Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 15. Juli 1998 im Ausspruch über die Einzelstrafe wegen Vergewaltigung und über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; der Schuldspruch wird dahin klargestellt, daß die Verurteilung wegen tateinheitlicher sexueller Nötigung entfällt.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer am 22. Mai 1998 begangenen „Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung” und wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einer Woche verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen und angeordnet, daß dem Angeklagten vor Ablauf von zehn Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen sei.
Die Revision der Staatsanwaltschaft rügt mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben, zwar generell die Verletzung materiellen Rechts. Wie sich aus der Begründung der Revision ergibt, sind jedoch nicht in Frage gestellt der Schuldspruch insgesamt, die wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ausgesprochene Einzelstrafe sowie die Maßregel. Im Ergebnis hat die Staatsanwaltschaft dadurch das Rechtsmittel auf den Einzelstrafausspruch wegen „Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung” (drei Jahre Freiheitsstrafe) und den Gesamtstrafausspruch beschränkt (vgl. auch BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; BGH, Beschluß vom 23. November 1998 - 5 StR 579/98 -). Diese Sicht steht im Einklang mit der Auffassung des Generalbundesanwalts, der die insoweit beschränkte Revision vertritt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte mit der 18jährigen Tochter seiner Lebensgefährtin den Geschlechtsverkehr ausüben. Er holte sich ein 30 cm langes Küchenmesser, um „damit drohen zu können”, und betrat das Zimmer der jungen Frau, wo er zum Ausdruck brachte, er wolle sie vergewaltigen. Trotz ihrer Versuche, ihn davon abzubringen, forderte er sie mit dem Messer in der Hand auf, sich auszuziehen und ihn oral zu befriedigen. Aus Ekel davor versuchte sie zunächst, den Angeklagten manuell zu befriedigen. Danach wollte dieser mit ihr den Geschlechtsverkehr durchführen. Da dies mangels Erektion nicht gelang, verlangte der Angeklagte erneut, ihn oral zu stimulieren. Hierbei hielt er ihr das Messer „an die Halsseite”. Unter dem Eindruck dieser Bedrohung führte das Opfer den Oralverkehr durch. Sodann vollzog der Angeklagte den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß. Bevor er das Zimmer verließ, hielt er seinem Opfer „das Messer vor die Nase” und drohte mit den Worten „Du weißt ja was passiert, wenn du alles erzählst”. Das Opfer erlitt schmerzhafte Verletzungen am Geschlechtsteil.
2. Zutreffend hat das Landgericht auf den vorliegenden Sachverhalt § 177 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung des 6. Gesetzes zur Reform des Strafrechts (StrRG) vom 26. Januar 1998 (inkraftgetreten am 1. April 1998) angewandt. Der Senat stellt danach den Schuldspruch dahin klar, daß die Verurteilung wegen tateinheitlicher sexueller Nötigung entfällt. Ist die Tat im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB n.F. unter den erschwerenden Bedingungen des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. (Vergewaltigung) begangen worden, kann sie im Schuldspruch als Vergewaltigung bezeichnet werden. Für die bis zum Inkrafttreten des 33. StrÄndG gebotene Annahme zweier tateinheitlich verübter Verbrechen bei einheitlich gewaltsamer Durchsetzung des Beischlafs (§ 177 StGB a.F.) und anderer sexueller Handlungen (§ 178 StGB a.F.) ist nach der Neufassung des § 177 StGB kein Raum mehr (vgl. auch BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 10).
Bei der Strafzumessung hat der Tatrichter ersichtlich die Voraussetzungen des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB n.F. (Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat), der eine Mindeststrafe von fünf Jahren vorsieht, als erfüllt angesehen. Er hat die Tat aber als minder schweren Fall im Sinne des § 177 Abs. 5 2. Halbsatz StGB (Strafrahmen: ein Jahr bis zehn Jahre Freiheitsstrafe) gewertet; dies rügt die Staatsanwaltschaft zu Recht.
a) Für die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall angenommen werden kann, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entscheidend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Hierzu ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGHSt 26, 97, 98 f.; BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 1, 5, 6).
b) Diesen Anforderungen wird die Begründung des Landgerichts zur Annahme eines minder schweren Falles nicht gerecht.
Bei seiner Prüfung hat der Tatrichter folgende Erwägungen zu Gunsten des Angeklagten herangezogen: Dieser sei alkoholbedingt enthemmt gewesen und sei unbestraft. Er habe sich aufgrund des vorangegangenen Streits mit seiner Lebensgefährtin in einer „besonderen Ausnahmesituation und Verstimmungslage” befunden. Das Opfer habe keine ernsthaften körperlichen Verletzungen erlitten. Der Tatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB sei durch die Verwendung des Messers „in nur denkbar geringer Weise erfüllt”. Demgegenüber hat der Tatrichter als zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt: Dieser sei „unter Bruch des ihm (vom Opfer) entgegengebrachten Vertrauens massiv und zielstrebig vorgegangen”. Das Opfer habe ihm „keinerlei Veranlassung zu sexuellen Kontakten” gegeben und leide noch heute unter Schlafstörungen. Insgesamt stelle sich die Tat, so hat das Landgericht ausgeführt, als einmalige Ausnahmetat dar.
Diese Ausführungen lassen besorgen, daß das Landgericht die Milderungsgründe überbewertet und ihnen eine gegenüber dem hohen Unrechtsgehalt der Tat nicht zukommende Bedeutung beigemessen hat. Die Erwägung, die Verwendung des Messers erfülle den Tatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB in „nur denkbar geringer Weise”, ist nicht tragfähig. Der Angeklagte hat das Messer, das er eigens zur Tatbegehung eingesteckt hatte, mehrfach eingesetzt: Er hat mit dem Messer in der Hand gedroht, dieses anschließend dem Opfer an die Halsseite gesetzt und ihm schließlich „vor die Nase” gehalten. Dies stellt angesichts der dadurch für das Opfer entstandenen gefährlichen Situation keinesfalls eine geringfügige Erfüllung des Tatbestands dar. Auch kann nicht nachvollzogen werden, weshalb der Tatrichter die Streitigkeiten des Angeklagten mit seiner Lebensgefährtin als gewichtigen Strafmilderungsgrund für die Vergewaltigung von deren Tochter bewertete. Schließlich hat der Tatrichter bei der Wahl des Strafrahmens Umstände außer Acht gelassen, die er zwar bei der konkreten Strafzumessung zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, die aber auch bei der Frage, ob ein minder schwerer Fall in Betracht kam, in die Gesamtabwägung miteinzubeziehen gewesen wären: Der Angeklagte hat die Geschädigte „über einen erheblichen Zeitraum” mehrfach zu sexuellen Handlungen gezwungen – und zwar zu manuellen Berührungen, zum Oralverkehr sowie zum Geschlechtsverkehr – und den Geschlechtsverkehr ungeschützt „mit dem Risiko einer Schwangerschaft” für das Opfer durchgeführt.
Aufgrund dieser die Strafrahmenbestimmung tragenden Fehlbewertungen ist der Strafausspruch wegen Vergewaltigung und damit auch der Gesamtstrafausspruch aufzuheben.
Unterschriften
Laufhütte, Harms, Basdorf, Nack, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 541074 |
NStZ-RR 1999, 293 |