Leitsatz (amtlich)
Zur unfallversicherungsrechtlichen Zuordnung eines Arbeitnehmers, der vom Empfängerbetrieb dem Anlieferbetrieb gegen Rabattgewährung als Hilfe beim Abladen schweren Materials zur Verfügung gestellt wird.
Normenkette
RVO §§ 636-637
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 12.01.1981) |
LG Dortmund |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. Januar 1981 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen dem Kläger zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, ein bei der Firma R. angestellter Monteur, erlitt auf dem Betriebsgelände dieser Firma erhebliche Verletzungen, als er versuchte, die Ladefläche eines bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Lkw's der Zweitbeklagten zu ersteigen, um den Fahrer des Lkw's – den bei der Zweitbeklagten angestellten Erstbeklagten – beim Entladen von U-Trägern zu unterstützen, die die Zweitbeklagte anlieferte. Zu dem Unfall, den die Berufsgenossenschaft der Firma R. als Arbeitsunfall anerkannt hat, kam es, weil drei ineinander verkeilte U-Träger ins Rutschen gerieten und den Kläger am Kopf, an den Schultern und am rechten Bein trafen. Die Lieferung der U-Träger erfolgte im Zuge einer ständigen Geschäftsbeziehung zwischen der Firma R. und der Zweitbeklagten. Zwischen den Firmen besteht eine Absprache dahin, daß die Arbeitnehmer der Firma R. die Materialien, die die Zweitbeklagte an die Firma R. liefert, abladen bzw. beim Abladen mitwirken und die Firma R. dafür zum Jahresende eine Rückvergütung von 2 % des jeweiligen Auftragswertes erhält.
Mit der Klage verlangt der Kläger von den Beklagten Ersatz seines unfallbedingten Sachschadens und ein Schmerzensgeld; ferner begehrt er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz seines zukünftigen Unfallschadens.
Die Beklagten haben geltend gemacht, der Kläger habe seine Verletzungen selbst verschuldet; im übrigen sei ihre Ersatzpflicht nach §§ 636, 637 RVO von vornherein ausgeschlossen, weil der Kläger während des Entladevorganges in den Betrieb der Zweitbeklagten eingegliedert gewesen sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das Berufungsgericht dem Kläger den geltend gemachten Sachschaden zur Hälfte zuerkannt und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger seinen Schmerzensgeldanspruch und sein Feststellungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht stellt fest, daß der Erstbeklagte den Unfall zwar fahrlässig herbeigeführt hat, daß den Kläger aber ein gleich hoch zu bewertendes Mitverschulden trifft. Der Kläger könne deshalb – so führt das Berufungsgericht aus – von den Beklagten zwar die Hälfte des eingeklagten Sachschadens verlangen, jedoch stehe seinem Schmerzensgeldanspruch der grundsätzliche Haftungsausschluß der §§ 636 Abs. 1, 637 Abs. 1 RVO entgegen. Er sei während des Entladevorgangs in den Betrieb der Zweitbeklagten eingegliedert gewesen; durch seine Mitarbeit beim Entladen habe er eine vertragliche Verpflichtung der Zweitbeklagten erfüllt. Daß die Zweitbeklagte zum Entladen ihrer Lieferfahrzeuge verpflichtet sei, komme darin zum Ausdruck, daß sie der Firma R. für die Gestellung von Arbeitskräften für den Entladevorgang eine Vergütung gewähre. Die Bindungswirkung der Anerkennung des Unfalls durch die Berufsgenossenschaft der Firma R. verwehre nicht die Feststellung, daß der Unfall auch dem Betrieb der Zweitbeklagten als Arbeitsunfall zugerechnet werden müsse. Für den Feststellungsanspruch fehle das Rechtsschutzinteresse. Zukunftsschäden des Klägers könnten sich allein aus der Körperverletzung ergeben; dafür aber sei die Haftung der Beklagten nach §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen.
II.
Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
1. Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Bindungswirkung der Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall durch die Berufsgenossenschaft der Firma R. (§ 638 Abs. 1 RVO) nicht die Feststellung hindert, daß der Unfall auch dem Betrieb der Zweitbeklagten als Arbeitsunfall zuzurechnen ist, so daß zugunsten der Beklagten eine Haftungsfreistellung gemäß §§ 636, 637 Abs. 1 RVO in Betracht kommt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 1982 – VI ZR 240/79 – VersR 1983, 31 m.w.N.). Dies greift die Revision auch nicht an.
2. Ohne Rechtsfehler gelangt das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis, daß der Kläger während des Abladevorgangs in den Betrieb der Zweitbeklagten „eingegliedert” war, so daß zugunsten der Beklagten die Haftungsfreistellung nach §§ 636, 637 Abs. 1 RVO eingreift.
Für die unfallversicherungsrechtliche Zuordnung („Eingliederung”) des Klägers zum Betrieb der Zweitbeklagten („Unfallbetrieb”), von der das Eingreifen der Haftungsfreistellung aus §§ 636, 637 Abs. 1 RVO abhängt, reicht es aus, daß der Kläger für diesen Betrieb ähnlich wie ein Arbeitnehmer der Zweitbeklagten tätig geworden ist und diese Tätigkeit in die betriebliche Sphäre dieses Unternehmens fiel. Eine Beziehung des Klägers zum Unfallbetrieb, die arbeitsrechtlich als die eines Arbeitnehmers zu qualifizieren ist, ist für die Annahme einer „Eingliederung” nicht erforderlich; insbesondere muß auch kein Abhängigkeitsverhältnis wirtschaftlicher oder gar persönlicher Art zum Unfallbetrieb vorliegen (vgl. Senatsurteil vom 16. November 1982 – VI ZR 78/81 – VersR 1983, 156 f. m.w.N.).
Die damit aufgeworfene Frage, ob die Mitwirkung des Klägers am Entladevorgang in die betriebliche Sphäre der Zweitbeklagten oder aber in die Sphäre des Stammbetriebes des Klägers – der Firma R. – fiel, beantwortet sich danach, welches der beiden Unternehmen zum Entladen des Lkw's der Zweitbeklagten verpflichtet war. Dies bestimmt sich dann, wenn hierüber eine Vereinbarung getroffen ist, nach dem Inhalt dieser Vereinbarung (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 1982 – a.a.O.). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht zutreffend seiner Beurteilung zugrunde gelegt.
Das Berufungsgericht hat die zwischen der Firma R. und der Zweitbeklagten getroffene Abrede dahin gewürdigt, daß sich letztere zum Entladen ihrer Lieferfahrzeuge verpflichtet hat. Für diese Würdigung war entscheidend, daß die Zweitbeklagte der Firma R. für die Gestellung von Arbeitskräften für den Entladevorgang gemäß einer entsprechenden Vereinbarung eine Rückvergütung gewährt. Dieser Rückschluß von der Vergütungspflicht auf eine Vertragspflicht der Zweitbeklagten läßt – auch im Lichte des Vertrags der Revision – einen revisionsrechtlich erheblichen Fehler nicht erkennen.
Die Revision kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, die Annahme einer „Eingliederung” des Klägers in den Unfallbetrieb scheitere daran, daß ein hiermit verbundener zusätzlicher Versicherungsschutz des Klägers weder erforderlich noch sinnvoll sei, vielmehr zu dem vom Zweck der Regelung nicht geforderten Verlust von Ersatzansprüchen des Klägers führe. Nimmt der Verunglückte – wie hier – gemäß § 539 RVO an dem Versicherungsschutz teil, so ist er zugleich durch die Haftungsprivilegien aus §§ 636, 637 RVO belastet. An dieser einschränkungslos fixierten Wechselwirkung von Versicherungsschutz und Anspruchsverlust ändert sich auch dann nichts, wenn der Geschädigte – wie hier – in besonderen Fallkonstellationen sowohl in seinem Stammbetrieb als auch im Unfallbetrieb Versicherungsschutz genießt, mag auch in den Fällen einer nur vorübergehenden „Eingliederung” in den Unfallbetrieb dem gesetzgeberischen Ziel, den Arbeitsfrieden im Unfallbetrieb zu erhalten, ein geringeres Gewicht zukommen.
3. Zutreffend bestätigt das Berufungsgericht auch die Abweisung des Feststellungsbegehrens durch das Landgericht. Dieses Begehren ist unbegründet, denn es ist nicht behauptet, daß noch – insoweit überhaupt nur in Frage kommende – Sachschäden zu gewärtigen wären. Wenn im Berufungsurteil insoweit vom Rechtsschutzinteresse die Rede ist, was die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens betreffen würde, dann gibt das wohl dem Urteilsausspruch keinen, anderen Inhalt. Jedenfalls aber wäre der Kläger dadurch nicht beschwert.
Unterschriften
Dunz, Scheffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann, Dr. Lepa
Fundstellen
Haufe-Index 1237730 |
Nachschlagewerk BGH |