Entscheidungsstichwort (Thema)
Notarielle Beratungspflichten beim Erbauseinandersetzungsvertrag
Leitsatz (amtlich)
Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens gilt auch bei Verträgen zwischen Familienangehörigen. Sie ist erst erschüttert, wenn tatsächliche Umstände festgestellt sind, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit ergibt, daß die Vertragsteile sich bei Vereinbarung der konkret nachteiligen Klausel wesentlich auch von verwandtschaftlicher Rücksichtnahme haben leiten lassen.
Die Aussicht, daß aus einer Konkursmasse irgendwann nach Erhebung der Regreßklage gegen den Notar eine Quote von ungewisser Höhe gezahlt werden kann, stellt regelmäßig keine anderweitige Ersatzmöglichkeit dar.
Normenkette
BNotO § 19 Abs. 1 S. 1; BGB § 249; ZPO § 287 Abs. 1; BNotO § 19 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) |
LG Osnabrück |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 9. Oktober 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der beklagte Notar beurkundete am 29. Juni und 11. August 1987 einen Erbauseinandersetzungsvertrag, durch den die Klägerin und zwei ihrer Söhne Miteigentumsanteile an verschiedenen Eigentumswohnungen für 230.000 DM an einen dritten Sohn, H. S., übertrugen. Leistungen von 100.000 DM, die dieser zuvor an die Verkäufer erbracht hatte, wurden angerechnet. Nach der letzten Vertragsfassung sollte ein der Klägerin gebührender Restbetrag des Kaufpreises in Höhe von mindestens 65.000 DM zuzüglich 6 % Jahreszinsen in monatlichen Raten von 500 DM an die Klägerin gezahlt werden. Die Veräußerer erklärten die Auflassung ihrer Eigentumsanteile und bewilligten die Umschreibung im Grundbuch.
Am 26. August 1987 ließ der Erwerber eine Grundschuld von 220.000 DM zugunsten eines Kreditinstituts eintragen. Nachdem er mit der Zahlung der Kaufpreisraten in Rückstand geraten war, bewilligte er der Klägerin im Jahre 1990 eine weitere Grundschuld von 70.000 DM. 1993 fiel der Erwerber in Konkurs. Aus der Verwertung der Eigentumswohnung erhielt die Klägerin 2.000 DM auf ihre Grundschuld.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten 68.000 DM Schadensersatz, weil er sie bei der Vertragsbeurkundung unstreitig nicht auf die Möglichkeit einer grundbuchlichen Absicherung hingewiesen hat. Ihre in erster Linie auf Zahlung dieses Betrages, hilfsweise auf Feststellung der Ersatzpflicht gerichtete Klage blieb in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt schon wegen des Hauptantrags zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Soweit die Klägerin Zahlung von 68.000 DM verlange, habe sie für einen Schaden in diesem Umfange nichts vorgetragen. Soweit sie hilfsweise Zahlung des Betrages Zug um Zug gegen Abtretung aller Ansprüche gegenüber dem Konkursverwalter verlange, sei das unbegründet, weil der Beklagte kein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht habe.
Der weiter hilfsweise gestellte Antrag der Klägerin auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht des Beklagten sei unbegründet. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beklagte zur Belehrung der Klägerin verpflichtet gewesen sei. Jedenfalls habe eine unterbliebene Belehrung keinen Schaden der Klägerin verursacht. Der Beklagte habe substantuert sowie unter Beweisantritt vorgetragen, daß der Grundstückserwerb nur gegen eine Beleihung in Höhe von 220.000 DM möglich gewesen sei. Demgegenüber trage die Klägerin keine Tatsachen vor, aus der die Bereitschaft des Kreditinstuts entnommen werden könnte, ihr eine vorrangige Sicherung einzuräumen. Soweit sie behaupte, bei korrekter Belehrung durch den Beklagten und ohne erstrangige Absicherung das Grundstücksgeschäft mit ihrem Sohn nicht getätigt zu haben, sei sie beweisfällig geblieben. Sie hätte darlegen müssen, weshalb eine unzureichende Sicherung sie vom Grundstücksgeschäft abgehalten hätte. Es dürften nicht die Maßstäbe wie für Vereinbarungen unter Fremden angelegt werden. In dieser Hinsicht sei schon die Abtragung einer Restschuld von 65.000 DM in monatlichen Raten von 500 DM verwunderlich. Sogar wenn der Erwerber nur noch 130.000 DM des Restkaufpreises hätte finanzieren müssen, könne die Eintragung einer Grundschuld von 220.000 DM nicht zu Lasten des Beklagten gehen. Es sei nicht Aufgabe des Notars darauf hinzuwirken, daß den Beteiligten vorangehende Grundstücksbelastungen niedriger ausfallen, damit die im Rang nachfolgenden nicht gefährdet werden.
II.
Das ist, wie die Revision zutreffend rügt, rechtlich nicht haltbar.
1. Nach dem unstreitigen Parteivortrag hat der Beklagte seine Belehrungspflicht verletzt.
Soll eine ungesicherte Vorleistung, die als solche nicht ohne weiteres erkennbar ist, vereinbart werden, so muß der Notar gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BeurkG über die Folgen belehren, die im Falle der Leistungsunfähigkeit des durch die Vorleistung Begünstigten eintreten werden und Wege aufzeigen, wie dieses Risiko vermieden werden kann (BGH, Urt. v. 29. Oktober 1987 – IX ZR 181/86, VIM 1988, 337, 340; v. 6. Oktober 1988 – IX ZR 142/87, WM 1988, 1752, 1754; v. 21. März 1989 – IX ZR 155/88, WM 1989, 822, 824; v. 27. Oktober 1994 – IX ZR 12/94, NJW 1995, 330, 331; Hill WM 1982, 890, 892 m.w.N.; Ganter WM 1993 Sonderheft 1 S. 5 f und WM 1996, 701, 704). Das gilt regelmäßig auch bei den üblichen entgeltlichen Verkehrsgeschäften zwischen nahen Familienangehörigen. Ohne besondere Umstände hat der Notar keinen Anlaß für die Annahme, Angehörige wollten einen Vertrag allein wegen ihrer Verwandtschaft unter Abweichung von den normalen Sicherungsvorkehrungen beurkunden lassen.
Im vorliegenden Falle hat die Klägerin ihren eigenen Miteigentumsanteil an ihren Sohn H. S. übertragen, während der Kaufpreis in monatlichen Raten entrichtet werden sollte, die eine mehr als zehnjährige vertragsgerechte Zahlung erforderten. Der im Falle der Insolvenz des Käufers drohende endgültige Verlust war für einen rechtlichen Laien nicht ohne weiteres erkennbar. Allein ein Kreditbedarf des erwerbenden Sohnes berechtigte den Beklagten nicht zu der Annahme, die Klägerin wolle das Eigentum ihrem Sohn notfalls auch unter Verlust der Gegenleistung, also teilweise unentgeltlich überlassen. Im Gegenteil hängt von der Grundstücksübertragung an Kinder häufig sogar die Alterssicherung der veräußernden Eltern ab. Daß die Klägerin, eine Hausfrau, die von einer ungesicherten Vorleistung ausgehende Gefahr etwa selbst erkannt hätte, behauptet der Beklagte nicht.
2. Die Belehrungspflicht oblag dem Beklagten jedenfalls gegenüber der Klägerin als Urkundsbeteiligter. Durch die unterlassene Belehrung hat er eine ihr gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt (§ 19 Abs. 1 Satz 1 BNotO). Seine Unterlassung war fahrlässig, weil der Notar seine Dienstpflichten kennen und einhalten muß.
3. Die Klägerin hat schlüssig dargetan, daß ihr durch die Amtspflichtverletzung ein Schaden entstanden ist.
a) Zur Beantwortung der Frage, welchen Schaden eine Amtspflichtverletzung zur Folge hat, ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten und wie die Vermögenslage des Betroffenen sein würde, wenn der Notar die Pflichtverletzung nicht begangen hätte (BGHZ 96, 157, 171; BGH, Urt. v. 4. Juni 1992 – IX ZR 58/91, WM 1992, 1497, 1500). Hat der Notar eine gebotene Belehrung unterlassen, so ist zu fragen, wie die Dinge bei pflichtgemäßem positiven Handeln des Notars gelaufen wären (BGH, Urt. v. 16. Juni 1988 – IX ZR 69/87, WM 1988, 1454, 1457; v. 2. November 1989 – IX ZR 15/89, WM 1990, 157, 160). Die erforderliche Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs gehört zur haftungsausfüllenden Kausalität, so daß dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO zugute kommt (BGH, Urt. v. 14. März 1985 – IX ZR 26/84, NJW 1986, 1329, 1331; v. 14. Mai 1992 – IX ZR 262/91, VW 1992, 1533, 1538; v. 9. November 1995 – IX ZR 161/94, WM 1996, 71, 73).
Das Berufungsurteil läßt nicht erkennen, daß das Berufungsgericht dies gesehen hat.
b) Schuldet der Notar einen bestimmten Rat oder eine bestimmte Warnung, so spricht eine Anscheinsvermutung dafür, daß die Beteiligten dem gefolgt wären (BGH, Urt. v. 23. Mai 1960 – III ZR 110/59 DNotZ 1961, 162, 163; v. 12. Juli 1968 – VI ZR 91/66, DNotZ 1969, 173, 177; v. 19. Dezember 1991 – IX ZR 8/91, VW 1992, 527, 528; v. 27. Oktober 1994 – IX ZR 12/94, NJW 1995, 330, 332 m.w.N.). Dem Notar bleibt es überlassen, diesen Zusammenhang zu erschüttern. Auch das ist im Berufungsurteil nicht berücksichtigt. Das Berufungsgericht geht von einer Behauptung der Klägerin aus, daß sie den Vertrag bei der vom Beklagten geschuldeten Belehrung nicht abgeschlossen hätte. Wenn es die Klägerin insoweit für beweisfällig gehalten hat, beruht das auf einem Rechtsfehler.
Im vorliegenden Falle hatte der Beklagte die wirtschaftliche Gefahr aufzuzeigen, die aus Rechtsgründen mit der ungesicherten Vorleistung verbunden war, welche die Klägerin auf sich nehmen wollte. Eine vernünftige Partei beachtet eine solche Warnung und schließt den Vertrag nicht in dieser Form. Allein der Umstand, daß die Verkäuferin die Mutter des Käufers ist, genügt nicht, um die aufgezeigte Lebenserfahrung zu erschüttern. Das Berufungsgericht zeigt keine Lebenserfahrung dahin auf, daß Familienangehörige in eigenen wirtschaftlichen Angelegenheiten regelmäßig unvernünftig handeln. Als Anhaltspunkt ist es auch belanglos, daß die Klägerin überhaupt bereit war, dem Erwerber langfristige Ratenzahlungen einzuräumen; deswegen mußte sie erst recht um eine Sicherstellung bemüht sein.
Allerdings reicht es zur Erschütterung des Anscheinsbeweises regelmäßig aus, wenn zusätzliche Umstände festgestellt werden, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit ergibt, da(3 sich bei dem Rechtsgeschäft entscheidend auch familiäre Rücksichtnahmen ausgewirkt haben (vgl. dazu BGH, Urt. v. 26. November 1953 – III ZR 98/52, DNOtZ 1954, 319, 323). Dafür genügt nicht schon ein solcher Einfluß auf die Vertragsbereitschaft Oberhaupt. Vielmehr muß manches dafür sprechen, daß sich die Rücksichtnahme gerade auch auf die konkret nachteilige Vertragsgestaltung ausgewirkt hat. Das käme hier etwa in Betracht, wenn der Sohn einen dringenden Geldbedarf gehabt hätte und eine Bereitschaft der Klägerin als Mutter feststünde. ihm notfalls auf eigene Kosten zu helfen. Das Vorliegen solcher Anhaltspunkte hat aber der Schädiger zu beweisen; erst dann entfällt die Anscheinsvermutung für den Ursachenzusammenhang.
Die Umstände, auf welche die Revisionserwiderung sich Stützt, genügen allein nicht zur Erschütterung der Anscheinsvermutung. Nach § 2 Abs. 2 Buchst. a des notariellen Kaufvertrages hatte der Käufer an seine Mutter – die Klägerin – und seine zwei Geschwister insgesamt bereits 100.000 DM bezahlt. Da dies im Rahmen einer Erbauseinandersetzung erfolgte. rechtfertigt es nicht den Schluß, die Klägerin sei ihrerseits zu ungesicherten Vorleistungen bereit gewesen. Ferner ist es in dieser Hinsicht bedeutungslos, daß die Klägerin nach der Einstellung der Kaufpreiszahlungen durch ihren Sohn nicht zwangsweise gegen ihn vorging und ihn damit nicht möglicherweise früher in den Konkurs trieb.
c) Überdies hatte die Klägerin – wie die Revision zutreffend rügt – ausdrücklich behauptet, daß aufgrund einer Belehrung des Notars der Grundstückserwerber ihren Restkaufpreisanspruch erstrangig abgesichert hätte (S. 3 der Berufungsbegründung vom 29.5.1995). Zwar mag für ein solches Verhalten des Vertragspartners keinerlei Beweiserleichterung eingreifen. Das Berufungsgericht hätte aber den als Zeugen genannten Erwerber vernehmen müssen. Allein der Hinweis auf einen angeblichen Kreditbedarf des Erwerbers rechtfertigt es nicht. von dessen Vernehmung abzusehen. Da er auf den Kaufpreis unstreitig bereits 100.000 DM angezahlt hatte, blieb lediglich ein Kaufpreisrest von 130.000 DM zu finanzieren. Der Erwerber hat die Eigentumswohnung alsbald mit einer Grundschuld in Höhe von 220.000 DM belastet. Wenn er zusätzliche Schulden sichern mußte. lag es allein in der Entschließung der Kaufvertragsteile, ob sie diese Schulden oder den Kaufpreisanspruch der Klägerin als vorrangig behandelten.
d) Die Erwägung des Berufungsgerichts, es sei nicht Aufgabe des Notars darauf hinzuwirken, daß den Beteiligten vorangehende Grundstücksbelastungen niedriger ausfallen, ist im vorliegenden Zusammenhang bedeutungslos. Wenn der Notar vor ungesicherten Vorleistungen zu warnen hat, fällt es in den Schutzbereich dieser Pflicht, daß der zu Belehrende sich rechtzeitig für eine Sicherheit entscheiden kann, die ihm dann den nach den Umständen möglichen Vorrang sichert.
III.
Das angefochtene Urteil beruht danach auf Rechtsfehlern. Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO).
1. Die Subsidiarität der Notarhaftung steht der Klage aufgrund des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes nicht entgegen.
a) Zwar kann der Notar, dem nur Fahrlässigkeit zur Last fällt, wegen eines Belehrungsfehlers gemäß § 19Abs. 1 Satz 2 BNotO nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Als anderweitige Ersatzmöglichkeiten kommen auch Ansprüche gegen den durch die Amtspflichtverletzung begünstigten Vertragspartner in Betracht (Senatsurt. v. 11. März 1993 – IX ZR 202/91, VW 1993, 1193 f; Haug, Die Amtshaftung des Notars Rdn. 190). Eine solche Ersatzforderung muß aber wirtschaftlich zu verwirklichen sein; rein theoretische Möglichkeiten eines anderweitigen Ersatzes stehen der Regreßklage wegen eines Notarfehlers nicht entgegen (BGH, Urt. v. 6. Oktober 1994 – III ZR 134/93, VW 1995, 64, 68). Wird das Konkursverfahren über das Vermögen des anderweitig Verpflichteten eröffnet, so entfällt die gegen ihn gerichtete Ersatzmöglichkeit (vgl. RG HRR 1934 Nr. 865; DNotZ 1940, 5. 40 Nr. 3; BGH, Urt. v. 7. Januar 1966 – VI ZR 174/64, VersR 1966, 361, 363). Die theoretische Möglichkeit, daß der Erwerber im Verlauf des Haftpflichtprozesses oder danach so viel Vermögen erlangen kann, daß er auch seine Altschulden voll zu bezahlen vermag (§ 164 Abs. 1 KO), hindert eine Verurteilung des Notars nicht. Vielmehr bleibt diesem für eine solche Fallgestaltung das Recht erhalten, nach § 255 BGB vom Geschädigten die Abtretung der Ersatzansprüche gegen den Dritten zu verlangen; dieser Möglichkeit hatte die Klägerin im vorliegenden Falle bereits durch ihren ersten Hilfsantrag vorbeugend Rechnung getragen, indem sie die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung nur Zug um Zug gegen Abtretung aller ihrer Ansprüche gegenüber dem Konkursverwalter beantragte.
Das an die Klägerin gerichtete Schreiben des Konkursverwalters vom 9. August 1994 (Anlage zu ihrem Schriftsatz vom 7.9.1994) ändert daran nichts. Hiernach können zwar Konkursgläubiger mit einer Auszahlungsquote rechnen; deren genaue Höhe kann jedoch noch nicht abgeschätzt werden, weil sie unter anderem von der Verwertung weiteren Vermögens des Gemeinschuldners abhängt. Es mag schon zweifelhaft sein, ob diese künftige Aussicht überhaupt im laufenden Regreßprozeß berücksichtigt werden darf oder ob es hierfür statt dessen allein auf den Zeitpunkt der Klageerhebung ankommt (zum Meinungsstand vgl. Ganter VW 1996, 701, 708). Diese Frage braucht hier letztlich nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls muß sich ein vom Notar Geschädigter nicht auf ungewisse künftige Erlös- erwartungen verweisen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 20. Dezember 1962 – III ZR 205/61, VersR 1963, 339, 341; v. 22. November 1966 – VI ZR 49/65, VW 1966, 1329, 1331)
b) Die Klägerin hat auch nicht vorprozessual eine anderweitige Ersatzmöglichkeit versäumt. Zwar würde es ihr im vorliegenden Zusammenhang bereits schaden, wenn sie in der Vergangenheit in zumutbarer Weise weitergehende Beträge auf ihren Kaufpreisanspruch hätte erlangen können (vgl. BGH, Urt. v. 22. Oktober 1987 – IX ZR 175/86, VW 1987, 1516, 1518; v. 22. Juni 1995 – IX ZR 122/94, VW 1995, 1883 f) Konkret bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin von ihrem Sohn noch Zahlungen hätte beitreiben können, nachdem er die vereinbarten Ratenzahlungen zum Jahresende 1989 einstellte. Gelder, um deren Erlangung eine Partei erst längere und schwierige Prozesse führen muß, sind keine Ersatzmöglichkeit, auf die sich ein durch Amtspflichtverletzung Geschädigter verweisen lassen muß (BGH, Urt. v. 20. Dezember 1962 – III ZR 205/61, VersR 1963, 339, 341). Das gilt erst recht, wenn der wirtschaftliche Nutzen derartiger Prozesse sehr zweifelhaft ist. Damit entfällt zugleich der Mitverschuldensvorwurf (§ 254 Abs. 2 BGB) des Beklagten.
2. Die Äußerung des Berufungsgerichts zum Zahlungsantrag der Klägerin, sie habe nicht zu einem Schaden von 68.000 DM vorgetragen, ist nicht näher begründet und aus Rechtsgründen unzutreffend (§ 249 BGB).
a) Sollte der Klägerin der Nachweis gelingen, daß ihr Restkaufpreisanspruch im Falle der vom Beklagten geschuldeten Belehrung sofort und im Range vor dem sonstigen Kreditbedarf des Erwerbers dinglich abgesichert worden wäre (siehe oben II 3 c), so wären ihr bei einer Verwertung nur Grundschulden in Höhe von 130.000 DM zuzüglich Zinsen vorgegangen. Der Konkursverwalter hat für die Weiterveräußerung der Eigentumswohnungen einen Kaufpreis von 260.000 DM erzielt. Davon hat die Klägerin gemäß ihrer Darstellung auf ihre nachrangige Grundschuld 2.000 DM erhalten. Daraus ist zu schließen, daß die vorrangige Grundschuld von 230.000 DM in vollem Umfange berücksichtigt worden ist. Dann wäre auch der Restkaufpreisanspruch der Klägerin voll gesichert gewesen, wenn ihr keine höheren Forderungen als von rund 160.000 DM im Range vorgegangen wären.
Der Umstand, daß die Klägerin aus der Konkursmasse ihres Sohnes eine – der Höhe nach noch unbestimmte – Quote unabhängig von ihrer zweitrangigen Grundschuld erhalten soll, steht ihrer Klage auch in diesem rechtlichen Zusammenhang nicht entgegen. Ihr Schaden ist bereits dadurch eingetreten, daß sie aufgrund ihres Absonderungsrechts tatsächlich nicht mehr erhalten hat. Künftige anteilige Zahlungen aus der Konkursmasse auf denungesicherten Kaufpreisanspruch würden den eingetretenen Schaden nur verringern. Es handelt sich um einen anderweitigen Ersatzanspruch im Sinne von § 255 BGB, auf den sich ggf. der Beklagte berufen müßte. Steht fest, daß die Klägerin bei ordnungsgemäßer Belehrung inzwischen eine Zahlung von bis zu 70.000 DM erhalten hätte, darf ihr Ersatzanspruch aus Rechtsgründen nicht bis zu einem ungewissen künftigen Zeitpunkt zurückgestellt werden, in dem sie möglicherweise Teilbeträge von unbekannter Höhe darauf erhalten kann.
Dem Grunde nach kommt die Forderungsaufstellung der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 12. September 1995 (S. 3) als geeignete Klageberechnung in Betracht.
b) Hätte die Klägerin den Kaufvertrag vom 11. August 1987 mit ihrem Sohn im Falle einer ordnungsgemäßen Belehrung durch den Beklagtennicht abgeschlossen (siehe oben II 3 b) so wäre es bei dem Vertrage vom 29. Juni 1987 verblieben, der keine ungesicherten Vorleistungen der Klägerin vorsah. Aber auch wenn dieser dann – als unerfüllbar – aufgehoben worden wäre, so hätte die Klägerin ihren Eigentumsanteil behalten. Zwar hätte sie dann die weiteren Zahlungen nicht empfangen und auch den vorausgezahlten Kaufpreisteil von 100.000 DM anteilig zurückzahlen müssen. Einen Vermögensschaden in der geltend gemachten Höhe hätte sie aber dennoch erlitten, wenn die Eigentumswohnungen mindestens den vereinbarten Kaufpreis von 230.000 DM wert sind. Maßgeblich hierfür ist im allgemeinen der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu erzielende Marktpreis. Das im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens erstattete Wertgutachten hat dafür nur eingeschränkte Bedeutung, weil bei einer zwangsweisen Verwertung erfahrungsgemäß oft nicht die vollen Grundstückswerte erlöst werden können. Angesichts des vom Konkursverwalter ausgehandelten Kaufpreises hat die Klägerin den Eintritt eines Schadens in der geltend gemachten Höhe auch für den Fall dieses Ursachenverlaufs jedenfalls hinreichend dargetan.
3. Die Klageforderung ist nicht verjährt. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 BNotO i.V.m. § 852 Abs. 1 BGB verjährt die Klageforderung in drei Jahren von demjenigen Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Wegen der Subsidiarität der Notarhaftung setzt diese Kenntnis auch das Bewußtsein voraus. daß der Geschädigte von anderen wenigstens nicht in vollem Umfange Schadensersatz verlangen kann (BGHZ 102. 246, 248 f; BGH. Urt. v. 15. Oktober 1992 – IX ZR 43/92, WM 1993. 251, 259; v. 24. Juni 1993 – IX ZR 84/92, bin 1993, 1896, 1900; vgl. auch BGHZ 121. 65, 71). Eine zur Klageerhebung ausreichende Gewißheit von der Zahlungsunfähigkeit des Erwerbers hatte die Klägerin hier frühestens mit der Eröffnung des Konkursverfahrens über dessen Vermögen am 25. Februar 1993. Die am 6. April 1994 zugestellte Klage hat die Verjährungsfrist deshalb rechtzeitig unterbrochen.
IV.
Der Senat kann die Sache nicht selbst abschließend entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Beklagte hat unter Beweisantritt behauptet, daß der Vertrag sogar im Falle einer pflichtgemäßen Belehrung nicht anders abgeschlossen worden wäre (S. 2 und 3 der Berufungserwiderung vom 13.7.1995). Das Berufungsgericht wird diesen Beweis zu erheben haben (siehe oben II 3).
Demzufolge ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen CS 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Damit erhalten die Parteien zugleich Gelegenheit zur Schadenshöhe (oben III 2) näher vorzutragen.
Unterschriften
Brandes, Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 02.07.1996 durch Giovagnoh Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 604956 |
NJW 1996, 3009 |
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