Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 17.09.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 17. September 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zur Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch des Angeklagten, das wegen Besorgnis der Befangenheit gegen den Vorsitzenden der Strafkammer gerichtet war, zu Unrecht zurückgewiesen (§ 338 Nr. 3, § 24 Abs. 1 und 2 StPO).
I.
1. Der Rüge liegt nach dem Vortrag der Revision folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde:
Am ersten Hauptverhandlungstag, dem 10. September 2003, unterbrach der Vorsitzende der Strafkammer den Angeklagten bei der Einlassung zur Sache und äußerte:
„Sie wären der erste Albaner, der sich seine Frau nicht zurechtschnitzt.”
Im weiteren Verlauf dieses Verhandlungstages während der Vernehmung der Geschädigten bemerkte er:
„Es ist bei Albanern keine Seltenheit, daß sie im Falle der Bedrohung ein Messer ziehen.”
Am Abend dieses Hauptverhandlungstages kollabierte der Angeklagte. Ein Notarzt wurde herbeigerufen. Der Angeklagte wurde in die Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt überstellt, konnte aber die Nacht wieder in seiner Zelle verbringen. Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung am 11. September 2003 nach 13.30 Uhr erklärte der Angeklagte, es gehe ihm nicht gut, er sehe schwarz vor den Augen, zittere am ganzen Körper, habe nicht geschlafen und nichts gegessen und bemühe sich, „nicht vom Stuhl zu kippen”; er könne der Verhandlung nicht folgen. Die Frage des Vorsitzenden, ob er – am Vormittag – beim Arzt gewesen sei, verneinte der Angeklagte. Darauf äußerte sich der Vorsitzende wie folgt:
„Es ist immer leicht, nicht zum Arzt zu gehen, der dann feststellt, daß einem nichts fehlt und dafür später dem Richter zu sagen, man könne der Verhandlung nicht folgen. Hören Sie auf, sich selbst zu bemitleiden. Dann sehen Sie mal, wie es Ihrer Frau ergangen ist, als sie drei- bis viermal die Woche neben dem Bett stehen mußte oder in eiserner Kälte die ganze Nacht an einem Stuhl angebunden war. Offensichtlich haben Sie die Zeit zwischen gestern Abend und heute nicht genutzt, um sich zu überlegen, etwas zur Sache zu sagen, statt dessen haben Sie sich selbst bemitleidet.”
Der Angeklagte erklärte nun, daß er heute nichts sagen könne, da er glaube, daß sich sein Zustand nicht bessern werde. Der Strafkammervorsitzende reagierte mit folgender Bemerkung:
„Es wird Ihnen nahe gelegt, über den gestrigen Tag nachzudenken. Es gab keinen Zeugen, der Sie entlastet hat. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin … (die Geschädigte) wird wohl auch durch die Sachverständigen bestätigt werden. Frau Dr. W. wird die Aussage Ihrer Ehefrau noch stützen, insbesondere wird sie darlegen, wie der psychische Knick Ihrer Frau zustande gekommen ist. Der Karren, den Sie vor sich herschieben, ist Ihnen wohl entglitten, Sie werden ihn nicht unter Kontrolle kriegen, er ist auf Bergabfahrt und wird wohl gegen die Wand fahren. Ihre Landsleute legen sehr ungern Geständnisse ab. Wenn sie verurteilt werden, fangen sie das Weinen und Zähneknirschen an. Jetzt haben Sie es noch in der Hand, etwas zu beeinflussen. Nicht mehr, wenn alle Zeugen gehört sind. Sie haben bereits zehn Stunden verhandeln lassen, allein vier Stunden das Opfer vernehmen lassen und wenn erst die letzte Zeugin gehört wird, die aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Aussage wiederholen wird, ist es schon zu spät. Pflegen Sie nicht Ihren selbstmitleidigen Zustand, sondern nutzen Sie die Zeit; reden Sie vielleicht mit Ihrer Anwältin über den gestrigen Tag.”
2. Zu dem daraufhin angebrachten Ablehnungsgesuch erklärte der Vorsitzende dienstlich, auf die beiden zuerst angeführten Äußerungen brauche er eine Stellungnahme nicht abzugeben, weil diese als Ablehnungsgrund nicht unverzüglich vorgebracht worden seien. Ohne daß er die Sachverhaltsschilderung im Ablehnungsgesuch in Abrede stellte, erklärte er weiter, aufgrund der am ersten Verhandlungstag erfolgten zehnstündigen Beobachtung des Angeklagten habe festgestellt werden können, daß der Gesundheitszustand des Angeklagten keineswegs so habe sein können, wie dieser das behauptet habe. Hierauf seien mehrere Fragen und Vorhaltungen erfolgt. Im folgenden habe er dann aufgrund der Fürsorgepflicht und im Blick auf die Beweislage nach dem ersten Sitzungstag dem Angeklagten nahegelegt, seine Einlassung zu überdenken, nachdem sämtliche sieben der am ersten Verhandlungstag vernommenen Zeugen den Angeklagten belastet hätten. Dabei habe er den Angeklagten auch auf die zu erwartende Aussage der letzten Zeugin hingewiesen, die bereits in ihrer ausführlichen polizeilichen Vernehmung die Bekundungen der Geschädigten aus ihrer Sicht als Psychiaterin gestützt habe.
3. Das Landgericht hat den Ablehnungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Hinsichtlich der beiden Äußerungen vom 10. September 2003 sei die Ablehnung verspätet und deshalb unzulässig. Die Bemerkungen vom 11. September 2003 seien kein Grund, an der Unbefangenheit des Vorsitzenden ernstlich zu zweifeln. Es gehöre zur Fürsorgepflicht des Gerichts, nach der Vernehmung fast aller Zeugen auf die Beweislage hinzuweisen und dem Angeklagten auch ein Geständnis nahezulegen, das zu einer erheblichen Strafmilderung führen könne. Es habe zudem Grund bestanden, an den Angaben des Angeklagten zu seinem Gesundheitszustand zu zweifeln.
Entscheidungsgründe
II.
Die Richterablehnung mußte für durchgreifend erachtet werden. Die Bemerkungen des Vorsitzenden der Strafkammer in der Hauptverhandlung am 11. September 2003 waren geeignet, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).
1. Der Senat legt der Beurteilung der Äußerungen des abgelehnten Vorsitzenden – die nach Beschwerdegrundsätzen zu erfolgen hat (BGHSt 18, 200) – denjenigen Sachverhalt zugrunde, den die Revision vorgetragen hat und der schon im Ablehnungsantrag dargestellt worden war. Der abgelehnte Richter ist dem in seiner Dienstlichen Erklärung in den Einzelheiten nicht entgegengetreten. Auch der zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufenen Kammer lag dieser Sachverhalt so vor. Die Staatsanwaltschaft hat eine Revisionsgegenerklärung dazu nicht abgegeben. Die Nebenklage ist der Sachdarstellung – auch in der Revisionshauptverhandlung – ebenfalls nicht entgegengetreten.
2. Die Bemerkungen des abgelehnten Richters am ersten Hauptverhandlungstag haben nicht unverzüglich zu einem Ablehnungsantrag geführt (§ 25 Abs. 2 StPO). Ein solcher Antrag hätte spätestens zu Beginn der Fortsetzung der Hauptverhandlung am folgenden Tag um 13.30 Uhr gestellt werden müssen. Das ist nicht geschehen. Die Äußerungen können deshalb das hier in Rede stehende Ablehnungsgesuch vom 11. September 2003 für sich gesehen nicht rechtfertigen. Das hat das Landgericht rechtlich zutreffend gewürdigt.
3. Hinsichtlich der Bemerkungen des abgelehnten Richters vom 11. September 2003 gilt:
a) Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten aus zu beurteilen. Ob der Richter tatsächlich parteiisch oder befangen ist, spielt keine Rolle. Mißtrauen in die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 24 Rdn. 6, 8 m.w. Nachw.). Dabei ist der Sachverhalt auch unter Berücksichtigung der Dienstlichen Erklärung des abgelehnten Richters zu beurteilen; zunächst berechtigt erscheinendes Mißtrauen ist danach möglicherweise zu überwinden (vgl. BGHSt 4, 264, 269, 270; BGH wistra 2002, 267 m.w.N.; BGH, Beschl. vom 18. November 2003 – 1 StR 481/03).
Aus der Verhandlungsführung des Richters kann sich ein solches Mißtrauen in die Unvoreingenommenheit ergeben, wenn dieser in grob unsachlicher Weise seinen Unmut zum Ausdruck bringt, wenn er den Angeklagten bedrängt, zur Sache auszusagen oder ein Geständnis abzulegen oder wenn er den Angeklagten sonst unter Verletzung des richterlichen Verhandlungsstils in unangemessener oder gar ehrverletztender Weise behandelt (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 17 mit Rechtsprechungsnachw.). Nicht zu beanstanden ist es hingegen, wenn er dem Angeklagten in nachdrücklicher Form Vorhalte macht, sich in nach Sachlage noch verständlichen Unmutsäußerungen ergeht („Unmutsaufwallungen”), auf das nach dem gegebenen Sachstand zu erwartende Verfahrensergebnis hinweist oder die Bedeutung eines Geständnisses für die Strafzumessung hervorhebt (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 18 mit Rechtsprechungsnachw.).
b) Die kritischen und nachdrücklichen Bemerkungen des Vorsitzenden zum Gesundheitszustand des Angeklagten konnten hier bei vernünftiger Betrachtung eine Voreingenommenheit des Vorsitzenden ebensowenig besorgen lassen wie die Hinweise auf das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme und deren voraussichtlichen weiteren Verlauf. Einem Richter ist es unbenommen, situationsangemessen und auf das Naturell des jeweiligen Angeklagten eingehend, entsprechende Erklärungen und Fragen auch mit Nachdruck und in klarer, dem jeweiligen Angeklagten sicher verständlicher Sprache zu formulieren. Dabei darf er auch Worte wählen, mit denen er den jeweiligen Angeklagten wirksam erreicht („individuelle Ansprache”). Wenn dies situationsbedingt in der Formulierung mit einem gewissen Unmut verbunden ist, so muß das unter den vorliegend gegebenen Umständen auch aus Sicht des Betroffenen grundsätzlich noch als nachvollziehbar erscheinen.
Hier jedoch gehen die Äußerungen des Vorsitzenden darüber hinaus. Er hat sie sicher als helfende Ansprache des Angeklagten und nicht etwa diskriminierend gemeint. Darauf aber kommt es nicht an. Entscheidend ist, wie sie sich aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten darstellen. Auch im Lichte der dazu abgegeben, allgemein gehaltenen Dienstlichen Äußerung konnten sie für diesen den Eindruck erwecken, der Vorsitzende wahre nicht mehr das gebotene und unverzichtbare Maß an Distanz und Neutralität. Das ergibt sich aus der Summe verschiedener Anhaltspunkte. So hat der Vorsitzende den Angeklagten aufgefordert, er solle mal sehen, wie es seiner Frau ergangen sei, als sie drei- bis viermal in der Woche neben dem Bett habe stehen oder in eisiger Kälte die ganze Nacht an einen Stuhl angebunden habe ausharren müssen; offensichtlich habe der Angeklagte die Zeit zwischen den beiden Verhandlungstagen nicht genutzt, um sich zu überlegen, etwas zur Sache zu sagen; statt dessen habe er sich selbst bemitleidet. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte sein Teilgeständnis noch nicht abgelegt. Die Äußerung vermittelte unter diesen Umständen – wörtlich genommen – den Eindruck, der Vorsitzende habe sich hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme bereits festgelegt. Selbst wenn sie mit dem unausgesprochenen Vorbehalt aufgenommen worden wäre, daß die weitere Beweisaufnahme und die Beratung kein abweichendes Ergebnis mehr zutage fördere, kommt ein weiteres hinzu: Der Vorsitzende hat dem Angeklagten vorgehalten, er habe „bereits zehn Stunden verhandeln lassen”. Das konnte naheliegender Weise dahin verstanden werden, dem Angeklagten werde vorwurfsvoll entgegengehalten, daß er von seinem Recht zum Leugnen Gebrauch mache und das Tatgericht damit zu einer längeren Beweisaufnahme zwinge.
c) Schließlich können hier ausnahmsweise die Äußerungen vom ersten Hauptverhandlungstag („Sie wären der erste Albaner, der sich seine Frau nicht zurechtschnitzt.”, „Es ist bei Albanern keine Seltenheit, daß sie im Falle der Bedrohung ein Messer ziehen.”) unbeschadet ihrer Präklusion nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Diese Wendungen haben zwar nicht unverzüglich zu einem Ablehnungsgesuch geführt (§ 25 Nr. 2 StPO). Ihnen kommt jedoch deshalb noch Bedeutung zu, weil dieses frühere, am Folgetag präkludierte Geschehen dem weiteren, grundsätzlich berechtigten Ablehnungsgrund ein erhöhtes Gewicht verleiht (vgl. dazu BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vorsitzender 4). Denn der Vorsitzende hat dem Angeklagten auch am 11. September 2003 entgegengehalten, „seine Landsleute” legten „sehr ungern Geständnisse ab”. In Verbindung mit den Äußerungen am vorangegangenen Hauptverhandlungstag deutete das auch für einen überlegt reagierenden Angeklagten darauf hin, der Vorsitzende könne Vorbehalte gegen Angeklagte der Volksgruppe hegen, der der Angeklagte angehört. Mit dieser Formulierung hat der Vorsitzende bei seiner Verhandlungsführung die verallgemeinernden, sachlich verfehlten Formulierungen des ersten Verhandlungstages wieder aufgegriffen und – im Empfinden des Angeklagten – belebt. Sie sind deshalb bei der Bewertung der Äußerungen vom 11. September 2003 – obwohl präkludiert – nicht völlig ohne Bedeutung. Unter all diesen Umständen konnte auch ein besonnener Angeklagter in nachvollziehbarer Weise besorgen, der Richter bringe nicht das gebotene Maß an Distanz und Neutralität ihm gegenüber mit. Da die fraglichen Äußerungen des Vorsitzenden sich nach den verschiedenen Abschnitten der Beweisaufnahme summierten, kommt auch eine Bewertung unter dem Gesichtspunkt verständlicher Unmutsaufwallung nicht mehr in Betracht.
4. Das Ablehnungsgesuch durfte nach allem nicht zurückgewiesen werden. Deshalb liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO vor. Dies zwingt den Senat nach dem Willen des Gesetzgebers, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben. Es kommt demnach nicht mehr darauf an, ob das Urteil in der Sache auf dem Mangel der Mitwirkung des zu recht abgelehnten Vorsitzenden beruhen kann und ob es sachlich-rechtlich bedenkenfrei ist.
Unterschriften
Nack, Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit, Frau Richterin am BGH Elf befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert Nack
Fundstellen
Haufe-Index 2557608 |
wistra 2004, 351 |
JuS 2004, 834 |
NStZ-RR 2004, 208 |
StV 2004, 356 |
StraFo 2004, 237 |
LL 2004, 691 |