Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen Abänderungsklage und Nachforderungsklage
Leitsatz (redaktionell)
Die Erhebung einer Abänderungswiderklage ist nicht von der Erhebung einer Abänderungsklage abhängig, sondern genauso im Fall einer (unzulässigen) Nachforderungsklage möglich, aber auch jederzeit als selbständige Abänderungsklage zulässig.
Normenkette
ZPO § 323
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 07.10.2003; Aktenzeichen 3 U 47/02) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Schleswig v. 7.10.2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als wegen der ab dem 20.10.2001 verlangten Beträge zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.
Insoweit wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger und seine Ehefrau, die Eltern des Beklagten, übereigneten dem Beklagten 1977 ihr Hausgrundstück. Im Gegenzug verpflichtete sich der Beklagte in dem notariellen Überlassungsvertrag, die "Veräußerer bis ans Lebensende des Längstlebenden im Bedarfsfall, d.h. in gebrechlichen und kranken Tagen, zu beköstigen, zu verpflegen und zu versorgen".
1982 verstarb die Mutter des Beklagten. 1985 stellte der Beklagte seine Pflegeleistungen gegenüber dem Kläger ein. Daraufhin verlangte der Kläger Schadensersatz wegen Nichterfüllung. In dem aus diesem Grund zwischen den Parteien geführten Vorprozess wurde der Beklagte mit Urteil des OLG Schleswig v. 17.8.1990 u.a. verurteilt, an den Kläger ab September 1987 monatlich im Vorhinein 430 DM zu zahlen.
Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger eine Aufstockung der Zahlungen des Beklagten, weil sich sein Gesundheitszustand seit dem Abschluss des Vorprozesses erheblich verschlechtert habe und die Kosten für Pflegeleistungen wesentlich gestiegen seien.
Mit der am 20.10.2001 zugestellten Klage hat der Kläger beantragt, den Beklagten ab Oktober 2001 zur Zahlung weiterer 920 DM monatlich sowie für den Zeitraum Juli bis September 2001 zur Zahlung rückständiger 2.760 DM zzgl. Zinsen zu verurteilen. Das LG hat den Beklagten zur Zahlung monatlich weiterer 240,31 EUR (470 DM) ab Oktober 2001 und von einmalig 720,92 EUR (1.410 DM) zzgl. der verlangten Zinsen verurteilt. Hiergegen hat der Beklagte Berufung eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger seinen Antrag dahin ergänzt, dass das in dem Vorprozess ergangene Urteil im Umfang der Verurteilung des Beklagten durch das LG abgeändert werden solle. Das OLG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit der von dem OLG zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält die Klage für unzulässig. Es meint, der Kläger könne sein Begehren nur im Wege der Abänderungsklage nach § 323 ZPO geltend machen. Eine solche Klage sei nicht erhoben. Die erhobene Klage sei vielmehr eine Nachforderungsklage, der die Rechtskraft des im Vorprozess ergangenen Urteils entgegenstehe. Zwar bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, eine Nachforderungsklage in eine Abänderungsklage umzudeuten. Die Voraussetzungen einer solchen Umdeutung seien jedoch nicht erfüllt, da ein entsprechender Wille des Klägers nicht genügend deutlich erkennbar sei.
Auch die Ergänzung des Klageantrags in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht führe nicht zur Zulässigkeit der Klage. Die Ergänzung stelle eine Klageänderung dar, die ein zulässiges Rechtsmittel des Klägers voraussetze. Daran fehle es. Auch durch eine Anschließung an das Rechtsmittel des Beklagten habe der Kläger die Klage nämlich nicht mehr ändern können, weil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die in § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO bestimmte Frist verstrichen gewesen sei.
II.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im Wesentlichen nicht stand.
1. Die Klage ist für den Zeitraum ab dem 20.10.2001 zulässig.
Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass bei einer Verurteilung zu Schadensersatzrenten eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse, auf denen die Verurteilung beruht, nur im Wege der Abänderungsklage nach § 323 ZPO geltend gemacht werden kann (st.Rspr., BGHZ 34, 110 [113 ff.]; BGH v. 30.1.1985 - IVb ZR 67/83, BGHZ 93, 330 [336] = MDR 1985, 560; v. 3.4.1985 - IVb ZR 19/84, BGHZ 94, 145 [146 f.] = MDR 1985, 654). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts trägt die Klage diesem Gebot jedoch Rechnung. Sie erfüllt die Voraussetzungen einer Abänderungsklage i.S.d. § 323 Abs. 1 ZPO. Dies gilt nicht nur für den in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gestellten Antrag, sondern auch für die Fassung des Klageantrags in seiner ursprünglichen Gestalt. Eine Klageänderung liegt daher nicht vor. Zwar fehlt dem Klageantrag in der vor dem LG gestellten Form ein ausdrückliches Verlangen, das im Vorprozess ergangene Urteil zu ändern. Die gebotene Auslegung der Klage ergibt jedoch, dass die Klage von Anfang an auf die Abänderung des Urteils v. 17.8.1990 gerichtet war. Diese Auslegung ist die Auslegung einer Prozesserklärung und daher nicht dem Berufungsgericht vorbehalten. Sie kann vielmehr vom Senat selbst vorgenommen werden (BGH, Urt. v. 18.6.1996 - VI ZR 325/95, MDR 1997, 94 = NJW-RR 1996, 1210 [1211] m.w.N; Beschl. v. 30.4.2003 - V ZB 71/02, MDR 2003, 947 = BGHReport 2003, 900 = NJW 2003, 2388).
a) Bei der Auslegung von Prozesshandlungen ist davon auszugehen, dass die Vorschriften des Verfahrensrechts nicht Selbstzweck sind. Das Verfahrensrecht dient der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten. Es soll eine einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern (GmS-OGB v. 30.4.1979 - GmS-OGB 1/78, BGHZ 75, 340 [348]; BGH, Urt. v. 1.6.1983 - IVb ZR 365/81, MDR 1984, 37 = NJW 1983, 2200 [2201]; Urt. v. 6.11.1991 - XII ZR 240/90, MDR 1992, 710 = NJW 1992, 438 [439]; Urt. v. 17.5.2000 - VIII ZR 210/99, MDR 2000, 1092 = NJW 2000, 3216 [3217]). Auch bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist zunächst auf deren Wortlaut abzustellen. Eine Partei darf jedoch nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden. Vielmehr ist stets davon auszugehen, dass sie mit ihrer Prozesshandlung das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH v. 9.10.1991 - -VIII ZR 88/90, BGHZ 115, 286 [290] = MDR 1992, 231; Beschl. v. 9.2.1993 - XI ZB 2/93, MDR 1993, 469 = NJW 1993, 1925; Beschl. v. 22.5.1995 - II ZB 2/95, GmbHR 1995, 905 = NJW-RR 1995, 1183 f.; Urt. v. 18.6.1996 - VI ZR 325/95, MDR 1997, 94 = NJW-RR 1996, 1210 [1211]; Urt. v. 24.11.1999 - XII ZR 94/98, NJW-RR 2000, 1446; Urt. v. 17.5.2000 - VIII ZR 210/99, MDR 2000, 1092 = NJW 2000, 3216 [3217]; Beschl. v. 30.4.2003 - V ZB 71/02, MDR 2003, 947 = BGHReport 2003, 900 = NJW 2003, 2388).
Bei Anwendung dieses Grundsatzes ist die Klage auch in ihrer ursprünglichen Fassung als Abänderungsklage zu qualifizieren. Allein die Erhebung einer Abänderungsklage entsprach dem Gebot prozessualer Vernunft, da einer Nachforderungsklage - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - die Rechtskraft seines früheren Urteils entgegen stand. Dass der Wille des Klägers auf die Erhebung einer unzulässigen Klage gerichtet gewesen wäre, kann nicht unterstellt werden (BGH, Urt. v. 9.2.1993 - XI ZB 2/93, MDR 1993, 469 = NJW 1993, 1925).
b) Darüber hinaus enthält die Klageschrift hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Erhebung einer Abänderungsklage gewollt war.
Hierfür spricht schon die Begründung der geltend gemachten Ansprüche. Die Klagebegründung geht von dem früheren, der Klage als Anlage beigefügten Urteil des Berufungsgerichts aus und schildert im Anschluss daran, in welcher Weise sich die für die damalige Verurteilung ausschlaggebenden Verhältnisse zwischenzeitlich verändert haben. In Inhalt und Darstellung entspricht die Klagebegründung damit den Anforderungen von § 323 ZPO.
Des Weiteren ergibt sich aus der Unterteilung des Antrags in laufende Leistungen einerseits und einen Nachforderungsbetrag andererseits i.V.m. den hierzu erfolgten Ausführungen zur Begründung der Klage, dass der Klagewille auf die Erhebung einer Abänderungsklage gerichtet war. Soweit der Kläger neben seinem in die Zukunft gerichteten Antrag die Verurteilung des Beklagten zu rückständigen Leistungen verlangt hat, orientiert sich die Antragsfassung unverkennbar an § 323 Abs. 3 ZPO. Entsprechend dieser Vorschrift und der in ihr enthaltenen Verweisung auf § 1613 Abs. 1 BGB hat der Kläger rückständige Leistungen ab dem Zeitpunkt des Verzugs des Beklagten verlangt und die Voraussetzungen und den Zeitpunkt des Eintritts des Verzugs des Beklagten in der Klagebegründung dargestellt.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Feststellung des Willens, eine Abänderungsklage zu erheben, nicht entgegen, dass der Beklagte durch die Fassung des Klagantrags an einer Abänderungswiderklage gehindert werden sollte. Die Erhebung einer Abänderungswiderklage ist nämlich - worauf die Revision zutreffend hinweist - nicht von der Erhebung einer Abänderungsklage abhängig, sondern genauso im Fall einer (unzulässigen) Nachforderungsklage möglich, aber auch jederzeit als selbstständige Abänderungsklage zulässig.
2. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht das Verlangen des Klägers nach Erhöhung der Zahlungsverpflichtung des Beklagten für den Zeitraum vor dem 20.10.2001 als unzulässig zurückgewiesen.
In diesem Umfang steht der Zulässigkeit der Klage § 323 Abs. 3 Satz 1 ZPO entgegen (BGH, Urt. v. 26.1.1983 - IVb ZR 347/81, FamRZ 1984, 353 [355]; Urt. v. 19.12.1989 - IVb ZR 9/89, MDR 1990, 525 = NJW 1990, 709 [710]). Nach dem Urteil im Vorprozess schuldet der Beklagte dem Kläger monatlich 430 DM/219,86 EUR. Soweit der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit weiter gehende Zahlungen verlangt, überschreitet seine Forderung die durch das Urt. v. 17.8.1990 bestimmte Begrenzung der Zahlungsverpflichtung des Beklagten und setzt damit die Änderung des im Vorprozess ergangenen Urteils voraus. Das ist nach § 323 Abs. 3 S. 1 ZPO für einen Zeitraum vor der Zustellung der Abänderungsklage grundsätzlich nicht zulässig. Einer der in § 323 Abs. 3 S. 2 ZPO genannten Ausnahmefälle liegt nicht vor. Der Kläger verlangt mit der Klage nicht die Änderung einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Unterhalt, sondern leitet aus der Behauptung, sein Schaden, der ihm dadurch entstehe, dass der Beklagte die Erfüllung seiner als Gegenleistung für die Übertragung des Grundstücks vereinbarten Pflichten verweigert habe, habe sich wesentlich erhöht, die Verpflichtung des Beklagten zu weiterem Ersatz ab. Das hat mit den in § 323 Abs. 3 S. 2 ZPO geregelten Fällen nichts zu tun. Der durch das Urteil im Vorprozess titulierte Schadensersatzanspruch des Klägers ist der Abänderung nur für den Zeitraum seit Rechtshängigkeit der erhobenen Abänderungsklage zugänglich.
Ohne Bedeutung ist insoweit lediglich, dass der Beklagte nach dem Urt. v. 17.8.1990 seine laufende Zahlungspflicht monatlich im Vorhinein zu erfüllen hat. Das führt nicht zu einer Verschiebung des Zeitpunkts, von dem an der Kläger zulässig eine Erhöhung der laufenden Zahlungspflicht des Beklagten verlangen kann, auf den Ablauf des Monats, in dem die Klage zugestellt worden ist (Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 323 Rz. 95; Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 323 Rz. 42; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 323 Rz. 37).
III.
Eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits ist dem Senat nicht möglich, weil es hierzu Feststellungen zu den von dem Beklagten gegen seine Verurteilung durch das LG vorgebrachten Einwendungen bedarf.
Fundstellen
Haufe-Index 1202690 |
BGHR 2004, 1442 |
FamRZ 2004, 1712 |
NJW-RR 2005, 371 |
NJW-Spezial 2005, 249 |