Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperverletzung mit Todesfolge
Tenor
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 23. April 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Gegen diese Entscheidung richten sich die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, und die auf die Verletzung sachlichen und förmlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.
I.
Das Landgericht hat festgestellt:
Der Angeklagte suchte am 9. Februar 1998 zusammen mit seiner Ehefrau den ihm bekannten S. in dessen Wohnung in Gernsheim auf. Gegen 18.30 Uhr versetzte der Angeklagte, der zu diesem Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von höchstens 1,29 [permil] aufwies, S., der ebenfalls nicht unerheblich alkoholisiert war und auf seinem Bett saß, ohne von diesem vorher angegriffen worden zu sein, mit der Hand einen wuchtigen und heftigen Schlag gegen die linke Gesichtshälfte. Der Schlag verursachte eine Verletzung der linken Wangenschleimhaut, verbunden mit einer massiven Blutung. Infolge des Schlages wurde der Kopf von S. heftig hin und her bewegt. Dadurch kam es über der rechten Großhirnhalbkugel zu einer Verletzung von Brückenvenen, einer langsamen Blutung unter die harte Hirnhaut über der rechten Großhirnhalbkugel sowie zu Einblutungen im Bereich des Hirnstamms. S. wurde bewußtlos. Der Angeklagte ging davon aus, daß diesem infolge des Schlages etwas „Gravierendes” zugefügt worden war und befürchtete, daß dieser zu Tode kommen könne. Er verließ die Wohnung des regungslos auf dem Bett liegenden S. und zog dabei den in der Hauseingangstür von innen steckenden Schlüssel ab, schloß diese von außen zu und nahm den Schlüssel mit. Dadurch wollte er Zeit gewinnen, um sich klar zu werden, wie er „den Kopf aus der selbstumgelegten Schlinge ziehen könne” und wollte verhindern, daß durch einen „dummen Zufall” sich jemand in die Wohnung von S. begeben und diesen regungslos und bewußtlos auffinden könnte. Nach einiger Zeit rief die Ehefrau des Angeklagten auf dessen Veranlassung die Schwester des Tatopfers an, um diese zu veranlassen, in die Wohnung des Angeklagten zu kommen. Bei dieser Gelegenheit wollte er diese überzeugen, daß er „nichts Massives gegen S. unternommen, es sich um einen Unglücksfall gehandelt habe und sie überreden, ihn doch aus dem Spiel zu lassen”. Da die Schwester des Tatopfers telefonisch nicht erreicht werden konnte, begab sich die Ehefrau des Angeklagten gegen 20.00 Uhr in die Wohnung der Zeugin S., wo sich nur deren Lebensgefährte Sch. befand. Diesem erzählte sie von der Auseinandersetzung, der Angeklagte und S. hätten sich irgendwie „in der Wolle gehabt” und seien sich gegenseitig „an den Hals” gegangen. Sie händigte dem Zeugen den Wohnungsschlüssel des S. aus. Als dessen Schwester nach Hause kam, berichtete der Zeuge Sch. ihr von dem Gespräch. Gegen 21.00 Uhr ging sie zur Wohnung ihres Bruders und horchte an der Türe. Als sie Schnarchgeräusche hörte, dachte sie, er schlafe.
S. wurde am 10. Februar 1998 gegen 16.30 Uhr auf seinem Bett liegend tot aufgefunden.
II.
Die Schwurgerichtskammer geht davon aus, daß der Angeklagte das Tatopfer in Verletzungsabsicht geschlagen und dadurch dessen Tod verursacht hat. Nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten hätte er den Tod als Folge seines Tuns als möglich voraussehen können und müssen.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Revisionen. Die Staatsanwaltschaft hält hinsichtlich des Schuldspruchs eine Vorhersehbarkeit des eingetretenen Erfolges auf Seiten des Angeklagten für nicht ausreichend festgestellt und ist im übrigen der Meinung, die Bestimmung des Strafrahmens sei rechtsfehlerhaft, die verhängte Strafe unverhältnismäßig hoch. Der Angeklagte wendet sich mit der Sachbeschwerde gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts, vor allem soweit seine Einlassung als widerlegt angesehen und die Ursächlichkeit des Schlages ins Gesicht für den Tod des S. bejaht wurde. Mit der Verfahrensbeschwerde rügt er eine Verletzung der Aufklärungspflicht sowie die Ablehnung eines Beweisantrages.
III.
Die Rechtsmittel greifen durch.
1. Die Verfahrensrügen des Angeklagten entsprechen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind deshalb unzulässig.
2. Die von beiden Beschwerdeführern erhobene Sachrüge führt aber zur Aufhebung des Urteils. Dieses weist einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler im Strafausspruch auf, der zur Aufhebung auch des Schuldspruchs nötigt.
Die Schwurgerichtskammer hat einen minder schweren Fall der Körperverletzung mit Todesfolge nach § 226 Abs. 2 StGB aF (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren) verneint und die Strafe dem Strafrahmen des § 226 Abs.1 StGB aF entnommen (Freiheitsstrafe von drei bis 15 Jahren). Rechtsfehlerhaft hat sie dabei einen wesentlichen Umstand nicht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt.
Maßgebend für die Annahme eines minder schweren Falles ist, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Hierzu ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (st. Rspr. vgl. BGHSt 26, 97, 98 f.; BGHR StGB vor § 1 minder schwerer Fall, Prüfungspflicht 1). Wesentliches Gewicht für die Bewertung der Tatschuld des Angeklagten mußte der Tatsache zukommen, daß die – im Rahmen von § 18 StGB zwar zurechenbare – Todesfolge auf sehr unglücklichen Umständen beruhte. Denn daß ein – wenn auch heftiger – Schlag gegen den Kopf einer sitzenden Person deren Tod verursacht, ist eher selten und beruhte hier unter anderem auch auf den körperlichen Gegebenheiten des Tatopfers (Alkoholiker). Ein solcher besonderer – wenn auch in seinem Ergebnis letztlich doch voraussehbarer – Geschehensablauf läßt die Schuld des Täters in einem milderen Licht erscheinen. Auf diesen Gesichtspunkt geht das Landgericht bei der Strafzumessung nicht ein. Es hat das Tatbild nämlich nur insoweit in seine Bewertung einbezogen, als es zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, daß bei ihm nur „unbewußte Fahrlässigkeit” und „eine gewisse alkoholbedingte Enthemmung” vorgelegen habe.
3. Die Strafrahmenwahl und damit der gesamte Strafausspruch können somit keinen Bestand haben. Dies führt hier aber auch zur Aufhebung des Schuldspruches, weil das Landgericht es unter Verkennung der ihm obliegenden Kognitionspflicht unterlassen hat, eine Strafbarkeit des Angeklagten unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu erörtern.
a) Nach den Feststellungen gingen der Angeklagte und seine Ehefrau davon aus, daß dem infolge des wuchtigen Schlages bewußtlosen S. etwas „Gravierendes” zugefügt worden war. Der Angeklagte befürchtete sogar, daß dieser zu Tode kommen könne (UA S. 24). Nach der Auffassung der Schwurgerichtskammer hätte er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten erkennen und voraussehen können, daß dem Schlag das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftete (UA S. 76/77).
Angesichts dieser Ausführungen drängte es sich auf, die Frage zu erörtern, ob das Verhalten des Angeklagten nicht nur als Körperverletzung mit Todesfolge, sondern auch als vollendetes oder versuchtes Tötungsdelikt durch Unterlassen (§§ 211, 212, 22, 23, 13 StGB) zu beurteilen ist. Eine nur versuchte Tat könnte deshalb in Betracht kommen, weil nach den bisherigen Feststellungen nicht mit Sicherheit geklärt werden konnte, daß der Verletzte durch ärztliche Hilfe hätte gerettet werden können. Die für ein Unterlassungsdelikt erforderliche Rechtspflicht zum Handeln ergab sich für den Angeklagten aus „vorausgegangenem Tun”. Die insoweit rechtlich erforderliche Pflichtwidrigkeit liegt in seinem – rechtswidrigen – Angriff auf das Tatopfer (BGHSt 37, 106, 115; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 14 m.w.N.). Ein bedingt vorsätzliches Handeln (vgl. zum Tötungsvorsatz beim Unterlassen BGH NStZ 1992, 125; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50) legen die zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen des Landgerichts nahe. Zwar kann nicht allein aus der Erkenntnis der möglichen Todesfolge auf das Billigen des Erfolges geschlossen werden. Die Urteilsgründe lassen die Frage einer „Billigung” offen. Dafür ergaben sich aber nicht unwesentliche Anhaltspunkte. Der Angeklagte hat etwaige Hilfe für das Tatopfer dem Zufall überlassen, er hat niemandem von seiner Befürchtung, S. sei lebensgefährlich verletzt, Mitteilung gemacht und möglicherweise durch das Versperren der Haustüre objektiv sogar Hilfe verhindert.
Im übrigen hätte auch eine Strafbarkeit nach § 221 StGB (vgl. BGHSt 26, 35 ff.; BGHR StGB § 221 – Konkurrenzen 1) oder § 323 c StGB erörtert werden müssen (vgl. BGH NStZ 1985, 501; BGH, Urt. v. 20. Januar 2000 – 4 StR 365/99).
b) Die Aufhebung des Schuldspruchs, die dazu führen kann, daß der Angeklagte in der neuen Hauptverhandlung auf Grund weiterer Straftatbestände verurteilt wird, ist – auch wenn nur Revisionen zugunsten des Angeklagten vorliegen – geboten. Denn wenn durch eine teilweise Verwerfung der Revision (also Aufhebung nur im Strafausspruch) der Schuldspruch, der hier wegen der unterlassenen Erörterung unter anderem eines – durch Unterlassen begangenen – Tötungsdelikts rechtsfehlerhaft ist, rechtskräftig würde, wäre das neu erkennende Landgericht unter Umständen aus Rechtsgründen gehindert, durch entsprechende widerspruchsfreie Feststellungen den richtigen Ausgangspunkt für eine unter Beachtung des Verschlechterungsverbotes (§ 358 Abs. 2 StPO) schuldangemessene Ahndung der Tat zu gewinnen (BGH, Beschl. v. 11. November 1981 – 3 StR 342/81 – zitiert bei Holtz MDR 1982, 283; vgl. auch BayObLGSt 1980, 13 ff., 15; Jagusch NJW 1962, 1417 ff, 1419/1420; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 354 Rdn. 22).
Käme der neu entscheidende Tatrichter zur Annahme eines durch Unterlassen begangenen Totschlags, stände dieser mit der festgestellten Tat nach § 226 StGB aF in Tateinheit (vgl. BGH NStZ 2000, 29, 30 für ein vollendetes Tötungsdelikt). Die Notwendigkeit einer Aufhebung des gesamten Schuldspruchs liegt dann auf der Hand.
Selbst wenn bei Verwirklichung sowohl des § 226 StGB aF als auch eines (versuchten) Tötungsdelikts nach §§ 211, 212 StGB eine tatmehrheitliche Begehung in Betracht gezogen würde (vgl. BGHSt 7, 287, 289), kann der Schuldspruch aber keinen Bestand haben, denn es handelt sich um dieselbe Tat im Sinne des § 264 StPO (vgl. auch BGHR StGB § 226 Kausalität 1) und hätte mit abgeurteilt werden müssen.
Die Sache muß somit in vollem Umfang erneut verhandelt werden.
IV.
Im Hinblick darauf, daß in einem informellen Gespräch zwischen den Verfahrensbeteiligten das Gericht dem Verteidiger bei einem entsprechenden Geständnis des Angeklagten eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren in Aussicht gestellt hatte, dann aber doch – bei gleichem Schuldspruch – eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren für schuldangemessen hielt, die es vor allem damit erklärt, daß „der ganz wesentliche Strafmilderungsgrund des von Tateinsicht und Reue geprägten umfassenden Geständnisses fehlt”, macht der Senat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an eine Schwurgerichtskammer des Landgericht Frankfurt am Main zurück.
Das neu erkennende Gericht wird möglicherweise zur Beurteilung der bei der Obduktion erhobenen Befunde einen neurologischen Sachverständigen hinzuziehen müssen.
Unterschriften
Jähnke, Detter, Bode, Otten, Rothfuß
Fundstellen
Haufe-Index 556682 |
StV 2000, 556 |