Leitsatz (amtlich)
Bei einem Patent für ein chemisches Syntheseverfahren kann ein bestimmter Verfahrensschritt in Form einer an sich geläufigen, allgemein bezeichneten Reaktion (hier: Veresterung) auch dann allgemein beansprucht werden, wenn bekannte Möglichkeiten, diese Reaktion durchzuführen, versagen, in der Patentschrift aber ein ausführbarer Weg zur Durchführung der Reaktion nacharbeitbar offenbart ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Fachmann auch andere Wege zur Durchführung der Reaktion zur Verfügung standen.
Normenkette
IntPatÜG Art. 2 § 5 Abs. 1; EPÜ Art. 138 Abs. 1 Buchst. b, Art. 83
Verfahrensgang
Tenor
Unter Zurückweisung der Berufungen im übrigen wird auf die Berufungen der Parteien das am 14. August 1997 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Das europäische Patent 0 336 840 wird unter Abweisung der weitergehenden Klage mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland teilweise für nichtig erklärt, soweit seine Patentansprüche über folgende Fassung hinausgehen:
„1. Verfahren zur Herstellung von Taxol der Formel dadurch gekennzeichnet, daß man ein (2R, 3S)-3-Phenyl-isoserinderivat der allgemeinen Formel
worin R(2) eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausgewählt unter den Methoxymethyl-, 1-Ethoxyethyl-, Benzyloxymethyl-, ([bgr]-Trimethylsilylethoxy)-methyl-, Tetrahydropyranyl-, 2,2,2-Trichlorethoxycarbonylresten, bedeutet, mit einem Taxanderivat der allgemeinen Formel
worin R(3) eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausgewählt unter den Trialkylsilylresten, von denen jeder Alkylteil 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthält,verestert, um zu dem Ester der allgemeinen Formel
worin R(2) und R(3) wie vorstehend definiert sind, zu gelangen, dessen Schutzgruppen R(2) und R(3) man mit Wasserstoffatomen mittels einer Mineralsäure in Lösung in einem 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthaltenden aliphatischen Alkohol ersetzt, wobei man bei einer Temperatur um 0°C arbeitet, wonach man das Taxol isoliert,wobei man zur Herstellung des Taxanderivates der allgemeinen Formel (IV) ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umsetzt, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt.
2. Verfahren gemäß Anspruch 1 zur Herstellung des Esters der allgemeinen Formel (V), wie in Anspruch 1 definiert, dadurch gekennzeichnet, daß man in Gegenwart eines Kondensationsmittels, ausgewählt unter den Carbodiimiden und den reaktiven Carbonaten, und eines Aktivierungsmittels, ausgewählt unter den Dialkylaminopyridinen, in einem aromatischen organischen Lösungsmittel, ausgewählt unter Benzol, Toluol, den Xylolen, Ethylbenzol, Isopropylbenzol und Chlorbenzol, bei einer Temperatur zwischen 60 und 90°C arbeitet.
3. Verfahren zur Herstellung eines Taxanderivats der allgemeinen Formel
dadurch gekennzeichnet, daß man ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umsetzt, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt.
4. Verfahren zur Herstellung eines Taxanderivates der allgemeinen Formel (IV) nach Patentanspruch 1, bei dem ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umgesetzt wird, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt, dadurch gekennzeichnet, daß man Halogentrialkylsilan bei einer Temperatur um 20°C unter Arbeiten in einem basischen organischen Lösungsmittel wie Pyridin, oder in einem inerten organischen Lösungsmittel, wie Chloroform oder Dichlorethan, in Gegenwart eines tertiären Amins umsetzt.
5. Verfahren zur Herstellung eines Taxanderivates der allgemeinen Formel (IV) nach Patentanspruch 1, bei dem ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umgesetzt wird, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt, dadurch gekennzeichnet, daß die Acetylierung von 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III mit Hilfe von Acetylchlorid unter Arbeiten bei einer Temperatur um 0°C durchgeführt wird, wobei man in einem basischen organischen Lösungsmittel, wie Pyridin, oder in einem inerten organischen Lösungsmittel, wie Methylenchlorid, Chloroform oder Dichlorethan, in Anwesenheit eines tertiären Amins arbeitet.”
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 5/6 und die Beklagte 1/6.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 5. April 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität einer Patentanmeldung in Frankreich vom 6. April 1988 angemeldeten europäischen Patents 0 336 840 (Streitpatents), das ein Verfahren zur Herstellung von Taxol betrifft. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Französisch:
„1. Procédé de préparation du taxol de formule:
caractérisé en ce que l'on estérifie un dérivé de la phényl-3 isosérine (2R,3S) de formule générale:
dans laquelle R(2) représente un groupement protecteur de la fonction hydroxy choisi parmi les radicaux méthoxyméthyle, éthoxy-1 éthyle, benzyloxyméthyle, ([bgr]-triméthyl-silyléthoxy) méthyle, tétrahydropyrannyle, trichloro-2,2,2 éthoxycarbonyle, par un dérivé du taxane de formule générale:
dans laquelle R(3) représente un groupement protecteur de la fonction hydroxy choisi parmi les radicaux trialkylsilyle dont chaque partie alkyle contient 1 à 3 atomes de carbone, pour obtenir l'ester de formule générale:
dans laquelle R(2) et R(3) sont définis comme précédemment dont on remplace les groupements protecteurs R(2) et R(3) par des atomes d'hydrogène d'un acide minéral en solution dans un alcool aliphatique contenant 1 à 3 atomes de carbone en opérant à une température voisine de 0°C, puis isole le taxol.”
In der deutschen Übersetzung der Patentschrift lautet dieser Patentanspruch wie folgt:
„1. Verfahren zur Herstellung von Taxol der Formel
- dadurch gekennzeichnet, daß man ein (2R,3S)-3-Phenylisoserinderivat der allgemeinen Formel
- worin R(2) eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausgewählt unter den Methoxymethyl-, 1-Ethoxyethyl-, Benzyloxymethyl-, ([bgr]-Trimethylsilylethoxy)-methyl-, Tetrahydropyranyl-, 2,2,2-Trichlorethoxycarbonylresten, bedeutet, mit einem Taxanderivat der allgemeinen Formel
- worin R(3) eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausgewählt unter den Trialkylsilylresten, von denen jeder Alkylteil 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthält, umsetzt, um zu dem Ester der allgemeinen Formel
- worin R2 und R3 wie vorstehend definiert sind, zu gelangen, dessen Schutzgruppen R2 und R3 man mit Wasserstoffatomen mittels einer Mineralsäure in Lösung in einem 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthaltenden aliphatischen Alkohol ersetzt, wobei man bei einer Temperatur um 0°C arbeitet, wonach man das Taxol isoliert.”
Wegen der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 – 8 wird auf die Patentschrift verwiesen.
Die Klägerin hat unter Bezugnahme auf zahlreiche Unterlagen, wegen derer auf das angefochtene Urteil verwiesen wird, geltend gemacht, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so vollständig, daß ein Fachmann sie im beanspruchten Umfang ausführen könne. Zudem beruhe es nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Sie hat deswegen die Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland beantragt.
Die Beklagte hat das Patent vor dem Bundespatentgericht nur eingeschränkt mit fünf Patentansprüchen in deutscher Sprache verteidigt: Dabei hat sie in Patentanspruch 1 das Wort „umgesetzt” durch „verestert” ersetzt und am Ende dieses Patentanspruchs angefügt:
„, wobei man zur Herstellung des Taxanderivates der allgemeinen Formel (IV) ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umsetzt, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt.”
In dem Patentanspruch 5 in der Fassung des erteilten Patents entsprechenden verteidigten Patentanspruch 2 hat sie eine Alternative für die Schutzgruppe R(2) (Methoxymethylcarbonylrest) gestrichen. Der verteidigte Patentanspruch 3 entsprach Patentanspruch 6 des erteilten Patents. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, soweit diese sich gegen das Streitpatent im verteidigten Umfang richtet.
Das Bundespatentgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage das Streitpatent dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß es den Patentansprüchen die Fassung der verteidigten Patentansprüche 2 und 3 (als neue Patentansprüche 1 und 2) gegeben hat. Das Urteil des Bundespatentgerichts ist bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, Band 2 Seite 105 ff, veröffentlicht.
Gegen das angefochtene Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent – nunmehr weitergehend als in erster Instanz – mit Patentanspruch 1, wie er ihrer Verteidigung vor dem Bundespatentgericht zugrunde lag, den Patentansprüchen 2, 4 und 5 des erteilten Patents, letztere in neuer Numerierung als Patentansprüche 3 und 4, sowie mit Patentansprüchen 6 und 7, die den Patentansprüchen 7 und 8 des erteilten Patents, jedoch mit geänderten Rückbeziehungen, entsprechen. Sie beantragt, insoweit das Urteil des Bundespatentgerichts abzuändern und (sinngemäß) die Klage abzuweisen. Hilfsweise verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit einem eingeschränkten Patentanspruch 1 sowie für den Fall, daß das Streitpatent mit den verteidigten Patentansprüchen 3 und 4 keinen Bestand hat, mit dem im Tenor als Patentanspruch 3 wiedergegebenen Patentanspruch, der in eingeschränkter Form dem Patentanspruch 6 des erteilten Patents entspricht. Die Klägerin verfolgt im Berufungsverfahren ihren Antrag weiter, das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Die Parteien treten jeweils dem Rechtsmittel der Gegenseite entgegen.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Professor Dr. E. Sch., Institut für organische Chemie, Technische Universität C., ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Nichtigkeitsklägerin hat in erster Instanz gutachtliche Stellungnahmen von Professor Dr. S. B., Direktor des Instituts für Organische Chemie der Technischen Universität B., Professor E. C., H. University, C., Prof. Dr. H. W., Direktor des Instituts für Organische Chemie der Universität K., und Professor A. F. H., University College D., vorgelegt. Die Beklagte hat ihrerseits Stellungnahmen von Professor J. L., Collège de France, Professor K. C. N., The Scripps Research Institute, L. J., und Professor Dr. E. W., Institut für Organische Chemie der Universität H., vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Die zulässigen Rechtsmittel der Parteien führen zur Abänderung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Demnach haben die verteidigten Verfahrensansprüche Bestand, wobei die nachgeordneten Verfahrensansprüche durch Patentanspruch 1 mitgetragen werden und für den nebengeordneten, auf die Herstellung eines Zwischenprodukts gerichteten Verfahrensanspruch die gleichen Erwägungen wie für den verteidigten Patentanspruch 1 gelten. Dagegen haben die verteidigten, auf Zwischenprodukte gerichteten Sachansprüche, keinen Bestand.
I. Das Streitpatent betrifft ein halbsynthetisches Verfahren zur Herstellung von Taxol sowie verschiedene Zwischenprodukte, die bei diesem Herstellungsweg anfallen.
1. Taxol® (C(47)H(51)NO(14;) internationaler Freiname: Paclitaxel) ist eine Substanz der in Patentanspruch 1 angegebenen Formel, die um 1970 erstmals im Rahmen eines Forschungsprogramms des National Cancer Institute in den Vereinigten Staaten von Amerika aus der Rinde einer im Nordwesten der Vereinigten Staaten und in Kanada vorkommenden Eibenart (Taxus brevifolia) isoliert wurde. Taxol weist eine hohe cytostatische Aktivität auf, die es zu einer wichtigen Substanz bei der Chemotherapie von Tumorerkrankungen macht. Taxol ist 1971 in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben worden; eine Patentierung als Stoff ist nicht erfolgt. Die präparative Zugänglichkeit von Taxol aus natürlichen Quellen ist gering und kann den Bedarf für therapeutische Anwendungen bei weitem nicht decken. Deshalb sind Verfahren zur synthetischen oder halbsynthetischen Herstellung von Taxol von Bedeutung.
Taxol ist ein Derivat des Taxan der allgemeinen Formel
wobei R (an der zehnten Bindungsstelle) einen Acetylrest (CH(3)CO; Essigsäureanhydrid) und R1 (an der dreizehnten Bindungsstelle) einen Rest der Summenformel -OCO-CHOH-CH-(C(6)H(5))-NHCOC(6)H(5)) (2'R,3'S) bedeutet. Als Ausgangsprodukt für die Synthese steht in ausreichendem Umfang 10-Desacetyl-baccatin III (im folgenden: 10-DAB-III) zur Verfügung, das sich in größeren Mengen aus den Nadeln der Eibenart Taxus baccata gewinnen läßt. Bei dieser Verbindung stellen R ein Wasserstoffatom und R1 einen Hydroxy-Rest (OH) dar. 10-DAB-III wie auch das nur in verhältnismäßig geringen Mengen verfügbare Baccatin III, bei dem R einen Acetylrest der Formel CH(3)COO- und R1 eine Hydroxy-Gruppe bedeuten (vgl. Streitpatent, Beschreibung S. 2 Z. 1-35), zeigen nicht die therapeutischen Wirkungen von Taxol.
2. Die Beschreibung des Streitpatents verweist auf die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 253 739, in der die Darstellung von Taxol oder von 10-Desacetyl-Taxol aus einem Taxanderivat der allgemeinen Formel beschrieben ist, wobei die Darstellung von Baccatin III oder von 10-DAB-III ausgeht, das Gegenstand dieser Anmeldung ist. In diesem Fall müssen in einem Zwischenschritt die (therapeutisch nicht wirksamen) Diastereomere abgeteilt werden. Deshalb führt das eingesetzte Baccatin III oder 10-DAB-III nicht zu Taxol mit der geforderten Struktur (Beschreibung S. 2 Z. 36-54).
Die Beschreibung des Streitpatents verweist weiter darauf, daß es aus einer Veröffentlichung von Denis et al. in Journal of Organic Chemistry Bd. 51 Nr. 1, 1986, S. 46ff, bekannt gewesen sei, wie man die (abweichend formulierte) Seitenkette von Taxol, auch als Ester, darstellen kann; dort sei die Benutzung dieser Verbindung zur Teilsynthese von Taxol ausgehend von 10-DAB-III zwar vorgeschlagen, die Voraussetzungen, unter denen diese Synthese zu verwirklichen sei, seien aber nicht angegeben.
3. Durch das Streitpatent soll demgegenüber, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Beschreibung ergibt, ein Weg aufgezeigt werden, wie Taxol mit guter Ausbeute aus verfügbaren Ausgangsmaterialien synthetisiert werden kann.
4. Hierzu lehrt Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung ein Verfahren zur
Herstellung von Taxol der Formel
wobei man ein (2R,3S)-3-Phenylisoserinderivat der allgemeinen Formel
- in dem R(2) eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion bedeutet,
- die ausgewählt ist unter den Methoxymethyl-, 1-Ethoxyethyl-, Benzyloxymethyl-, (ß-Trimethylsilylethoxy)-methyl-, Tetrahydropyranyl-, 2,2,2-Trichlorethoxycarbonylresten,
mit einem Taxanderivat der allgemeinen Formel
- in dem R(3) eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion enthält,
- die ausgewählt ist unter den Trialkylsilylresten, von denen jeder Alkylteil 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthält,
wobei man zur Herstellung dieses Taxanderivates
- ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umsetzt,
- wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt,
verestert,
um zu dem Ester der allgemeinen Formel
zu gelangen,
- worin R(2) und R(3) wie vorstehend definiert sind,
dessen Schutzgruppen R(2) und R(3) man mit Wasserstoffatomen ersetzt
- mittels einer Mineralsäure
- in Lösung in einem 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthaltenden aliphatischen Alkohol
- wobei man bei einer Temperatur um 0°C arbeitet,
- wonach man das Taxol isoliert.
5. Hieraus ergibt sich, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, ein Syntheseverfahren mit vier Schritten.
a) In einem ersten Schritt erfolgt zunächst der Schutz der 7-Hydroxy-Gruppe des 10-DAB-III. Diese Verbindung weist in den Positionen 7, 10 und 13 drei sekundäre Alkohol-Funktionen (Hydroxy-Gruppen) auf. Während die 13-Hydroxy-Gruppe aus sterischen Gründen von geringerer Reaktivität ist, ist eine Differenzierung hinsichtlich des Reaktionsvermögens zwischen den Hydroxy-Gruppen in Position 7 und in Position 10 schwierig. Eine weitere Hydroxy-Gruppe in Position 1 ist als tertiäre Gruppe von geringer Reaktivität und kann deshalb außer Betracht bleiben. Um Baccatin-III als weiteres Zwischenprodukt zu erhalten, muß die 10-Hydroxy-Gruppe mit Essigsäure zu einer Acetyl-Gruppe verestert werden. Die vom Streitpatent gelehrte (Merkmal 1.2.3.1) Silylierung der 7-Hydroxy-Gruppe blockiert diese zeitweise chemisch und ermöglicht es damit, die Acetylierung selektiv an der 10-Hydroxy-Gruppe durchzuführen. Das Reagens Halogentrialkylsilan führt selektiv zum Ersatz des Wasserstoffatoms in der 7-Position, die eine etwas größere Reaktivität aufweist. Nach einem von der Nichtigkeitsklägerin vorgelegten Versuchsbericht, auf den sich auch der gerichtliche Sachverständige stützt, liefert die Silylierung hier zu 85,4% das gewünschte Zwischenprodukt 7-Triethylsilyl-10-DAB-III.
b) In einem zweiten Schritt wird dieses Zwischenprodukt in der 10-Stellung acetyliert (Merkmal 1.2.3.2).
c) Im dritten Schritt wird das nunmehr erhaltene 7-Trialkylsilyl-baccatin-III (ein Alkohol) mit dem (2R,3S)-3-Phenylisoserinderivat, einer Carbonsäure, die mit einer Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion versehen ist („Taxol-Seitenkette”), unter Abspaltung von Wasser verestert. Bei der Veresterung handelt es sich an sich um eine Standardreaktion der organischen Synthese, die vorliegend aber nicht ohne weiteres zum Erfolg führt. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen liegt ein „kritischer Fall” vor, weil sich, wie allerdings erst durch eine Nachveröffentlichung (Denis u.a., J. Am. Chem. Soc. 1988, 5917, 5918; K1) bekannt geworden ist, die zu veresternde 13-Hydroxy-Gruppe in einer Höhlung des Molekülgerüsts befindet und zudem durch eine Wasserstoffbrückenbildung mit der 4-Acetyl-Gruppe stabilisiert wird, was die Bindungsbildung extrem erschwert. Zum Erfolg führen hier die von Patentanspruch 2 erfaßten und zum Teil in einem Ausführungsbeispiel beschriebenen Veresterungsmethoden, bei der in Gegenwart eines Kondensationsmittels (Carbodiimids, insbesondere Dicyclohexylcarbodiimids, oder reaktiven Carbonats, wie Dipyridil-2-carbonat), und eines Aktivierungsmittels (eines Dialkylaminopyridins, wie 4-Dimethylaminopyridin) in einem aromatischen organischen Lösungsmittel (Benzol, Toluol, Xylol, Ethylbenzol, Isopropylbenzol oder Chlorbenzol) bei einer Temperatur zwischen 60°C und 90°C gearbeitet wird (vgl. Patentschrift S. 5 Z. 6-11). Im Nachhinein sind weitere Möglichkeiten der Realisierung der Esterbildung genannt worden.
d) Da die bisher durchgeführten drei Verfahrensschritte zu einem von Taxol verschiedenen Molekül mit Schutzgruppen in der 7-Position des Taxan-Gerüsts (Silyl-Rest) und an der Hydroxy-Funktion des Phenylisoserin-Teils (Seitenkette) führen, müssen in einem vierten Schritt die beiden Schutzgruppen abgespalten werden, wie dies in der Merkmalsgruppe 2 angegeben wird. Schließlich kann das Taxol isoliert werden (Merkmal 3).
II. Die Patentinhaberin verteidigt den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in zulässiger Weise. Dies gilt zunächst für den Übergang auf die deutschsprachige Fassung anstelle der französischen (st. Rspr., u.a. BGHZ 118, 221, 222 f – Linsenschleifmaschine; BGHZ 133, 79, 81 Bogensegment). Die Verwendung des Begriffs „verestern” ist dabei ohne weiteres durch die maßgebliche französische Fassung des Patentanspruchs 1 gedeckt, in dem ebenfalls von „verestern” („en ce que l'on estérifie …”) die Rede ist. Der angefügte Anspruchsteil
„wobei man zur Herstellung des Taxanderivates der allgemeinen Formel (IV) ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umsetzt, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt”
entspricht Patentanspuch 6 des erteilten Patents und ist in den ursprünglichen Unterlagen (Beschreibung S. 5 Z. 1-5) als eine von zwei möglichen Alternativen als zur Erfindung gehörend offenbart; gegen die in dieser Änderung liegende Beschränkung bestehen daher keine Bedenken. Daß die bereits in Patentanspruch 1 enthaltene Angabe „mit 1 bis 3 Kohlenstoffatomen” nicht nochmals wiederholt wird, ist dabei unschädlich. Der Senat hat in Patentanspruch 2 die ersichtlich versehentliche Angabe „Formel (IV)” in „Formel (V)” berichtigt. Auch der hilfsweise zu den Stoffansprüchen verteidigte Patentanspruch ist durch die ursprünglichen Unterlagen und das erteilte Patent gedeckt. Die nicht verteidigte ursprüngliche weitere Fassung des Streitpatents ist auf Grund der von der Beklagten vorgenommenen Selbstbeschränkung nicht Gegenstand der sachlichen Prüfung im Berufungsverfahren.
III. 1. Der Gegenstand des so verteidigten Patentanspruchs 1 ist neu (Art. 52, 54 EPÜ). Der Senat tritt insoweit der von Sachkunde getragenen und überzeugenden Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten bei. Insbesondere offenbart keine der Entgegenhaltungen eine Silylierung von 10-DAB-III bei der Hydroxy-Gruppe in der 7-Position. Auch die Nichtigkeitsklägerin hat im Verfahren fehlende Neuheit nicht geltend gemacht.
2. a) Der Senat kann nicht feststellen, daß dieser Gegenstand für den Fachmann, einen – erforderlichenfalls im Team arbeitenden – promovierten Chemiker mit Erfahrung auf dem Gebiet der Naturstoffsynthese, naheliegend gewesen wäre (Art. 52, 56 EPÜ). Für die Bejahung einer erfinderischen Leistung genügt es bei einem mehrschrittigen Syntheseverfahren bereits, daß ein Verfahrensschritt nicht durch den Stand der Technik in seiner Gesamtheit nahegelegt war. Dies trifft jedenfalls für den Verfahrensschritt nach Merkmal 1.2.3.1 zu, nach dem ein Halogentrialkylsilan mit 10-DAB-III umgesetzt wird. Deshalb kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob sich weitere Verfahrensschritte ebenfalls nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergaben. Auch in der in Schweden ergangenen Entscheidung von Stockholms Tingsrätt vom 16. Oktober 1998 (ENPR 2001, 1 ff, Tz. 236 ff) ist deswegen im Ergebnis, wenngleich mit im einzelnen abweichender Begründung, erfinderische Tätigkeit bejaht worden.
aa) Aus Sénilh u.a., C. R. Acad. Sc. Paris, t. 299, Série II, n° 15, 1984, S. 1039 – 1043 (K 3) war die halbsynthetische Gewinnung von Taxol-Analoga ausgehend von aus den Nadeln von Eiben (taxus baccata) gewonnenem 10-DAB-III (Tetraol) im Prinzip bekannt. Die Veröffentlichung beschreibt (S. 1040), daß die chemische Reaktionsfähigkeit von Tetraol wenig bekannt sei, insbesondere das Verhalten der drei Hydroxy-Gruppen in der 7-, 10- und 13-Position. Eine Acetylierung in Essigsäureanhydrid oder Pyridin bei Umgebungstemperatur führe zu einem 50:50-Gemisch des 7-Monoacetats und des 7-, 10-Diacetats. Es wird weiter darauf verwiesen, daß die 13-Hydroxy-Gruppe weniger reaktionsfähig ist als die beiden anderen Sekundär-Hydroxy-Gruppen. Eine Anregung für eine Silylierung der 7-Hydroxy-Gruppe gibt die Veröffentlichung nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht.
bb) Denis u.a., J. Org. Chem. 1986, 51, 46-50 (K 4), beschreiben die effektive, enantioselektive Synthese der Taxol-Seitenkette als Schritt der Taxol-Synthese, wobei auch eine Teilsynthese von Taxol aus 10-DAB-III angesprochen wird (S. 47/48). Auch hier findet sich keine Anregung für eine Silylierung der 7-Hydroxy-Gruppe.
cc) Die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 253 738 (K 5) offenbart Taxolderivate, insbesondere Taxotere, und beschreibt die Herstellung von Taxol-Analoga aus 10-DAB-III. U.a. ist die Veresterung eines Baccatin-III-Derivats, bei dem in 7-Position die Hydroxy-Gruppe durch einen Trichlorethoxycarbonylrest (-OCOOCH(2)CCl(3)) ersetzt ist und bei dem die Hydroxy-Gruppe in 10-Position ebenfalls durch einen solchen Rest oder durch einen Acteylrest substituiert ist, mit Zimtsäure beschrieben. Die Veresterung erfolgt dabei nach der Carbodiimid-Methode (S. 3 Z. 57 ff), wie sie auch das Streitpatent lehrt. Eine selektive Silylierung ist, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, auch hier nicht vorgesehen und durch die Möglichkeit gleicher Substitution der Hydroxy-Gruppen in 7- und 10-Position eher fernliegend.
dd) Die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 126 587 (K 6) beschreibt die Herstellung von ß-Lactam-Verbindungen (Penem-Verbindungen), bei denen Schutzgruppen u.a. für eine Hydroxy-Gruppe, eingesetzt werden, als die die Beschreibung (S. 4 Z. 13 ff) u.a. 2,2,2-Trichlorethoxycarbonyl und Trialkylsilylgruppen als bevorzugt nennt. Die Klägerin möchte damit die Austauschbarkeit dieser Schutzgruppen belegen. Hinweise auf eine selektive Silylierung finden sich auch hier nicht.
ee) Der Beitrag von Lalonde/Chan in Synthesis 1985, 817 ff (K 7) beschreibt die Verwendung von siliziumorganischen Reagenzien als Schutzgruppen bei der organischen Synthese und dabei insbesondere auch die Verwendung von Silyl-Schutzgruppen, namentlich von Trimethyl- und Triethylsilylgruppen, zum Schutz von Hydroxy-Gruppen. Dabei ist (S. 818) auch am Beispiel der Prostaglandin-Synthese die selektive Silylierung bestimmter Hydroxy-Gruppen beschrieben. Nach den überzeugenden Angaben des gerichtlichen Sachverständigen läßt sich diesem Beispiel jedoch nicht mehr als die dem Fachmann bereits vertraute Information entnehmen, daß verschiedene Hydroxy-Gruppen bei unterschiedlicher Umgebung mit einem Reagens mit unterschiedlicher Geschwindigkeit reagieren können. Das Beispiel S. 821 übergehend linke/rechte Spalte zeigt einen dem Merkmal 1.2.2 entsprechenden Reaktionsverlauf, nämlich den Schutz einer bestimmten Hydroxy-Gruppe durch eine Triethylsilyl-Schutzgruppe, jedoch bei einer anderen Umsetzung (Birch-Reduktion). Ein Hinweis auf eine Anwendung bei der Taxol-Synthese findet sich nach den überzeugenden Angaben des gerichtlichen Sachverständigen in der Veröffentlichung nicht.
ff) Die Veröffentlichung von Guéritte-Voegelein u.a. in Tetrahedon Bd. 42 (1986), 4451 ff (K 10) betrifft die Synthese von Taxon-Analoga ausgehend von 10-DAB-III und Baccatin-III; auch die Verwendung dieser Substanzen für die Herstellung von Taxol ist angesprochen. Sie entspricht damit dem Erfindungsgedanken des Streitpatents, jedoch ohne eine Lösung aufzuzeigen, da sie nicht beschreibt, wie eine selektive Acetylierung der Hydroxy-Gruppe in 10-Position erreicht werden kann, sondern bei der Erkenntnis verharrt, daß zwischen der 7- und der 10-Hydroxy-Gruppe hinsichtlich der Acylierung keine Selektivität besteht. Die Nichtigkeitsklägerin hat demgegenüber aus dieser Veröffentlichung eine höhere Reaktivität der 7-Hydroxy-Gruppe gegenüber der 10-Hydroxy-Gruppe abgeleitet, was der gerichtliche Sachverständige für die Acetylierung (nicht aber für die Silylierung) unter Verneinung eines präparativ nutzbaren Unterschieds bestätigt hat.
gg) Die Veröffentlichung von Oshima u.a. in Chem. Pharm. Bull. 32 (1984), 3518 ff (K 13) berichtet für ein Vitamin-D3-Derivat von einer selektiven Silylierung, die bei einer bestimmten, äquatorial angeordneten Hydroxy-Gruppe gelingt, während eine andere Hydroxy-Gruppe nicht reagiert. Ein unmittelbarer Bezug zur selektiven Silylierung von 10-DAB-III besteht nicht. Der gerichtliche Sachverständige hat hierzu in überzeugender Weise ergänzend ausgeführt, daß sich die selektive Silylierung in dieser Entgegenhaltung zwanglos aus der äquatorialen Stellung der Hydroxy-Gruppe gegenüber der axialen Stellung der nicht silylierten Hydroxy-Gruppe sowie den Einfluß einer angularen Methyl-Gruppe erklärt, was dem Fachmann geläufig sei. Auf die Situation bei 10-DAB-III ist dies, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, nicht übertragbar, weil es infolge der dort vorhandenen komplexen Ringstruktur keine entsprechenden, dem Fachmann bekannten Regeln gab und dieser deshalb auf das Ergebnis von Laborexperimenten angewiesen war.
hh) Die übrigen Entgegenhaltungen kommen dem Streitpatent nicht näher und sind für die Beurteilung der erfinderischen Leistung ohne Belang.
b) Auch aus der Zusammenschau der genannten Entgegenhaltungen läßt sich nicht feststellen, daß der Fachmann unter Berücksichtigung seiner Fachkenntnisse in naheliegender Weise zu der Erkenntnis gelangen konnte, die Hydroxyl-Gruppe in 7-Position selektiv zu silylieren.
Hierfür läßt sich schon deshalb keine hinreichende Anregung feststellen, weil der Fachmann zwar aus dem Stand der Technik Hinweise ableiten konnte, daß die Hydroxy-Gruppe in 7-Position insgesamt eine etwas größere Reaktivität aufweist als die Hydroxy-Gruppe in 10-Position, es demgegenüber aber an weitergehenden Hinweisen fehlte, daß und in welcher Weise diese höhere Reaktivität für eine Schutzgruppenbildung nutzbar gemacht werden konnte. Das Reaktionsverhalten bei der Alkylierung konnte der Fachmann dabei nicht ohne weiteres heranziehen, denn eine Alkylierung der Hydroxy-Gruppe in 7-Position mußte für ihn unerwünscht erscheinen. Allerdings vermag der Senat auf Grund der Angaben des gerichtlichen Sachverständigen nicht der Auffassung der in Schweden ergangenen Entscheidung beizutreten, daß der Fachmann die Schlußfolgerungen in der Veröffentlichung von Guéritte-Voegelein u.a. in Tetrahedon Bd. 42 (1986), 4451 (K 10) nicht weiter überprüft hätte. Wie der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, war hier trotz der in dieser Veröffentlichung enthaltenen Äußerung (S. 4452 unter I.), die Daten zeigten, daß zwischen den C-7- und C-10-Hydroxyl-Gruppen keine Selektivität gegenüber Acylierungsmitteln bestehe, vom Fachmann durchaus zu erwarten, die Ergebnisse dieser Untersuchung kritisch zu überprüfen und über Wege nachzudenken, wie eine selektive Acylierung in der 10-Position zu erreichen sein konnte. Es läßt sich aber nicht feststellen, daß es für den Fachmann ohne erfinderische Leistung möglich war, die im Streitpatent unter Schutz gestellten Schutzgruppen für die Hydroxy-Gruppe in der 7-Position aufzufinden. Zwar hat der gerichtliche Sachverständige angegeben, daß der Fachmann Silyl-Gruppen als wirksame und in Gegenwart anderer Schutzgruppen selektiv wieder abspaltbare Schutzgruppen der Hydroxy-Gruppe kannte. Er hat jedoch betont, daß sich der für das Verfahren des Streitpatents essentielle selektive Schutz der 7-Hydroxy-Funktion in 10-DAB-III dem Stand der Technik nicht entnehmen läßt. So hat dies jedenfalls im Ergebnis auch das sachkundig besetzte Bundespatentgericht gesehen. Der gerichtliche Sachverständige hat weiter angegeben, der Fachmann hätte mit viel Fleiß die im Streitpatent unter Schutz gestellte Lösung auffinden können; dies schließt aber die nicht widerlegbare Möglichkeit ein, daß es für ihn nicht im Sinn des Art. 56 EPÜ naheliegend war, zu dieser Lösung zu gelangen. Hierfür spricht nicht zuletzt, daß es nach mehreren dokumentierten Fehlschlägen geraumer Zeit bedurfte, diese aufzufinden, obwohl ersichtlich auf diese Weise die aus der geringen Verfügbarkeit von Baccatin-III zu erwartenden Probleme erheblich gemildert werden konnten und mit einem großen Bedarf an Taxol in der Zukunft zu rechnen war. Daß, wie die Klägerin meint, dem Fachmann das Auffinden der geeigneten Schutzgruppen mit wenigen Routineversuchen möglich gewesen wäre, kann der Senat auf Grund der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht feststellen.
Die Veröffentlichung von Oshima u.a. in Chem. Pharm. Bull. 32 (1984), 3518 ff (K 13) betrifft die selektive Silylierung von Vitamin-D(3)-Derivaten. Sie konnte, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angeben hat, dem Fachmann schon wegen der dort anders gelagerten Verhältnisse keinen Hinweis bieten, wie er die sich bei der Hemisynthese von Taxol stellenden Probleme anzugehen hatte.
IV. Auch der Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. b EPÜ liegt nicht vor. Dem Bundespatentgericht kann in seiner rechtlichen Bewertung nicht beigetreten werden, daß die im verteidigten Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, daß ein Fachmann sie nicht ausführen könne (Art. 84 EPÜ). Auch in der in Schweden ergangenen Entscheidung ist das Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrunds verneint worden.
Das Bundespatentgericht hat seine gegenteilige Auffassung damit begründet, daß im Hinblick auf die im verteidigten Patentanspruch 1 des Streitpatents verwendete allgemeine Formulierung der Fachmann davon ausgehe, daß übliche Methoden der Veresterung zum Erfolg führten. Für den Fachmann sei aber am Anmeldetag lediglich das spezielle Verfahren des Ausführungsbeispiels in der Beschreibung des Streitpatents gangbar gewesen. Demgegenüber erscheint es bereits zweifelhaft, ob der Fachmann in Kenntnis des Stands der Technik überhaupt Anlaß zu der Annahme hatte, daß mehr oder weniger beliebige Veresterungsverfahren zum Erfolg führen konnten, nachdem in der Literatur auf sehr spezielle Verfahren hingewiesen worden war (vgl. Denis u.a., J. Org. Chem. 1986, 51, 46, 47 Fn. 20, 21 (K 4); Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 253 738) und auch die Beschreibung des Streitpatents insoweit eine sehr spezielle Verfahrensführung angibt. Auch der gerichtliche Sachverständige hat überzeugend erläutert, daß der Fachmann weiß, daß keine Veresterungsmethode in allen Fällen funktioniert, und daß er sich deshalb immer Gedanken darüber machen wird, wie im Einzelfall vorzugehen ist.
Im übrigen erweist sich aber auch die rechtliche Beurteilung durch das Bundespatentgericht als nicht zutreffend.
Das Bundespatentgericht meint, daß ein Patent dann, wenn sich im Nichtigkeitsverfahren herausstelle, daß seine Lehre in einem begrenzten Umfang nicht ausführbar gewesen sei, in diesem Umfang für nichtig zu erklären sei. Dies trifft jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden nicht zu.
Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung stellt ein Syntheseverfahren unter Schutz, bei dem eine Hydroxy-Gruppe des 10-DAB-III zur Erreichung einer selektiven Acylierung vorübergehend blockiert wird und bei der in einem späteren Verfahrensschritt (Merkmal 1.3) das so erhaltene Taxanderivat mit einem Phenylisoserinderivat verestert wird. Der Patentanspruch ist somit auf ein Syntheseverfahren gerichtet, bei dem eine bestimmte Umsetzung (Veresterung, d.h. die Umsetzung eines Alkohols mit einer Carbonsäure) zweier definierter Komponenten stattfindet. Die Beschreibung offenbart hierzu spezielle und näher beschriebene, für den Fachmann ausführbare Wege, diese Veresterung durchzuführen. Auch wenn dabei der Bereich des dem Fachmann auf Grund seines allgemeinen Fachwissen Geläufigen verlassen wird, werden mithin in der Patentschrift (an sich aus Spezialliteratur grundsätzlich bekannte) Wege zur Durchführung der Veresterung gewiesen. Arbeitete der Fachmann diese nach, konnte er die Veresterungsreaktion mit Erfolg durchführen. Dies genügt unter Ausführbarkeitsgesichtspunkten, denn das Europäische Patentübereinkommen fordert wie das deutsche Recht lediglich, daß ein gangbarer Weg zur Ausführung der Erfindung zu offenbaren ist (u.a. BGHZ 100, 67, 71 – Tollwutvirus; Sen.Urt. v. 9.2.1993 – X ZR 40/90, Umdruck S. 8; EPA T 292/85 ABl. EPA 1989, 275 = GRUR Int. 1990, 61, 64 Polypeptid-Expression I; EPA T 238/88 ABl. EPA 1992, 709 = GRUR Int. 1993, 482 Kronenether; vgl. zum früheren Recht Sen. Urt. v. 4.7.1989 – X ZR 95/87, GRUR 1989, 899, 900 – Sauerteig).
Selbst wenn der Fachmann, wie es das Bundespatentgericht annimmt, auf Grund der Anspruchsformulierung der irrigen Auffassung gewesen wäre, er könne auf andere, geläufige Veresterungsverfahren zurückgreifen, änderte dies nichts daran, daß ein gangbarer Weg ausreichend beschrieben und das Veresterungsproblem mit der Offenbarung im Streitpatent zu lösen ist (vgl. zum Ausreichen der Angabe eines Lösungswegs auch Sen. Beschl. vom 16.6.1998 – X ZB 3/97, GRUR 1998, 899, 900 – Alpinski). Bei einem Patent auf ein chemisches Syntheseverfahren kann nämlich ein bestimmter Verfahrensschritt in Form einer an sich geläufigen, allgemein bezeichneten Reaktion auch dann allgemein beansprucht werden, wenn bekannte Möglichkeiten, diese Reaktion durchzuführen, versagen, in der Patentschrift aber ein ausführbarer Weg zur Durchführung der Reaktion nacharbeitbar offenbart ist. Die abweichende Auffassung der Klägerin, der sich das Bundespatentgericht angeschlossen hat, müßte in letzter Konsequenz dazu führen, daß der Schutz eines Verfahrenspatents neben dem Fachmann geläufigen Verfahrensabläufen immer nur den konkreten, im Patent offenbarten Verfahrensgang erfassen dürfte. Dies stellt jedenfalls dann, wenn ein bestimmtes Verfahren erstmals der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird, grundsätzlich keine angemessene Belohnung der erfinderischen Leistung dar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Fachmann zum Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt oder bei Veröffentlichung der Patentschrift auch andere Wege zur Durchführung der Reaktion zur Verfügung standen und ob es überhaupt andere Wege gibt, diese Veresterung mit brauchbarer Ausbeute durchzuführen, wie es die Beklagte unter Vorlage eines Versuchsberichts geltend macht. Der auf eine möglicherweise mißverständliche Stelle in Benkard, PatG GebrMG 9. Aufl. § 35 Rdn. 23 gestützten Auffassung des Bundespatentgerichts vermag der Senat deshalb nicht beizutreten.
Auch die umstrittene Frage, welche Folgen ein zu breit gefaßter Patentanspruch für das Nichtigkeitsverfahren haben könnte (vgl. House of Lords R.P.C. 1997, 1 ff, auszugsweise in GRUR Int. 1998, 412, 418 Biogen v. Medeva; Gerechtshof Den Haag BIE 1999, 394, 397), stellt sich im vorliegenden Fall nicht. Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist mit den Fällen, in denen – etwa in den von der Klägerin angezogenen Entscheidungen der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA T 435/91 ABl. EPA 1995, 188 ff = GRUR Int. 1995, 591, 592 – Reinigungsmittel; EPA T 409/91 ABl. EPA 1994, 653, 659 = GRUR Int. 1994, 957, 959 f – Dieselkraftstoffe) – ein „funktionelles Merkmal” oder eine allgemein umschriebene Klasse von Ausgangsstoffen oder Endprodukten im Patentanspruch genannt war, schon deshalb nicht vergleichbar, weil der Fachmann durch die Offenbarung in der Patentschrift in die Lage versetzt wird, die Veresterung als solche durchzuführen; daß dies mit jeglicher Veresterungsmethode gelingen werde, konnte der Fachmann nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen von vornherein nicht erwarten. Im übrigen ist nach geltendem Recht eine „unangemessene Breite” der Patentansprüche kein Nichtigkeitsgrund (vgl. Brandi-Dohrn GRUR Int. 1995, 541; Roberts EIPR 1994, 371; Busse § 34 PatG Rdn. 84 a.E.).
V. 1. Der nunmehr als Patentanspruch 3 verteidigte frühere Patentanspruch 4 betrifft Ester der allgemeinen Formel
worin R(2) eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausgewählt unter den Methoxymethyl-, 1-Ethoxyethyl-, Benzyloxymethyl-, ([bgr]-Trimethylsilylethoxy)-methyl-, Tetrahydropyranyl-, 2,2,2-Trichlorethoxycarbonylresten, und R(3) eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausgewählt unter den Trialkylsilylresten, von denen jeder Alkylteil 1 bis 3 Kohlenstoffatome aufweist, bedeuten. Es handelt sich mithin um das Zwischenprodukt, das man nach der Veresterung nach der Merkmalsgruppe 1, aber vor Durchführung der Verfahrensschritte der Merkmalsgruppe 2 und des Merkmals 3 erhält.
2. Der als Patentanspruch 4 verteidigte frühere Patentanspruch 5 betrifft ein Taxanderivat der allgemeinen Formel
worin R(3) eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausgewählt unter den Trialkylsilylresten, von denen jeder Alkylteil 1 bis 3 Kohlenstoffatome aufweist, bedeutet, mithin das Taxanderivat nach Merkmal 1.2.
3. Die fehlende Schutzfähigkeit der in den verteidigten Patentansprüchen 3 und 4 geschützten, neuen Zwischenprodukte ergibt sich allerdings nicht schon daraus, daß diese besonderen, an den Schutz von Zwischenprodukten zu stellenden Anforderungen nicht genügten; im geltenden Recht richtet sich die Schutzfähigkeit von Zwischenprodukten nämlich grundsätzlich nach den allgemeinen, für den Stoffschutz geltenden Regeln. Die Klägerin macht jedoch mit Erfolg geltend, daß sich diese Zwischenprodukte für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben haben und es deshalb keiner erfinderischen Tätigkeit bedurfte, sie aufzufinden.
Die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit entspricht, soweit sie aus 10-DAB-III hergestellt werden, den Erwägungen wie zum verteidigten Patentanspruch 1. Jedoch kann die Klägerin mit Recht darauf verweisen, daß eine Herstellung dieser Zwischenprodukte auch unmittelbar aus Baccatin-III möglich ist. Es war bekannt und wird auch in der Beschreibung des Streitpatents geschildert, diesen Weg zu gehen. Daß die Verfügbarkeit des Ausgangsstoffs Baccatin-III beschränkt ist, konnte den Fachmann nicht generell davon abhalten, diesen Weg weiterhin zu beschreiten. Dies gilt umso mehr, als bis zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents ein mit wirtschaftlichem Aufwand gangbarer Weg zur Teilsynthese von Taxol aus 10-DAB-III nicht bekannt war.
Wollte der Fachmann Taxol aus Baccatin-III synthetisieren, stellte sich für ihn, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, das Problem der Alkylierung der Hydroxy-Gruppe in der 10-Position von vornherein nicht, weil sich bei Baccatin-III der Acetylrest bereits an der richtigen Stelle, der Hydroxy-Gruppe in 10-Position, befindet. Deshalb bestand auf diesem Weg für ihn keine Notwendigkeit der selektiven Silylierung der Hydroxy-Gruppe in 7-Position. Es stellte sich allerdings für den Fachmann das auf der Hand liegende Problem, zu verhindern, daß die Veresterung mit der Taxol-Seitenkette an der freien und stärker reaktiven Hydroxy-Gruppe in 7-Position statt in der gewünschten 13-Position auftrat. Für den Fachmann lag es – wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat und wie es auch von der Beklagten nicht ernsthaft in Zweifel gezogen worden ist – auf der Hand, daß er Vorkehrungen treffen mußte, die Veresterung an der Hydroxy-Gruppe in 7-Position zu verhindern und daß er diese Gruppe deshalb vorübergehend mit einer Schutzgruppe zu versehen hatte. Es lag für ihn weiter auf der Hand, daß an die Wahl dieser Schutzgruppe keine besonderen Anforderungen zu stellen waren und daß es der besonderen Maßnahme der Silylierung, wie sie das Streitpatent lehrt, an sich nicht bedurfte. Dieses Problem war zudem schon in der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 253 738 (K 5) in der Weise gelöst, daß in 7-Position die Hydroxy-Gruppe durch einen Trichlorethoxycarbonylrest (-OCOOCH(2)CCl(3)) ersetzt wurde (Beschreibung S. 4 Z. 3-5). Daraus folgt jedoch nicht, daß die Auswahl der – wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat – dem Fachmann geläufigen Schutzgruppen, wie sie die verteidigten Patentansprüche 3 und 4 lehrt, einen erfinderischen Gehalt aufwiese. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß aus dem Umstand, daß dem Fachmann auch andere und sogar näherliegende oder besseren Erfolg versprechende Lösungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten, jedenfalls nicht ohne weiteres erfinderische Tätigkeit bei der Auswahl einer anderen, ebenfalls für sich betrachtet nicht erfinderischen Alternative abgeleitet werden kann (BGHZ 133, 57, 65 – Rauchgasklappe; Sen. Urt. v. 18.2.1997 – X ZR 25/95, bei Bausch Bd. 1 S. 445, 452 f.). Tragfähige Anhaltspunkte für eine Annahme dahin, daß diese weiteren Alternativen den Fachmann davon hätten abhalten können, die im Streitpatent gewählten Schutzgruppen in Betracht zu ziehen, sind nicht hervorgetreten.
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf dem nach Art. 29 des 2. PatGÄndG übergangsweise weiterhin anzuwendenden § 110 Abs. 3 i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980, §§ 91, 92, 97 ZPO.
Unterschriften
Jestaedt, Melullis, Keukenschrijver, Mühlens, Meier-Beck
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 03.05.2001 durch Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BGHZ |
BGHZ, 306 |
DB 2001, 2193 |
NJW 2001, 3269 |
BGHR 2001, 703 |
BGHR |
GRUR 2001, 813 |
Nachschlagewerk BGH |
Mitt. 2001, 355 |