Leitsatz (amtlich)
Einschaltungen im Sinne des § 419 ZPO sind äußerlich erkennbare Einfügungen in den Text der Urkunde, z.B. in freie Zeilen (vgl. RG Gruch 61, 489, 490), und zwar nicht nur dann, wenn feststeht, daß die bereits unterzeichnete Urkunde nachträglich geändert worden ist, sondern auch dann, wenn das nach ihrem Erscheinungsbild nur möglich ist.
Es bleibt offen, ob eine "Einschaltung" auch dann anzunehmen ist, wenn die Einfügung zwar nicht äußerlich erkennbar, aber unstreitig später geschrieben ist als der sonstige Text.
Von dem Vorbringen in einem nachgelassenen Schriftsatz hat das Gericht nur das zu verwerten, was mit dem vorangegangenen Schriftsatz des Gegners in Zusammenhang steht und sich als Erwiderung darauf darstellt.
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 05.12.1963) |
LG Duisburg |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Düsseldorf vom 5. Dezember 1963 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Ehefrau des Klägers ist Eigentümerin eines Grundstücks in D. Im Jahre 1959 betrauten sie und der Kläger den Beklagten damit, dafür zu sorgen, daß in dem Grundstück lagernder Kies und Sand abgebaut würden. Dafür sollte der Beklagte 2.000 DM erhalten.
Am 23. Juli 1959 unterzeichneten und übergaben der Kläger und seine Frau dem Beklagten mehrere gleichlautende Schriftstücke folgenden Wortlauts:
"Vollmacht
Hiermit erteilen wir ... (dem Beklagten) ... in der Sache Aussandung meines Grundstücks E.berg ... a die Vollmacht verbindlich darüber zu verhandeln.
D. den 23.7.1959"
Einige Tage später fügte der Beklagte auf einem oder zwei Blättern, auf denen bereits der oben wiedergegebene Text nebst Datum stand, zwischen Text und Datum folgenden Satz ein:
"... Mit einer einmaligen Abfindung von fünftausend DM sind wir einverstanden."
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe durch diese Einfügung die bereits unterzeichnete Urkunde verfälscht.
Der Beklagte hat dagegen behauptet, er habe die Einfügung mit Wissen und Willen des Klägers und dessen Frau vorgenommen und erst danach hätten diese den geänderten Text unterschrieben. Der eingefügte Satz habe einer am selben Tage zwischen ihnen getroffenen Vereinbarung entsprochen. Danach sei die ursprüngliche Vereinbarung nachträglich dahin geändert worden, daß er gegen Zahlung einer Vergütung von 5.000 DM vom Kläger und seiner Frau das Recht erhalten habe, das Kies- und Sandvorkommen des Grundstücks für seine eigene Rechnung auszubeuten.
Am 28. März 1960 erwirkte der Beklagte von der Stadt Duisburg die Genehmigung zum "Aussanden" des Grundstücks. Am 14. April 1960 verpachtete er es zur Ausbeutung der Kies- und Sandvorräte für 20.000 DM an den (inzwischen verstorbenen) Kaufmann Heinrich R. Am 20. April 1960 zahlte Rosenberg dem Beklagten 20.000 DM, Am Tage darauf gab der Beklagte davon 5.000 DM an den Kläger und dessen Frau weiter. Die restlichen 15.000 DM behielt er für sich.
Der Kläger hat die vom Beklagten behauptete nachträgliche Abänderung der ursprünglichen Vereinbarung bestritten. Er hat sieh die Ansprüche seiner Frau abtreten lassen und mit der Klage vom Beklagten Zahlung von 13.000 DM nebst Zinsen gefordert (15.000 DM abzüglich 2.000 DM Vergütung des Beklagten).
Der Beklagte hat die Klageforderung bestritten und hilfsweise mit Gegenforderungen in Höhe von 968 DM (Möbelkauf) und 120 DM (Ringkauf) aufgerechnet.
Der Kläger hat diese Gegenforderungen bestritten.
Das Landgericht hat der Klage in voller Höhe stattgegeben, das Oberlandesgericht in Höhe von 12.880 DM; es hat die Aufrechnung mit der Gegenforderung von 120 DM als begründet erachtet.
Mit der Revision, um deren Zurückweisung der Kläger bittet, verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf vollständige Klagabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht führt aus: Der Beklagte müsse auf Grund des Geschäftsbesorgungsvertrages, den er unstreitig am 23. Juli 1959 mit dem Kläger und dessen Ehefrau geschlossen hat, das aus der Geschäftsbesorgung Erlangte dem Kläger herausgeben (§§ 675, 667 BGB). Für die von ihm behauptete spätere Vertragsänderung habe er den ihm obliegenden Beweis nicht geführt. Die Echtheitsvermutung des § 440 Abs. 2 ZPO sei auf die Vollmachtsurkunde nicht anwendbar, die den Zusatz über die Abfindung mit 5.000 DM trage. Zwar seien die Unterschriften der Eheleute P. auf dieser Urkunde unstreitig echt. Jedoch weise die Urkunde in sich und dem Zusammenhang nach unzweifelhaft Mängel auf. Der entscheidende Zusatz über die Abfindungserklärung sei nach der Einlassung des Beklagten nicht am 23. Juli 1959, dem Datum auf der Urkunde, geschrieben, sondern erst nachträglich angefügt worden. Auch die Unterschriften der Eheleute P. seien nach der Behauptung des Beklagten nicht unter dem angegebenen Datum, sondern erst zu späterer Zeit geleistet worden. Dagegen hätten unstreitig die Eheleute P. unter dem Datum vom 23. Juli 1959 und an diesem Tage andere, bis auf den nachträglichen Zusatz gleiche Vollmachtsurkunden unterzeichnet. Der äußere Schein spreche gegen den Beklagten. Die vom Beklagten vorgelegte Vollmachtsurkunde mit dem Zusatz über die Abfindungserklärung unterliege daher hinsichtlich dieses Zusatzes der freien Beweiswürdigung (§§ 419, 286 ZPO).
1.)
Demgegenüber meint die Revision, das Berufungsgericht habe die Beweislast verkannt, § 440 Abs. 2 ZPO sei doch anwendbar.
Die Rüge ist nicht begründet.
a)
Das Berufungsgericht geht ersichtlich davon aus, daß es sich bei dem nachträglich hinzugefügten Satz um eine "Einschaltung" im Sinne des § 419 ZPO handelt; das entnimmt es der eigenen Einlassung des Beklagten. Es kann dahinstehen, ob diese allein für eine Anwendung der Vorschrift ausreichen würde. Denn im vorliegenden Fall greift § 419 ZPO, wie schon das Landgericht ausgeführt hat, jedenfalls deswegen ein, weil die nachträgliche Einfügung als solche äußerlich deutlich erkennbar ist (siehe unten). Mindestens in diesen Fällen handelt es sich um "Einschaltungen" im Sinne der genannten Gosetzesbestimmung. Diese behandelt äußere Mängel der Urkunde und nennt als Beispiele Durchstreichungen, Radierungen und Einschaltungen. Demnach sind "Einschaltungen" jedenfalls äußerlich erkennbare Einfügungen in den Text der Urkunde, z.B. in freie Zeilen (vgl. RG Gruch 61, 489, 490).
Dabei greift, im Gegensatz zur Ansicht der Revision, § 419 ZPO nicht nur ein, wenn feststeht, daß die bereits unterzeichnete Urkunde nachträglich geändert worden ist, sondern auch dann, wenn das nach ihrem Erscheinungsbild nur möglich ist. Die Revision selbst ist der Auffassung, daß bei Durchstreichungen und Radierungen § 419 ZPO auch in den Fällen zur Anwendung kommt, wo nicht feststeht, aber möglich ist, daß diese Änderungen an dem Schriftstück nach der Unterzeichnung vorgenommen worden sind. Dann kann aber für Einschaltungen nichts anderes gelten. Allen in § 419 ZPO genannten Merkmalen von Urkunden ist gemeinsam, daß sie äußerlich erkennbar den Verdacht einer Verfälschung ergeben können. Das gilt für Durchstreichungen und Radierungen, die den Wortlaut der Urkunde verkürzen, nicht minder aber auch für Einschaltungen, die ihn erweitern, und für sonstige Mängel, z.B. Löcher, abgerissene oder fehlende Teile, Beschädigungen durch Feuer, Wasser, Säuren, Farbkleckse und ähnliches, welche einen Teil des Textes unlesbar machen.
b)
Die nachträgliche Ergänzung im Text der Vollmacht vom 23. Juli 1959 ist als Hinzufügung äußerlich erkennbar, worauf auch der Beklagte selbst (S. 2 seines Schriftsatzes vom 28. Januar 1961) hingewiesen hat. Das ergibt sich aus folgendem: Die ersten drei Worte des zugefügten zweiten Satzes am Ende der vorletzten Zeile stehen etwas höher als die in derselben Zeile stehenden letzten Worte des einige Tage früher geschriebenen ersten Satzes. Der Abstand zwischen der letzten Zeile des eingefügten Satzes und dem Datum ist erheblich kleiner als der Abstand der übrigen Zeilen voneinander. Auch das Schriftbild des ursprünglichen Textes ist etwas anders als das Schriftbild des nachträglich eingefügten Satzes, worauf bereits das Landgericht hingewiesen hat (S. 7-8 a.a.O.).
Somit sind die Voraussetzungen des § 419 ZPO hier auf jeden Fall gegeben. Das Berufungsgericht durfte bei dieser Sachlage den Beweiswert der Urkunde in vollem Umfange (vgl. RGZ 29, 430; RG Warn 1909, 428) frei würdigen, ohne durch die §§ 416 und 440 Abs. 2 ZPO gebunden zu sein.
2.)
Die Revision rügt, daß das Berufungsgericht Dr. G. und Mü. nicht als Zeugen vernommen hat. Der Beklagte hatte sie in seinem nachgelassenen Schriftsatz vom 8. November 1963 benannt.
a)
Das Berufungsgericht hat diese Beweisantritte wie folgt beschieden: Der nachgelassene Schriftsatz habe gemäß § 272 a ZPO nur der Erklärung des Beklagten auf den in der letzten Berufungsverhandlung überreichten Schriftsatz des Klägers vom 22. Oktober 1963 dienen dürfen. Statt dessen habe der Beklagte völlig neue Behauptungen unter Beweis gestellt.
Das sei unzulässig und gebe auch keinen Anlaß zur Wiedereröffnung der Verhandlung; denn der Beklagte hätte G. und Mü. bereits früher benennen können.
b)
Die Revision meint demgegenüber, das Berufungsgericht hätte den gesamten Inhalt des nachgelassenen Schriftsatzes berücksichtigen müssen, auch soweit er keine Erwiderung auf den letzten gegnerischen Schriftsatz enthielt, sondern ganz neue Behauptungen unter Beweis stellte.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Sinn und Zweck des § 272 a ZPO würden verfehlt, wenn mit Hilfe des nachgelassenen Schriftsatzes der Partei unbeschränkt das Vorbringen neuer Behauptungen und Beweise ermöglicht würde, auch wenn sie mit dem vorangegangenen Schriftsatz des Gegners in keinem Zusammenhang stehen und sich nicht als Erwiderung darauf darstellen (vgl. die Urteile BGH LM Nr. 7 zu § 242 BGB (A); BGH NJW 1965, 297; BGH IV ZR 53/54 vom 6. Mai 1954 [Insoweit nicht veröffentlicht]; Stein-Jonas ZPO 18. Aufl. § 272 a III 1). Aus denselben Erwägungen hat der Senat die Erhebung einer prozeßhindernden Einrede oder einer neuen Klageforderung in einem nachgelassenen Schriftsatz nicht für zulässig erachtet (Urteile VII ZR 167/62 vom 11. November 1963 und VII ZR 256/61 vom 12. Juni 1963). Soweit der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil NJW 1952, 222 einen abweichenden Standpunkt eingenommen hat, vermag der erkennende Senat ihm nicht zu folgen. Einer Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen gemäß § 136 Abs. 1 GVG bedarf es nicht, weil der I. Zivilsenat seit 1963 nicht mehr besteht (vgl. BGHSt 11, 15, 17).
c)
Hier durfte das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß zu der Überzeugung gelangen, daß das Vorbringen des Beklagten in dem nachgereichten Schriftsatz, für welches er Mü. und G. als Zeugen benannt hatte, keine Erwiderung auf den vorangegangenen gegnerischen Schriftsatz, sondern etwas ganz Neues darstellte, welches vorzutragen dem Beklagten nicht nachgelassen worden war.
d)
Es bestand für das Berufungsgericht auch keine Pflicht zur Wiedereröffnung der Verhandlung, da es nicht gegen § 139 ZPO verstoßen hatte (vgl. RGZ 102, 266; BGH LM Nr. 1 a zu § 156 ZPO; Urteil des Senats VII ZR 220/61 vom 21. März 1963).
e)
Alles, was die Revision sonst noch vorträgt, richtet sich in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.
3.)
Nach alledem ist die Revision mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 3018618 |
DB 1966, 1184 (Volltext mit amtl. LS) |
DB 1966, 1430-1431 (Volltext mit amtl. LS) |
NJW 1966, 1657 |
NJW 1966, 1657-1658 (Volltext mit amtl. LS) |
DNotZ 1967, 177 |
DNotZ 1967, 177-178 |
MDR 1966, 835-836 (Volltext mit amtl. LS) |