Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliche Folgen der Verursachung eines Arbeitsunfalls aufgrund betrieblich veranlasster Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
- Das Mitnehmen eines Arbeitskollegen im eigenen Kraftwagen auf einer Dienstfahrt ist eine betriebliche Tätigkeit i. S. des § 637 RVO, wenn die vom Arbeitgeber genehmigte Fahrt dem Zweck diente, am Zielort gemeinsame betriebliche Aufgaben zu erfüllen. Im Rahmen einer solchen Tätigkeit kann auch eine zwischenzeitlich eingelegte Heimfahrt liegen, wenn der Arbeitgeber die Organisation der Fahrt dem Arbeitnehmer überlassen hatte.
- Ein privates Interesse am vorübergehenden Verlassen der auswärtigen Arbeitsstätte zum Zweck der Übernachtung am Wohnort steht der Annahme einer betrieblichen Tätigkeit nicht entgegen, wenn das Betriebsinteresse überwiegt.
Normenkette
RVO §§ 550, 636-637; BGB § 823
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. Dezember 1969 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin ist der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer des Oberingenieurs W. der ebenso wie der Beklagte bei der Firma M. Elektronik GmbH in D. angestellt war. Am 14. Dezember 1967 hatten W. und der Beklagte im Auftrage ihrer Firma in W. Arbeiten zu erledigen. Sie fuhren gemeinsam mit dem Personenkraftwagen W. nach W. Nach Beendigung dieser Arbeiten sollten sie für ihre Arbeitgeberin weitere Arbeiten in B. ausführen. Da sich die Arbeiten in W. sehr lange hinzogen und deshalb die Arbeiten in B. mehr an demselben Tage erledigt werden konnten, fuhren W. und der Beklagte mit dem Pkw W. nach D. zurück. Auf dieser Fahrt verursachte W. gegen 20.15 Uhr auf der Autobahn hinter G. einen Verkehrsunfall, an dem andere Fahrzeuge nicht beteiligt waren. Dabei wurde der Beklagte als Insasse erheblich verletzt; außerdem erlitt er Sachschaden.
Der Beklagte hat für seinen Schaden den Oberingenieur W. verantwortlich gemacht. Nach einem Schriftwechsel und Verhandlungen mit der Klägerin als der Haftpflichtversicherin W. hat diese dem Beklagten 2.537,65 DM überwiesen, und zwar 525,95 DM für seinen Sachschaden und insgesamt 2.011,70 DM für Körperschaden und Schmerzensgeld.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe den Betrag von 2.011,70 DM ohne Rechtsgrund gezahlt. Sie hat daher von dem Beklagten aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung Rückzahlung dieses Betrages nebst Zinsen verlangt.
Zur Begründung hat sie geltend gemacht: Die Haftung ihres Versicherungsnehmers W. sei, soweit der Körperschaden des Beklagten und das Schmerzensgeld in Betracht komme, nach §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen. Bei dem Unfall des Beklagten habe es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt. Das ergebe sich schon daraus, daß die zuständige Berufsgenossenschaft Leistungen erbracht habe. Der Unfall habe sich auf einer Dienstreise, also bei einer betrieblichen Tätigkeit W. und nicht bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet. Für die Dienstreise sei zwar der Privatwagen W. benutzt worden. Das sei aber auf Anordnung, zum mindesten im Einverständnis der Firma M. Elektronik GmbH geschehen. Diese lasse ihre Angestellten die Dienstreisen gegen ein Kilometergeld von 0,25 DM im eigenen Wagen machen. Dabei müßten aus Gründen der Kostenersparnis in der Regel mehrere Betriebsangehörige in einem Wagen fahren. Im vorliegenden Fall seien gleichzeitig Elektrogeräte im Werte von 44.000 DM in dem Wagen W. transportiert worden. Deshalb sei der Wagen einem firmeneigenen Fahrzeug gleichzusetzen. Der Beklagte sei W. unterstellt und an dessen Weisungen gebunden gewesen. Die Organisation der Fahrt sei ausschließlich Sache W. gewesen, der dabei eine Betriebsaufgabe erfüllt habe. W. sei von seiner Arbeitgeberin bevollmächtigt gewesen, allein darüber zu entscheiden, wie er die Dienstreise nach W. und B. durchführte, im besonderen auch, ob er und der Beklagte abends von W. nach D. zurückfuhren oder unterwegs übernachteten, um am nächsten Tag die weiteren Aufgaben in B. zu erledigen. Es sei als Dienstfahrt angesehen worden, daß W. am Abend des ersten Tages nach D. zurückgefahren sei. Er hätte von seiner Arbeitgeberin auch Kilometergeld für die Rückfahrt nach D. erhalten, und zwar auch dann, wenn am nächsten Tag eine neue Fahrt nach B. notwendig gewesen wäre.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat erwidert: Die Zahlung sei nicht ohne Rechtsgrund, sondern aufgrund eines Vergleichs geleistet worden, den er mit der Klägerin abgeschlossen habe. Ein Haftungsausschluß nach § 637 RVO komme nicht in Betracht, weil kein Arbeitsunfall vorgelegen und W. bei der Unfallfahrt keine betriebliche Tätigkeit ausgeübt habe. W. habe ihn aus Gefälligkeit in seinem Privatwagen mitgenommen. Die Firma M. habe hinsichtlich der Fahrt nach W. B. und zurück keine besondere Anordnungen getroffen. Sie habe zwar ein Kilometergeld gezahlt, habe es aber in das Belieben von W. gestellt, wie er den Weg zurücklegte. Als sich herausgestellt habe, daß die Arbeiten in B. nicht mehr an demselben Tag hätten ausgeführt werden können, hätten W. und er ohne vorherige Befragung ihrer Firma beschlossen, entgegen dem anderslautenden Auftrag die Montagereise abzubrechen und von W. aus nach Hause zu fahren. Der Geschäftsführer ihrer Firma habe ihnen nach dem Unfall auch vorgeworfen, daß sie die Reise eigenmächtig abgebrochen hätten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Klägerin habe nicht dargetan, daß sie den Betrag von 2.011,70 DM ohne Rechtsgrund gezahlt habe und sie deshalb von dem Beklagten nach § 812 BGB die Rückzahlung fordern könne. Der Rechtsgrund für die Zahlung liege zwar nicht, wie der Beklagte meine, in einem Vergleich, denn ein Vergleich sei zwischen den Parteien nicht zustande gekommen. Die Klägerin sei aber als Haftpflichtversicherin W. zur Zahlung verpflichtet gewesen, weil W. den Unfall des Beklagten fahrlässig verursacht (§ 823 BGB, § 7 StVG, § 3 Nr. 1 und 2 des Pflichtversicherungsgesetzes) und die Klägerin nicht dargetan habe, daß ihrem Versicherungsnehmer W. das Haftungsprivileg der §§ 636, 637 RVO zugute komme.
II.
Den Gründen, aus denen das Berufungsgericht einen aus diesen Vorschriften herzuleitenden Haftungsausschluß verneint, kann, wie die Revision mit Recht rügt, nicht in allem beigetreten werden.
Nach § 637 RVO hat der Verletzte gegen einen in demselben Betrieb tätigen Betriebsangehörigen, falls dieser durch eine betriebliche Tätigkeit einen Arbeitsunfall verursacht hat, einen Ersatzanspruch nur unter den Beschränkungen des § 636 RVO. Der Schädiger haftet also bei Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit nur dann, wenn er vorsätzlich gehandelt hat - was hier ausscheidet - oder wenn der Arbeitsunfall "bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr" eingetreten ist.
1.
Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß der Unfall des Beklagten ein Arbeitsunfall war. Er ist, auch wenn man das Vorbringen des Beklagten zugrundelegt, zumindest als Wegunfall im Sinne des § 530 RVO anzusehen.
2.
Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob der Arbeitsunfall des Beklagten durch eine betriebliche Tätigkeit des Oberingenieurs W. verursacht worden ist, wie es § 637 RVO als weitere Voraussetzung für eine Freistellung des Arbeitskameraden von der Haftung fordert.
Der Bundesgerichtshof hat schon in seinem Urteil vom 2. März 1971 - VI ZR 146/69 - VersR 1971, 187 = DAR 1971, 187 = VRS 40, 335 entschieden, daß das Mitnehmen eines Arbeitskollegen auf einer Dienstfahrt im eigenen Kraftwagen eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 637 RVO sein kann. Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung war jedenfalls das Mitnehmen des Beklagten im Wagen des W. auf der Fahrt nach W. eine betriebliche Tätigkeit. Beide sollten dort gemeinsam für ihre Arbeitgeberin betriebliche Aufgaben erfüllen. Das Mitnehmen des Beklagten lag daher, auch wenn es aus Gefälligkeit geschah, nicht in der privaten Sphäre des W. Es war kein außerbetriebliches Wirken, sondern stand in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und dem betrieblichen Wirkungskreis der beiden Angestellten. Zudem hatte die Firma M. die Verwendung des eigenen Wagens für geschäftliche Zwecke dieser Art gestattet. Sie zahlte bei Dienstfahrten für jeden gefahrenen Kilometer eine Pauschalvergütung und duldete oder wünschte sogar, daß dabei andere Betriebsangehörige mitgenommen wurden. Das macht deutlich, daß auch die Firma M. die Benutzung des eigenen Wagens und das Mitnehmen von Betriebsangehörigen auf Dienstfahrten als im betrieblichen Interesse liegend ansah und dem Betrieb ihres Unternehmens zuordnete.
Aus den gleichen Gründen wäre auch das Mitnehmen des Beklagten auf der Rückfahrt als betriebliche Tätigkeit zu behandeln, wenn W. und der Beklagte alle Arbeiten in W. und in B. wie ursprünglich vorgesehen an einem Tag erledigt hätten und abends nach D. zurückgekehrt wären.
Hier besteht nun die Besonderheit, daß sich die Arbeiten in W. so lange hinzogen, daß W. und der Beklagte die außerdem vorgesehenen Arbeiten in B. nicht mehr am selben Tag erledigen konnten und sie sich deshalb entschlossen, nicht unterwegs zu übernachten, um am folgenden Tag den Auftrag in B. erledigen zu können, sondern es vorzogen, nach D. zurückzukehren, um dann am Tag darauf nach B. zu fahren. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, daß die Rückfahrt nach D. auf der es zu dem Unfall kam, nicht mehr als betriebliche Tätigkeit angesehen werden könnte, wenn die Behauptung des Beklagten zuträfe, daß W. und der Beklagte damit eigenmächtig und entgegen einer anderslautenden Anweisung ihrer Arbeitgeberin gehandelt hätten. Wäre das richtig, so fiele die auftragswidrig durchgeführte Heimfahrt aus dem Rahmen des Betriebes heraus. W. hätte dann nicht mehr im Rahmen seines betrieblichen Auftrags, sondern eigenmächtig und aus privatem Entschluß gehandelt.
Ob diese Behauptung des Beklagten zutrifft, ist aber bisher nicht festgestellt. Das Berufungsgericht hat den Beweis, den der Beklagte hierfür angeboten hat, nicht erhoben. Es hat das nicht für erforderlich gehalten, weil es der Auffassung ist, die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin habe diesen Behauptungen des Beklagten keine eigene Sachdarstellung gegenübergestellt, die den Schluß rechtfertigen könnte, daß es eine betriebliche Tätigkeit gewesen sei, als W. an jenem Abend mit dem Beklagten nach D. zurückfahren wollte. Das Berufungsgericht ist also der Ansicht, das Vorbringen der Klägerin zu dieser Frage sei, wenn man es als wahr unterstelle, nicht geeignet, eine betriebliche Tätigkeit W. und damit einen Haftungsausschluß nach § 637 RVO darzutun.
Hierin kann ihm nicht gefolgt werden. Die Klägerin hat zu der Frage, ob es sich auch bei der Rückfahrt nach D. am Abend des 14. Dezember 1967 um eine betriebliche Tätigkeit W. gehandelt hat, folgende Behauptungen aufgestellt und durch Zeugen unter Beweis gestellt: Die Organisation der Fahrt sei ausschließlich Sache W. gewesen. Dieser habe von der Firma M. die Vollmacht gehabt, allein darüber zu entscheiden, wie er die Dienstreise nach W. und B. durchführte, W. habe vor allem auch selbst darüber entscheiden können, ob er und der Beklagte abends von W. nach D. zurückfuhren oder unterwegs übernachteten, um am nächsten Tag die weiteren Aufgaben in B. zu erledigen. Die Rückfahrt nach D. sei als Dienstfahrt angesehen worden. Für sie hätte die Firma M. Kilometergeld gezahlt, und zwar auch dann, wenn am nächsten Tag eine neue Fahrt nach O. notwendig gewesen wäre.
Diese Behauptungen der Klägerin sind erheblich. Würden sie sich als richtig erweisen, so hätte W. noch vorwiegend im Rahmen des Betriebes gehandelt, als er am Abend des 14. Dezember 1967 nach D. zurückfuhr und dabei den Beklagten mitnahm. Handelte er bei dem Entschluß zu dieser Fahrt mit der Vollmacht seiner Arbeitgeberin oder hat diese seinen Entschluß sogar gutgeheißen, so verlor die Fahrt jetzt nicht den Charakter der Dienstfahrt, den sie bis dahin hatte. Sie blieb dann weiterhin betriebsbezogen und fiel nun nicht etwa in die private Sphäre des W.
Es mag sein, daß neben das Betriebsinteresse, dem die Fahrt bis dahin ausschließlich diente, jetzt auch das private Interesse W. und des Beklagten, zu Hause übernachten zu können, trat. Das steht aber nicht der Annahme einer betrieblichen Tätigkeit entgegen, wenn das betriebliche Interesse überwog (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung § 637 RVO Anm. 2). Das aber müßte jedenfalls dann angenommen werden, wenn die Firma M. auch diesen Teil der Fahrt als Dienstfahrt anerkannt hat und bereit gewesen wäre, hierfür Kilometergeld zu zahlen.
Hiernach kann das Berufungsurteil mit der Begründung, die das Oberlandesgericht ihm gegeben hat, nicht bestehen bleiben. Da weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich sind, war die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
3.
In der neuen Verhandlung wird zu beachten sein, daß die oben angeführten Behauptungen der Klägerin auch für die Frage von Bedeutung sind, ob sich der Arbeitsunfall des Beklagten bei dessen Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet hat. Hierzu wird auf das schon erwähnte Senatsurteil vom 2. März 1971 verwiesen.
Unterschriften
Pehle
Dr. Bode
Dr. Weber
Dunz
Scheffen
Fundstellen