Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Wertermittlung (§ 242 BGB), die der pflichtteilsberechtigte Erbe von einem angeblich vom Erblasser beschenkten Miterben auf seine eigenen Kosten wünscht, setzt nicht voraus, daß sein möglicher Pflichtteilsergänzungsanspruch dem Grunde nach bereits feststeht (Ergänzung zu BGHZ 108, 393).
Normenkette
BGB §§ 242, 2314
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 03.11.1992) |
LG Siegen |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 3. November 1992 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind Brüder. Sie haben ihren am 15. Februar 1991 verstorbenen Vater kraft Gesetzes zu je einem Siebtel beerbt.
Der Erblasser hatte ein Unternehmen für die Herstellung und den Vertrieb von Feuerschutzgeräten und von Gegenständen des Luftschutzbedarfs. Mit Wirkung vom 1. Januar 1968 nahm er den Beklagten in das Geschäft auf. Von dem Kapital der damals gegründeten. Kommanditgesellschaft standen dem Erblasser als persönlich haftendem Gesellschafter und dem Beklagten als Kommanditisten je 20.000 DM zu. Aufgrund Neufassung des Gesellschaftsvertrages vom 28. Juli 1982 waren seit 1985 der Erblasser mit 34 % und der Beklagte mit 66 % an Gewinn und Verlust beteiligt. In diesem Vertrag ist ferner vereinbart, daß der Erblasser bei seinem Tod „unter Einschluß der Erben” aus der Gesellschaft ausscheidet und daß der Beklagte das Geschäft alleine fortführt. Die für diesen Fall vorgesehene Zahlung einer Rente an die Mutter des Beklagten (40 % der letzten Tätigkeitsvergütung des Erblassers; 1982: 4.200 DM) brauchte nicht gezahlt zu werden, weil diese vorverstorben war. Für die übrigen sechs Kinder des Erblassers war eine Abfindung vorgesehen. Zu diesem Zweck sollte eine Abfindungsbilanz nach Buchwerten und ohne Ansatz für Firma, Kundschaft und schwebende Geschäfte erstellt werden. Der daraus abgeleitete Buchwert des Kapitalanteils (20.000 DM) des Erblassers sollte vorab um 20 % zugunsten des Beklagten gekürzt werden. Nur die restlichen 80 % sollten an die übrigen Abkömmlinge des Erblassers gehen, und zwar bei 4 %iger Verzinsung in fünf gleichen Jahresraten, beginnend sechs Monate nach dem Tod des Erblassers.
Mit dieser Abfindung ist der Kläger nicht einverstanden. Er beansprucht eine Entschädigung nach dem vollen Wert des Gesellschaftsanteils des Erblassers zum Erbfall (15. Februar 1991); der Vertrag vom 28. Juli 1982 enthalte eine Schenkung an den Beklagten. Der Beklagte tritt dem entgegen, er beruft sich auf seine Verpflichtung zu Rentenleistungen an die Mutter und zur Abfindung der Geschwister. Überdies seien Ende der 80er Jahre außerordentliche Gewinnsteigerungen eingetreten, die 1982 nicht hätten vorhergesehen werden können. Es müsse auf den Niederstwert am 28. Juli 1982 abgestellt werden. Die Klage, die zunächst auf Vorläge eines Gutachtens über den Verkehrswert des Anteils des Erblassers beim Erbfall auf Kosten des Nachlasses ging, hat das Landgericht abgewiesen. Dagegen hat das Berufungsgericht den Beklagten verurteilt, einem Sachverständigen ohne Eingehung einer eigenen Vergütungspflicht Auftrag zur Erstattung des gewünschten Gutachtens auf Kosten des Klägers zu erteilen und dem Sachverständigen dessen Erstattung zu ermöglichen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Beklagten; dieser erstrebt die Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, kann der eingeklagte Anspruch nicht auf § 2314 BGB gestützt werden. Diese Vorschrift ist auf den pflichtteilsberechtigten Nichterben zugeschnitten. Eine Ausdehnung der Norm auf den pflichtteilsberechtigten Erben lehnt die höchstrichterliche Rechtsprechung beständig ab (BGHZ 108, 393, 395; vgl. auch BGHZ 107, 200, 203). In Betracht kommt hier aber ein erbrechtlicher Wertermittlungsanspruch aus § 242 BGB (BGHZ 108, 393).
Entgegen der Auffassung der Revision sind die Voraussetzungen für einen derartigen Anspruch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllt.
I.
1. Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe ausdrücklich offengelassen, ob der Erblasser dem Beklagten mit dem Vertrag vom 28. Juli 1982 überhaupt etwas geschenkt hat, und dem Kläger gleichwohl den Wertermittlungsanspruch zugebilligt. Das sei rechtsfehlerhaft, weil ein Wertermittlungsanspruch gemäß § 242 BGB voraussetze, daß der Pflichtteilsergänzungsanspruch, um den es dem Kläger geht, dem Grunde nach bereits feststehe und nur seinem Inhalt nach noch offen sei. Dieser Revisionsangriff ist unbegründet.
Mit Recht hebt die Revision allerdings hervor, daß der Senat in seinem Urteil vom 4. Oktober 1989 (BGHZ 108, 393) nicht entschieden hat, ob der Wertermittlungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Miterben gemäß § 242 BGB voraussetzt, daß sein möglicher Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den angeblich beschenkten Miterben dem Grunde nach bereits feststeht. Auf diese Frage kam es nicht an, weil die Schenkung, auf die die damalige Klägerin sich seinerzeit stützte, unstreitig war. Entschieden worden ist die Frage jedoch vom II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 8. Juli 1985 (II ZR 150/84 – NJW 1986, 127, 128 – LM BGB § 2314 Nr. 14) ausgesprochen, der (erbrechtliche) Wertermittlungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Erben gegen den Beschenkten aus § 242 BGB setze nicht voraus, daß die angebliche Schenkung bereits feststehe. Da das Verlangen jedoch, nicht auf eine reine Ausforschung hinauslaufen dürfe, sei es allerdings geboten, daß der Pflichtteilsberechtigte gewisse Anhaltspunkte für die von ihm behauptete unentgeltliche Verfügung des Erblassers nachweise. Das sei aber auch genügend.
Diese Rectatsauffassung steht mit der Auffassung des erkennenden Senats in Einklang. In seiner Rechtsprechung hat er über den Wortlaut des § 2314 BGB hinaus Ansprüche auf Auskunft und Wertermittlung auch gegen den Beschenkten zugebilligt, und zwar sowohl dem Wichterben als auch dem Erben. Zwar heißt es in BGHZ 89, 24, der Wertermittlungsanspruch könne nicht schon auf den begründeten Verdacht hin, der Erblasser habe einen bestimmten Gegenstand innerhalb der Frist des § 2325 BGB weggeschenkt, zugebilligt werden. Es müsse vielmehr bewiesen werden, daß es sich um eine ergänzungspflichtige Schenkung handele. Indessen liegt dem, wie der II, Zivilsenat zutreffend dargelegt hat (NJW 1986, 128 = LM BGB § 2314 Nr. 14 Bl. 2R), maßgeblich die Überlegung zugrunde, daß in solchen Fällen der Nachlaß in unzumutbarer Weise mit Kosten belastet wurde. Dieser Gesichtspunkt kann jedoch nicht eingreifen, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Kosten – wie hier – selbst übernehmen will.
2. Die Voraussetzungen für einen Wertermittlungsanspruch sind hier erfüllt.
Das Berufungsgericht sieht einen erheblichen Anhaltspunkt für eine Schenkung des Erblassers u.a. darin, daß der Gesellschaftsvertrag von 1982 eine Abfindung nur auf der Grundlage einer Bilanz nach Buchwerten und ohne Berücksichtigung von Firma, Kundschaft und schwebenden Geschäften vorsieht. Hierin liegt eine deutliche Begrenzung der Abfindungsansprüche, Hinzu kommt, wie die Revisionserwiderung mit Recht betont, daß der Gesellschaftsvertrag die vertragliche Abfindung für den Fall der Geltendmachung zusätzlicher Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüche gänzlich wegfallen lassen will. Schon diese Umstände stellen ausreichende und greifbare Anhaltspunkte dafür dar, daß es sich angesichts der vom Beklagten übernommenen Verpflichtungen zwar nicht um eine unentgeltliche Zuwendung, aber um eine gemischte Schenkung handeln dürfte.
II.
1. Gemäß § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB kommt es für eine Pflichtteilsergänzung bei anderen als verbrauchbaren Sachen zunächst auf den Wert an, den der weggeschenkte Gegenstand zur Zeit des Erbfalles hatte. War der Gegenstand aber zur Zeit der Schenkung geringer, dann ist nur dieser in Ansatz zu bringen (Niederstwertprinzip). Dementsprechend hat eine geschuldete Wertermittlung zu diesen beiden Stichtagen stattzufinden (BGHZ 108, 393, 397). Indessen nimmt das Berufungsgericht mit Recht an, daß der Zeitpunkt der Schenkung im Sinne des Niederstwertprinzips der Tag des Schenkungsvollzuges ist (BGHZ 65, 75, 76; 85, 274, 282; 118, 49, 52), nämlich der Tag des Eigentumsübergangs oder hier des Übergangs des Gesellschaftsanteils. Dieser Zeitpunkt fällt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, mit dem Erbfall zusammen. Erst mit dem Tode des Erblassers erlangte der Beklagte zu seinem eigenen Kommanditanteil dessen Gesellschaftsanteil hinzu; erst dann endete die Gesellschaft durch Vereinigung beider Gesellschaftsanteile in der Hand des Beklagten.
Von dieser Berechnungsweise hat der Senat in BGHZ 85, 274, 283 eine Ausnahme nur für einen Fall gemacht, in dem das maßgebende Schenkungsversprechen sogar nach dem Erbfall (möglicherweise) noch nicht vollzogen war. So liegt die hier zu entscheidende Sache aber nicht. Die Vollziehung des Schenkungsversprechens fällt vielmehr mit dem Erbfall zusammen. Ob an der damals gefundenen Lösung, die auf Kritik gestoßen ist (Soergel/Dieckmann, BGB 12. Aufl. § 2325 Rdn, 50; MK-Frank, BGB 2. Aufl. § 2325 Rdn, 21), noch festgehalten werden könnte, ist daher hier nicht zu entscheiden.
2. Die Revision vertritt demgegenüber die Auffassung, die angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes betreffe lediglich Grundstücksschenkungen, Dabei handele es sich um einen Sonderfall, dessen Grundsätze auf die Schenkung von Gesellschaftsanteilen nicht übertragen werden könnten. Damit unterliegt die Revision einem Irrtum. Die in einem einzelnen Urteil des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 25. Mai 1970 – III ZR 141/68 – NJW 1970, 1638) vertretene andere Auffassung, auf die die Revision zurückkommt, hat der erkennende Senat in BGHZ 98, 226, 233 „zur Vermeidung schwerwiegender Fehlentwicklungen” ausdrücklich aufgegeben. Die Besonderheiten des Gesellschaftsrechts und der inneren Verhältnisse in einer Personengesellschaft rechtfertigen keine Ausnahmen von dem zwingenden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsrecht.
3. Die Revision rügt weiter, maßgebender Zeitpunkt für die Wertermittlung könne hier nicht der Erbfall sein. Der Wert des Anteils des Erblassers bei dessen Tod gebe keinen Aufschlug über die vorrangige und bisher nicht entschiedene Frage, ob der Gesellschaftsvertrag vom 28. Juli 1982 aus der damaligen Sicht des Erblassers und des Beklagten eine (gemischte) Schenkung darstelle. Die Bewertung setze gerade die Feststellung voraus, was überhaupt geschenkt sei. Das gelte um so mehr, als der Beklagte vor dem Tatrichter vorgetragen habe, Ende der 80er Jahre seien außerordentliche Gewinnsteigerungen eingetreten, die im Jahre 1982 nicht vorhersehbar gewesen seien. Buch- und Verkehrswert seien am 28. Juli 1982 erheblich geringer gewesen als beim Erbfall.
Hieran ist richtig, daß das dem Kläger zugebilligte Wertermittlungsgutachten, das sich nur auf den Wert des Gesellschaftsanteils des Erblassers beziehen soll, für sich allein nicht geeignet ist zu belegen, der Vertrag vom 28. Juli 1982 enthalte eine gemischte Schenkung des Erblassers an den Beklagten. Das ist hier aber nicht entscheidend. Der Kläger ist berechtigt, Wertermittlung auf eigene Kosten zu verlangen als Grundlage für den Entschluß, ob er seinen möglichen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend macht oder nicht.
Unterschriften
Bundschuh, Dr. Schmidt-Kessel, Römer, Dr. Schlichting, Terno
Fundstellen
Haufe-Index 1128822 |
NJW 1993, 2737 |
Nachschlagewerk BGH |