Leitsatz (amtlich)
Zu der Frage, ob das Mitnehmen eines Arbeitskollegen auf einer Dienstfahrt im eigenen Kraftwagen eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 637 RVO ist.
Normenkette
RVO § 657
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 02.05.1969) |
LG Aachen |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Köln vom 2. Mai 1969 wird zurückgewiesen. Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte ist der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer des in Diensten der klagenden Stadt stehenden Bauingenieurs Josef W. Dieser verschuldete am Nachmittag des 17. Mai 1967 mit seinem versicherten Personenkraftwagen einen Unfall, bei dem der in dem Vagen mitfahrende Bauingenieur Josef H., der ebenfalls bei der Klägerin beschäftigt ist, schwer verletzt wurde. Die Klägerin hat ihrem Angestellten H. während seiner unfallbedingten Dienstunfähigkeit das Gehalt weitergezahlt. H. hat seine behaupteten Schadensersatzansprüche aus diesem Unfall gegen W. und gegen die beklagte Versicherungsgesellschaft an die Klägerin abgetreten.
Mit der Klage hat die Klägerin von der Beklagten 7.725,77 DM nebst Zinsen verlangt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, die Haftung ihres Versicherungsnehmers W. sei nach §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen. Dabei stützt sie sich auf folgenden unstreitigen Sachverhalt:
Dem Bauingenieur W. war die Betreuung der städtischen Gutshöfe übertragen. Am Nachmittag des 17. Mai 1967 fuhr er während der Dienstzeit vom Verwaltungsgebäude der Klägerin aus zum Gut He., um festzustellen, ob dessen Pächter Verwendung für Dachziegel habe, die auf der städtischen Abbruchstelle Liebigstraße anfielen. Für die Fahrt zum Gutshof benutzte er seinen Personenkraftwagen. Die Klägerin hat ihren Bediensteten freigestellt, für dienstliche Zwecke ihre privaten Kraftfahrzeuge oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Wer seinen eigenen Wagen zu einer Dienstfahrt verwendet, erhält für jeden gefahrenen Kilometer eine Pauschalvergütung von 0,28 DM und für jeden mitgenommenen städtischen Bediensteten zusätzlich 0,03 DM je Kilometer. Bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel werden die dadurch entstehenden Kosten ersetzt.
W. nahm bei seiner Fahrt vom städtischen Verwaltungsgebäude aus seinen Arbeitskollegen H. auf dessen Bitte mit. H. war mit der Bauleitung der städtischen Abbruchstelle Liebigstraße beauftragt und wollte diese Baustelle aufsuchen. W. hatte ihm zugesagt, ihn auf der Rückfahrt vom Gut He. an der Baustelle abzusetzen. Auf der Rückfahrt vom Gut kam es durch Verschulden des W. zu einem Zusammenstoß mit einem anderen Kraftwagen. Der Gemeindeunfallversicherungsverband hat den Unfall des H. als Arbeitsunfall anerkannt.
Die Beklagte meint: Der Arbeitsunfall des H. sei durch eine betriebliche Tätigkeit des Arbeitskollegen W. verursacht worden und habe sich nicht bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet. Daher sei die Haftung des W. und damit auch die Ersatzpflicht der Beklagten ausgeschlossen (§§ 636, 637 RVO).
Die Klägerin ist dem entgegengetreten. Sie ist der Ansicht: Die Mitnahme des Arbeitskollegen im Kraftwagen habe sich vorwiegend in der privaten Sphäre vollzogen und habe außerhalb der betrieblichen Aufgabe des W. gelegen. Dieser habe den Unfall daher nicht durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht. H. habe den Unfall vielmehr bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr erlitten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen, weil es der Ansicht ist, daß dem Bauingenieur W. das Haftungsprivileg der §§ 636, 637 RVO zugute komme und die Beklagte daher nicht verpflichtet sei, für ihren Versicherungsnehmer W. einzustehen. Dieser Entscheidung ist beizutreten.
Da es sich unstreitig um einen Arbeitsunfall handelt, bestimmt sich nach den §§ 636, 637 RVO, ob Schadensersatzansprüche des Verletzten aus dem Unfall gegen W. und damit auch gegen die beklagte Versicherungsgesellschaft ausgeschlossen sind. Nach § 637 RVO hat der Verletzte gegen einen in demselben Betrieb tätigen Betriebsangehörigen, falls dieser den Arbeitsunfall durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht hat, einen Ersatzanspruch nur unter den Beschränkungen des § 636 RVO. Der Schädiger haftet also nur dann, wenn er vorsätzlich gehandelt hat – was hier ausscheidet – oder wenn der Arbeitsunfall „bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr” eingetreten ist.
1. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, daß W. und H. die beide als Bauingenieure im Dienste der Klägerin standen, Arbeitskollegen und „in demselben Betrieb” im Sinne des § 637 RVO 1 tätig waren. Dagegen hat die Revision keine Bedenken erhoben. Daher ist auch in der Revisionsinstanz hiervon auszugehen.
2. Meinungsverschiedenheit besteht in erster Linie darüber, ob der Arbeitsunfall des H. durch eine betriebliche Tätigkeit des Kraftfahrzeugführers W. verursacht worden ist, wie es § 637 RVO als weitere Voraussetzung für seine Haftungsfreistellung als Arbeitskollege fordert.
Keiner Ausführung bedarf, daß es sich bei der Hinfahrt zum Gutshof für W. um eine Dienstfahrt gehandelt hat. Entscheidend ist aber, ob auch die Mitnahme des Arbeitskollegen H. auf dem Rückweg vom Gutshof und zwar bei dem Umweg zur Baustelle noch als betriebliche Tätigkeit anzusehen ist. Diese Frage ist bei einem Sachverhalt, wie er hier festgestellt ist, ebenfalls mit dem Berufungsgericht zu bejahen.
Allerdings ist die Mitnahme von Arbeitskameraden im privaten Kraftfahrzeug auf dem Wege nach und von der Arbeitsstelle keine betriebliche Tätigkeit. Dieser Vorgang gehört vorwiegend der privaten Sphäre an, denn normalerweise hat jeder Arbeitnehmer selbst dafür zu sorgen, daß er zur Arbeitsstelle und von dort wieder nach Hause gelangt. Bei diesen Fahrten, die überdies außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit liegen, handelt es sich nicht um betriebliche Vorgänge (vgl. u.a. die Urteile des BGH vom 27. Juni 1956 – VI ZR 252/55 – NJW 1956, 1514 = VersR 1956, 589 und vom 24. Oktober 1967 – VI ZR 67/66 – NJW 1968, 250 sowie Lauterbach, Unfallversicherung S. 763 zu § 637 RVO mit Hinweisen auf die weitere Literatur).
Anders liegt die Sache jedoch in dem jetzt zu entscheidenden Falle. Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf abgestellt, daß es sich auch auf dem Rückweg für W. um eine Dienstfahrt gehandelt hat. Er hat die Fahrt während der Dienstzeit und nicht zu privaten Zwecken, sondern ausschließlich zur Erledigung von Dienstgeschäften unternommen. Hermanns wollte, wie unstreitig ist, eine städtische Baustelle besuchen. Das Mitnehmen des Kollegen auf dem Weg zu dessen betrieblicher Außenarbeitsstelle im eigenen Kraftwagen lag daher, auch wenn es aus Gefälligkeit geschah, nicht in der privaten Sphäre des W.. Es war kein außerbetriebliches Wirken, sondern stand in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und dem betrieblichen Wirkungskreis auch des W..
Dem steht nicht entgegen, daß es den Ingenieuren W. und H. freigestellt war, ob sie für solche Dienstfahrten ihre eigenen Fahrzeuge oder öffentliche Verkehrsmittel benutzten. Entscheidend ist, daß die Klägerin die Verwendung des eigenen Wagens für dienstliche Zwecke gestattet hatte, bei Dienstfahrten für jeden gefahrenen Kilometer eine Pauschalvergütung zahlte und überdies für jeden mitgenommenen städtischen Bediensteten eine zusätzliche Kilometerpauschale gewährte. Das macht deutlich, daß auch die Klägerin das Mitnehmen von Kollegen auf Dienstfahrten jedenfalls dann als im dienstlichen Interesse liegend ansah und dem Dienstbetrieb zuordnete, wenn es zweckmäßig war, was das Berufungsgericht ausdrücklich feststellt. Es würde aber auch genügen, daß W. die Mitnahme für zweckmäßig halten durfte.
Die Revision will die Haftungsfreistellung des § 637 RVO auf die Fälle beschränkt wissen, in denen ein Arbeitnehmer den Unfall bei einer Tätigkeit verursacht hat, die in den Rahmen des ihm zugewiesenen „betrieblichen Aufgabenkreises” fiel. Sie möchte eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 637 RVO offensichtlich nur dann bejahen, wenn die zum Schaden führende Tätigkeit zu dem eigentlichen Aufgabengebiet des Arbeitnehmers gehörte.
Dieser Auslegung des Gesetzes kann nicht beigetreten werden. Durch § 637 RVO sollen Haftungsstreitigkeiten unter den Betriebsangehörigen im Interesse des Arbeitfriedens weitgehend vermieden werden (Urteile des BGH vom 19. Dezember 1967 – VI ZR 6/66 – VersR 1968, 353, 354 und vom 22. Oktober 1968 – VI ZR 173/67 – NJW 1969, 97). Diesem Gesetzeszweck wird die von der Revision befürwortete enge Auslegung des Begriffs „betriebliche Tätigkeit” nicht gerecht. Dieser Begriff umfaßt nicht nur, was auf ausdrückliche Anweisung, sondern auch, was ohne solche im wohlverstandenen Interesse des Dienstherrn geschieht.
Diese Beurteilung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. In seinem Urteil vom 9. August 1966 – 1 AZR 426/65 – NJV 1967, 220 hat das Bundesarbeitsgericht die Auffassung vertreten, daß der Arbeitsunfall eines Versicherten nicht nur dann „durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht” ist, wenn der Schädiger den Arbeitsunfall durch eine von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragene Tätigkeit verursacht hat. Es hat vielmehr für ausreichend gehalten, daß er im Betriebsinteresse tätig wurde. Es muß sich also bei der Tätigkeit des Arbeitnehmers, die zu dem Arbeitsunfall geführt hat, um eine Tätigkeit gehandelt haben, die er für den Betrieb leistete; die Tätigkeit muß betriebsbezogen gewesen sein (ähnl. Lauterbach, Unfallversicherung § 637 RVO Anm. 12 und Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 10. Aufl. TZ 1546). Diese Voraussetzungen sind aber, wie schon dargelegt wurde, in dem vorliegenden Fall gegeben. Will hat, als er seinen Kollegen H. auf der Dienstfahrt mitnahm, im dienstlichen Interesse gehandelt. Sein Handeln stand im Zusammenhang mit dem Dienstbetrieb war also betriebsbezogen und überdies dem Betrieb dienlich.
3. Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreits nur noch von der Frage ab, ob sich der Arbeitsunfall des H. bei dessen Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet hat. Wenn das bejaht werden müßte, wäre nach § 636 RVO kein Raum für einen Haftungsausschluß.
Für die Frage, ob eine Teilnahme am allgemeinen Verkehr vorliegt, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in erster Linie maßgebend, ob der Versicherte den Unfall als normaler Verkehrsteilnehmer oder als Betriebsangehöriger erlitten hat. Ob das eine oder das andere vorliegt, oder überwiegt ist nach der besonderen Lage des Einzelfalles zu entscheiden (BGHZ 8, 330; BGHZ 19, 114 und Urteil des BGH vom 8. Mai 1956 – VI ZR 37/55 – VersR 1956, 388).
Von diesem Grundsatz ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat mit Recht angenommen, daß die Fahrt, auf der H. verletzt wurde, für ihn dienstlichen Charakter hatte und mit dem Betrieb und seiner Betriebszugehörigkeit in so engem Zusammenhang stand, daß demgegenüber die Eigenschaft des Beförderten als Verkehrsteilnehmer in den Hintergrund trat. Das ergibt sich aus den Ausführungen im vorhergehenden Abschnitt zur Frage der betrieblichen Tätigkeit und wird verstärkt durch die folgenden Erwägungen des Berufungsgerichts: Die Fahrt sei durch die berufliche Tätigkeit des Hermanns bedingt gewesen, der sie auch unmittelbar gedient habe. Denn sie habe ihn zu dem Ort gebracht, an dem er als Angestellter der Klägerin für diese habe dienstlich tätig werden sollen. Die Möglichkeit, zu Lasten der Klägerin in dem Kraftwagen eines Kollegen mitzufahren, habe für ihn nur deshalb bestanden, weil seine Fahrt dienstlichen Belangen und dem Interesse der Klägerin gedient habe. Diese Möglichkeit zum Mitfahren habe anderen Personen, die nicht von der Klägerin mit dienstlichen Aufgaben betraut gewesen seien, nicht zur Verfügung gestanden.
4. Zusammenfassend ergibt sich, daß das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Ausschluß der Haftung mit Recht bejaht hat. Daß W. eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung abgeschlossen hatte, kann keine andere Entscheidung rechtfertigen. Der Senat hat für Arbeitsunfälle, die durch Kraftfahrzeuge hervorgerufen werden, mehrmals ausgesprochen, daß das Bestehen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nichts an dem Haftungsausschluß nach § 898 RVO a.F. ändert (Senatsurteile vom 29. Januar 1963 – VI-ZR 67/62 – NJW 1963, 654 und vom 4. Dezember 1964 – VI ZR 220/63 – VersR 1965, 291). Das Gleiche muß für § 637 RVO n.F. gelten.
Unterschriften
Pehle, Dr. Bode, Nüßgens, Sonnabend, Scheffen
Fundstellen
Haufe-Index 1372861 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1971, 472 |