Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht
Leitsatz (amtlich)
a) Nach einer Aufhebung und Zurückverweisung aus verfahrensrechtlichen Gründen ist das Gericht, an das zurückverwiesen worden ist, nicht notwendigerweise dahin gebunden, daß die Klage zulässig ist.
b) Eine Klageänderung kann auch dann sachdienlich sein, wenn die geänderte Klage als unzulässig abgewiesen werden muß.
c) Die Verlautbarung allgemein gehaltener, von einem bestimmten Vorgang losgelöster rechtlicher Hinweise eines Landesjustizministeriums zur Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen ist keine Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinne des § 26 Abs. 3 DRiG.
Normenkette
DRiG § 26 Abs. 3, § 80; LRiG Ba-Wü § 79; VwGO §§ 6, 91, 125 Abs. 1, § 137 Abs. 2, §§ 144, 173; ZPO § 264 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Karlsruhe |
OLG Stuttgart |
Tenor
Die Revision der Antragstellerin gegen das Urteil des Dienstgerichtshofs für Richter bei dem Oberlandesgericht Stuttgart vom 20. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Antragstellerin ist seit 1992 Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht. Der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg hielt ihr nach Anhörung mit Bescheid vom 22. September 1995 im Rahmen der Dienstaufsicht förmlich vor, sie habe als Kammervorsitzende in drei Fällen unzulässigen Einfluß auf abgeschlossene Einzelrichterentscheidungen genommen und dadurch in die richterliche Unabhängigkeit eines damals ihrer Kammer angehörenden Richters kraft Auftrags eingegriffen. Den Widerspruch der Antragstellerin wies der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs durch Bescheid vom 23. November 1995 zurück.
Mit Schreiben vom 8. Dezember 1995 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen eine „Erklärung des Justizministeriums Baden-Württemberg zur Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen”. Diese Erklärung hatte der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts den Richtern des Gerichts mit folgender Verfügung vom 19. April 1995 bekannt gegeben:
„Bei der Präsidentendienstbesprechung am 6./7. April 1995 gab Ministerialdirigent S. vom Justizministerium eine Erklärung zur Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen ab, die nunmehr schriftlich vorliegt. Wunschgemäß gebe ich sie in der Anlage bekannt.
In der Präsidentendienstbesprechung wurde anschließend folgende Empfehlung ausgesprochen:
Durch organisatorische Maßnahmen ist sicherzustellen, daß Verfahren, die dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden sind, erst nach Abgang der Einzelrichter-Entscheidung dem Vorsitzenden zur Wahrnehmung seiner Aufgaben (z.B. Austrag des Verfahrens im Kammerregister) vorgelegt werden.
Nach meiner Kenntnis verfahren die meisten Kammern des Verwaltungsgerichts bereits heute so, indem die Ausgangsformulare in der Reihenfolge so ausgestaltet sind, daß zunächst die Ausfertigung und Zustellung der getroffenen Entscheidung verfügt und erst anschließend die Vorlage der Akten an den Kammervorsitzenden angeordnet ist. Ich wäre dankbar, wenn alle Kammern dieser Empfehlung Folge leisten könnten.”
Die als Anlage beigefügte Erklärung zur Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen lautet:
„Aus dem Umstand, daß der Rechtsstreitzur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen ist, ergibt sich ohne Abstriche, daß der Vorsitzende einer Kammer insoweit kein Recht zur Mitwirkung oder Einflußnahme auf die Entscheidungsfindung hat. Der gesetzliche Richter ist hier allein der Einzelrichter, auch wenn er Richter auf Probe ist. Der Umstand, daß der Einzelrichter einer bestimmten Kammer angehört, hat dann lediglich noch Bedeutung für die Geschäftsverteilung, nicht mehr aber für die Entscheidungsfindung. Im Einzelrichtersystem ist die Gefahr, daß die verschiedenen Einzelrichter unterschiedlich und auch widersprüchlich entscheiden, in gleicher Weise gegeben wie bei der Zuständigkeit mehrerer Kammern eines Gerichts für vergleichbare Sachverhalte. Eine einheitliche Rechtsprechung innerhalb einer Kammer, eines Gerichts, ja aber auch aller Gerichte, ist ein wünschenswertes Ziel. Dieses Ziel kann aber nur auf dem Weg der Herbeiführung – und anschließenden Beachtung – obergerichtlicher Entscheidungen und dadurch erreicht werden, daß die Argumentation zu bestimmten Problemfeldern in der Sache überzeugt und deshalb von den Richtern bei ihrer Urteilsfindung zugrunde gelegt wird.
Für den Vorsitzenden einer Kammer ergibt sich daraus, daß es durchaus legitim ist, vor allem mit jüngeren, weniger erfahrenen Richtern das Gespräch über entscheidungsrelevante Probleme zu suchen. Unverzichtbare Voraussetzung eines solchen, einzelfallbezogenen Gesprächs muß jedoch stets sein, daß der für die Entscheidung zuständige Richter dieses Gespräch sucht. Völlig ausgeschlossen ist es, daß ein Vorsitzender einen Richter seiner Kammer gegen dessen Willen in Einzelrichterfällen zu beraten oder zu beeinflussen versucht. Ein solches Vorgehen wäre eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit und damit eine Verletzung in der Verfassung geschützter Rechte (Artikel 97 GG). Hieraus ergibt sich auch – und dies müßte eigentlich selbstverständlich sein –, daß ein Vorsitzender niemals ohne Wissen des Einzelrichters dessen Urteil oder Beschluß weder im Tenor noch in den Gründen abändern darf. Ein solches Vorgehen könnte nur als gravierendes Dienstvergehen bewertet werden. Die Unterschrift des Urteils weist aus, wer der Verfasser des Urteils in allen Teilen ist. Das Urteil oder auch der Beschluß ist als Urkunde gegen jede Verfälschung auch strafrechtlich geschützt (§ 267 StGB).
Wenn derEinzelrichter damiteinverstanden ist, kann der Vorsitzende die Entscheidung des Einzelrichters auch vor deren Ausfertigung und Zustellung durchsehen. Insbesondere zur Verbesserung von Schreibfehlern und stilistischen Schwächen wird ein Proberichter eine solche Unterstützung in vielen Fällen aus freien Stücken auch dankbar annehmen. Aber auch in diesen Fällen sollte der Vorsitzende seine Änderungsvorschläge stets dem entscheidenden Einzelrichter vorlegen, bevor sie von diesem dann übernommen und endgültig vollzogen werden. Eine Blankoermächtigung des Vorsitzenden zur Abänderung eines Urteils oder Beschlusses ist mit den prozeßrechtlichen Vorschriften nicht zu vereinbaren. Es muß stets sichergestellt sein, daß der das Urteil unterschreibende Einzelrichter dieses so – ohne jeden Abstrich und bis zum letzten Komma – billigt.
Nicht zu beanstanden ist es, wenn der Vorsitzende einer Kammer sich die Einzelrichterurteile oder -beschlüsse seiner Kammermitgliedernach der Zustellung vorlegen läßt, auch mit den Prozeßakten, um so Erkenntnisse über die Befähigung und Leistung des Einzelrichters zu gewinnen, um sich hierauf bei einer (Vor-)Beurteilung zu stützen. Die gleiche Erkenntnismöglichkeit steht selbstverständlich erst Recht auch dem Präsidenten des Verwaltungsgerichts offen, der die Beurteilung zu verantworten hat und diese letztlich aufgrund eigener Erkenntnisse treffen muß.”
Das Justizministerium lehnte es mit Schreiben vom 29. Dezember 1995 ab, den Widerspruch der Antragstellerin gegen diese Erklärung zu bescheiden, weil sie weder ein Verwaltungsakt noch eine Maßnahme der Dienstaufsicht sei.
Die Antragstellerin hatte bereits zuvor das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Karlsruhe angerufen und beantragt,
festzustellen, daß der Vorhalt des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs unzulässig sei.
Mit Schriftsatz vom 17. Juni 1996 hat sie ergänzend beantragt,
festzustellen, daß die Erklärung des Justizministeriums zur Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen vom April 1995 in bezug auf die Antragstellerin insoweit unzulässig sei, als
- darin solche Maßnahmen für unzulässig erklärt würden, die der Antragstellerin im Vorhalt und im Widerspruchsbescheid vorgeworfen würden,
- sich die Tätigkeit des Vorsitzenden bei Einzelrichterverfahren ausschließlich auf die Geschäftsverteilung und in keinem denkbaren Fall auf die Entscheidungsfindung beziehe,
- es dem Vorsitzenden untersagt werde, einen Einzelrichter ohne dessen ausdrückliches Verlangen bei der Entscheidungsfindung zu beraten oder zu beeinflussen.
Das Dienstgericht für Richter hat durch Urteil vom 23. April 1998 festgestellt, der Vorhalt des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs vom 22. September 1995 sei unzulässig. Im übrigen hat es den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs habe die Befugnis zum Erlaß des Vorhalts gefehlt. Der gegen die Erklärung des Justizministeriums zur Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen gerichtete Feststellungsantrag sei als Klageänderung ohne Einwilligung des Antragsgegners mangels Sachdienlichkeit unzulässig. Überdies sei die Erklärung des Justizministeriums keine anfechtbare Maßnahme der Dienstaufsicht.
Die Berufung der Antragstellerin hat der Dienstgerichtshof für Richter bei dem Oberlandesgericht Stuttgart durch Beschluß vom 21. Juli 1999 als mangels Zulassung unstatthaft verworfen. Auf die Revision der Antragstellerin hat das Dienstgericht des Bundes durch Urteil vom 29. März 2000 den Beschluß des Dienstgerichtshofs aufgehoben und die Sache zur Entscheidung über die zulässige Berufung zurückverwiesen.
Mit der Berufung hat die Antragstellerin nach der Zurückverweisung geltend gemacht: Der erforderliche konkrete Bezug der Erklärung des Justizministeriums zu ihrer richterlichen Tätigkeit ergebe sich aus:
- dem Vorhalt durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs;
- dessen Äußerungen bei ihrer Anhörung zu dem beabsichtigten Vorhalt;
- der in der Präsidentendienstbesprechung am 6./7. April 1995 an die Präsidenten der Verwaltungsgerichte gerichteten Bitte, dafür Sorge zu tragen, daß die Erklärung des Justizministeriums beachtet werde;
- der Bekanntmachung der Erklärung des Justizministeriums durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts und
- dessen Mitteilung der in der Präsidentendienstbesprechung ausgesprochenen Empfehlung verbunden mit dem Zusatz: „Ich wäre dankbar, wenn alle Kammern dieser Entscheidung Folge leisten könnten”.
Durch Urteil vom 20. Dezember 2000 hat der Dienstgerichtshof die Berufung der Antragstellerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt:
Die nachträgliche Einbeziehung der Erklärung des Justizministeriums in das Prüfungsverfahren sei als Antragsänderung ohne Einwilligung des Antragsgegners mangels Sachdienlichkeit unzulässig. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei der Dienstgerichtshof nicht an eine revisionsgerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Klageänderung gebunden. Seine Bindung erstrecke sich lediglich auf die rechtliche Würdigung, die für die Aufhebung der Berufungsentscheidung und die Zurückverweisung ursächlich gewesen sei. Entscheidungstragend sei allein die Auffassung des Revisionsgerichts, die zulassungsfreie Berufung sei statthaft. Die Antragsänderung sei nicht sachdienlich, weil mit ihr ein neuer Streitstoff eingeführt werde, für dessen Beurteilung die Ergebnisse der bisherigen Prozeßführung nicht verwertet werden könnten. Es ergäben sich vielmehr völlig neue Sach- und Rechtsfragen.
Unabhängig davon sei die Anfechtung der Erklärung des Justizministeriums auch deshalb unzulässig, weil es sich nicht um eine Maßnahme der Dienstaufsicht handele. Das Justizministerium habe aus aktuellem Anlaß lediglich in allgemein gehaltener Form eine Rechtsansicht zum Problemkreis der Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen geäußert. Die Erklärung richte sich nicht gegen einen Richter oder eine bestimmte Gruppe von Richtern. Sie betreffe letztlich alle Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes. Zwar könne auch eine Äußerung der dienstaufsichtführenden Stelle zu einer bestimmten Rechtsfrage sich insoweit auf die Tätigkeit eines einer anderen Rechtsansicht zuneigenden Richters auswirken, als dieser sich im Gegensatz zu der dienstaufsichtführenden Stelle wisse, wenn er sich später davon abweichend verhalte. Dadurch werde aber die Meinungsäußerung der Dienstaufsichtsbehörde, selbst wenn sie – was hier nicht der Fall sei – gegenüber einem einzelnen Richter erfolgt sei, noch nicht zu einer gegen diesen gerichteten Maßnahme der Dienstaufsicht. Die Verschiedenheit der Rechtsauffassungen bedeute für sich allein noch keine konkrete Konfliktlage, die durch eine dienstgerichtliche Entscheidung zu bereinigen sei. Die von der Antragstellerin behauptete Verwendung der Erklärung des Justizministeriums ihr gegenüber durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs und den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts ändere den Charakter der Erklärung selbst als einer allgemeinen Stellungnahme zu Rechtsfragen nicht.
Soweit die Antragstellerin sinngemäß auch die Unzulässigkeit von Maßnahmen anderer dienstaufsichtführender Stellen geltend mache, mit denen die Erklärung des Justizministeriums ihr gegenüber verwendet oder umgesetzt worden sei, erweise sich die Antragsänderung, in die der Antragsgegner nicht eingewilligt habe, ebenfalls als nicht sachdienlich und daher unzulässig. Mit dem Vorbringen werde ein völlig neuer Streitstoff in das Verfahren eingeführt.
Davon abgesehen sei der Antrag auch insoweit unzulässig, als es sich bei den von der Antragstellerin in der Berufungsverhandlung unter Nrn. 1 bis 4 bezeichneten Maßnahmen nicht um solche der Dienstaufsicht handele. Für eine selbständig anfechtbare Maßnahme der Dienstaufsicht neben dem erlassenen Vorhalt, der rechtskräftig für unzulässig erklärt worden sei und keine Rechtswirkungen mehr äußere, fehle jeder Anhaltspunkt.
Dies treffe auch für die angebliche Äußerung des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs bei der Anhörung der Antragstellerin zu, ihr drohe ein Disziplinarverfahren, wenn sie die Erklärung des Justizministeriums nicht beachte. Daraus ergebe sich keine gegenüber dem später ausgesprochenen Vorhalt selbständige weitere Maßnahme der Dienstaufsicht. Mit einer solchen sei auch künftig nicht mehr zu rechnen, nachdem der Präsident – wie die Vertreterin des Antragsgegners in der Berufungsverhandlung erklärt habe – die Rechtsauffassung des Dienstgerichts für Richter akzeptiert habe, ihm fehle die Zuständigkeit für derartige Maßnahmen.
Die bloße Bekanntgabe der Erklärung des Justizministeriums durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts sei ebenfalls keine Maßnahme der Dienstaufsicht. Sie beschränke sich darauf, die in der Erklärung des Justizministeriums vertretene allgemeine Rechtsauffassung zur Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen den Richtern des Verwaltungsgerichts zur Kenntnis zu geben, ohne dies mit weiteren Bitten oder Weisungen zu verbinden.
Die Bitte des Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts, der in der Präsidentendienstbesprechung ausgesprochenen Empfehlung möglichst Folge zu leisten, sei zwar eine Maßnahme der Dienstaufsicht. Sie berühre aber weder den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit noch richterliche Beurteilungs- und Entscheidungskompetenzen der Kammervorsitzenden. Sie stelle vielmehr eine ausschließlich zum Bereich der äußeren Ordnung gehörende Maßnahme der Gerichtsverwaltung dar. Dagegen könne die Antragstellerin die Garantie des Art. 97 Abs. 1 GG nicht in Anspruch nehmen. Der Kammervorsitzende stehe bei Einzelrichterentscheidungen als gesetzlich nicht zur Entscheidung berufener Richter außerhalb des Streitverfahrens. Ihm werde durch die Maßnahme die Erfüllung von Rechtsprechungsaufgaben nicht erschwert.
Gegen dieses Urteil hat die Antragstellerin die vom Dienstgerichtshof für Richter zugelassene Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt, soweit dieser zurückgewiesen worden ist.
Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus:
Das Berufungsgericht habe die Sachdienlichkeit ihrer Antragsänderung unter Verstoß gegen die Bindungswirkung des zurückverweisenden Urteils des Dienstgerichts des Bundes verneint. Zudem habe es den Begriff der Sachdienlichkeit verkannt. Die Antragsänderung sei sachdienlich, weil sie den sachlichen Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräume und einem andernfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vorbeuge. Sämtliche Begleitumstände, unter denen ihr – der Antragstellerin – gegenüber von der Erklärung des Justizministeriums Gebrauch gemacht worden sei, seien von Anfang an unstreitig gewesen. Die angefochtene Erklärung des Justizministeriums sei zwar die allgemein gehaltene Kundgabe einer Rechtsauffassung, gleichwohl aber eine Maßnahme der Dienstaufsicht, weil sie den Kammervorsitzenden der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes ein bestimmtes Verhalten vorschreibe. Das zeige sich daran, wie der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs das Repressionsmittel ihr – der Antragstellerin – gegenüber umgesetzt habe. Ihre richterliche Unabhängigkeit sei dadurch beeinträchtigt worden. Die Gestaltung der Zusammenarbeit des Vorsitzenden mit den Einzelrichtern – namentlich der Gedankenaustausch sowie die Erörterung und die Abstimmung der Einzelrichterentscheidungen auf eine einheitliche und konstante Kammerrechtsprechung – gehöre zur Organisation der Rechtsfindung und damit zum Kernbereich der richterlichen Tätigkeit. Ministerialdirigent S. sei überdies nicht befugt gewesen, die ausschließlich beim Justizminister oder dessen Vertreter im Amt liegende Dienstaufsicht auszuüben.
Der Antragsgegner beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision (§ 80 Abs. 2 DRiG, § 79 Abs. 2 LRiG) ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm (§ 80 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 DRiG, § 79 Abs. 2 LRiG, § 144 Abs. 2 VwGO).
1. Gegenstand des vorliegenden Prüfungsverfahrens ist nur noch die Erklärung des Justizministeriums zur Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen. Die Unzulässigkeit des Vorhalts des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs stellt das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig fest.
Die Antragstellerin hat die Erklärung des Justizministeriums nachträglich in das Verfahren einbezogen. Darin hat das Berufungsgericht zutreffend eine Antragsänderung (entsprechend einer Klageänderung) im Sinne des § 79 Abs. 1 Satz 1 LRiG in Verbindung mit § 91 VwGO durch Erweiterung des sachlichen Streitstoffs erblickt. Es stellt keine bloße Erweiterung des Klagebegehrens (§ 264 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 173 VwGO, § 79 Abs. 1 Satz 1 LRiG), sondern eine Änderung der Klage (§ 91 VwGO) dar, wenn nicht nur der Antrag ausgedehnt, sondern neben dem bisher dem Klagebegehren zugrunde liegenden Sachverhalt zusätzlich ein anderer zur tatsächlichen Grundlage des nunmehr zur Entscheidung gestellten Anspruchs gemacht wird (st. Rspr.; vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 22. Juli 1999 – BVerwG 2 C 14.98 – ZBR 2000, 40 ≪41≫ m.w.N.). So verhält es sich hier.
2. Die Antragsänderung hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft als unzulässig erachtet. Das rügt die Revision zu Recht. Eine Klageänderung ist auch noch im Berufungsverfahren ohne Einwilligung der übrigen Beteiligten zuzulassen, wenn sie sachdienlich ist (§ 79 Abs. 1 Satz 1 LRiG, § 91 Abs. 1, § 125 Abs. 1 VwGO). Das ist hier der Fall.
a) Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts verstößt allerdings nicht – wie die Revision geltend macht – gegen die Bindungswirkung der im vorliegenden Verfahren ergangenen zurückverweisenden Entscheidung des erkennenden Senats vom 29. März 2000. Das Tatsachengericht ist nach einer Zurückverweisung durch das Revisionsgericht lediglich an dessen der Aufhebung zugrundeliegende rechtliche Beurteilung gebunden (§ 80 Abs. 1 DRiG, § 79 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 LRiG, § 144 Abs. 6 VwGO). Die Bindung erfaßt zwar nicht nur die der Zurückweisung unmittelbar zugrunde liegende rechtliche Würdigung. Sie erstreckt sich vielmehr auch auf die den unmittelbaren Zurückverweisungsgründen rechtslogisch vorgehenden Gründe, soweit diese notwendige Voraussetzung für die Aufhebung des ersten Urteils waren. Dies gilt insbesondere dann, wenn die erforderliche neue Sachentscheidung des Tatsachengerichts von der in der zurückverweisenden Entscheidung bejahten Zulässigkeit der Klage abhängig ist (vgl. BVerwGE 42, 243 ≪246 f.≫; BVerwG, Beschluß vom 21. August 1997 – BVerwG 8 B 151.97 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 65 S. 7 ≪8≫ m.w.N.; st. Rspr.). Nach einer Aufhebung und Zurückverweisung aus verfahrensrechtlichen Gründen ist das Gericht, an das zurückverwiesen worden ist, jedoch nicht notwendigerweise dahin gebunden, daß die Klage zulässig ist (vgl. BVerwG, Beschluß vom 23. Oktober 2000 – BVerwG 1 B 51.00 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 69 S. 3 ≪4≫). An einer solchen Bindungswirkung fehlt es auch hier.
Das zurückverweisende Urteil des Senats vom 29. März 2000 bejaht die Zulässigkeit des im Berufungsverfahren weiter verfolgten Begehrens der Antragstellerin, namentlich der Antragsänderung, weder unmittelbar noch mittelbar. Das Berufungsgericht hatte die Berufung der Antragstellerin verfahrensfehlerhaft mangels Zulassung als unstatthaft verworfen. Der Senat hat diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zur Entscheidung über die zulässige Berufung der Antragstellerin zurückverwiesen. Aus diesem Erfolg ihrer Verfahrensrüge kann entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht geschlossen werden, der Senat habe auch ihre Antragsänderung stillschweigend als zulässig beurteilt. Aus den Gründen des zurückverweisenden Urteils ergibt sich das Gegenteil. Darin wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß im Revisionsverfahren mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen zum Streitgegenstand nicht abschließend entschieden werden könne; denn Streitgegenstand sei nicht nur die Erklärung des Justizministeriums selbst, sondern nach dem Vorbringen der Antragstellerin auch, in welcher Weise und in welchem Zusammenhang die Erklärung ihr gegenüber verwendet worden sei. Dazu enthielt das aufgehobene Prozeßurteil des Berufungsgerichts keinerlei tatsächliche Feststellungen. Ohne die fehlende Tatsachengrundlage konnte der erkennende Senat auch die Sachdienlichkeit der Antragsänderung nicht abschließend beurteilen. Die Entscheidung, ob eine Klageänderung sachdienlich ist, obliegt in erster Linie den Tatsachengerichten. Das Revisionsgericht darf zwar prüfen, ob das Tatsachengericht den weitgehend von Erwägungen der Prozeßökonomie beherrschten Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit verkannt hat (st. Rspr.; vgl. u. a. BVerwGE 57, 31 ≪34≫; BVerwG, Urteil vom 22. Juli 1999, aaO S. 41 m.w.N.). Dazu bedarf es jedoch tatsächlicher Feststellungen zum Umfang des (geänderten) Streitgegenstandes, insbesondere des Klagegrundes. Denn sachdienlich ist eine Klageänderung in aller Regel nur dann, wenn sie geeignet ist, den sachlichen Streitstoff zwischen den Beteiligten im laufenden Verfahren endgültig auszuräumen (st. Rspr.; vgl. u. a. BVerwGE 57, 31 ≪34≫; BVerwG, Urteil vom 22. Juli 1999, aaO S. 41 m.w.N.). Insoweit den Akteninhalt in tatsächlicher Hinsicht auszuwerten und zu würdigen war nicht Aufgabe des Revisionsgerichts (vgl. u. a. BVerwG, Beschluß vom 17. März 1994 – BVerwG 3 B 24.93 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 57 S. 1 ≪2≫ m.w.N.). Auch darauf hat der Senat in dem zurückverweisenden Urteil ausdrücklich hingewiesen.
b) Auf der Grundlage der nach der Zurückverweisung in dem nunmehr angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen hätte das Berufungsgericht die Antragsänderung als sachdienlich zulassen müssen. Für die Beurteilung der Sachdienlichkeit ist nicht maßgeblich, ob die geänderte Klage Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerwGE 57, 31 ≪34≫ m.w.N.; BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 1990 – BVerwG 6 C 33.88 – Buchholz 264 UmzugskostenR Nr. 3 S. 7 ≪8≫ und vom 22. Juli 1999, aaO S. 41), sondern ob sie bei objektiver Beurteilung den Streitstoff der Beteiligten endgültig zu beseitigen vermag. Daran kann es zwar fehlen, wenn die geänderte Klage als unzulässig abgewiesen werden müßte (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Juli 1987 – BVerwG 4 C 12.84 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 72 S. 1 ≪3≫ und vom 11. Dezember 1990, aaO S. 8 f.). Das ist hier aber nicht der Fall. Eine Entscheidung über den geänderten Antrag räumt den sachlichen Streitstoff zwischen den Parteien im anhängigen Verfahren auch dann endgültig aus, wenn der geänderte Antrag unzulässig ist. Die Beteiligten streiten darüber, ob die angefochtene Erklärung des Justizministeriums eine Maßnahme der Dienstaufsicht ist und die richterliche Unabhängigkeit der Antragstellerin beeinträchtigt. Das Berufungsgericht hält den Antrag für unzulässig, weil bereits eine Maßnahme der Dienstaufsicht nicht gegeben sei. Trifft dies zu, ist der Streit der Beteiligten mit Eintritt der Rechtskraft insgesamt beendet.
3. Das angefochtene Urteil beruht indessen nicht auf dem Verfahrensmangel. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht zurückgewiesen. Der geänderte Antrag ist unzulässig, weil die angefochtene Erklärung des Justizministeriums keine Maßnahme der Dienstaufsicht darstellt, die Gegenstand eines Prüfungsverfahrens sein kann.
a) Allerdings hat das Dienstgericht des Bundes den Begriff „Maßnahme der Dienstaufsicht” entsprechend dem auf einen umfassenden Rechtsschutz der richterlichen Unabhängigkeit gerichteten Zweck des § 26 Abs. 3 DRiG seit jeher weit ausgelegt. Der Begriff setzt nicht voraus, daß die Dienstaufsichtsbehörde sich unmittelbar an den Richter gewandt hat. Es genügt bereits eine Einflußnahme, die sich lediglich mittelbar auf die rechtsprechende Tätigkeit des Richters auswirkt oder darauf abzielt. Erforderlich ist jedoch, daß sich das Verhalten einer Dienstaufsicht führenden Behörde bei objektiver Betrachtung gegen einen bestimmten Richter oder eine bestimmte Gruppe von Richtern wendet, es also zu einem konkreten Konfliktfall zwischen der Justizverwaltung und dem Richter oder bestimmten Richtern gekommen ist (st. Rspr.; vgl. BGHZ 61, 374 ≪377 ff.≫; 85, 145 ≪167≫; Urteil vom 12. November 1973 – RiZ (R) 3/73 – DRiZ 1974, 99). Eine Maßnahme der Dienstaufsicht muß sich in irgendeiner Weise kritisch mit dem Verhalten eines oder mehrerer Richter befassen oder geeignet sein, sich auf das künftige Verhalten dieser Richter in bestimmter Richtung auszuwirken. Wegen dieser erforderlichen Zielrichtung hat das Dienstgericht des Bundes bloße Meinungsäußerungen einer dienstaufsichtführenden Stelle zu einer Rechtsfrage nicht als „Maßnahme der Dienstaufsicht” im Sinne des § 26 Abs. 3 DRiG angesehen (BGHZ 61, 374 ≪378 f.≫; 85, 145 ≪167≫; Urteile vom 12. November 1973 – RiZ (R) 3/73 – aaO S. 99 f., vom 5. Februar 1980 – RiZ (R) 1/79 – DRiZ 1980, 229 ≪230≫ und vom 26. Juni 1984 – RiZ (R) 2/84 – NJW 1984, 2471 ≪2472 f.≫). Eine Kundgabe allgemein gehaltener, von einem bestimmten Vorgang losgelöster rechtlicher Hinweise der Justizverwaltung wird auch nicht schon deswegen zu einer Maßnahme der Dienstaufsicht, weil der Richter, an den sie sich wendet, anderer Auffassung ist und sich dementsprechend verhalten will (vgl. BGHZ 61, 374 ≪378≫; Urteil vom 5. Februar 1980, aaO S. 230). Zu einem dienstaufsichtlichen Konflikt kommt es erst dann, wenn solche rechtlichen Hinweise in einem konkreten Zusammenhang gegen einen oder mehrere Richter wegen eines bestimmten Verhaltens herangezogen werden und sich in dieser Weise zu einer konkreten Einwirkung auf sie verdichten (BGHZ 61, 374 ≪378 f.≫; Urteile vom 5. Februar 1980, aaO S. 230 und vom 26. Juni 1984, aaO S. 2472). Diese Grundsätze, die für Mitteilungen abstrakter rechtlicher Hinweise an einzelne Richter entwickelt worden sind, gelten erst recht, wenn die rechtlichen Hinweise in einer allgemeinen Ministerialverlautbarung enthalten sind (vgl. Urteil vom 26. Juni 1984, aaO S. 2472).
b) Freilich mag auch eine allgemeine Bekanntmachung der Rechtsauffassung des Justizministeriums je nach Form und Inhalt auf die einzelnen Richter wie eine Weisung oder Mahnung wirken können. Die in dieser Richtung geäußerten Besorgnisse der Revision sind losgelöst von dem hier zu beurteilenden Sachverhalt keineswegs völlig von der Hand zu weisen. Auch im Gewande einer an alle Richter gerichteten allgemeinen Bekanntmachung können Vorhaltungen gemacht, Ermahnungen erteilt oder Richtlinien aufgestellt werden, die als Maßnahmen der Dienstaufsicht anfechtbar wären und die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen. Der vorliegende Fall gibt jedoch keinen Anlaß abschließend zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Bekanntmachung derartigen Inhalts unmittelbar als Maßnahme der Dienstaufsicht angefochten werden kann. Die angegriffene Erklärung des Justizministeriums zur Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen stellt jedenfalls keine in das Gewand einer allgemeinen Bekanntmachung gekleidete Maßnahme der Dienstaufsicht dar. Es fehlt bereits an einer unmittelbar an die Richter oder Vorsitzenden Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes gerichteten Verlautbarung des Justizministeriums. Die Erklärung wurde von einem Vertreter des Ministeriums in einer Dienstbesprechung mit den Präsidenten der Verwaltungsgerichte aus aktuellem Anlaß abgegeben. Sie legt lediglich dar, wie das Justizministerium Bedeutung und Tragweite der sachlichen Unabhängigkeit des Einzelrichters einschätzt und welche Einschränkungen der Befugnisse des Kammervorsitzenden sich daraus ergeben. Diese abstrakte Erläuterung des Rechtsstandpunktes des Justizministeriums in einer dienstlich veranlaßten justizverwaltungsinternen Äußerung eines Abteilungsleiters des Ministeriums gegenüber den nachgeordneten dienstaufsichtsführenden Gerichtspräsidenten ist als solche noch keine Maßnahme der Dienstaufsicht gegenüber lediglich möglicherweise mittelbar „betroffenen” Richtern. Die in der Dienstbesprechung an die Gerichtspräsidenten gerichtete „Bitte” des Justizministeriums, ihrerseits dafür Sorge zu tragen, daß die Erklärung beachtet werde, ändert deren Rechtscharakter nicht. Die Erklärung wurde dadurch nicht selbst zu einer anfechtbaren Dienstaufsichtsmaßnahme. Sie wurde dies auch nicht dadurch, daß der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts als Vertreter des Präsidenten sie den Richtern des Verwaltungsgerichts „wunschgemäß” lediglich bekanntgab. Erst aufgrund der Erklärung des Justizministeriums ergriffene konkrete Maßnahmen der Dienstaufsicht gegen einzelne Richter unterliegen der dienstgerichtlichen Kontrolle. Für diese ist nicht die Erklärung maßgebend, sondern die verfassungsrechtliche Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) des Einzelrichters (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. September 1983 – 2 BvR 1475/83 – NJW 1984, 559 und vom 29. Februar 1996 – 2 BvR 136/96 – NJW 1996, 2149 ≪2150 f.≫). Die sich aus dessen sachlicher Unabhängigkeit ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen einer Einflußnahme des Kammervorsitzenden hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 29. Februar 1996, aaO) – soweit hier von Bedeutung – aufgezeigt.
c) Die von der Antragstellerin geltend gemachte „Verwendung” der Erklärung ihr gegenüber führt zu keinem anderen Ergebnis. Der von der Antragstellerin angefochtene Vorhalt des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs ist rechtskräftig aufgehoben worden. Er entfaltet keine Wirkungen mehr. Die von der Antragstellerin behaupteten Äußerungen des Präsidenten bei ihrer dem Vorhalt vorausgegangenen Anhörung sind ebenfalls bedeutungslos geworden. Eine erneute Maßnahme der Dienstaufsicht wegen ihres dem Vorhalt zugrunde liegenden Verhaltens hat die Antragstellerin nach den im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat mangels beachtlicher Verfahrensrügen gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO, § 79 Abs. 1 Satz 1 LRiG), nicht zu besorgen.
d) Die mit Verfügung des Vizepräsidenten vom 19. April 1995 sinngemäß an die Vorsitzenden Richter des Verwaltungsgerichts gerichtete Bitte, der in der Präsidentendienstbesprechung geäußerten „Empfehlung” zu folgen, die Akten der dem Einzelrichter übertragenen Verfahren erst nach Abgang der Einzelrichterentscheidung dem Vorsitzenden vorlegen zu lassen, ist zwar eine Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinne des § 26 Abs. 3 DRiG. Sie beeinträchtigt aber nicht die richterliche Unabhängigkeit der Antragstellerin. Auch darin ist dem Berufungsgericht beizupflichten.
Die richterliche Amtsführung unterliegt der Dienstaufsicht, soweit es um die Sicherung eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs, die äußere Form der Erledigung der richterlichen Amtsgeschäfte und die äußere Ordnung geht (vgl. BGHZ 90, 41 ≪45≫ m.w.N.; Urteil vom 27. Januar 1995 – RiZ (R) 3/94 – DRiZ 1995, 352 ≪353≫ m.w.N.). Die in der Präsidentendienstbesprechung ausgesprochene „Empfehlung” dient allein der Sicherung eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs, um die sachliche Unabhängigkeit des Einzelrichters als des gesetzlichen Richters organisatorisch wirksam zu schützen. Demgegenüber kann der Kammervorsitzende nicht seinerseits aus der ihm gewährleisteten sachlichen Unabhängigkeit einen Anspruch auf Vorlage der Streitakten vor Abschluß des Verfahrens vor dem Einzelrichter herleiten. Als gesetzlich nicht zur Entscheidung berufener Richter steht der Vorsitzende außerhalb der Streitverfahren, die dem Einzelrichter übertragen worden sind. Diese Streitsachen hat ausschließlich der jeweils zuständige Einzelrichter zu bearbeiten und zu entscheiden. Eine irgendwie geartete „Mitwirkung” an der Prozeßleitung, Sachbearbeitung und Entscheidungsfindung ist dem Kammervorsitzenden verwehrt (vgl. BVerfG, Beschluß vom 29. Februar 1996, aaO S. 2151). Dem trägt es Rechnung, ihm die Akten der dem Einzelrichter übertragenen Streitverfahren grundsätzlich erst nach Abgang der Einzelrichterentscheidung vorzulegen, um unzulässige Einwirkungen auf den Einzelrichter zu verhindern. Das Gebot des gesetzlichen Richters soll ebenso wie die Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit Eingriffe Unbefugter in die Rechtspflege verhindern. Seine Schutzfunktion erstreckt sich auf Maßnahmen von Personen innerhalb der Gerichtsorganisation, die allgemein oder in einer bestimmten Sache keine richterliche Funktion wahrnehmen dürfen (vgl. BVerfGE 4, 412 ≪416 f.≫; 21, 139 ≪145≫; Beschluß vom 29. Februar 1996, aaO S. 2151). Zu diesen zählt in den dem Einzelrichter übertragenen Verfahren auch der Kammervorsitzende. Dies gilt auch, soweit es um die Rückübertragung des Rechtsstreits an die Kammer (vgl. §§ 6 Abs. 3 VwGO, 76 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 AsylVfG) geht. Ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine derartige Rückübertragung vorliegen, bleibt allein der Beurteilung und Entscheidung durch den Einzelrichter vorbehalten; für den Fall des Vorliegens der Rückübertragungsvoraussetzungen räumt § 6 Abs. 3 VwGO ausschließlich ihm ein – nicht intendiertes – Ermessen ein (vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 4. Dezember 1998 – BVerwG 8 B 187.98 – Buchholz 310 § 6 VwGO Nr. 1 S. 1 ≪3≫).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 79 Abs. 1 Satz 1 LRiG, § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4.090 Euro (entspricht 8.000 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Unterschriften
Nobbe, Solin-Stojanović, Joeres, Silberkuhl, Gödel
Fundstellen
Haufe-Index 708249 |
NJW 2002, 2649 |
BGHR 2002, 616 |
NJW-RR 2002, 929 |
DRiZ 2004, 144 |
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