Leitsatz (amtlich)
Ergibt sich aufgrund eines allein vom Versicherungsnehmer einer Unfallversicherung initiierten Neubemessungsverlangens eine Verbesserung des Gesundheitszustands gegenüber dem der Erstbemessung zugrunde gelegten Zustand, ist der Versicherer nicht deshalb an einer (teilweisen) Rückforderung der Invaliditätsleistung gehindert, weil er sich bei der Erstbemessung nicht gemäß Ziff. 9.4 AUB 2008 die Neubemessung vorbehalten hatte.
Normenkette
AUB 2008 Nr. 9.4
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 16. Juli 2021 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 8.904 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf teilweise Rückzahlung einer Invaliditätsleistung in Anspruch.
Rz. 2
Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag über eine private Unfallversicherung. Diesem liegen die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen der Klägerin (nachfolgend: AUB 2008) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:
"9 |
Wann sind die Leistungen fällig? |
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9.1 |
Wir sind verpflichtet, innerhalb eines Monats - beim Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten - in Textform zu erklären, ob und in welchem Umfang wir einen Anspruch anerkennen. Die Fristen beginnen mit dem Eingang folgender Unterlagen: … |
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… |
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9.2 |
Erkennen wir den Anspruch an oder haben wir uns mit Ihnen über Grund und Höhe geeinigt, leisten wir innerhalb von zwei Wochen. |
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… |
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9.4 |
Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall …, erneut ärztlich bemessen zu lassen. … Dieses Recht muss |
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- von uns zusammen mit unserer Erklärung über unsere Leistungspflicht nach Ziffer 9.1, |
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- von Ihnen vor Ablauf der Frist |
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ausgeübt werden. |
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Ergibt die endgültige Bemessung eine höhere Invaliditätsleistung, als wir bereits erbracht haben, ist der Mehrbetrag mit 5 Prozent jährlich zu verzinsen. |
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…" |
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Rz. 3
Am 17. August 2014 stürzte der Beklagte von seinem Fahrrad und zog sich Verletzungen zu. Die Klägerin ging nach Leistungsprüfung von einer Invalidität von 3/10 Beinwert aus. Auf dieser Grundlage erbrachte sie an den Beklagten eine Invaliditätsleistung von 13.356 €. In dem Abrechnungsschreiben vom 7. September 2016 heißt es unter anderem:
"Sie können den Grad der Invalidität in der nächsten Zeit noch jährlich überprüfen lassen. Dies gilt nach dem Unfall 3 Jahre lang. Sollte sich der Gesundheitszustand verbessern, können wir die zu viel gezahlte Invaliditätsleistung zurückfordern."
Rz. 4
In der Folge beantragte der Beklagte die Neubemessung der Invalidität. Die Klägerin kam auf der Basis eines in ihrem Auftrag erstellten Gutachtens vom 21. September 2017 zu dem Ergebnis, dass lediglich eine Invalidität von 1/20 Großzehenwert verblieben sei. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2017 rechnete sie auf dieser Grundlage eine Invaliditätsleistung von 159 € ab und forderte den überzahlten Betrag zurück.
Rz. 5
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Rückzahlung von 13.197 € nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten zur Rückzahlung von 8.904 € nebst Zinsen unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, nachdem es ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte, demzufolge zum 17. August 2017 eine Invalidität von 1/10 Beinwert bestand. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 7
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin sei an der Geltendmachung eines Anspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht aufgrund Ziff. 9.4 AUB gehindert. Zwar habe die Klägerin keinen Vorbehalt für die Neubemessung der Invalidität erklärt. Daraus ergebe sich aber nur, dass sie selbst keine Neubemessung mehr hätte fordern können. Es könne dem Versicherer auch ohne Ausspruch eines Neubemessungsvorbehalts nicht grundsätzlich verwehrt sein, sich auf ein ihm günstiges Ergebnis einer durch den Versicherungsnehmer veranlassten Neubemessung zu berufen. Ein Verzicht des Versicherers könne in der Nichtgeltendmachung eines Vorbehalts nicht gesehen werden. Jedenfalls im vorliegenden Fall sei eine entsprechende Auslegung ausgeschlossen, weil die Klägerin ausdrücklich auf die Möglichkeit der Rückforderung im Falle einer Besserung des Gesundheitszustands hingewiesen habe. Die Gegenauffassung laufe auf eine Art "Spekulationsschutz" hinaus, der aber angesichts dessen, dass es sich bei der Erklärung des Versicherers zu seiner Leistungspflicht nach § 187 VVG nicht um ein deklaratorisches oder konstitutives Anerkenntnis handele, nicht gerechtfertigt erscheine. Dies gelte umso mehr, als der Versicherungsnehmer regelmäßig selbst ein gewisses Gespür dafür haben müsse, ob sich seine gesundheitliche Situation verbessert oder verschlechtert haben könne. Der Verweis auf einen Vertrauensschutz zugunsten des Versicherungsnehmers überzeuge schon vor diesem Hintergrund nicht. Gegenüber dem Rückforderungsanspruch der Klägerin könne sich der Beklagte nicht mit Erfolg auf Entreicherung berufen. Es könne dahinstehen, ob der Beklagte im Zeitraum von Ende 2016 bis Oktober 2017 von ihm näher bezeichnete Ausgaben getätigt und dies ohne Erhalt der Invaliditätsleistungen nicht getan hätte. Denn der Berufung auf Entreicherung stehe eine verschärfte Haftung nach § 820 Abs. 1 Satz 2 BGB entgegen. Die Möglichkeit des Wegfalls des Rechtsgrunds habe dem Beklagten jedenfalls durch den im Schreiben vom 7. September 2016 erfolgten Hinweis auf die Möglichkeit einer Rückforderung im Falle einer Verbesserung seines Gesundheitszustands vor Augen stehen müssen.
Rz. 8
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nur teilweise stand.
Rz. 9
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass der Klägerin - vorbehaltlich eines Wegfalls der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) - ein Anspruch auf teilweise Rückzahlung der Invaliditätsleistung zusteht, der durch Ziff. 9.4 AUB 2008 nicht ausgeschlossen ist.
Rz. 10
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts folgt dieser Anspruch allerdings nicht aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB, sondern aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB. Ergibt die Neubemessung einen geringeren Invaliditätsgrad als die Erstbemessung, fehlte es hinsichtlich des überzahlten Betrags nicht bereits ursprünglich an einem Rechtsgrund für die Auszahlung der Invaliditätsleistung. Erst durch die Neubemessung ist für die Invalidität nicht mehr auf die - vorliegend nicht angegriffene - Prognose zum Zeitpunkt des Ablaufs der Invaliditätseintrittsfrist und damit hier auf den 17. November 2015 abzustellen (vgl. Senatsurteil vom 18. November 2015 - IV ZR 124/15, BGHZ 208, 9 Rn. 19), sondern auf den Zeitpunkt bis zum Ende des dritten Jahres nach dem Unfall (vgl. Senatsurteil vom 22. April 2009 - IV ZR 328/07, VersR 2009, 920 Rn. 13; Kloth, Private Unfallversicherung 2. Aufl. G Rn. 231 f.; Prölss/Martin/Knappmann, VVG 31. Aufl. § 188 Rn. 2). Der Rechtsgrund fällt erst nachträglich weg, so dass der Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB folgt (vgl. MünchKomm-VVG/Dörner, 2. Aufl. § 188 Rn. 12; Jungermann, r+s 2019, 369, 374, 377 f.; a.A. wohl OLG Frankfurt VersR 2009, 1653 [juris Rn. 15]; OLG Oldenburg r+s 1998, 3349 [juris Rn. 17]; Grimm/Kloth, AUB 6. Aufl. Ziff. 9 Rn. 57; Looschelders/Pohlmann/Götz, VVG 3. Aufl. § 188 Rn. 9 a.E.; Marlow/Anschlag in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess 4. Aufl. § 12 Rn. 309).
Rz. 11
b) Anders als die Revision meint, war vorliegend die Neubemessung der Invalidität zu Lasten des Beklagten mit der Folge eines Rückforderungsanspruchs der Klägerin nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich Letztere im Schreiben vom 7. September 2016 nicht selbst die Neubemessung vorbehalten hatte.
Rz. 12
aa) Allerdings ist umstritten, ob der Unfallversicherer bei einer Klauselfassung wie in Ziff. 9.4 AUB 2008 an einer Rückforderung der Invaliditätsleistung gehindert ist, wenn dieser sich bei der Erstbemessung selbst nicht die Neubemessung vorbehalten hat und sich erst aufgrund eines vom Versicherungsnehmer initiierten Neubemessungsverfahrens ergibt, dass sich dessen Gesundheitszustand im Vergleich zur Erstbemessung verbessert hat.
Rz. 13
Teilweise wird vertreten, eine Rückforderung durch den Versicherer sei in diesem Fall ausgeschlossen (OLG Düsseldorf VersR 2019, 87 [juris Rn. 26 f.]; OLG Frankfurt VersR 2009, 1653 [juris Rn. 15]; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers/Brömmelmeyer, PK-VVG 5. Aufl. § 188 Rn. 5; MünchKomm-VVG/Dörner, 2. Aufl. § 188 Rn. 8, 12; Jungermann, r+s 2019, 369, 378 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 188 Rn. 6; vgl. zur Frage der Rückforderung auch OLG Oldenburg VersR 2017, 682 [juris Rn. 28 ff.]).
Rz. 14
Die überwiegende Auffassung - wie auch das Berufungsgericht - nimmt dagegen für die vorbeschriebene Konstellation an, dass der Versicherer durch eine Ziff. 9.4 AUB 2008 entsprechende Regelung nicht an der anteiligen Rückforderung der Invaliditätsleistung gehindert ist (OLG Brandenburg VersR 2018, 89 [juris Rn. 14 f.]; OLG Oldenburg r+s 1998, 349 [juris Rn. 20]; Grimm/Kloth, AUB 6. Aufl. Ziff. 9 Rn. 57; Kloth, Private Unfallversicherung 2. Aufl. G Rn. 236; ders., jurisPR-VersR 12/2019 Anm. 1 unter C; Kloth/Piontek, r+s 2020, 62, 71 f.; dies., r+s 2017, 561, 570; Prölss/Martin/Knappmann, VVG 31. Aufl. § 188 Rn. 2b und AUB 2014 Ziff. 9 Rn. 12; Jacob, Unfallversicherung AUB 2020 3. Aufl. Ziff. 9 Rn. 113; ders., VersR 2010, 39, 40 f.; VersR 2005, 1341, 1343; Bruck/Möller/Leverenz, VVG 9. Aufl. § 188 Rn. 34; Lücke, VK 2009, 77; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 47 Rn. 227; Marlow/Anschlag in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess 4. Aufl. § 12 Rn. 309; Marlow/Tschersich, r+s 2011, 453, 459; HK-VVG/Rüffer, 4. Aufl. AUB 2014 Ziff. 9 Rn. 19; Rüffer/Reitter, NJW 2019, 1005; Schubach/Jannsen/Schubach, Private Unfallversicherung Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 15).
Rz. 15
bb) Die letztgenannte Ansicht trifft zu. Das ergibt die Auslegung von Ziff. 9.4 AUB 2008.
Rz. 16
(1) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom 20. Oktober 2021 - IV ZR 236/20, VersR 2021, 1563 Rn. 10; st. Rspr.).
Rz. 17
(2) (a) Bei der Beurteilung der Frage, wie sich eine von ihm beantragte Neubemessung auswirken kann, wenn sich der Versicherer selbst die Neubemessung nicht bei der Erstbemessung vorbehalten hat, wird sich der Versicherungsnehmer zunächst am Wortlaut von Ziff. 9.4 AUB 2008 orientieren. Er wird erkennen, dass sowohl er als auch der Versicherer berechtigt sind, innerhalb dort genannter Fristen den Grad der Invalidität "erneut ärztlich bemessen zu lassen". Wie die Revisionserwiderung zu Recht ausführt, wird er dies so verstehen, dass die Invalidität in alle Richtungen neu bemessen wird und nicht lediglich eine Veränderung zugunsten desjenigen, der die Neubemessung initiiert hat, Berücksichtigung finden kann. Eine derartige Einschränkung enthält der Wortlaut der Klausel nicht. Darüber hinaus wird der Versicherungsnehmer dem Wortlaut der Ziff. 9.4 AUB 2008 entnehmen, dass der Versicherer sein Recht auf Neubemessung zusammen mit der Erklärung über seine Leistungspflicht nach Ziff. 9.1 AUB 2008, also mit der Erstbemessung, ausüben muss, während der Versicherungsnehmer dieses Recht noch längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall ausüben kann. Auf die Frage, welche Folgen es hat, wenn diese Neubemessung eine geringere Invalidität als die Erstbemessung ergibt, wird der Versicherungsnehmer im Wortlaut der Ziff. 9.4 AUB 2008 keine ausdrückliche Antwort finden (vgl. Jacob, Unfallversicherung AUB 2020 3. Aufl. Ziff. 9 Rn. 113; ders., VersR 2010, 39, 40; Marlow/Tschersich, r+s 2011, 453, 459).
Rz. 18
(b) Aus dem für ihn erkennbaren Zweck und Sinnzusammenhang der Klausel wird dem Versicherungsnehmer aber deutlich, dass für die Bemessung seiner Invaliditätsleistung die zuletzt innerhalb des Dreijahreszeitraums durchgeführte Neubemessung maßgeblich ist, und zwar unabhängig davon, wer diese beantragt hat (vgl. auch Jacob, Unfallversicherung AUB 2020 3. Aufl. Ziff. 9 Rn. 113; Prölss/Martin/Knappmann, VVG 31. Aufl. AUB 2014 Ziff. 9 Rn. 12; Bruck/Möller/Leverenz, VVG 9. Aufl. § 188 Rn. 34; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 47 Rn. 227). Er wird annehmen, dass ihm im Falle einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands gegenüber der Erstbemessung eine höhere Invaliditätsleistung zustehen wird. Ebenso wird er bei verständiger Würdigung erkennen, dass sich die Invaliditätsleistung auch verringern kann, wenn sich sein Gesundheitszustand gegenüber der Erstbemessung verbessert hat. Hingegen wird er weder aufgrund des Wortlauts noch aufgrund des Zwecks oder Sinnzusammenhangs der Klausel verständigerweise annehmen, dass er, wenn der Versicherer bei der Erstbemessung sein Recht auf Neubemessung nicht ausgeübt hat, im Verhältnis zu diesem hinsichtlich der Erstbemessung bereits eine unanfechtbare Position erlangt habe, so dass sich die Neubemessung nicht zu seinen Ungunsten auswirken könne (a.A. OLG Düsseldorf VersR 2019, 87 [juris Rn. 27]; OLG Oldenburg VersR 2017, 682 [juris Rn. 29]; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers/Brömmelmeyer, PK-VVG 5. Aufl. § 188 Rn. 5).
Rz. 19
(aa) Den Ziff. 2.1.1.1 und 9.1, 9.4 AUB 2008 mit den dort genannten Fristen für den Eintritt der Invalidität sowie deren Neubemessung liegt der auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Zweck zugrunde, die abschließende Bemessung der Invalidität nicht auf unabsehbare Zeit hinauszuschieben. Die Regelung wird den Interessen beider Parteien gerecht, indem zum einen sich nach dem Unfall ergebende Veränderungen des Gesundheitszustandes berücksichtigt werden können, zum anderen die abschließende Festsetzung der Invalidität innerhalb überschaubarer Zeit auf der Grundlage eines feststehenden Bemessungszeitpunkts vorzunehmen ist (Senatsurteil vom 18. November 2015 - IV ZR 124/15, BGHZ 208, 9 Rn. 20).
Rz. 20
(bb) Dieser Zweck erfordert es - auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar - nicht, eine dem Versicherungsnehmer nachteilige Wirkung der Neubemessung auszuschließen, wenn der Versicherer sich nicht seinerseits die Neubemessung vorbehalten hat. Vielmehr erkennt der Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, dass den beiderseitigen Interessen dadurch am besten Rechnung getragen ist, dass - unabhängig davon, wer die Neubemessung initiiert hat - im Sinne der materiellen Gerechtigkeit das Ergebnis der letzten Neubemessung innerhalb der Dreijahresfrist den Leistungsanspruch festlegt. Der Revision ist zwar zuzugeben, dass der Versicherungsnehmer die Neubemessung mit dem erkennbaren Ziel verlangt, seine Rechtsstellung zu verbessern. Die Rechtswirkung seines Neubemessungsverlangens bestimmt sich aber nicht maßgeblich nach dieser Erwartung, sondern nach den Versicherungsbedingungen, die eine Einschränkung der Wirkung des Neubemessungsverlangens im Sinne des Versicherungsnehmers nicht vorsehen.
Rz. 21
(cc) Ein anderes Verständnis ergibt sich auch nicht daraus, dass in Ziff. 9.4 AUB 2008 a.E. eine Regelung zur Verzinsung einer höheren Invaliditätsleistung getroffen ist. Daraus wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht schließen, dass eine Rückforderung ausgeschlossen ist, wenn die Neubemessung eine geringere Invalidität ergibt. Denn erkennbar sind die Rechtsfolgen der Neubemessung in der Klausel nur unvollständig geregelt, nämlich nur hinsichtlich der Zinsforderung, nicht aber auch hinsichtlich des Anspruchs auf eine höhere Invaliditätsleistung oder deren (teilweise) Rückforderung durch den Versicherer.
Rz. 22
(dd) Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, wird ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht der Versicherungsbedingungen nach alledem zwischen dem - in Ziff. 9.4 AUB 2008 geregelten - Recht auf Neubemessung und dem - dort nur unvollständig geregelten - Recht aus der Neubemessung, nämlich dem Anspruch des Versicherungsnehmers auf eine höhere Invaliditätsleistung oder dem Anspruch des Versicherers auf Rückzahlung, unterscheiden.
Rz. 23
(3) Auf die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB kommt es nicht an, denn die Auslegung der Klausel ist im vorgenannten Sinne eindeutig (a.A. wohl Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers/Brömmelmeyer, PK-VVG 5. Aufl. § 188 Rn. 5).
Rz. 24
cc) Entgegen der Ansicht der Revision ist die so verstandene Klausel für den Versicherungsnehmer nicht überraschend. Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat einen überraschenden Inhalt im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 - VI ZR 475/15, VersR 2016, 1330 Rn. 10 m.w.N.; st. Rspr.). Das Wesensmerkmal überraschender Klauseln liegt in dem ihnen innewohnenden Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt (BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 aaO m.w.N.). Davon kann hier keine Rede sein. Dass auch im Falle einer Neubemessung, die nur der Versicherungsnehmer selbst noch beantragen konnte, ein Rückforderungsanspruch entstehen kann, ist nicht so ungewöhnlich, dass dieser hiermit nicht rechnen wird. Eine Überrumpelung oder Übertölpelung liegt nicht vor, denn der Versicherungsnehmer kann auf Grundlage seiner Kenntnis über den eigenen Gesundheitszustand selbst entscheiden, ob er eine Neubemessung veranlasst und sich damit dem Risiko einer Verschlechterung aussetzt.
Rz. 25
dd) Die Klausel hält auch der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB stand.
Rz. 26
(1) Sie verstößt nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Rz. 27
(a) Hiernach ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2022 - IV ZR 144/21, VersR 2022, 312 Rn. 29; vom 20. November 2019 - IV ZR 159/18, VersR 2020, 95 Rn. 7; vom 14. August 2019 - IV ZR 279/17, VersR 2019, 1284 Rn. 18).
Rz. 28
(b) Diesen Anforderungen wird die Klausel gerecht. Entgegen der Ansicht der Revision ist der Versicherer nicht gehalten, in Ziff. 9.4 AUB 2008 explizit auf das Risiko einer Verschlechterung hinzuweisen (a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers/Brömmelmeyer, PK-VVG 5. Aufl. § 188 Rn. 5). Das Transparenzgebot verlangt es nicht, aus dem Gesetz oder aus der Rechtsnatur eines Vertrages folgende Rechte ausdrücklich zu regeln oder den Vertragspartner darüber zu belehren (vgl. Senatsurteil vom 22. März 2000 - IV ZR 23/99, VersR 2000, 709 unter II 4 a [juris Rn. 27]; BGH, Urteil vom 14. Mai 1996 - XI ZR 257/94, BGHZ 133, 25 unter II 3 b bb 2 [juris Rn. 31]). Dass auch eine Verschlechterung eintreten kann, ist bereits dem Begriff der Neubemessung immanent. Der Rückforderungsanspruch folgt dann aus dem Gesetz (§ 812 BGB). Unerheblich ist, dass die Allgemeinen Versicherungsbedingungen - wie durch den nun in Ziff. 9.4 AUB 2020 enthaltenen expliziten Hinweis auf die Rückforderungsmöglichkeit - noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (vgl. Senatsurteil vom 4. April 2018 - IV ZR 104/17, VersR 2018, 532 Rn. 8 m.w.N.).
Rz. 29
(2) Die so verstandene Klausel benachteiligt den Versicherungsnehmer auch nicht unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Rz. 30
Der Versicherungsnehmer ist durch die in Ziff. 9.4 AUB 2008 getroffene Fristenregelung - auch im Vergleich zur gesetzlichen Regelung des § 188 Abs. 1 Satz 1 VVG (vgl. Schubach/Jannsen/Schubach, Private Unfallversicherung Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 13) - gegenüber dem Versicherer bessergestellt, weil er mit der Ausübung des Neubemessungsrechts bis zum Ende der Dreijahresfrist abwarten kann. Es besteht damit für ihn - anders als für den Versicherer, der sich bei der Erstfestsetzung erklären muss - die Möglichkeit, die tatsächliche Entwicklung abzuwarten (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG 31. Aufl. § 188 Rn. 2b). Der Versicherungsnehmer kennt seinen Gesundheitszustand und kann deshalb die Risiken, die mit einem Neubemessungsverlangen einhergehen, in der Regel einschätzen, bevor er sich dazu entscheidet (vgl. Rüffer/Reitter, NJW 2019, 1005). Wie das Berufungsgericht zu Recht erkannt hat, bedarf es eines "Spekulationsschutzes" zu seinen Gunsten daher nicht. Der Versicherungsnehmer ist zudem durch den Entreicherungseinwand des § 818 Abs. 3 BGB geschützt (vgl. OLG Brandenburg VersR 2018, 89 [juris Rn. 15]; Grimm/Kloth, AUB 6. Aufl. Ziff. 9 Rn. 57; Prölss/Martin/Knappmann, VVG 31. Aufl. § 188 Rn. 2c; a.A. Jacob, Unfallversicherung AUB 2020 3. Aufl. Ziff. 9 Rn. 112).
Rz. 31
ee) Entgegen einer teilweise in Rechtsprechung (OLG Düsseldorf VersR 2019, 87 [juris Rn. 26]; OLG Frankfurt VersR 2009, 1653 [juris Rn. 15]) und Literatur (MünchKomm-VVG/Dörner, 2. Aufl. § 188 Rn. 8, 12) vertretenen Auffassung ist eine Neubemessung zu Lasten des Versicherungsnehmers und damit ein Rückforderungsanspruch des Versicherers auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass bei mangelndem eigenen Vorbehalt das Ergebnis der Erstbemessung für den Versicherer bindend geworden wäre. Wie der Senat für das Verfahren der Erstbemessung bereits mit Urteil vom 11. September 2019 (IV ZR 20/18, VersR 2019, 1412 Rn. 10) entschieden und im Einzelnen begründet hat, kommt der Erklärung des Unfallversicherers, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt, im Regelfall (zu Ausnahmen vgl. Senatsurteil vom 24. März 1976 - IV ZR 222/74, BGHZ 66, 250 unter II 2 b bb [juris Rn. 25]; Prölss/Martin/Knappmann, VVG 31. Aufl. § 187 Rn. 7) keine rechtsgeschäftliche, potentiell schuldbegründende oder schuldabändernde Wirkung zu. Rechtsgrund der Invaliditätsleistung ist danach nicht die Erklärung des Unfallversicherers, dass er den Anspruch in einer bestimmten Höhe anerkennt, sondern weiterhin der Versicherungsvertrag (Senatsurteil vom 11. September 2019 aaO Rn. 11). Dementsprechend lässt sich eine Bindungswirkung auch für das Neubemessungsverfahren nicht begründen (vgl. auch Grimm/Kloth, AUB 6. Aufl. Ziff. 9 Rn. 57, 59; Kloth, jurisPR-VersR 12/2019 Anm. 1 unter C).
Rz. 32
ff) Der Klägerin ist die Rückforderung der Versicherungsleistung schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB verwehrt. Anders als in dem die Erstbemessung der Invalidität betreffenden Senatsurteil vom 11. September 2019 (IV ZR 20/18, VersR 2019, 1412 Rn. 19-25) hat der Versicherer hier nicht durch das Abrechnungsschreiben den Eindruck erweckt, die Höhe der vertraglich geschuldeten Leistung endgültig klären zu wollen. Vielmehr hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 7. September 2016 ausdrücklich darauf hingewiesen, die zu viel gezahlte Invaliditätsleistung zurückzufordern, wenn sich in einem Neubemessungsverfahren eine Verbesserung des Gesundheitszustandes ergibt.
Rz. 33
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, der Beklagte hafte nach § 820 Abs. 1 Satz 2 BGB verschärft und könne sich deshalb nicht auf einen Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen.
Rz. 34
a) Nach § 820 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BGB haftet der Empfänger einer Leistung verschärft, wenn die Leistung aus einem Rechtsgrund, dessen Wegfall nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts als möglich angesehen wurde, erfolgt ist und der Rechtsgrund wegfällt. Sinn der Regelung ist, dass ein Empfänger, der von vornherein mit seiner Rückgabeverpflichtung rechnet, sich so einrichten muss, als müsse er die empfangene Leistung zurückgeben. Dabei muss sich bereits aus dem Inhalt des Rechtsgeschäfts ergeben, dass beide Parteien sich die Möglichkeit des Wegfalls des Rechtsgrundes nicht nur beiläufig, sondern besonders vergegenwärtigt haben (BGH, Urteil vom 17. Juni 1992 - XII ZR 119/91, BGHZ 118, 383 unter II 2 c [juris Rn. 22] m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Juli 1961 - II ZR 258/59, JZ 1961, 699 unter 7 [juris Rn. 19]).
Rz. 35
b) Wie die Revision zu Recht geltend macht, hat das Berufungsgericht diese Voraussetzungen auf Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Unrecht angenommen. Der Wegfall des Rechtsgrundes stellte sich für den Beklagten bereits deshalb nur als eine entfernt liegende Möglichkeit dar, weil er es selbst in der Hand hatte, eine erneute Untersuchung nur dann zu verlangen, wenn er von einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands ausging. Aus dem Inhalt des Rechtsgeschäfts ergibt sich nicht, der Beklagte habe die Möglichkeit, dass sich diese mit einem späteren eigenen Neubemessungsverlangen verbundene Erwartung nicht erfüllen würde, ernsthaft in Betracht gezogen. Auf den Hinweis im Schreiben vom 7. September 2016 lässt sich dies entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht stützen, denn dieser einseitigen Mitteilung kommt nach dem oben Gesagten bereits keine rechtsgeschäftliche Wirkung zu, so dass sie nicht den Inhalt des Rechtsgeschäfts ausformen kann (a.A. Jungermann, r+s 2019, 369, 375). Auf etwaige tatrichterliche Feststellungen dazu, welche Vorstellungen dieser Hinweis beim Beklagten hervorgerufen haben mag, kommt es deshalb entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht an.
Rz. 36
c) Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Auch aus § 819 Abs. 1 BGB ergibt sich für den hier in Rede stehenden Zeitraum keine verschärfte Haftung. Wie das Berufungsgericht zu Recht erkannt hat, begründet die Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Möglichkeit einer Neubemessung noch nicht die Kenntnis vom mangelnden rechtlichen Grund (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG 31. Aufl. § 188 Rn. 2c; MünchKomm-VVG/Dörner, 2. Aufl. § 188 Rn. 12; a.A. Schubach/Jannsen/Schubach, Private Unfallversicherung Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 17 im Hinblick auf ein dem Versicherer vorbehaltenes Neubemessungsrecht). Jene besteht vielmehr erst mit Kenntnis des Ergebnisses der Neubemessung, hier mit Erhalt des Schreibens vom 11. Oktober 2017.
Rz. 37
III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft hat, ob und inwieweit die Verpflichtung des Beklagten zur Herausgabe des zu viel gezahlten Teils der Invaliditätsleistung ausgeschlossen ist, weil er nicht mehr bereichert ist (§ 818 Abs. 3 BGB).
Prof. Dr. Karczewski |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Götz |
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Piontek |
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Fundstellen
Haufe-Index 15443349 |
NJW 2022, 8 |
NJW 2023, 52 |
WM 2022, 2323 |
VersR 2022, 1580 |
VuR 2023, 80 |
ZfS 2023, 96 |
SpV 2023, 5 |