Leitsatz (amtlich)
›Solange die auf Unterlassung gerichtete einstweilige Verfügung keine Strafandrohung enthält, entsteht aus deren Erfüllung auch dann kein Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO, wenn die einstweilige Verfügung im Parteibetrieb zugestellt wurde.
Der Umstand, daß der Antragsgegner seinen Sitz im Ausland hatte und deshalb davon abgesehen wurde, Ordnungsmittel anzudrohen, führt ebenfalls nicht dazu, infolge der Parteizustellung einen Vollziehungsschaden zu bejahen.‹
Verfahrensgang
OLG München (Aktenzeichen 6 U 4622/93) |
Tatbestand
Die Klägerin ist ein in Großbritannien ansässiges Unternehmen, das sich damit befaßt, die Fälligkeit der bei Patenten jährlich zu entrichtenden Gebühren für die Patentinhaber zu überwachen, den Patentinhabern die Fälligkeit und Höhe der Gebühren mitzuteilen und die Gebühren im Auftrag der Patentinhaber an das Patentamt zu bezahlen. Nach dem vom beklagten Patentanwalt gegen ein deutsches Unternehmen erwirkten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. März 1987 (I ZR 31/85, NJW 1987, 3005) unterliegt diese Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland dem Erlaubniszwang des Art. 1 § 1 RBerG.
Auf Antrag des Beklagten erging am 1. September 1987 gegen die Klägerin eine einstweilige Verfügung, durch die ihr verboten wurde, ihre Dienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin anzubieten und zu erbringen. Der Beschluß enthielt antragsgemäß keine Androhung von Ordnungsmitteln. Er wurde der Klägerin in London zugestellt, die zunächst keinen Widerspruch einlegte.
Der Beklagte erhob Klage zur Hauptsache. Mit Beschluß vom 25. Januar 1990 legte das Oberlandesgericht München die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 EWG-Vertrag (EWGV) vor. Dieser entschied mit Urteil vom 25. Juli 1991 (Slg. 1991 I-4239), daß Art. 59 EWGV einer nationalen Regelung entgegenstehe, nach der die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit Personen vorbehalten werde, die über eine besondere berufliche Qualifikation wie die des Patentanwalts verfügen. Daraufhin wurde die Klage abgewiesen. Der Beklagte verzichtete gegenüber der Klägerin auf seine Rechte aus der einstweiligen Verfügung.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Ersatz der ihr infolge der einstweiligen Verfügung entstandenen wirtschaftlichen Nachteile. Sie behauptet, sie habe Berliner Patentanwälte einschalten müssen, wodurch ihr Mehrkosten von 165.365 DM entstanden seien. Außerdem sei ihr durch die Kündigung von Mandaten ein Gewinn in Höhe von 35.209,21 Britischen Pfund entgangen. Das Landgericht hat durch Grund- und Teilurteil dem Zahlungsantrag der Klägerin dem Grunde nach und dem Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für alle weiteren Schäden in vollem Umfang stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dieser erstrebt mit der Revision die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt begründet keinen Anspruch auf Schadensersatz.
I. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO bejaht und dazu ausgeführt: Der geltend gemachte Schaden sei aus der Vollziehung der einstweiligen Verfügung entstanden. Der Beklagte habe mit der Vollziehung begonnen, indem er der Klägerin die einstweilige Verfügung durch Zustellung im Parteibetrieb zur Kenntnis gegeben und so zum Ausdruck gebracht habe, daß er ihre Beachtung erwarte. Damit habe er einen Vollstreckungsdruck erzeugt, auch wenn Ordnungsmittel mangels Androhung nicht sofort hätten festgesetzt werden können. Mit seiner Argumentation, daß die Klägerin die einstweilige Verfügung nicht hätte beachten müssen, weil ein Ordnungsmittel nicht hätte verhängt werden können, setze sich der Beklagte außerdem in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten.
Dieser Beurteilung kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden.
1. Nach § 945 ZPO hat die Partei, die eine zu Unrecht ergangene einstweilige Verfügung erwirkt hat, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel entsteht. Ein solcher Vollziehungsschaden ist hier nicht eingetreten.
a) Das Gesetz versteht unter Vollziehung die Zwangsvollstreckung aus dem Arrest und der einstweiligen Verfügung. Das ergibt sich aus § 928 ZPO, der die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung auf die Vollziehung des Arrests für entsprechend anwendbar erklärt und nach § 936 ZPO auch für die einstweilige Verfügung gilt (BGHZ 120, 73, 77 m.w.N.).
Einstweilige Verfügungen, die lediglich ein Unterlassungsgebot enthalten, sind vollziehbar. Zwar können sie nicht durch unmittelbaren Zwang vollstreckt werden; wohl aber kann ihre Befolgung durch die Androhung und Festsetzung von Ordnungsmitteln mittelbar erzwungen werden. Die Wirkung, die den Schuldner zum Wohlverhalten veranlassen soll, wird dabei durch die Androhung von Ordnungsmitteln erzeugt; denn ab diesem Zeitpunkt läuft der Schuldner Gefahr, daß Zuwiderhandlungen geahndet werden können.
b) § 945 ZPO beruht ebenso wie § 717 ZPO auf dem Rechtsgedanken, derjenige, der die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Titel betreibe, habe das Risiko zu tragen, daß sich sein Vorgehen nachträglich als unberechtigt erweist. Daher kann ein Vollziehungsschaden bereits dann entstanden sein, wenn der Verfügungskläger mit der Vollziehung lediglich begonnen hatte (BGH, Urt. v. 13. April 1989 - IX ZR 148/88, NJW 1990, 122, 124). Die zur Wirksamkeit der Beschlußverfügung erforderliche Parteizustellung (§ 922 Abs. 2 ZPO) stellt nach einer in Rechtsprechung und Schrifttum verbreiteten, auch vom Bundesgerichtshof gebilligten Auffassung zugleich eine Vollziehungshandlung im Sinne des § 929 Abs. 2 ZPO dar (BGH, Urt. v. 6. Dezember 1984 - III ZR 141/83, VersR 1985, 358, 359; v. 13. April 1989 - IX ZR 148/88, NJW 1990, 122, 124; BGHZ 120, 73, 78). Im Regelfall leitet der Gläubiger mit der Parteizustellung die Vollstreckung aus der Unterlassungsverfügung ein.
c) Enthält der zugestellte Titel allein das Unterlassungsgebot, ohne Androhung der in § 890 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Ordnungsmittel, ist das jedoch nicht der Fall.
Die Bestimmung des § 945 ZPO will demjenigen, der von einer einstweiligen Verfügung betroffen ist, die sich im nachhinein als von Anfang an ungerechtfertigt erweist, unter der Voraussetzung Schadensersatz gewähren, daß der Antragsteller von der ihm eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht hat, seinen Anspruch vor dessen endgültiger Feststellung zwangsweise durchzusetzen oder zu sichern. § 945 ZPO ist dabei in einer Linie mit den gleichzeitig in Kraft getretenen Vorschriften der §§ 302 Abs. 4 Satz 3, 600 Abs. 2 und 717 Abs. 2 ZPO zu sehen.
Nur eine Gläubigerhandlung, die als zwangsweise Durchführung einer angeordneten Maßregel angesehen werden kann, enthält demnach eine Vollziehung im Sinne des § 945 ZPO. Ohne eine solche ist die scharfe Haftung des Gläubigers auch bei einstweiligen Verfügungen, die ein Unterlassungsgebot aussprechen, nicht gerechtfertigt; denn die Schadensersatzpflicht kann nie allein durch das Erwirken des Titels, sondern erst durch ein darüber hinausgehendes Verhalten, das zumindest einen gewissen Vollstreckungsdruck erzeugt, begründet werden (vgl. auch BGH, Urt. v. 7. Juni 1988 - IX ZR 278/87, NJW 1988, 3268, 3269).
Ein solcher Vollstreckungsdruck geht von Unterlassungstiteln nicht aus, solange die Ordnungsmittel nicht angedroht sind; denn die Androhung muß der Verurteilung zur Zahlung eines Ordnungsgeldes vorausgehen (§ 890 Abs. 2 ZPO). Die Androhung ist zwingende Vollstreckungsvoraussetzung; solange sie nicht ausgesprochen ist, braucht der Gegner keine Vollziehung zu befürchten. Erst die Androhung bringt den Willen zur zwangsweisen Durchsetzung zum Ausdruck. Das hat der Bundesgerichtshof für Ansprüche nach § 717 Abs. 2 ZPO bereits entschieden (Urt. v. 22. Juni 1976 - X ZR 44/74, NJW 1976, 2162, 2163). Für die Bestimmung des § 945 ZPO gilt nichts anderes.
Die bloße Zustellung der nicht mit einer Strafdrohung versehenen Unterlassungsverfügung im Parteibetrieb besagt zwar, daß der Gläubiger von der einstweiligen Verfügung Gebrauch machen will; ob er sie notfalls mit Hilfe von Ordnungsmitteln durchsetzen wird, geht daraus indessen noch nicht hervor. Nur wenn eine wenigstens mittelbare Zwangswirkung geschaffen wird, befindet sich der Gegner in einer Lage, die derjenigen bei Vollziehung anderer Ansprüche vergleichbar ist. Die Zustellung einer Unterlassungsverfügung im Parteibetrieb genügt als Vollziehung deshalb nur dann, wenn die Verfügung bereits die Androhung von Ordnungsmitteln enthält; andernfalls wird die einstweilige Verfügung erst mit der Zustellung der nachträglich erwirkten Ordnungsmittelandrohung vollzogen. Der Senat folgt damit der im Schrifttum und der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ganz überwiegend vertretenen Auffassung (Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses 2. Aufl. Rdnr. 225, 297; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz § 945 ZPO Rdnr. 38; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche 6. Aufl. Kap. 36 Rdnr. 41; ders. GRUR 1993, 419; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Konkursrecht 19. Aufl. § 37 V 2; Borck WRP 1993, 374, 375, 378; Bork WRP 1989, 360, 366; Grunsky LM Nr. 27 zu § 945 ZPO; Pohlmann WM 1994, 1277, 1280, 1283; Vollkommer WuB VII A § 945 ZPO 1.93; OLG Hamm WRP 1978, 65 u. GRUR 1991, 336, 337; OLG Stuttgart OLGZ 1994, 364, 365; a.A. Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz S. 108; Pastor WRP 1978, 67; OLG Celle GRUR 1987, 66).
d) Dem kann nicht entgegengehalten werden, damit sei die ohne Strafandrohung ergangene Unterlassungsverfügung für den Gegner unverbindlich. Aus § 890 Abs. 2 ZPO folgt, daß das Gesetz es dem Belieben des Gläubigers überläßt, ob er den Unterlassungstitel mit oder ohne Strafandrohung erwirkt. Auch im letzteren Fall gilt wie bei jedem anderen Titel, daß die gerichtliche Entscheidung für die davon betroffene Partei verbindlich ist. Die Nichterfüllung des zuerkannten Anspruchs bleibt lediglich sanktionslos, solange der Gläubiger nicht das in § 890 Abs. 2 ZPO vorgesehene Verfahren einleitet. Damit befand sich die Klägerin nach Zustellung der einstweiligen Verfügung in keiner anderen Lage als jeder Schuldner, dessen Gläubiger es unterläßt, die Voraussetzungen für die Vollstreckbarkeit des erlangten Titels herbeizuführen oder die Vollstreckung zumindest anzudrohen. Darin, daß der Antragsgegner das Unterlassungsgebot zu beachten hat, dessen Erfüllung aber keine Ersatzpflicht des Antragstellers auslöst, weil ein Verstoß sanktionslos geblieben wäre, liegt folglich kein Wertungswiderspruch (vgl. BGHZ 120, 73, 81). Vielmehr wird auf diese Weise gerade der notwendige Gleichlauf zwischen Unterlassungstiteln und vollstreckbaren Entscheidungen wegen anderer Ansprüche auch im Bereich des § 945 ZPO hergestellt.
e) Der Schuldner wird dadurch auch nicht zum Ungehorsam gegenüber dem Unterlassungsgebot gezwungen, um einen Anspruch nach § 945 ZPO zu erlangen; denn die für die Vollziehung ausreichende Zwangswirkung und damit die Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch des Verfügungsbeklagten tritt unabhängig von einer Zuwiderhandlung bereits mit der Androhung von Ordnungsmitteln ein. Der Wille, die einstweilige Verfügung wirksam werden zu lassen (§ 922 Abs. 2 ZPO), in dieser Hinsicht also von ihr Gebrauch zu machen, ist jedoch nicht mit dem Willen gleichzusetzen, das Unterlassungsgebot erforderlichenfalls mit Ordnungsmitteln durchzusetzen; jener kommt erst in einem Antrag nach § 890 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck. Beruft sich der Gläubiger auf die fehlende Strafandrohung, setzt er sich deshalb nicht in Widerspruch zu seinem mit der Parteizustellung geäußerten Willen, daß die einstweilige Verfügung gelten und der Schuldner sich an das Unterlassungsgebot halten solle. Sein Verhalten verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
2. Nach einer in der Rechtsprechung und im Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Auffassung ist die Vorschrift des § 945 ZPO auch auf solche Schäden anzuwenden, die durch Leistungen entstehen, welche der Schuldner zur Abwendung der Vollziehung durch Erfüllung des Anspruchs erbringt (BGH, Urt. v. 4. Dezember 1973 - VI ZR 213/71, NJW 1974, 642, 644, insoweit in BGHZ 62, 7 n. abgedr.; Bork, WRP 1989, 360, 365; vgl. auch die Nachweise in BGHZ 120, 73, 81 f). Unter diesem Gesichtspunkt kommt indessen ebenfalls kein Schadensersatzanspruch in Betracht. Die verschuldensunabhängige Haftung wird auch im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes nicht schon dadurch ausgelöst, daß der Gläubiger die gerichtliche Entscheidung erwirkt hat. Ebenso wie im gewöhnlichen Erkenntnisverfahren muß er die Möglichkeit haben, einen wirksamen Titel zu erlangen, ohne daß er Gefahr läuft, allein deshalb Schadensersatzansprüchen ausgesetzt zu sein. Eine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung setzt voraus, daß diese bereits droht. Ohne den in § 890 Abs. 2 ZPO vorgesehenen Ausspruch besteht ein solcher Vollstreckungsdruck nicht; der Antragsgegner, der das Unterlassungsgebot trotzdem erfüllt, hat sich in einem solchen Falle der einstweiligen Verfügung "freiwillig" gefügt (BGHZ 120, 73, 82).
3. Der Umstand, daß die Klägerin im vorliegenden Fall ihren Sitz in Großbritannien hatte, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zwar war dies der Anlaß dafür, daß der Beklagte in die einstweilige Verfügung keine Ordnungsmittelandrohung aufnehmen ließ. Der rechtliche Grund für das Scheitern des Anspruchs aus § 945 ZPO ist jedoch ausschließlich die fehlende Strafandrohung und nicht der Sitz der Klägerin im Ausland. Auch ein im Inland ansässiges Unternehmen genießt nicht den Schutz des § 945 ZPO, wenn es einer Unterlassungsverfügung Folge leistet, bevor Ordnungsmittel angedroht sind.
Der Beklagte hätte zudem die Möglichkeit gehabt, die Voraussetzungen für eine Vollziehung der einstweiligen Verfügung in Großbritannien zu schaffen. Zu den Entscheidungen, die nach den im EuGVÜ genannten Regeln anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden können, gehören grundsätzlich auch Entscheidungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (EuGH Slg. 1979, 1055; Slg. 1980, 731). Dazu hätte der Klägerin gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück ordnungsgemäß und so rechtzeitig zugestellt werden müssen, daß sie sich verteidigen konnte (EuGH IPRax 1981, 95 m. zust. Anm. Hausmann IPRax 1981, 79). Wenn rechtliches Gehör gewährt worden wäre, hätte der Beklagte die einstweilige Verfügung in Großbritannien zur Vollstreckung registrieren (Art. 31 Abs. 2 EuGVÜ) und sie dann nach den dort geltenden Regeln vollstrecken lassen können. Der deutschen Unterlassungsverfügung entspricht am ehesten die interlocutory prohibitory injunction, deren Nichteinhaltung als contempt of court gewertet und nach vorheriger Androhung - die ebenfalls nötig ist - mit Haft oder Geldbuße geahndet werden kann (vgl. Stutz, Die internationale Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung unter dem EuGVÜ, S. 147, 156, 164, 170, 172; Gärtner, Probleme der Auslandsvollstreckung von Nichtgeldleistungsentscheidungen S. 104, 114 ff; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, S. 104 ff).
Wenn der Beklagte von der Einleitung eines solchen Verfahrens abgesehen hat, so hat er bewußt hingenommen, daß die Klägerin die einstweilige Verfügung sanktionslos unbeachtet lassen konnte. Die Rechtsfolge, daß die Erfüllung der nicht mit einer Ordnungsmittelandrohung versehenen einstweiligen Verfügung keine Anspruche aus § 945 ZPO auslöst, gilt unterschiedslos für jeden Antragsgegner. Folglich kann von einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 7 EWGV) nicht die Rede sein. Da die Anwendung des Gemeinschaftsrechts insoweit für einen vernünftigen Zweifel keinen Raum läßt, stellt der Senat diese Rechtsfolge selbst fest; einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedarf es nicht (vgl. EuGH NJW 1983, 1257; BGH, Urt. v. 9. Mai 1995 - VI ZR 158/94, WM 1995, 1317, 1319).
II. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 1 UWG. Nach dieser Vorschrift kann auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen. Das behindernde Verhalten liegt hier darin, daß der Beklagte der Klägerin durch gerichtliche Verfügung zu Unrecht eine wettbewerbliche Tätigkeit untersagen ließ.
Der Schadensersatzanspruch setzt jedoch Verschulden voraus (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht 18. Aufl. Einleitung UWG Rdnr. 142 m.w.N.). Ein Verstoß des Wettbewerbers gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht ist regelmäßig zu verneinen, wenn es sich um die Beurteilung eines rechtlich schwierigen Sachverhalts handelte, für den die Rechtsprechung im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung noch keine festen Grundsätze entwickelt hatte und der Beklagte sich für seine Auffassung auf namhafte Vertreter im Schrifttum und/oder gerichtliche Entscheidungen berufen konnte (BGHZ 17, 266, 295; 18, 44, 58; 27, 264, 273; BGH, Urt. v. 27. Januar 1959 - I ZR 185/55, GRUR 1960, 200, 202, v. 7. März 1969 - I ZR 116/67, GRUR 1969, 418, 422). Hier hatte der Beklagte gegen eine andere Wettbewerberin am 12. März 1987 ein ihm günstiges Urteil des Bundesgerichtshofes (I ZR 31/85, NJW 1987, 3005) erzielt. Aufgrund dieser Entscheidung durfte er davon ausgehen, daß eine Tätigkeit, wie sie von der Klägerin ausgeübt wurde, generell dem Erlaubniszwang des Art. 1 § 1 RBerG unterlag. Das Urteil betraf zwar eine inländische Gesellschaft. Der Beklagte mußte aber nicht damit rechnen, daß gegenüber der Klägerin wegen europarechtlicher Bestimmungen etwas anderes galt. Art. 59 EWGV schließt eine Einschränkung des Dienstleistungsverkehrs durch eine gesetzliche Beschränkung, wie sie der Bundesgerichtshof bejaht hatte, nicht aus. Nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Dezember 1981 (NJW 1982, 1203, 1204) und vom 25. Februar 1988 (NJW 1988, 887 Rdnr. 12) sind in Anbetracht der Besonderheiten bestimmter Dienstleistungen nationale Regelungen, die an den Leistungserbringer besondere Anforderungen stellen, mit dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs vereinbar, sofern sie durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sind. Solche Gründe hatte der Bundesgerichtshof im Urteil vom 12. März 1987 bei der Prüfung, ob die Regelung des Rechtsberatungsgesetzes mit Art. 12 GG vereinbar ist, darin gesehen, daß die hier in Frage stehenden Tätigkeiten rechtliche Kenntnisse hinsichtlich der Fristabläufe bei deutschen Schutzrechten sowie nicht ganz schematische Überlegungen und Handlungen auf der Grundlage dieser Kenntnisse erfordern (aaO. S. 3006). Aus diesem Grund sah er es als gerechtfertigt an, daß Art. 1 § 1 RBerG in Verbindung mit § 186 PatAnwaltsO die gesamte der Aufrechterhaltung gewerblicher Schutzrechte dienende Tätigkeit den Patentanwälten vorbehält. Der Bundesgerichtshof hat infolgedessen mit Beschluß vom 12. Oktober 1989 (I ZR 18/89) die Revision einer Gesellschaft, die dieselbe Tätigkeit wie die Klägerin ausübt, gegen ein Urteil des LG München I nicht angenommen, in dem die Tätigkeit auch mit Wirkung für das Ausland untersagt worden und dies von der Revision als Verstoß gegen Art. 59 EWGV gerügt worden war.
In dem auf Vorlage des OLG München zwischen den Parteien ergangenen Urteil vom 25. Juli 1991 (EuGH Slg. 1991 I 4239) hat der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung zu nationalen Bestimmungen, die die Dienstleistungsfreiheit einschränken, im Grundsatz bestätigt, die hier einschlägigen Regelungen jedoch beanstandet, weil er aufgrund einer Abwägung der maßgeblichen Umstände zu dem Ergebnis gelangte, daß zwingende Gründe des Allgemeinwohls die Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit nicht rechtfertigen (aaO. I 4244 f Rdnr. 15 - 20). Der Beklagte konnte aber zu dem maßgeblichen Zeitpunkt des Verfahrens der einstweiligen Verfügung weder aus Art. 59 EWGV unmittelbar noch aus der zu der Vorschrift bis dahin ergangenen Rechtsprechung hinreichend erkennen, daß die Erwägungen, die den Bundesgerichtshof im Urteil vom 12. März 1987 (aaO.) veranlaßt hatten, die Tätigkeiten, um die es hier geht, allein den Patentanwälten vorzubehalten, europarechtlich keinen Bestand haben würden. Daß er gegen die Klägerin eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, begründet daher keinen Schuldvorwurf.
III. Daher scheitert auch ein Anspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 59 EWGV jedenfalls daran, daß den Beklagten kein Verschulden trifft. Die Frage, ob Art. 59 EWGV ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 BGB darstellt, seitdem die Bestimmung als grundlegende Rechtsvorschrift der Gemeinschaft unmittelbar anwendbar ist (vgl. dazu EuGH Slg. 1974, 1299 u. 1405), kann daher unbeantwortet bleiben.
IV. Da ein Anspruch der Klägerin somit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht kommt, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen ist die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993364 |
BGHZ 131, 141 |
BGHZ, 141 |
DB 1996, 211 |
NJW 1996, 198 |
BGHR UWG § 1 Verschulden 1 |
BGHR ZPO § 945 Vollziehung 1 |
BGHR ZPO § 945 Vollziehung 2 |
BGHR ZPO § 945 Vollziehungsabwendung 1 |
NJW-RR 1996, 317 |
JR 1996, 371 |
WM 1996, 275 |
AfP 1996, 207 |
IPRax 1997, 36 |
MDR 1996, 451 |
WRP 1996, 104 |
IPRspr. 1995, 182 |