Zeit der Schadenfälle - 1958 bis 1961 -, treffen aber nach dem Vorbringen der Klägerin auch für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Vertrasschlusses zu. Denn die Klägerin hat sich wiederholt - mündlich in einer Besprechung vom 18. Oktober 1962 und schriftlich in ihrem Schreiben vom 8. November 1962 - darauf berufen, daß sie ihre Überwachungsmaßnahmen nach Vertragsschluß laufend verbessert habe. Wenn diese Maßnahmen aber gleichwohl zur Zeit der Schadenfälle noch weit hinter den darüber gemachten Angaben der Klägerin in ihrer Gefahranzeige zurückgeblieben sind, können sie bei Vertragsschluß nur noch unzulänglicher gewesen sein.
3.
Das Berufungsgericht hat weiter noch geprüft, ob Umstände vorliegen, die nach § 16 Abs. 3 VVG den Rücktritt der Beklagten vom Vertrage ausschließen oder ihrer daraus folgenden Leistungsfreiheit nach § 21 VVG entgegenstehen. Solche Umstände seien jedoch, wie das Berufungsgericht näher darlegt, nicht gegeben. Hiergegen ist rechtlich nichts einzuwenden.
IV.
Der danach eingetretenen Leistungsfreiheit der Beklagten kann die Revision nicht entgegenhalten, die unzureichenden Kontrollmaßnahmen der Klägerin seien ohne rechtliche Bedeutung, weil die Beklagte nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (B Nr. 1) Versicherungsschutz "ohne Rücksicht auf etwaige fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer (also auch Verzicht auf Einwendungen aus fahrlässiger Auswahl und Überwachung)" zu gewähren habe. Der Einwand ist allerdings nicht schon deshalb unbegründet, weil besondere Versicherungsbedingungen grundsätzlich den allgemeinen Versicherungsbedingungen vorgehen (vgl. Brück/Möller, VVG 80 Aufl. Einl. Anm. 32; Prölss, VVG 16. Aufl. Vorbem. III A 1). Denn das Schreiben der Klägerin vom 26. Februar 1955 ist nicht als "besondere Versicherungsbedingung", sondern als vorvertragliche Anzeige entscheidungserheblich geworden. Hiernach geht es allein darum, ob die Klägerin ihre vorvertragliche Anzeigepflicht ordnungsgemäß erfüllt hat und sich darauf Bestimmungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen - hier der darin näher geregelte Haftungsumfang des Versicherers - auswirken können. Das ist ausgeschlossen, weil die gesetzliche Obliegenheit der vorvertraglichen Anzeige bis zum Vertragsschluß zu erfüllen ist, die Versicherungsbedingungen hingegen erst mit dem Wirksamwerden ihrer vertraglichen Rechtsgrundlage in Kraft treten, erst von Vertragsschluß an gelten.
V.
Nach alledem erweist sich die Revision der Klägerin als unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen.
Die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen nach § 97 Abs. 1 ZPO der Klägerin zur Last.
Fundstellen