Leitsatz (amtlich)
Für die Anwendung des § 419 ZPO genügt jeder äußere Mangel einer Urkunde, der geeignet ist, ihre Beweiskraft zu beeinträchtigen (hier: ein auffälliges Schriftbild und eine ungewöhnliche Anordnung der Erklärung auf dem Papier sowie ein Format der Urkunde, das auf eine nachträgliche Veränderung der ursprünglichen Größe hindeutet).
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.05.1978) |
LG Duisburg |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. Mai 1978 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsrechtszuges.
Tatbestand
Die Kläger verlangen als Erben der Frau Sibille S. - im folgenden: Erblasserin - die Rückzahlung eines Darlehens.
Am 2. November 1973 gewährte die Erblasserin dem Beklagten für ein Jahr ein mit 14 % verzinsliches Darlehen von 10.000 DM. Am 3. November 1974 erhielt sie vom Beklagten 1.400 DM als Zinsen und einigte sich mit ihm dahin, ihm das Darlehen für ein weiteres Jahr zu belassen.
Im Februar 1975 verstarb die Erblasserin. Die Kläger verlangen die Rückzahlung des Darlehens.
Die Kläger haben beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 10.000 DM nebst 14 % Zinsen seit dem 3. November 1974 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat behauptet, er habe das Darlehen auf Verlangen der Erblasserin am 8. November 1974 vorzeitig zurückgezahlt und von ihr darüber eine Quittung erhalten.
Die Kläger haben dieses Vorbringen bestritten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1.
Das Berufungsgericht hat die Quittung vom 8. November 1974 wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes als nicht beweiskräftig angesehen. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
a)
Eine Beweiskraft kommt nur echten Urkunden zu. Echt ist eine Urkunde, deren Aussteller die in ihr enthaltene Erklärung abgegeben hat.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts rührt die Unterschrift auf der Quittung vom 8. November 1974 von der Erblasserin her. Die Echtheit der Unterschrift auf dieser Urkunde steht damit fest. Nach § 440 Abs. 2 ZPO ist daher zu vermuten, daß auch die über der Unterschrift stehende Erklärung echt ist. § 416 ZPO bestimmt weiter, daß die Unterzeichnung einer Privaturkunde, um die es sich bei der Quittung handelt, vollen Beweis dafür begründet, daß die in ihr enthaltene Erklärung von dem Aussteller abgegeben ist.
Inwiefern äußere Mängel diese durch die Echtheit der Unterschrift begründete Beweiskraft einer Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern, entscheidet nach § 419 ZPO das Gericht nach freier Überzeugung. Feste Regeln über die Echtheit einer mit äußeren Mängeln behafteten Urkunde lassen sich nicht aufstellen. Selbst eine Urkunde, die erhebliche äußere Mängel aufweist, muß nicht ganz oder teilweise unecht sein (vgl. Senatsurteile vom 17. Mai 1965 - III ZR 257/64 = WM 1965, 1062 und vom 21. Dezember 1967 - III ZR 6/67 = VersR 1968, 309).
b)
Das Berufungsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen, hat aber angenommen, § 419 ZPO sei hier nicht unmittelbar anwendbar, weil die Quittung äußerlich unversehrt und unverändert sei. Damit hat es den Anwendungsbereich der Vorschrift zu eng gesehen. Auf seine Ausführungen über eine hier gebotene analoge Anwendung der Vorschrift kommt es deshalb nicht an.
Wann äußere Mängel die Beweiskraft einer Urkunde beeinträchtigen, läßt sich nicht abschließend festlegen. Das Gesetz stellt Durchstreichungen, Radierungen und Einschaltungen nur als Beispiele neben "sonstige äußere Mängel". Die Anwendbarkeit von § 419 ZPO hängt mithin nicht, wie das Berufungsgericht angenommen hat, von dem Vorhandensein bestimmter äußerer Mängel ab. Beachtlich sind daher nicht nur Mängel, die zu einer Beschädigung der Urkunde oder einer Änderung des Textes (vgl. dazu BGH Urteil vom 2. Juni 1966 - VII ZR 41/64 = LM ZPO § 419 ZPO Nr. 1 = WM 1966, 863) geführt haben. Entgegen der Auffassung der Revision kann auch eine von Änderungen und Beschädigungen freie Urkunde äußerliche Mängel aufweisen, die ihren Beweiswert beeinträchtigen.
Allen in § 419 ZPO genannten Merkmalen von Urkunden ist gemeinsam, daß sie äußerlich erkennbar den Anschein einer Verfälschung ergeben können. Das gilt für Durchstreichungen und Radierungen, die den Wortlaut der Urkunde verkürzen, nicht minder aber auch für Einschaltungen, die ihn erweitern, und für sonstige Mängel, wie Risse, Löcher und andere Beschädigungen, die geeignet sind, den Inhalt einer Urkunde zu verändern. Denselben Anschein können aber auch, wie das Berufungsgericht rechtsbedenkenfrei angenommen hat, ein auffälliges Schriftbild und/oder eine ungewöhnliche Anordnung der Erklärung auf dem Papier und dessen auf eine künstliche nachträgliche Veränderung hinweisendes Format erwecken.
c)
Das Berufungsgericht hat eine Fälschung der Quittung vom 8. November 1974 nicht festgestellt, sondern nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde nur den Verdacht einer Fälschung als "sehr naheliegend" und sich "aufdrängend" angesehen und dies für eine Anwendung des § 419 ZPO genügen lassen. Diese Auffassung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. § 419 ZPO greift nicht erst ein, wenn feststeht, daß eine bereits unterzeichnete Urkunde nachträglich geändert worden ist, sondern auch schon dann, wenn eine solche Veränderung nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde nur möglich ist (BGH LM ZPO § 419 Nr. 1).
2.
Das Berufungsgericht hat der Quittung vom 8. November 1974 einen Beweiswert abgesprochen, weil sie sich auf einem Blatt Pepier befinde, das zunächst ein anderes Format gehabt habe. Ein Teil des Blattes sei abgeschnitten. Der Text der Quittung sei auf dem oberen Teil des Blattes in ungewöhnlicher Form "zusammengequetscht". Das Datum befinde sich am äußersten Rand des Blattes. Jedem Betrachter dränge sich sogleich der Gedanke auf, auf dem abgeschnittenen Teil des Blattes habe zunächst ein anderer Text gestanden, den die Erblasserin unterschrieben habe. Nach der Kürzung des Blattes sei auf dem über der Unterschrift verbliebenen geringen Raum dann ein neuer Text niedergeschrieben worden. Der Beklagte habe das ungewöhnliche Aussehen der Urkunde nicht einleuchtend erklären können.
a)
Ob eine Urkunde äußerliche und für ihre Beweiskraft erhebliche Mängel auf weist, stellt eine vom Tatrichter nach § 286 ZPO zu entscheidende Frage dar (RG SA 67 S. 293). Die Würdigung erstreckt sich auf die gesamte Beweiskraft der Urkunde und nicht nur darauf, welcher Einfluß dem Mangel als solchem beizulegen ist (RGZ 29, 430, 433).
b)
Die Revision zeigt keine danach beachtlichen Rechtsfehler des Berufungsurteils auf. Seine Ausführungen sind mit den von ihm getroffenen Feststellungen vereinbar. Die Rüge der Revision, nicht selten würden, wenn Quittungsvordrucke fehlten, Hälften oder sonst verkleinerte Bogen für die Herstellung des regelmäßig nur kurzen Textes einer Quittung verwertet, geht an dem hier als ungewöhnlich anzusehenden Umstand vorbei, daß der Text am oberen Rand des Bogens "zusammengequetscht" war. Dasselbe gilt für die weitere Rüge, die Überlegung des Berufungsgerichts, aus der Gestaltung der Urkunde dränge sich der Gedanke auf, auf dem abgeschnittenen Teil des Blattes habe zunächst ein anderer Text gestanden, stelle eine bloße Mutmaßung dar.
c)
Auch soweit die Revision beanstandet, daß das Berufungsgericht die Zeugenaussage der Ehefrau des Beklagten als nicht zuverlässig angesehen hat, bleiben die Rügen erfolglos. Das Berufungsgericht hat hierbei nicht nur auf Widersprüche zwischen den Angaben des Beklagten und der Zeugin abgehoben, sondern deren Aussage auch inhaltlich für nicht wahrscheinlich gehalten. Diese Würdigung läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
3.
Nach den weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte die von ihm behauptete Rückzahlung des Darlehens auch nicht durch sonstige Beweismittel beweisen können. Gegen diese rechtsbedenkenfreien Ausführungen wendet sich die Revision nicht.
Das Rechtsmittel mußte danach erfolglos bleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 3018772 |
NJW 1980, 893 |
NJW 1980, 893-894 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1980, 385 (Volltext mit amtl. LS) |