Tatbestand
Der Kläger unterzog sich am 6. Januar 1982 in der P.-Klinik in O., einem Belegkrankenhaus, einer Magenoperation, die von 8.35 Uhr bis 10.45 Uhr dauerte. Anästhesist war zunächst der frühere Zweitbeklagte, der die Intubationsnarkose einleitete und überwachte. Um 10.45 Uhr übernahm der Beklagte zu 1) (im folgenden: der Beklagte), ebenfalls Facharzt für Anästhesie, die Betreuung des Klägers, den er um 10.55 Uhr extubierte. Der Kläger wurde in die Aufwachstation gebracht. Als man dort bemerkte, daß seine Spontanatmung nicht ausreichte, gab der Beklagte ihm ein atemstimulierendes Mittel und intubierte ihn erneut. Der Kläger wurde an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Um 12.30 Uhr wurde er erneut extubiert. Eine Stunde danach wurde er unruhig. Sein Zustand wurde als postoperative Schmerzreaktion gedeutet, und ihm wurden Beruhigungs- und Schmerzmittel verordnet. Im weiteren Verlauf kam es beim Kläger zu neurologischen Störungen, die schließlich zu einem Verlust der Sehfähigkeit und zu einer Halbseitenlähmung geführt haben als Folge cerebraler Durchblutungsstörungen.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch. Er wirft ihm Versäumnisse bei der postoperativen Betreuung vor, die zu den schweren Gesundheitsschäden geführt hätten. Er habe den kritischen Zustand des Klägers schuldhaft nicht erkannt und vor allem fehlerhaft im späteren Verlauf weitere atemdepressive Medikamente verordnet.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 100.000 DM verurteilt. Die Berufung des Beklagten führte zur Klagabweisung. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das sachverständig beratene Berufungsgericht vermag einen Behandlungsfehler des Beklagten nicht festzustellen und sieht sogar einen Ursachenzusammenhang zwischen der Anästhesie sowie der postoperativen Beatmung des Klägers und den Gesundheitsschäden als nicht bewiesen an. Es führt aus, der Beklagte habe auf den beim Kläger bestehenden Narkoseüberhang nach Beendigung der Operation richtig reagiert. Es habe für ihn kein Anhalt für eine cerebrale Beeinträchtigung des Klägers bestanden, so daß ihm nicht vorgeworfen werden könne, daß er die Symptome des Klägers falsch gedeutet habe. Art und Menge der postoperativ verordneten Medikamente seien zwar geeignet gewesen, den Zustand des Klägers zu beeinträchtigen. Eine Schädigung des Klägers durch die Medikamente sei aber weniger wahrscheinlich. Dem Kläger kämen auch keine Beweiserleichterungen wegen einer unzureichenden Dokumentation zugute. Diese habe der Sachverständigen zur Beurteilung der medizinischen Vorgänge ausgereicht.
II.
Das Berufungsurteil hält den Revisionsangriffen nicht stand. Mit Recht rügt die Revision, daß das Berufungsgericht nicht die bestehenden Widersprüche zwischen dem schriftlichen und mündlichen Gutachten der vom Gericht bestellten Sachverständigen Prof. Dr. P. und dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten des Prof. Dr. S. aufzuklären versucht hat (§ 286 ZPO)
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates hat der Tatrichter sich mit ernstzunehmenden Einwänden der Partei gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten auseinanderzusetzen, insbesondere auch mit abweichenden Meinungen in vorgelegten Privatgutachten. Bestehende Widersprüche sind in geeigneter Form aufzuklären (vgl. u.a. Senatsurteile vom 19. Mai 1981 - VI ZR 220/79 - VersR 1981, 752 und vom 17. Dezember 1985 - VI ZR 192/84 - VersR 1986, 467). Das hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft unterlassen.
a) Im Vordergrund steht der vom Kläger gegen den Beklagten erhobene Vorwurf, die Bekämpfung der nach Beendigung der Beatmungshilfe beim Kläger beobachteten Unruhezustände durch Art und Menge der verabreichten Medikamente sei fehlerhaft gewesen und habe seine Gesundheitsschäden verursacht. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht an, mit der Extubation um 12.30 Uhr habe die Verantwortung des beklagten Anästhesisten für die ärztliche Behandlung des Klägers geendet. Die Erwägungen des erkennenden Senats zur Abgrenzung der Verantwortungsbereiche des Anästhesisten und des Chirurgen in der postoperativen Phase in seinem in BGHZ 89, S. 263, 267 f veröffentlichten Urteil, auf die das Berufungsgericht abhebt, stützen dessen Auffassung nicht. Anders als in jenem Fall, in dem die Patientin bereits seit zwei Tagen in die Kinderchirurgische Abteilung verlegt worden war und Nachwirkungen der Narkose nicht mehr zu erwarten waren, war es im Streitfall gerade zu Komplikationen in der postoperativen Phase gekommen, deren Behandlung in die Zuständigkeit des Beklagten fiel, der ja auch entsprechend gehandelt hat. Er blieb nach der Beherrschung der Atemdepression, also nach der zweiten Extubation, für die Weiterbehandlung zum einen schon deshalb zuständig, wenn er sie übernommen hat, also wenn er selbst die Medikation nach Auftreten der Unruhezustände angeordnet haben sollte, wovon mangels tatsächlicher Feststellungen dazu für die Revisionsinstanz auszugehen ist. Aber auch ohne das war er als Anästhesist aus seiner Verantwortung noch nicht entlassen, solange noch weiter die Gefahr unerwünschter Nachwirkungen der Narkose bestand. Auch das hat, wie gleich zu erörtern sein wird, der erkennende Senat zu unterstellen. Sache des Beklagten war es dann, etwa erforderliche ärztliche Kontrollen und Beobachtungen des Patienten vorzunehmen oder sicherzustellen. Soweit er nicht selbst tätig werden wollte, hatte er, wenn das zunächst ausreichte, dem Pflegepersonal die erforderlichen Anweisungen zu erteilen und den in der chirurgischen Abteilung tätigen Arzt zu informieren, wenn wegen noch zu befürchtender unerwünschter Narkosenachwirkungen besondere Maßnahmen, vor allem auch bei der weiteren Medikation, zu treffen waren.
b) Zu der Applikation von Medikamenten nach der zweiten Extubation hat die Sachverständige Prof. Dr. P. in ihrem schriftlichen Gutachten ausgeführt, eine solche Medikation sei "leider heute durchaus üblich" und könne in Kombination mit den vorher verabreichten Substanzen mit langen Halbwertzeiten auch eine bis in den Abend anhaltende Trübung des Bewußtseins erklären. Im Ergebnis hält sie indessen ein Ursachenzusammenhang zwischen der Medikation und dem Gesundheitsschaden des Klägers nicht für gegeben und verneint auch abschließend einen Behandlungsfehler des Beklagten. Bei ihrer mündlichen Anhörung vor dem Landgericht hat sie dann die Medikation als "sehr hoch" bezeichnet und von deren genereller Eignung gesprochen, den Patienten in seinem Bewußtsein zu stören und dessen Atemfunktionen zu beeinträchtigen, was wiederum zu einer Sauerstoffunterfunktion im Gehirn führen könne. Es könne zu Kreislaufschwierigkeiten kommen, was aber bei dem Kläger nicht der Fall gewesen sei, wie sich aus den Blutdruck- und Pulswerten auf dem Krankenblatt ergebe. Im weiteren Verlauf hat sie dann erklärt, sie halte es nicht für richtig, in solchen Fällen ungeprüft, d.h. ohne die Ursache abzuklären, Beruhigungsmittel in größeren Mengen zu geben. Indessen hat sie wiederum den Ursachenzusammenhang der Behandlung für den Schaden des Klägers für "weniger wahrscheinlich" gehalten und das näher begründet.
Ob das Berufungsgericht schon daraus den wohl allein zutreffenden Schluß hat ziehen wollen, daß den Ärzten im Hinblick auf die postoperative Medikation Behandlungsfehler anzulasten sind, wird aus seiner Begründung nicht deutlich. Wenn es insoweit Zweifel gehabt hätte, hätte es sich mit der insoweit unzweideutigen Meinung des Privatgutachters, eines erfahrenen Ordinarius für Anästhesie, auseinandersetzen müssen, wonach die Applikation atemdepressiver Medikamente in Anbetracht der Symptome des Klägers, die seiner Ansicht nach den Fachmann jedenfalls an eine Sauerstoffunterversorgung denken lassen mußte, eindeutig falsch gewesen sei, und hätte das mindestens mit der Sachverständigen Prof. Dr. P. erörtern müssen.
c) Ein danach möglicher Verstoß gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse kann bereits ein schwerer Behandlungsfehler sein mit der Folge, daß Ursachenzweifel zu Lasten des Beklagten gehen müßten. Jedenfalls aber hat Prof. Dr. S. überdies diesen Ursachenzusammenhang als unzweifelhaft angesehen und das medizinisch begründet. Das steht im klaren Widerspruch zu der Ansicht von Frau Prof. Dr. P., die ihrerseits im einzelnen begründet hat, weshalb sie Zweifel an der Ursächlichkeit habe. Das Berufungsgericht hat sich mit diesem Widerspruch nicht auseinandergesetzt. Es hätte aber mindestens aufzeigen müssen, weshalb es der Ansicht von Frau Prof. Dr. P. gefolgt ist und keine weitere Aufklärung für erforderlich gehalten hat. In diesem Zusammenhang ist noch zu bemerken: Zwar hat, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, Frau Prof. Dr. P. Kreislaufschwierigkeiten des Klägers infolge der Medikation ausgeschlossen. Das muß indessen noch nichts darüber aussagen, ob die Atemfunktionen des Klägers beeinträchtigt waren, was wiederum zu einer Sauerstoffunterversorgung im Gehirn führen kann. Unklarheiten darüber können unter Umständen ebenfalls zu Lasten des Beklagten gehen, wenn der Ansicht von Prof. Dr. S. zu folgen wäre, wegen der durch eine Blutgasanalyse in der Zeit der Assistenzbeatmung nachgewiesenen Hyperventilation und wegen der motorischen Unruhe des Klägers nach Extubation, die für die Revisionsinstanz mangels anderweitiger Feststellungen jedenfalls zu unterstellen ist, sei eine erneute Sauerstoffbeatmung mit wiederholten blutgasanalytischen Kontrollen erforderlich gewesen. Es wird gegebenenfalls zu klären sein, ob wenigstens solche Kontrollen hätten vorgenommen werden müssen, die Aufschluß über die Sauerstofflage beim Kläger hätten geben können.
2. Das angefochtene Urteil beruht auf den dargelegten Verfahrensfehlern. Es ist derzeit nicht auszuschließen, daß die erforderliche weitere Aufklärung des Sachverhalts zur Feststellung eines, unter Umständen sogar schweren Behandlungsfehlers des Beklagten sowie dessen Ursächlichkeit für die schweren Gesundheitsschäden des Klägers führt. Dabei wird das Berufungsgericht erforderlichenfalls auch den weiteren Rügen der Revision nachzugehen haben, so zu der Frage, in welcher Weise der Kläger beatmet worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2993656 |
NJW 1990, 759 |
BGHR BGB § 823 Abs. 1 Arzthaftung 41 |
BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Sachverständigenbeweis 6 |
DRsp I(125)361d |
MDR 1990, 231 |
VersR 1989, 1296 |