Leitsatz (amtlich)
Der Risikoausschluß in AHB § 4 I 6 b 2. Halbsatz greift nur ein, wenn der beschädigte Grundstücks- bzw. Gebäudebestandteil der Auftragsgegenstand gewesen ist; eine Benutzung im Rahmen der Auftragsarbeiten, z.B. als Materialablagefläche, genügt nicht (Aufgabe von BGH, Urteil vom 25. September 1961 – II ZR 121/59 – VersR 1961, 974).
Normenkette
AHB § 4 I 6 b 2. Halbsatz
Verfahrensgang
OLG Zweibrücken (Aktenzeichen 1 U 153/98) |
LG Frankenthal (Pfalz) (Aktenzeichen 7 O 163/98) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden – unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten – die Urteile der 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 10. Juli 1998 und des 1. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 7. Juli 1999 geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 160.634,09 DM nebst 4% Zinsen aus 127.382 DM seit dem 2. April 1993, aus weiteren 12.795,38 DM seit dem 6. März 1998, aus weiteren 19.124,43 DM seit dem 5. Februar 1999 und aus weiteren 1.332,28 DM seit dem 9. Juni 1999 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von künftigen weiteren Schadensersatzansprüchen freizustellen, die darauf zurückzuführen sind, daß der Kläger am 24. März 1992 das obere Parkdeck des Parkhauses „A. O.” in B. D. übermäßig mit Erdreich belastet hat.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, der bei der Beklagten eine Betriebshaftpflichtversicherung unterhielt, verlangt von der Beklagten Deckung für folgendes Schadenereignis:
Der Kläger war Inhaber eines Betriebes für Garten- und Landschaftsbau. Er hatte den Auftrag erhalten, die Pflanzenkübel und -tröge eines Parkhauses zu bepflanzen. Zu diesem Zweck ließ er am 24. März 1992 etwa 56 cbm Erde mittels eines Krans auf dem obersten Parkdeck abladen. Dieses zeigte sich dem Gewicht nicht gewachsen; noch während des Entladens entstanden Verformungen einzelner Stahlträger und gravierende Risse in den Betondeckenplatten. Der Kläger wurde von den Eigentümern des Parkhauses auf Schadensersatz in Anspruch genommen und im Haftpflichtprozeß zur Zahlung von 137.382 DM verurteilt; des weiteren wurde im Urteil festgestellt, daß er auch jeden weiteren künftigen Schaden zu ersetzen habe, und wurden ihm 93% der Prozeßkosten auferlegt.
Die Beklagte hat den Deckungsschutz unter Berufung auf die Risikoausschlußklausel des § 4 I 7 b ihrer dem Vertragsverhältnis der Parteien zugrunde liegenden Allgemeinen Haftpflicht-Versicherungsbedingungen (AVB) abgelehnt. Diese Klausel, die wortgleich ist mit § 4 I 6 b der Musterbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB; veröffentlicht in VerBAV 1986, 216), besagt, daß der Versicherungsschutz sich nicht bezieht auf
„Haftpflichtansprüche wegen Schäden
…
b) die an fremden Sachen durch eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Versicherungsnehmers an oder mit diesen Sachen (z.B. Bearbeitung, Reparatur, Beförderung, Prüfung und dgl.) entstanden sind;
bei Schäden an fremden unbeweglichen Sachen gilt dieser Ausschluß nur insoweit, als diese Sachen oder Teile von ihnen unmittelbar Gegenstand der Tätigkeit gewesen sind.”
Die Parteien streiten darum, ob das Schadenereignis unter diese Ausschlußklausel fällt.
Das Landgericht hat die Ausschlußklausel für nicht einschlägig erachtet und der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht den Risikoausschluß bejaht und die Klage auf Ersatz der vom Kläger aufgrund des Haftpflichturteils gezahlten und noch zu zahlenden Schadensersatzbeträge abgewiesen; es hat jedoch die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der Kosten des Haftpflichtprozesses aufrecht erhalten. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf volle Deckung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf vollen Deckungsschutz für das Schadenereignis. Die Risikoausschlußklausel des § 4 Abs. 1 Nr. 7 b AVB greift nicht ein.
I. Das Berufungsgericht hat den Risikoausschluß mit folgender Begründung bejaht: Das beschädigte Parkdeck sei im Sinne des zweiten Halbsatzes der Klausel unmittelbar Gegenstand der Tätigkeit des Klägers und damit sogenanntes Ausschlußobjekt gewesen. Hierfür sei nicht erforderlich, daß die Tätigkeit an der beschädigten Sache der Endzweck der unternehmerischen Leistung des Versicherungsnehmers gewesen sei. Vielmehr genüge es, daß der Versicherungsnehmer die Tätigkeit an der beschädigten Sache bewußt und gewollt vorgenommen habe, auch wenn dies nur als Mittel zu einem Zweck geschehen sei, der eine andere Sache zum Gegenstand gehabt habe. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Der Kläger habe zwar nicht das Parkdeck bearbeiten, sondern sich nur mit den Pflanzenkübeln und -trögen beschäftigen sollen; er habe aber das Parkdeck als Zwischenlager für die Erde benutzt und damit diese unbewegliche Sache durch unmittelbare Einwirkung in die Durchführung seines Auftrags einbezogen. Es sei auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, nach dessen Verständnis die AVB auszulegen seien, erkennbar gewesen, daß das Parkdeck auf diese Weise zum Ausschlußobjekt geworden sei. Die Ausschlußklausel solle den Versicherer in gewissem Umfang von dem erhöhten unternehmerischen Risiko befreien, das sich aus der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers ergebe. Zweifelsfrei habe sich gerade dieses Risiko durch die Art der Ausführung des Auftrags „Begrünung der Pflanzenkübel und -tröge des Parkhauses” verwirklicht.
II. Dieser Auslegung der Ausschlußklausel vermag der Senat nicht zu folgen. Der ihr zugrunde liegende weite Begriff des unmittelbaren Gegenstandes der Tätigkeit, der die Benutzung eines Grundstücksbestandteils nur als Materialablagefläche einschließt, entspricht nicht dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers. Der beschädigte Grundstücksbestandteil muß vielmehr der Auftragsgegenstand gewesen sein.
1. In der Literatur wird zwar der Sinnzusammenhang der beiden Halbsätze der Ausschlußklausel so verstanden, daß bei unbeweglichen Sachen, nicht anders als bei beweglichen, gemäß dem ersten Halbsatz der Ausschluß eingreift, wenn der Versicherer „an”, aber auch „mit” der beweglichen Sache oder ihrem Bestandteil tätig geworden ist, und daß die Beschränkung des Ausschlußtatbestandes im zweiten Halbsatz bzw. die sich daraus ergebende Vergünstigung für den Versicherungsnehmer allein darin besteht, daß im Gegensatz zu beweglichen Sachen, bei denen der Ausschluß die Sache ganz erfaßt, bei unbeweglichen Sachen der Ausschluß auf Schäden an den unmittelbar bearbeiteten Teilen der Sache beschränkt ist (Bruck/Möller/Johannsen, VVG Bd. 4 Anm. G 205 f.; Wussow, AHB S. 474 ff., 480 ff.; Späte, Haftpflichtversicherung § 4 Rdn. 135 f.; Prölss/Martin/Voit, VVG 26. Aufl. § 4 AHB Rdn. 56). Auch der Bundesgerichtshof hat in einem Fall, wo der Versicherungsnehmer Stahlfensterrahmen in einen Neubau einbauen sollte, diese auf dem Flachdach abgesetzt und dabei die empfindliche Dachhaut beschädigt hatte, den Risikoausschluß des § 4 I 6 b AHB eingreifen lassen (Urteil vom 25. September 1961 – II ZR 121/59 – VersR 1961, 974). Er hat dabei die Ablage der Stahlfenster als Tätigkeit an oder mit der Dachfläche genügen lassen.
Dieser von der Literatur und dem Bundesgerichtshof seinerzeit angenommene Sinn des zweiten Halbsatzes erschließt sich jedoch dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht.
2. Was damit gemeint ist, daß der beschädigte Gegenstand „unmittelbar Gegenstand der Tätigkeit” war, ist durch Auslegung zu ermitteln. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BGHZ 123, 83, 85 m.w.N.) sind allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an.
a) Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer geht zunächst vom Wortlaut der Klausel und dabei von dessen Bedeutung im allgemeinen Sprachgebrauch aus. Unter einem Grundstücksbestandteil, der unmittelbar Gegenstand seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit ist, wird ein Betriebsinhaber das Objekt verstehen, das er, wie es im Beispielskatalog des ersten Halbsatzes heißt, bearbeiten, reparieren, befördern oder prüfen soll. Dieses Verständnis wird ihm schon durch den Begriff „Gegenstand der Tätigkeit” nahegelegt, welcher die Assoziation zum Auftrags„gegenstand” hervorruft. Durch das Wort „unmittelbar” wird er in diesem Verständnis noch bestärkt. Der Senat hat auch bereits entschieden, daß sich nach dem Inhalt des Auftrags und der Verkehrsanschauung richtet, was im Sinne des zweiten Halbsatzes Ausschlußobjekt ist (Urteil vom 12. November 1997 – IV ZR 338/96 – VersR 1998, 228 unter I 2 a bb).
b) Zu keinem anderen Auslegungsergebnis führt die Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs.
Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob die im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. September 1961 vorgenommene Auslegung des ersten Halbsatzes, wonach die Benutzung eines Gebäudeteils als Materialablagefläche eine Tätigkeit „an” oder „mit” dieser Sache darstellt, den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers entspricht. Der Wortlaut des zweiten Halbsatzes führt ihn jedenfalls zur Gleichsetzung des Ausschlußobjekts mit dem Auftragsgegenstand. Zwar erschließt sich dem Versicherungsnehmer als Sinn und Zweck der ganzen Ausschlußklausel durchaus, wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat, daß der Versicherer sich in gewissem Umfang von dem Haftungsrisiko, das sich aus der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers ergibt, befreien will. Damit ist ihm aber noch nichts über den Umfang des Risikoausschlusses gesagt. Bei dessen Ermittlung greift der bereits genannte Grundsatz ein, daß es bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen auch auf die Interessen des Versicherungsnehmers ankommt. In Berufszweigen, wo der Berufsinhaber bei seiner Tätigkeit zwangsläufig mit fremden Sachen in Berührung kommt, wie es auch bei dem klagenden Gartenbauunternehmer der Fall war, liegt sein Hauptinteresse an einer Betriebshaftpflichtversicherung darin, gerade gegen das Risiko, wegen der Beschädigung fremder Sachen in Anspruch genommen zu werden, versichert zu sein (vgl. Rottmüller, VersR 1986, 843, 849). Findet er einen diesbezüglichen Risikoausschluß vor, so besteht sein Interesse darin, daß der von ihm erstrebte Versicherungsschutz wenigstens nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Deshalb sind Risikoausschlußklauseln nach ständiger Rechtsprechung des Senats eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Der Zweck der Ausschlußregelung ist nur in den Grenzen der Wortwahl berücksichtigungsfähig (vgl. Senatsurteile vom 23. November 1994 – IV ZR 48/94 – VersR 1995, 162 unter 3 b; vom 17. März 1999 – IV ZR 89/98 – VersR 1999, 748 unter 2 d). Bei der hier streitigen Ausschlußklausel, wo der Wortlaut es ihm nicht nahelegt, braucht der Versicherungsnehmer deshalb nicht damit zu rechnen, daß außer dem Gegenstand seines Auftrags auch noch weitere Sachen, mit denen er im Rahmen seiner Tätigkeit in Berührung kommt, Ausschlußobjekte sein sollen. Vielmehr darf er, weil er bei seinem Verständnis der Klausel von dem Interesse geleitet wird, möglichst vollständigen Versicherungsschutz für die Beschädigung fremder Sachen zu erhalten, darauf vertrauen, der Versicherer wolle sich auf den Ausschluß des Auftragsgegenstandes beschränken.
3. Aufgrund der vorstehend vorgenommenen, an den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ausgerichteten Auslegung der Ausschlußklausel des § 4 Abs. 1 Nr. 6b AHB vermag der Senat an der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. September 1961, wonach auch bei der Beschädigung von unbeweglichen Sachen eine Tätigkeit „mit” dieser Sache oder einem Teil von ihr zum Ausschluß führen kann, nicht festzuhalten. Diese Ansicht wird aufgegeben. Der Risikoausschluß für Schäden an unbeweglichen Sachen setzt voraus, daß die unbewegliche Sache oder ihr beschädigter Bestandteil Auftragsgegenstand war.
4. Auftragsgegenstand war hier aber nicht das Parkdeck; denn dieses sollte nicht bepflanzt werden. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Senatsurteil vom 12. November 1997 und dem Urteil des OLG Bremen, abgedruckt in VersR 1997, 178, wo jeweils bei Dachbegrünungsarbeiten der Risikoausschluß bejaht worden ist. In jenen beiden Fällen sollte der Gartenbauunternehmer auf die abgedichtete Dachfläche eine Lavaschicht aufbringen; er sollte also das Dach bearbeiten. Im vorliegenden Fall hingegen waren allein die Pflanzenkübel und -tröge Auftragsgegenstand. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend festgestellt. Die in der mündlichen Verhandlung erhobene Gegenrüge der Beklagten hat der Senat geprüft und für nicht begründet befunden.
Deshalb konnte das Berufungsurteil, soweit zum Nachteil des Klägers entschieden, nämlich sein Anspruch auf Ersatz des von ihm gezahlten und noch zu zahlenden Schadensersatzes abgewiesen worden ist, keinen Bestand haben.
III. Da zwischen den Parteien kein Streit darüber besteht, daß im Falle der Begründetheit dieses Anspruchs sowohl der diesbezügliche Zahlungs- als auch der Feststellungsantrag des Klägers gerechtfertigt sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden und der Klage auch insoweit stattgeben.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Prof. Römer, Dr. Schlichting, Terno, Ambrosius
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 03.05.2000 durch Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538830 |
BauR 2000, 1788 |
NJW-RR 2000, 1189 |
IBR 2000, 623 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2000, 1131 |
NVersZ 2000, 436 |
VersR 2000, 963 |
PHi 2000, 241 |