Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 29.04.2004) |
Tenor
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. April 2004 werden verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels, der Staatskasse fallen die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zur Last.
Gründe
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe (Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren) und wegen Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Waffe (Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Sachrüge begründet ist und vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat ebensowenig Erfolg wie die gleichfalls mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten.
1. Der Angeklagte hat seine frühere Intimpartnerin getötet, die sich von ihm getrennt hatte. Anschließend unternahm er einen Selbsttötungsversuch mit schwersten bleibenden Folgeschäden.
a) Der 1971 geborene Angeklagte lernte etwa 1999 in seiner Heimatstadt Waren/Müritz die später Getötete We kennen, die dort eine Gaststätte eröffnet hatte. Er verliebte sich in die elf Jahre ältere Frau, half ihr bei ihrem Umzug von Berlin nach Waren und zog in ihre Wohnung mit ein. Es war die erste feste Partnerschaft des Angeklagten. Nach Scheitern des Gaststättenbetriebs siedelte We Anfang 2001 nach Berlin zurück, der Angeklagte zog mit ihr um. Er hatte mittlerweile seine Arbeit als Fernfahrer verloren. Die Beziehung war bereits Ende 2000 in eine Krise geraten. Ein Grund hierfür war die vom Landgericht ohne weiteren Beleg als grundlos bezeichnete Eifersucht des Angeklagten. Im Mai 2001 vollzog M. … We gegen den Willen des Angeklagten die Trennung. Der Angeklagte zog nach Waren zurück, konnte sich jedoch mit der Trennung nicht abfinden. Er wurde depressiv und lebte zurückgezogen. Angehörige befürchteten aufgrund seines Verhaltens, er hege Selbstmordabsichten. Der Angeklagte übte gegen seine frühere Partnerin und auch gegen deren Eltern anschließend massiven „Telefonterror” aus; zudem stand er oft stundenlang vor M. … We s Wohnung. Er drohte ihr mit dem Tode, weil sie sein Leben ruiniert habe; er werde keinen anderen Mann an ihrer Seite dulden. Die Frau empfand erhebliche Furcht vor dem Angeklagten; im Sommer 2001 zeigte sie ihn wegen einer letztlich ungeklärten Bedrohungsaktion an.
b) Am Tattag, dem 3. Mai 2002, befand sich der Angeklagte zum Besuch eines Bekannten in Berlin. Spätestens an diesem Tage beschaffte er sich eine funktionsfähige Pistole mit erheblichen Mengen Munition. Er hatte erfahren, daß We am folgenden Tage mit einem neuen Lebensgefährten zusammenziehen wollte. Er suchte eine Aussprache, mit der er hoffte, sie zur Fortsetzung der Beziehung mit ihm bewegen zu können. Für den Fall des Scheiterns beabsichtigte er, mit der Schußwaffe die Frau und sich selbst zu töten, um zu verhindern, daß sie ohne ihn und an der Seite eines anderen Mannes weiterlebte.
Gegen 18.00 Uhr paßte der Angeklagte We auf dem Parkplatz an ihrer Arbeitsstelle ab. Es kam zu einer heftigen Diskussion, an deren Ende sie dem Angeklagten noch einmal klarmachte, daß die Trennung endgültig sei. Als sie sich schnellen Schrittes von dem Angeklagten abwandte, zog dieser die eingesteckte Pistole heraus und schoß We. einmal in der Höhe des Herzens in den Rücken, um sie zu töten. Er wollte sie zum einen für die erneute Zurückweisung bestrafen und zum anderen verhindern, daß sie sich endgültig einem anderen Mann zuwandte. Der Schuß war tödlich; sie stürzte alsbald zu Boden und starb. Nachdem der Angeklagte noch drei weitere Schüsse abgegeben hatte, von denen einer die im Fallen befindliche Frau in Bauchhöhe in den Rücken getroffen hatte, hielt er sich die Waffe in Selbsttötungsabsicht an den Kopf und gab zwei Schüsse ab. Hierdurch wurde ein Auge vollständig und das andere weitgehend zerstört, so daß der Angeklagte seither vollständig erblindet ist; ferner erlitt er Hirnschädigungen.
2. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ist es sachlichrechtlich nicht zu beanstanden, daß der Angeklagte wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt worden ist.
a) Die Verneinung des Mordmerkmals der Heimtücke erweist sich als rechtsfehlerfrei.
In Übereinstimmung mit der Beurteilung durch den psychiatrischen Sachverständigen hat das Schwurgericht eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit (§ 21 StGB) „aufgrund des Vorliegens einer überwertigen Idee auf dem Hintergrund der Depressionen des Angeklagten” und angesichts eines affektiven Erregungszustandes infolge der Auseinandersetzung mit dem Opfer unmittelbar vor der Tat angenommen. Diese Annahme einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung erweist sich – vor dem Hintergrund des länger zurückliegenden wie des unmittelbaren Vortatgeschehens und belegt durch das unmittelbare Nachtatgeschehen – als ausreichend fundiert. Bei dem hier vorliegenden Sachverhalt sind die dagegen gerichteten Beanstandungen unzulänglicher Wiedergabe der wesentlichen Anknüpfungstatsachen und des Sachverständigengutachtens haltlos.
Vor dem Hintergrund dieser zustandsbedingten Bewußtseinstrübung zweifelt das Schwurgericht bei dem Schuß des Angeklagten auf den Rücken des Opfers an einer bewußten Ausnutzung von dessen Arg- und Wehrlosigkeit. Diese tatrichterliche Beurteilung läßt keinen Rechtsfehler erkennen (vgl. nur BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 5 StR 401/04 m.w.N.).
Abgesehen davon sind angesichts der getroffenen Feststellungen zum Tathergang schon die objektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke zweifelhaft. Das Schwurgericht erwägt selbst, daß das Opfer, das in den Monaten der Nachstellungen und Bedrohungen durch den Angeklagten vor diesem erhebliche Furcht empfand, sich „aus Furcht vor Verfolgung durch den Angeklagten” (UA S. 12) vom Ort der Auseinandersetzung eilends entfernt haben könnte. Daß die Frau unmittelbar zuvor von dem Angeklagten mindestens verbal erheblich bedroht wurde und daher in der Situation überhaupt nicht arglos war, liegt bei dieser Sachlage nicht fern.
b) Daß das Schwurgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe unerörtert gelassen hat, unterliegt angesichts der Feststellungen zur psychischen Situation des Angeklagten keinen durchgreifenden Bedenken. Zwar kann die Tötung einer Frau, um sie keinem anderen Partner zu überlassen, die Voraussetzungen niedriger Beweggründe erfüllen (vgl. nur BGH NStZ 2002, 540, 541 m.w.N.; BGH, Urteil vom 15. Juni 2004 – 1 StR 39/04). Ersichtlich war indes die Wut des Angeklagten auf sein Opfer mit einer nicht gänzlich unverständlichen, ihn psychisch erheblich belastenden Verzweiflung über seine Situation nach dem von ihm nicht verstandenen und nicht akzeptierten Scheitern seiner ersten festen Partnerschaft verbunden. Bei dieser Sachlage liegt im Ergebnis auf der Hand, daß das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe mindestens aus subjektiven Gründen ausschied (vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 32; BGH StV 2004, 205).
3. Die Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB für das Tötungsdelikt erweist sich ebenfalls als nicht durchgreifend bedenklich. Die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB ist, wie dargelegt, rechtsfehlerfrei. Das gilt letztlich auch für die Zubilligung der Strafrahmenverschiebung. Dabei geht der Senat trotz mißverständlicher Formulierung im Urteil (der nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen „war” zugrunde zu legen, UA S. 41) nicht davon aus, daß das Schwurgericht eine Strafrahmenverschiebung etwa rechtsfehlerhaft für zwingend geboten gehalten hätte, sondern davon, daß die Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB auf tatrichterlichem Ermessen beruhte.
Hierzu ist allerdings der Ansatz der Staatsanwaltschaft zutreffend, daß bei der gegebenen Ausgangssituation eine Strafrahmenverschiebung außerordentlich fernlag, da sich der Angeklagte mit der geladenen Schußwaffe in Erwägung der Tötung des Opfers für den Fall mangelnder Aussöhnung zum Tatort begeben hatte. Da der endgültige Tötungsentschluß freilich erst in der – wenngleich für den Angeklagten vorhersehbaren – Affektsituation im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Opfer getroffen worden ist, stehen Grundsätze der actio libera in causa der Strafrahmenverschiebung jedenfalls nicht zwingend entgegen (vgl. dazu BGHR StGB § 21 Vorverschulden 6). Angesichts der vom Schwurgericht herangezogenen Strafmilderungsgründe, insbesondere der Massivität der erlittenen eigenen körperlichen Schäden durch den unmittelbar nach Tatbegehung begangenen ernsthaften Selbsttötungsversuch, vermag der Senat die Ermessensentscheidung des Tatrichters, von der Strafrahmenverschiebung Gebrauch zu machen, noch hinzunehmen (vgl. auch den Rechtsgedanken des § 60 Satz 1 StGB). Dies gilt namentlich angesichts dessen, daß der Tatrichter ungeachtet dieser außergewöhnlichen Milderungsgründe zutreffend nicht zur Anwendung des § 213 StGB, zweite Alternative, gelangt ist und daß die konkret zugemessene Strafe zudem nicht etwa die Mindeststrafe des Regelstrafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB unterschreitet.
4. Auch im übrigen hat die sachlichrechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils weder Rechtsfehler zum Vorteil noch solche zum Nachteil des Angeklagten erbracht.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2557083 |
NStZ 2005, 384 |