Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 08.11.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 8. November 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen mit der Maßgabe, daß die in Italien in dieser Sache erlittene Freiheitsentziehung im Verhältnis 1: 1 auf die hier verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen der gefährlichen Körperverletzung zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen wenden sich der Angeklagte und – zu seinen Ungunsten – die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Während der Angeklagte das Urteil ohne nähere Ausführungen zur Sachrüge allgemein zur Überprüfung durch das Revisionsgericht stellt, beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel, dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen versuchten Mordes verurteilt hat. Das – vom Generalbundesanwalt vertretene – Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; dagegen ist das Rechtsmittel des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Opfer der dem Angeklagten angelasteten Tat sind seine Ehefrau Manuela K. sowie deren Vater, Rainer L.. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernten sich der aus Albanien stammende Angeklagte und seine spätere, seinerzeit 17-jährige Ehefrau 1992 kennen. Sie heirateten Ende Mai 1994, nachdem bereits knapp zwei Monate zuvor die gemeinsame Tochter geboren worden war. Schon sehr bald belastete der Angeklagte die Beziehung durch sein dominantes, bei Widerspruch seiner Ehefrau auch aggressiv wütendes Verhalten. Als sie sich deshalb erstmals im November 1996 für kurze Zeit von ihm trennte und zu ihren Eltern zog, drohte der Angeklagte, sie mit Gewalt zurückzuholen, versprach aber auch, sein Verhalten zu ändern. Seine cholerischen Ausbrüche setzten sich dennoch fort, so dass sich seine Ehefrau im Sommer 2001 endgültig von ihm trennte. Auslöser war eine Auseinandersetzung am 17. September 2001, in deren Verlauf der Angeklagte seiner Ehefrau plötzlich und unerwartet zweimal mit der Faust in das Gesicht schlug. Noch am selben Tage verließ sie mit der Tochter die eheliche Wohnung und bezog kurze Zeit darauf in einem anderen Ort eine eigene Wohnung. Der Angeklagte war nicht bereit, die Trennung zu akzeptieren. Auch drohte er seiner Ehefrau an, ihr und ihren Eltern etwas anzutun und sich der gemeinsamen Tochter zu bemächtigen und diese nach Albanien zu verbringen, sofern sie nicht zu ihm zurückkehren und die von ihr wegen des Vorfalls vom 17. September 2001 erstattete Strafanzeige zurücknehmen würde. Dazu war sie jedoch nicht bereit. Vielmehr sagte sie trotz der von ihm ausgesprochenen Todesdrohungen am 13. März 2002 in dem Strafverfahren wegen jenes Vorfalls beim Amtsgericht Leipzig gegen ihn aus, worauf der Angeklagte an diesem Tage wegen Körperverletzung zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten fünfmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Am Morgen des nächsten Tages, dem 14. März 2002, fuhr der Angeklagte, dem bekannt war, wann seine Ehefrau das Haus verlassen würde, auf den Parkplatz hinter dem Haus, in dem sie wohnte, und wartete dort zwischen Fahrzeugen auf sie. Als sie mit ihrem Vater, der sie zu ihrem Schutz begleitete, den Parkplatz erreichte, trat der Angeklagte plötzlich hinter seinem Fahrzeug hervor und sprach sie mit den Worten an: „Manu, was hast Du dir dabei gedacht!”, wobei er ihre ihn belastende Aussage vom Vortag beim Amtsgericht Leipzig meinte. Zugleich zog er ein Messer hervor, stürzte sich auf seine Ehefrau und stach ihr „in der Absicht, sich an seiner Ehefrau für deren Aussage und die Trennung von seiner Tochter zu rächen”, mit Wucht in die linke Seite, in den Oberbauch und in den Rücken. Ihr gelang es aber, den Angeklagten abzuschütteln und zu hilfsbereiten Passanten zu flüchten. Darauf wandte sich der Angeklagte nunmehr ausschließlich dem Vater seiner Ehefrau zu in der Absicht, auch ihn zu töten, nachdem er ihn bereits zuvor verletzt hatte, als dieser versuchte, ihm das Messer zu entwinden. Er versetzte dem Vater drei Stiche in den Unterleib, ließ dann aber von ihm ab und verließ den Tatort. Beide Opfer wurden durch die Stiche lebensgefährlich verletzt und hätten ohne die sofort eingeleiteten ärztlichen Rettungsbemühungen höchstwahrscheinlich nicht überlebt.
Das Landgericht hat hinsichtlich der zum Nachteil des Vaters der Ehefrau des Angeklagten begangenen Tat einen strafbefreienden Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags „nicht ausschließen” können und den Angeklagten deshalb nur der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) für schuldig befunden. Soweit sich die Tat gegen die Ehefrau des Angeklagten richtete, hat das Schwurgericht einen fehlgeschlagenen Versuch des Totschlags (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) angenommen, indes das Vorliegen der Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe verneint. Zu letzterem Merkmal hat das Schwurgericht ausgeführt, zwar seien „die Tatmotive des Angeklagten … grundsätzlich geeignet, die Annahme eines niedrigen Beweggrundes zu rechtfertigen … Vorliegend (sei aber) der konkrete Tatanlass von Gewicht … Sah sich der Angeklagte aufgrund des von seiner Ehefrau betriebenen Scheidungsverfahrens einer Trennung von seiner Tochter ausgesetzt, wurde dieser Zustand durch seine Verurteilung und einen dadurch bedingten zukünftigen Haftantritt weiter vertieft. Hatte der Angeklagte bis dahin noch versucht, Manuela K. zur Wiederaufnahme ihrer ehelichen Beziehung zu bewegen, so mußte er mit deren belastender Aussage erkennen, dass jede weiteren Versuche fruchtlos bleiben müssen”.
Entscheidungsgründe
II. Revision des Angeklagten
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der allein erhobenen Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
III. Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Zu Recht greift die Beschwerdeführerin die Erwägungen, mit denen das Schwurgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verneint hat, als rechtsfehlerhaft an. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Tötungsbeweggrund niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt (BGHSt 35, 116, 127; 47, 128, 130 m.w.N.). Das hat das Landgericht an sich auch nicht verkannt. Seine Würdigung, mit der es im Ergebnis das Vorliegen niedriger Beweggründe verneint hat, hält jedoch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil sie den konkreten Umständen der Tat nicht hinreichend Rechnung trägt.
Das Schwurgericht hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung verschafft, dass der Angeklagte sich an seiner Ehefrau für deren ihn belastende Aussage im Strafverfahren vor dem Amtsgericht Leipzig und die Trennung von seiner Tochter rächen wollte. Zu Recht hat das Schwurgericht diesen Beweggrund grundsätzlich als niedrig im Sinne des Mordtatbestandes gewertet. Weshalb dieser Wertung dann aber im Ergebnis der „konkrete Tatanlass” entgegenstehen soll, ist nicht nachvollziehbar dargelegt. Richtig ist allerdings, dass Gefühlsregungen wie Rache nach der Rechtsprechung nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht kommen, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 36 m.w.N.). Auch beruht nicht jede Tötung, die geschieht, weil sich der Intimpartner vom Täter abwenden will oder – wie hier – abgewandt hat, schon deshalb zwangsläufig auf niedrigen Beweggründen; vielmehr können in einem solchen Fall tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der Enttäuschung und inneren Ausweglosigkeit sein, die einer Wertung als niedrig entgegenstehen (BGHR aaO niedrige Beweggründe 18, 32), und zwar auch dann, wenn der Täter den Grund für die Trennung selbst herbeigeführt hat (BGH StV 2000, 20 f.; Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2000 – 4 StR 499/00). Solche Umstände, die der Wertung als „niedrig” entgegenstehen könnten, hat das Schwurgericht aber gerade nicht festgestellt.
Soweit das Landgericht darauf verweist, der Angeklagte habe „bis dahin noch versucht, (seine Ehefrau) zur Wiederaufnahme ihrer ehelichen Beziehung zu bewegen” (UA 39), erfasst dies die Beweggründe für die Tat nur unzureichend, weil es dem Angeklagten dabei nach den Feststellungen nicht etwa darum ging, seine Ehe zu retten. Vielmehr beabsichtigte der Angeklagte die Tötung seiner Ehefrau in erster Linie wegen ihrer ihn belastenden Aussage vom Vortage. Wer aber einen anderen aus Rache deshalb tötet oder zu töten beabsichtigt, weil dieser ihn als Zeuge wahrheitsgemäß belastet, handelt nicht weniger verwerflich als derjenige, der durch die Tötung seine eigene Straftat verdecken will und deshalb ein mordqualifizierendes Merkmal verwirklicht (vgl. BGH, Urt. vom 30. März 2004 – 4 StR 42/04, insoweit in NStZ 2004, 510 nicht abgedruckt). Dies gilt zumal dann, wenn – wie hier – das Opfer des Tötungsdelikts, das gegen den Täter ausgesagt hat, bereits Opfer der Tat war, die dem Täter in dem früheren Strafverfahren zur Last gelegt wurde.
Auch der Umstand, dass sich der Angeklagte einer Trennung von seiner Tochter ausgesetzt sah, relativiert nicht die Verwerflichkeit der Beweggründe seines Handelns. Nach den Feststellungen spricht nichts dafür, dass der Angeklagte etwa das Wohl seiner Tochter im Auge hatte. Vielmehr zeigt die zuvor wiederholt ausgesprochene Drohung, die Tochter nach Albanien zu entführen, dass der Angeklagte das Kind lediglich als Druckmittel gegen seine Ehefrau einsetzte.
Schließlich bieten die getroffenen Feststellungen auch keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, der Angeklagte habe seine Tatantriebe nicht gedanklich beherrschen oder gefühlsmäßig steuern können (vgl. BGHR aaO niedrigere Beweggründe 26). Vielmehr hat der Angeklagte die Tat, die sich als „Bestrafungsaktion” (vgl. BGHR aaO niedrigere Beweggründe 39) darstellt, planmäßig vorbereitet und verwirklicht.
IV.
Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils im Ganzen. Zwar betrifft der Rechtsfehler unmittelbar nur den Schuldspruch wegen versuchten Totschlags. Da aber das Schwurgericht die Tat, obwohl sie sich gegen zwei Personen richtete, unter den hier gegebenen Umständen rechtsfehlerfrei als eine Tat im Rechtssinne bewertet hat (vgl. BGH NStZ 1993, 234; BGH, Beschlüsse vom 16. September 2004 – 3 StR 316/04, vom 13. Oktober 2004 – 3 StR 371/04 und vom 19. Oktober 2004 – 3 StR 221/04; Urteil vom 16. August 2005 – 4 StR 168/05), scheidet eine auf die Tat zum Nachteil der Ehefrau beschränkte Teilaufhebung des angefochtenen Urteils aus (BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Über die Sache ist deshalb insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
Der neue Tatrichter wird in Bezug auf das Tötungsdelikt zum Nachteil der Ehefrau auch die Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke einer näheren Prüfung, als sie das angefochtene Urteil ausweist, zu unterziehen haben. Dass die Ehefrau allgemein mit einem tätlichen Angriff des Angeklagten rechnete, schließt ihre Arglosigkeit in der – worauf es ankommt – konkreten Tatsituation bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs noch nicht aus (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 23. August 2000 – 3 StR 234/00 –, vom 3. September 2002 – 5 StR 139/02 – und vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04). Zudem kann das Opfer auch dann (noch) arglos sein, wenn der Täter ihm zwar mit bereits gefasstem Tötungsvorsatz offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. BGH NStZ 1999, 506; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15). Hierzu wird der neue Tatrichter nähere Feststellungen zu treffen haben.
Soweit die Tat sich gegen den Vater der Ehefrau richtete, bedarf insbesondere die Frage der Voraussetzungen für den vom Schwurgericht ohne nähere Begründung für möglich erachteten strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Tötungsdelikts (§ 24 Abs. 1 StGB) der näheren Prüfung. Die Annahme eines unbeendeten Versuchs liegt angesichts der Wucht der von dem Angeklagten geführten Stiche in den Unterleib und der Schwere der Verletzungen des Opfers nicht eben nahe (vgl. BGHSt 40, 304).
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Athing, Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Tepperwien, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2556931 |
NStZ 2006, 97 |
JA 2006, 175 |
NJW-Spezial 2006, 138 |