Verfahrensgang
LG Duisburg (Urteil vom 15.02.2005) |
Tenor
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 15. Februar 2005 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat gegen die Angeklagte Ariane G. eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und gegen den Mitangeklagten F. eine lebenslange Freiheitsstrafe jeweils wegen Mordes verhängt. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten ist – wie der Revisionsbegründung zu entnehmen ist – auf den Strafausspruch beschränkt. Sie hat keinen Erfolg.
Rz. 2
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Ehe der Angeklagten mit Alfredo G., dem späteren Tatopfer, von Tätlichkeiten und Demütigungen durch den ihr körperlich weit überlegenen Mann geprägt. Zu Beginn des Jahres 2004 unternahm die Angeklagte einen Selbsttötungsversuch mit Rattengift. Im Frühjahr 2004 entwickelte sich ein Liebesverhältnis zwischen ihr und dem Mitangeklagten F., einem Mitarbeiter in der von den Eheleuten G. gemeinsam betriebenen Eisdiele. Der Ehemann schöpfte alsbald Verdacht und es kam zu vermehrten, zunehmend heftigeren Tätlichkeiten. Dabei drohte er, sich eine Pistole zu besorgen und „uns alle umzubringen”, falls er herausfinde, dass ein Verhältnis bestünde. Die Angeklagte sah sich vor die Alternative gestellt, „ich oder er”, und entschloss sich Ende Mai 2004, ihren Mann zu ihrem eigenen Schutz zu töten, da sie subjektiv keine andere Möglichkeit gesehen habe, ihrer Ehe zu entfliehen. In der Folgezeit kam es zunächst zu drei erfolglosen Mordversuchen. In den ersten beiden Fällen setzte sie ihm mit Rattengift versetzte Speisen vor. Da eine Wirkung ausblieb, bat sie den Mitangeklagten F., Fingerhutpflanzen zu sammeln. Dieser hat ihr jedoch – „unwiderlegt” – nur harmloses Pflanzenmaterial gegeben, das sie für giftig hielt. Auch die damit zubereitete Speise verzehrte Alfredo G. folgenlos. Nachdem sich die Sorge der Angeklagten verstärkt hatte, ihr Ehemann könne Beweise für die Liebesbeziehung finden, entschloss sie sich, von weiteren Vergiftungsversuchen abzusehen und den Tod durch eine Schusswaffe herbeizuführen. Der Mitangeklagte F. besorgte einen Revolver und erschoss am 8. August 2004 nach einem gemeinsamen Tatplan auf der Rückfahrt von der Arbeitsstelle in dem von der Angeklagten geführten PKW von der Rückbank aus deren vor ihm sitzenden, arglosen Ehemann.
Rz. 3
Die Strafkammer hat einen gemeinschaftlich begangenen Heimtückemord angenommen. Die Voraussetzungen eines entschuldigenden Notstandes nach § 35 Abs. 1 StGB hat sie verneint, da die vom Ehemann ausgehende Gefahr für Leib oder Leben anders abwendbar gewesen sei. Sie hätte polizeiliche oder gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen oder Zuflucht etwa in einem Frauenhaus suchen können. Allerdings habe die Angeklagte subjektiv nicht erkannt, dass sie die Gefahr auf diese Weise hätte abwenden können; ihr Irrtum sei aber vermeidbar gewesen, weshalb eine Strafmilderung nach § 35 Abs. 2 StGB ausscheide. Jedoch lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB unter Anwendung der sog. Rechtsfolgenlösung (BGHSt 30, 105) rechtfertigen würden.
Rz. 4
Entscheidungsgründe
II. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.
Rz. 5
1. Es kann offen bleiben, ob die Annahme eines Putativnotstandes einer rechtlichen Nachprüfung standhalten könnte, da die Angeklagte hierdurch nicht beschwert wird. Allerdings weist die auf dieser Grundlage vorgenommene Strafrahmenwahl einen Rechtsfehler auf, der sich regelmäßig zu Gunsten eines Angeklagten auswirkt:
Rz. 6
Da die Strafkammer einen vermeidbaren Putativnotstand angenommen hat, hätte sie nach der zwingenden gesetzlichen Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 2 StGB die Strafe bereits aus diesem Grunde nach § 49 Abs. 1 StGB mindern müssen. Dieser Fehler wird nicht dadurch ausgeglichen, dass sie stattdessen eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB in entsprechender Anwendung der sog. Rechtsfolgenlösung (BGHSt 30, 105) vorgenommen hat und damit vom gleichen Strafrahmen ausgegangen ist. Denn die Bestimmung der Strafe aus dem erstgenannten Strafmilderungsgrund wird regelmäßig zu einem dem Angeklagten günstigeren Ergebnis führen, da die sonstigen für ihn sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte innerhalb des gemilderten Strafrahmens mit höherem Gewicht zu Buche schlagen, während sie bei der Anwendung der sog. Rechtsfolgenlösung in die der Strafrahmenmilderung zugrunde liegende Gesamtabwägung einfließen und sodann bei der konkreten Strafzumessung nicht mehr allzu gewichtig berücksichtigt werden können (BGHSt 48, 255, 263).
Rz. 7
2. Gleichwohl bedarf es einer Aufhebung des Urteils zur neuerlichen Prüfung der Straffrage nicht. Auch auf der Grundlage einer Strafrahmenverschiebung wegen eines vermeidbaren Putativnotstandes nach § 35 Abs. 2 Satz 2 StGB ist die verhängte Freiheitsstrafe von 12 Jahren schuldangemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a StPO. Dabei wird ausgehend von den Feststellungen des Landgerichts berücksichtigt, dass die Tat neben der von zahlreichen Demütigungen, Drohungen und Tätlichkeiten gekennzeichneten Vorgeschichte wesentlich auch dadurch geprägt wird, dass der Tötungsentschluss erst nach einer Zuspitzung der Situation gefasst wurde, nachdem die Angeklagte mit dem Mitangeklagten F. ein ehewidriges Liebesverhältnis aufgenommen hatte und befürchtete, ihr Ehemann könne Beweise dafür finden und entsprechend gewalttätig reagieren. Zudem waren der eigentlichen Tötung durch Erschießen drei Mordversuche vorausgegangen, wobei sich das Geschehen vom Tötungsentschluss bis zur endgültigen Beseitigung des Ehemannes über etwa drei Monate erstreckte. Es kommt erschwerend hinzu, dass die Angeklagte die Mitangeklagten, ihren Liebhaber Siegfried F., dessen Ehefrau Rahime F. und die Betriebsangehörige E. in das verbrecherische Handeln verstrickte und der Gefahr erheblicher Strafverfolgung aussetzte. Im Übrigen wird der Strafmilderungsgrund des Putativnotstandes nicht unerheblich durch den Umstand relativiert, dass der Irrtum der Angeklagten, sein Vorhandensein unterstellt, in Anbetracht der langen Überlegungszeit und der offenkundigen Abwendbarkeit der Gefahr bei nur geringer Anstrengung vermeidbar gewesen wäre, wobei die Angeklagte zudem die Versuche der Mitangeklagten E., sie von ihrem Tatplan abzubringen, missachtete.
Rz. 8
III. Das Verfahren gibt dem Senat Anlass zu folgenden Hinweisen:
Rz. 9
1. Die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit, die sowohl die drei Vergiftungsversuche als auch die Erschießung umfasst, ist rechtlich bedenklich. Die Einheitlichkeit des Zieles vermag jeweils selbständige Taten, bei denen es erst dann zu einer Folgetat gekommen ist, nachdem der vorhergehende Versuch endgültig gescheitert war, nicht zu einer Tat zu verbinden (vgl. BGHSt 41, 368 f.). Auch erscheint es fraglich, ob bei dem sich über etwa drei Monate erstreckenden Gesamtgeschehen noch von einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang gesprochen werden kann.
Rz. 10
2. Soweit das Landgericht beim dritten Vergiftungsversuch als „unwiderlegbar” davon ausgegangen ist, es habe sich tatsächlich nicht um giftige Fingerhutpflanzen, sondern um harmlose Kräuter gehandelt, ist darauf hinzuweisen, dass der Tatrichter sich auch bei entlastenden Angaben eines Angeklagten eine Überzeugung von deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden hat. Er darf solche Angaben, für deren Richtigkeit keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen und seiner Entscheidung zugrunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO § 261 Einlassung 6 und Überzeugungsbildung 29; BGH NStZ 2002, 48).
Rz. 11
3. Die Annahme eines Irrtums der Angeklagten über das Vorliegen eines Notstands im Sinne des § 35 Abs. 1 StGB ist nicht ausreichend begründet:
Rz. 12
a) Es ist bereits fraglich, ob auch in einem Fall wie hier eine gegenwärtige Gefahr, wie sie die Notstandsvorschriften nach §§ 34, 35 StGB voraussetzen, bejaht werden kann. Zwar erkennt die Rechtsprechung eine so genannte Dauergefahr als gegenwärtig an, wenn sich die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts so verdichtet hat, dass die zum Schutz des bedrohten Rechtsgutes notwendigen Maßnahmen sofort eingeleitet werden müssen, um den Schaden sicher zu verhindern (BGHSt 48, 255, 259). Dieser Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem damit zu rechnen war, dass der Aggressionstäter aus dem Schlaf heraus erwachen und sogleich zu körperlichen Misshandlungen schreiten könnte. Demgegenüber ist das Tatgeschehen hier dadurch gekennzeichnet, dass zwischen dem Entschluss zur Tötung des Ehemannes und seiner endgültigen Umsetzung ein Zeitraum von etwa drei Monaten liegt und selbst der letztlich durchgeführten Erschießung ein Vorbereitungszeitraum von über einer Woche vorausging.
Rz. 13
b) Die pauschalen Ausführungen zum Irrtum, wonach die Angeklagte „subjektiv keine andere Möglichkeit sah” (UA S. 17) und „nicht erkannt habe, dass sie die Gefahr auf die vorbezeichnete Weise Erfolg versprechend abwenden kann” (UA S. 34), erscheinen nicht ausreichend. Bei der festgestellten Sachlage, bei der die Annahme eines Putativnotstandes ohnehin fern lag, hätten die behaupteten irrigen Vorstellungen der Angeklagten näher und konkret dargelegt werden müssen, damit nachgeprüft werden kann, ob die vorgestellten Umstände, wenn sie zutreffen würden, die Annahme einer Notstandslage im Sinne des § 35 Abs. 1 StGB rechtfertigen könnten.
Rz. 14
c) Im Übrigen lässt die Beweiswürdigung der Strafkammer zu diesem Punkt eine Auseinandersetzung mit der nahe liegenden Frage vermissen, ob nicht der wahre Grund für die Entscheidung der Angeklagten, sich nicht dem Zugriff ihres Ehemannes durch eine Flucht ins Frauenhaus oder entsprechende Maßnahmen, etwa nach dem Gewaltschutzgesetz, zu entziehen, sondern diesen lieber aus dem Wege zu räumen, darin bestand, dass sie eine weitere Tätigkeit in der bislang mit ihrem Ehemann betriebenen Eisdiele und ein Verbleiben in der Ehewohnung sicherstellen wollte.
Rz. 15
4. Abgesehen von dem oben unter II. 1. näher dargelegten Vorrang der gesetzlich vorgesehenen Strafrahmenmilderung nach § 35 Abs. 2 Satz 2 StGB, erscheint hier die Anwendung der sog. Rechtsfolgenlösung rechtlich bedenklich. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass bei einem Heimtückemord im Regelfall auf eine lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen ist und eine Abweichung nur bei Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände aufweisen und die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen lassen, und nur auf Grund einer umfassenden Würdigung der Tat möglich ist (vgl. BGH NStZ 2005, 154; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 5 m. w. N.). Ob nach diesen strengen Maßstäben eine umfassende Würdigung unter Einbeziehung des Tathintergrunds des ehewidrigen Verhältnisses der Angeklagten mit dem Mitangeklagten F. und der Verstrickung der Mitangeklagten in schweres Unrecht eine Strafrahmenmilderung hätte rechtfertigen können, erscheint fraglich.
Unterschriften
Tolksdorf, Winkler, Pfister, von Lienen, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2555067 |
NStZ-RR 2006, 200 |