Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassen medizinisch erforderlicher diagnostischer Untersuchungsmaßnahmen als ärztlicher Behandlungsfehler
Leitsatz (amtlich)
- Dem Anästhesisten, der für die Anästhesie erforderliche Befunderhebungen unterlassen hat, ohne dass dies zu einer Schädigung des Patienten bei der Anästhesie geführt hat, kann eine Schädigung des Patienten aus Versäumnissen anderer Ärzte nicht zugerechnet werden, die ihrerseits zum Zwecke einer Therapie des Patienten erforderliche Befunde gleicher Art nicht erhoben haben.
- Es wird daran festgehalten, dass Ersatzansprüche des Kindes wegen Entzuges des Betreuungsunterhaltes seiner Mutter auf den Sozialversicherungsträger übergehen, soweit dieser aus der Rentenversicherung der Mutter an das Kind eine Waisenrente zahlt, weil insoweit zwischen den Leistungen Kongruenz besteht.
Normenkette
BGB § 844 Abs. 2
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung der Anschlussrevision des Klägers das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 16. Mai 1986 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Mutter des Klägers wurde am 13. Juli 1979 zur Entbindung in das St. M. Krankenhaus in K. aufgenommen. Bei der Untersuchung um 0.15 Uhr war die Fruchtblase geplatzt und der Muttermund hatte sich ca. l cm geöffnet. Als am Nachmittag dieses Tages die Geburt zum Stillstand gekommen war, entschlossen sich die Ärzte nach einem vergeblichenVersuch der Entbindung mittels Zange zur operativen Entbindung mittels Kaiserschnitts. Bei der Narkose verwandte der Anästhesist unter anderem das Narkosemittel Halothan. Die Geburt des Klägers verlief ohne weitere Komplikationen. Am Abend des 16. Juli 1979 stieg aber bei seiner Mutter die Temperatur rektal auf 40,6 Grad Celsius an, und es traten am ganzen Körper kleine fleckige Exantheme auf. Am 17. Juli 1979 normalisierte sich die Temperatur, stieg dann am 18. Juli 1979 noch einmal bis auf 40 Grad Celsius an und fiel in den folgenden drei Tagen auf Normalwerte ab. Am 17. Juli 1979 zeigten sich bei der Patientin um die Operationswunde herum stecknadelförmige Bläschen so wie ein ca. 3 x 2 cm großer Bluterguss, in dessen Bereich es zu einer Hautnekrose und einer etwa 2 cm großen Dehiszenz der Wundränder kam. Am 3. August 1979 wurde deshalb bei der Patientin unter Vollnarkose eine Wundrevision durchgeführt. Operateur war der Erstbeklagte, Chefarzt der geburtshilflichen Abteilung des Krankenhauses. Die Anästhesie übernahm der Zweitbeklagte, der Facharzt für Anästhesie ist. Er verwandte bei der Narkose wiederum Halothan. Am dritten Tag nach der Wundrevision verfärbte sich die Patientin zunehmend gelb. Sie wurde deshalb zunächst auf die innere Abteilung des Krankenhauses verlegt und am nächsten Tage nach weiterer Verschlechterung ihres Allgemeinzustandes in die medizinische Klinik der Universität M., wo sie am 3. September 1979 infolge Leberversagens verstarb.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Ersatz seines durch den Tod der Mutter entstandenen Unterhaltsschadens. Er wirft ihnen vor, sie hätten den Tod seiner Mutter durch fehlerhafte Behandlung schuldhaft verursacht. Falsch sei die Wiederverwendung des Narkosemittels Halothan bei der zweiten Operation gewesen; jedenfalls aber hätten beide Beklagten es schuldhaft unterlassen, in der Zeit zwischen den beiden Operationen durch laborchemische Untersuchungen, vor allem auch der Leberwerte, die Ursache für die festgestellten Symptome zu erforschen. Der Kläger sieht darin schwere Behandlungsfehler, die hinsichtlich des Ursachenverlaufes zu einer Umkehr der Beweislast zu seinen Gunsten führen müssten.
Die Beklagten vertreten die Ansicht, ihnen falle kein schuldhafter Behandlungsfehler zur Last. Insbesondere sei die Wiederverwendung von Halothan als Narkosemittel bei der Wundrevision aus medizinischer Sicht nicht zu beanstanden.
Das Landgericht hat der Klage gegen beide Beklagte teilweise stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat deren Berufung zurückgewiesen und der Berufung des Klägers zur Höhe teilweise stattgegeben.
Mit ihrer Revision begehren die Beklagten weiter
die volle Abweisung der Klage.
Der Kläger wendet sich mit seiner Anschlussrevision gegen die Anrechnung einer Halbwaisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung seiner Mutter auf seine Schadensersatzansprüche.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht lässt es letztlich dahinstehen, ob ein Behandlungsfehler vor allem des zweitbeklagten Anästhesisten darin liegen kann, dass dieser bei der zweiten Operation wiederum Halothan als Narkosemittel verwandt hat (worauf das Landgericht sein Urteil im Wesentlichen gestützt hat). Es macht, sachverständig beraten, beiden Beklagten zum Vorwurf, die bei der Mutter des Klägers seit dem dritten Tage nach dem Kaiserschnitt aufgetretenen Symptome nicht zum Anlass genommen zu haben, umfangreiche laborchemische Untersuchungen vorzunehmen und dabei auch die Leberwerte abzuklären, zumal die Symptome durchaus auch auf einen septischen Verlauf hingewiesen hätten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen hätten möglicherweise zu therapeutischen Konsequenzen führen müssen, die geeignet gewesen wären, die Lebernekrose und damit den Tod der Patientin zu verhindern. Da das Unterlassen der Untersuchungen einem groben Behandlungsfehler gleichzuachten sei, wirke sich die Unaufklärbarkeit des Ursachenverlaufes zum Nachteil der Beklagten aus.
In erster Linie habe dafür der erstbeklagte Gynäkologe einzustehen. Jedoch hafte auch der Zweitbeklagte als Anästhesist für die Versäumnisse, weil er die bis dahin unterlassenen Laboruntersuchungen hätte fordern und deren Ergebnisse hätte abwarten müssen. Von diesen Ergebnissen hätte die Auswahl der Anästhesiemethode und der Anästhesiemittel abgehangen.
Sodann führt das Berufungsgericht im einzelnen aus, welche Ansprüche dem Kläger der Höhe nach zustehen. In diesem Zusammenhang nimmt es an, der Anspruch des Klägers wegen Verlustes seiner gesetzlichen Unterhaltsansprüche sei deckungsgleich mit der von ihm bezogenen Halbwaisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung seiner Mutter, so dass Ansprüche insoweit auf den öffentlich rechtlichen Versicherungsträger übergegangen seien.
II.
Die dagegen gerichteten Revisionsangriffe der Beklagten sind begründet. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichtes rechtfertigen weder eine Verurteilung des erstbeklagten Gynäkologen noch die des zweitbeklagten Anästhesisten zum Schadensersatz wegen eines schadensursächlichen Behandlungsfehlers nach §§ 823, 844 Abs. 2 BGB.
A)
Zur Haftung des Erstbeklagten
1.
Rechtsfehlerfrei führt das Berufungsgericht aus, dass den Erstbeklagten deswegen der Vorwurf eines schuldhaften Behandlungsfehlers gegenüber der Mutter des Klägers (im folgenden: Patientin) treffen kann, weil er die drei Tage nach der Kaiserschnittgeburt aufgetretenen Symptome nicht zum Anlass genommen hat, deren Ursache durch laborchemische Untersuchungen zu klären. Solche weitergehenden diagnostischen Maßnahmen waren, wie das Berufungsgericht Verfahrensfehlerfrei den Ausführungen des Sachverständigen Prof. v.A. entnommen hat, medizinisch erforderlich. Fieber und Hautausschlag ließen nicht nur auf eine allergische Reaktion der Patientin nach Einnahme des Medikaments Methargin schließen, sondern konnten mindestens mit derselben Wahrscheinlichkeit auf eine Sepsis hindeuten. Es lag nämlich nahe, dass die Patientin, deren Muttermund während der Geburt über 15 Stunden lang geöffnet gewesen und deren Geburtskanal bei der Geburt traumatisiert worden war, sich dabei bakteriell infiziert haben konnte. In Wahrheit hat der Erstbeklagte (oder die behandelnden Stationsärzte) das auch differential-diagnostisch in Erwägung gezogen, wie die zusätzliche Gabe von Antibiotika vom vierten bis zum zehnten Tage nach dem Kaiserschnitt zeigt. Der Ursache einer möglichen Sepsis musste nachgegangen werden, um sie gezielt bekämpfen zu können. Die erforderlichen laborchemischen Untersuchungen konnten dann auch Aufschluss darüber geben, ob die Leber der Patientin in Mitleidenschaft gezogen war, was in diesem Zusammenhang ernstlich in Betracht kam und möglicherweise zu dem Tod infolge Leberzyrrhose geführt hat. Das Unterlassen medizinisch erforderlicher diagnostischer Untersuchungsmaßnahmen, die Aufschluss über die Art der Krankheit geben und dann Grundlage für die weiter einzuschlagende Therapie sind, ist rechtlich ein ärztlicher Behandlungsfehler, der zur Haftung für dadurch verursachte Körper- und Gesundheitsschäden des Patienten, im Falle seines Todes für Unterhaltsschäden seiner Hinterbliebenen nach § 844 Abs. 2 BGB, führen kann.
2.
Revisionsrechtlich ist zu unterstellen, dass der Erstbeklagte für das Unterlassen der gebotenen laborchemischen Untersuchungen mindestens mitverantwortlich gewesen ist. Dafür würde freilich nicht der Umstand ausreichen, dass er als verantwortlicher Operateur vor der Wundrevision am 3. August 1979 angesichts der fehlenden Daten in der Krankengeschichte, die er zur Kenntnis zu nehmen hatte, nicht für ergänzende Untersuchungen gesorgt hat. Das Berufungsgericht hat nämlich, insoweit dem Sachverständigen Prof. v.A. folgend, gerade nicht festgestellt, dass diese Operation unter Vollnarkose, bei der zum wiederholten Male Halothan verwandt worden ist, den letztlich tödlichen Leberschaden bei der Patientin ausgelöst hat. Offen geblieben ist vor allem auch die Frage, ob die Gabe von Halothan kontraindiziert war; die Ausführungen des Sachverständigen Prof. v. A. sprechen eher dagegen und lassen selbst unter Berücksichtigung etwaiger Leberschäden der Patientin kaum die Feststellung zu, in der Verwendung von Halothan könne ein schuldhafter Behandlungsfehler zu sehen sein. Es kann deshalb derzeit nur darum gehen, ob die medizinisch erforderliche Erhebung von Laborbefunden zur Aufdeckung etwaiger Leberschäden der Patientin geführt hätte - das stellt das Berufungsgericht Verfahrensfehlerfrei fest -, und ob eine dann rechtzeitig einsetzende Therapie die Lebernekrose und den Tod der Patientin hätte verhindern können. Letzteres ist offen geblieben. Weder den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Äußerungen des Sachverständigen Prof. v.A. noch dem Berufungsurteil selbst ist im übrigen zu entnehmen, was konkret medizinisch hätte unternommen werden können und müssen und wie Erfolg versprechend die Therapie hätte sein können.
3.
Fehlt es mithin an dem Nachweis der Ursächlichkeit eines dem Erstbeklagten anzulastenden Behandlungsfehlers für den Tod der Patientin, dann kommt es, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob im Streitfall die Beweislast für das Fehlen der Ursächlichkeit eines Behandlungsfehlers ausnahmsweise den Erstbeklagten als den behandelnden Arzt trifft.
a)
Das Berufungsgericht begründet eine solche Beweislastumkehr zu Lasten des Erstbeklagten, wie seine Bezugnahme auf die Senatsentscheidung BGHZ 85, 212, 217 ff. zeigt, im wesentlichen damit, dass der Erstbeklagte nicht die erforderlichen diagnostischen Maßnahmen getroffen hat. Es will offenbar annehmen, auch im Streitfall habe der Erstbeklagte in erheblichem Ausmaß Diagnose- und Kontrollbefunde zum Behandlungsgeschehen nicht erhoben, und der Erstbeklagte trage in besonderem Maße die Verantwortung dafür, dass die notwendigen Daten zur Aufklärung des Behandlungsverlaufes nicht zur Verfügung stehen. Das jedenfalls hat der erkennende Senat seinerzeit zur Voraussetzung für eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen, die dazu bei groben Behandlungsfehlern entwickelt worden sind, gefordert. Für den Fall der mangelnden Befundsicherung, um die es auch im Streitfall geht, hat der Senat neuerdings in seinem zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehenen Urteil vom 3. Februar 1987 - VI ZR 56/86 - diese Rechtsprechung fortgeführt und präzisiert. Danach können dem Patienten Beweiserleichterungen zugute kommen, wenn der Arzt es schuldhaft unterlassen hat, medizinisch zweifelsfrei gebotene Befunde zu erheben und zu sichern, freilich mit der Einschränkung, dass dadurch die Aufklärung eines immerhin wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden erschwert oder vereitelt wird, und dass die Befundsicherung gerade wegen des erhöhten Risikos des in Frage stehenden Verlaufes geschuldet war.
b)
Die Revision beanstandet mit Recht (§ 286 ZPO), dass die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts unter Berücksichtigung dieser Grundsätze nicht ausreichen, um Beweiserleichterungen bis zur Beweislastumkehr für die Patientin und damit den Kläger zu rechtfertigen. Auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. v.A. kann die Annahme, der Erstbeklagte habe in schwerwiegender Weise medizinisch zweifelsfrei gebotene Maßnahmen zur Befundsicherung unterlassen, gerade nicht gestützt werden. Der Sachverständige hat nämlich das Unterlassen zusätzlicher laborchemischer Untersuchungen vor der zweiten Operation zwar als Mangel angesehen, aber gleichzeitig darauf hingewiesen, er sehe darin keinen "Kunstfehler". Das Berufungsgericht hat sich damit nicht auseinandergesetzt. Manches mag dafür sprechen, dass der Sachverständige als Anästhesist bei seiner Beurteilung nur die Relevanz der nicht vorliegenden Laborwerte für die Entscheidung im Auge gehabt hat, welche Anästhesiemethode anzuwenden sei und welches Narkosemittel dabei verwandt werden durfte. Darum geht es aber nicht, wie schon ausgeführt ist. Dem Erstbeklagten kann nur vorgeworfen werden, eine mögliche Lebererkrankung nicht durch diagnostische Mittel erkannt und sie deshalb nicht rechtzeitig behandelt zu haben. Wie schwer dieser Vorwurf wiegt, ob vor allem das Unterlassen zwingend gebotener, sich aufdrängender Befunderhebungen die Aufklärung des Sachverhalts erschwert oder vereitelt hat, aber auch, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Eintritt des Schadens hätte verhindert werden können, ist bisher nicht ausreichend aufgeklärt. Zu alldem bedarf es einer sachkundigen medizinischen Beratung, ohne die dem Berufungsgericht eine ausreichende Entscheidungsgrundlage fehlt. Dabei wird es erforderlich sein, die besonderen Umstände des Streitfalles, nämlich die Symptomatik bei der Patientin und ihre weitere Krankengeschichte nach der vom Beklagten zu verantwortenden Therapie - es steht dazu bisher nicht fest, von welchem Zeitpunkt an gerade er die Patientin wenigstens mitbehandelt hat - medizinisch zu beurteilen, wozu nach Lage der Dinge eher ein Chirurg oder ein auf dem Gebiet der Chirurgie erfahrener Gynäkologe als Sachverständiger hinzugezogen werden müsste, da es insoweit nicht um Fragen aus dem Fachgebiet der Anästhesie geht.
Sollte sich bei der erforderlichen weiteren Aufklärung ergeben, dass den Erstbeklagten der Vorwurf eines schweren Behandlungsfehlers trifft, könnten sich allein daraus Beweiserleichterungen für den Kläger zur Kausalitätsfrage ergeben. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichtes, das sich mit dieser Problematik aus seiner Sicht heraus nicht befasst hat, reichen auch für eine solche Würdigung des ärztlichen Verhaltens des Erstbeklagten nicht aus. Bei der erneuten Würdigung wird das Berufungsgericht ferner zu beachten haben, dass selbst bei Bejahung einer Haftung des Erstbeklagten der Kläger nach § 844 Abs. 2 BGB einen Unterhaltsschaden erst vom Zeitpunkt des Todes seiner Mutter (03.09.1979), und nicht schon vom 08.08.1979 ab fordern kann, von dem ab die Vorinstanzen den Ersatz zugesprochen haben.
B)
Zur Haftung des Zweitbeklagten
1.
Ein Behandlungsfehler des Zweitbeklagten, der für die Anästhesie bei der Wundrevision vom 3. August 1979 verantwortlich war, liegt nach Ansicht des Berufungsgerichts darin, dass er angesichts der Vorgeschichte nicht vor der Operation vom Erstbeklagten weitere Laboruntersuchungen gefordert und diese abgewartet hat, zumal vom Ergebnis dieser Befunde die Auswahl der Anästhesiemethode und der Narkosemittel abgehangen habe. Dafür, dass diese Beurteilung zutrifft, sprechen die Ausführungen des Sachverständigen Prof. v.A., der freilich, wie schon ausgeführt, das Versäumnis des Zweitbeklagten nur als einen "Hangel", nicht aber als einen Fehler hat bezeichnen wollen. Das Berufungsgericht hat sich mit dieser einschränkenden Wertung nicht näher auseinandergesetzt. Das ist aber möglicherweise schon deswegen unschädlich, weil eine Haftung des Zweitbeklagten für die Schäden des Klägers infolge des Todes der Patientin selbst dann nicht in Betracht kommen muss, wenn von einem Behandlungsfehler auch des Zweitbeklagten auszugehen wäre. Mangels entgegenstehender Feststellungen des Berufungsgerichts, das letztlich offen gelassen hat, ob es auch insoweit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. v. A. folgen und es in dieser Weise verstehen wollte, ist für die Revisionsinstanz zu unterstellen:
Wegen eines solchen, die Anästhesie betreffenden Behandlungsfehlers des Zweitbeklagten könnte der Tod der Patientin nicht auch ihm zugerechnet werden; denn der etwaige Leberbefund war für das von ihm zu verantwortende Vorgehen ohne Einfluss. Selbst wenn Laborbefunde ergeben hätten, dass die Leber der Patientin geschädigt war, hätte das weder eine Vollnarkose noch die Anwendung des Narkosemittels Halothan kontraindiziert. Es fehlt einmal jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Patientin eine Vollnarkose aufgrund ihres Allgemeinzustandes aus medizinischen Gründen nicht zugemutet werden konnte, zumal die Wundrevision nur eine kleinere Operation ist. Der Sachverständige hat eine Vollnarkose für vertretbar gehalten. Seine Ausführungen lassen erkennen, dass die wiederholte Anwendung von Halothan auch dann kein Behandlungsfehler war, wenn die Patientin einen Leberschaden hatte. Daran ändert nichts der Umstand, dass der Sachverständige selbst zu aller Sicherheit bei der zweiten Operation kein Halothan verwandt haben würde. Er meint allem Anschein nach, dass es dennoch nach den zur Verfügung stehenden medizinischen Erkenntnissen und Erfahrungen jedenfalls eine vertretbare ärztliche Entscheidung war, auch in diesem Falle Halothan zu geben. Nach alldem hätte die unterlassene Befunderhebung jedenfalls keinen Einfluss auf die Narkoseführung gehabt. Sie könnte dem Zweitbeklagten schon deshalb nicht angelastet werden. Im übrigen würde sein Fehler wohl kaum schwer wiegen, so dass Beweiserleichterungen zur Kausalitätsfrage zugunsten des Klägers nicht in Betracht kommen.
2.
Für die unterlassenen diagnostischen Maßnahmen während der postoperativen Phase der Behandlung der Patientin nach der Kaiserschnittsoperation ist der Zweitbeklagte nicht verantwortlich. Er ist nur als Anästhesist tätig geworden, und nur insoweit ist er an der Behandlung der Patientin beteiligt gewesen. Die Anästhesie bei der Kaiserschnittendbindung hatte nicht er geführt, so dass ihn auch deswegen keine nachwirkenden Pflichten bei der postoperativen Beobachtung und Weiterbehandlung der Patientin trafen. Es war nach allem nicht seine Aufgabe, sich an diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu beteiligen, die nicht mit der Vorbereitung und Durchführung der Anästhesie bei der Wundrevision zusammenhingen. Vielmehr war die Behandlung der Patientin im übrigen nach der Arbeitsteilung zwischen dem Erstbeklagten als Gynäkologen und ihm als Anästhesisten allein die Aufgabe des Erstbeklagten, der den Zweitbeklagten auch nicht etwa als Konsiliarius herangezogen hat. Weder vertraglich noch aus seiner ärztlichen Garantenstellung heraus kann deshalb dem Zweitbeklagten angelastet werden, dass nicht auch er für eine weitere diagnostische Abklärung und je nach deren Ergebnis für eine entsprechende Therapie der Patientin gesorgt hat. Daraus, dass von ihm angeforderte zusätzliche Befunde auch dem Erstbeklagten zur Kenntnis gekommen wären und diesen dann zu therapeutischen Maßnahmen hätten veranlassen müssen, kann ihm im Verhältnis zu der Patientin kein Vorwurf gemacht werden. Sicherlich hätte er für ihn erkennbar wichtige Befunde sofort an den Erstbeklagten weitergeben müssen. Es begründet aber keine Haftung für Unterlassungen bei der Behandlung der Patientin, dass er in seinem anästhesistischen Aufgabenbereich die Befunde nicht erhoben hat. Er war für die Therapie im übrigen nicht zuständig und hatte in sie allenfalls einzugreifen, wenn er über zusätzliches und besseres Wissen verfügte oder wenn er offensichtliche ärztliche Versäumnisse erkannte, auf die er dann seine Kollegen hinzuweisen hatte. So liegt es im Streitfall aber nicht. Im übrigen gilt auch insoweit, dass etwaige Versäumnisse des Zweitbeklagten erst recht nicht als schwere Behandlungsfehler angesehen werden könnten, so dass eine Haftung für die geltendgemachten Schäden auch mangels Nachweises der Ursächlichkeit entfiele.
3.
Die Verurteilung des Zweitbeklagten beruht auf der dargelegten falschen rechtlichen Sicht des Berufungsgerichtes zum Verantwortungsbereich des Anästhesisten. Eine eigene abschließende Entscheidung ist dem Senat aber nicht möglich. Es bedarf noch weiterer abschließender Feststellungen des Berufungsgerichts zu den erörterten medizinischen Fragen aus dem Bereich der Anästhesie, insbesondere zur wiederholten Anwendung von Halothan, die es bisher, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, nicht getroffen hat.
III.
Zur Anschlussrevision des Klägers
Die Anschlussrevision des Klägers ist unbegründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (vgl. die Nachweise im Senatsurteil vom 1. Dezember 1981 - VI ZR 203/79 - NJW 1982, 1045 = VersR 1982, 291; zu dem Problemkreis zuletzt Senatsurteil vom 4. Dezember 1984 - VI ZR 117/83 - NJW 1985, 735 = VersR 1985, 356) besteht bei Tötung der Mutter eine sachliche Kongruenz zwischen der Waisenrente und Ersatzansprüchen des Kindes wegen des Entzugs der persönlichen Unterhaltsleistungen, so dass sich im Streitfall der Kläger die Leistungen aus der Halbwaisenrente auf seine Ersatzansprüche anrechnen lassen muss, weil diese insoweit auf den Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Dem ist das Berufungsgericht mit Recht gefolgt. Die Anschlussrevision stellt das im Hinblick auf die Ausführungen von Lange in FamRZ 1983, Seite 1181, 1183 f zur Überprüfung. Der Senat hält demgegenüber an der bisherigen Rechtsprechung fest. Das von Lange für seine abweichende Ansicht vornehmlich ins Feld geführte Argument, Bewertung und Qualifikation der Hausfrauenarbeit im bürgerlichen Recht müssten nicht notwendig mit der des Sozialrechts deckungsgleich sein, bürgerlich-rechtliche Ansprüche wegen des Ausfalls der Hausfrauenarbeit und Sozialversicherungsrenten seien jedenfalls nicht im vollen Umfang funktionsgleich, trifft für den zivilrechtlichen Anspruch des Kindes auf Schadensersatz für den durch den Tod der Mutter entgangenen Betreuungsunterhalt und den sozialrechtlichen Anspruch auf Waisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Mutter gerade nicht zu: Es entspricht seit langem gefestigter Rechtsprechung nicht nur des Bundesgerichtshofes, sondern auch des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts, dass die Waisenrenten gerade auch diesen durch den Tod der Mutter entstandenen Bedarf des Kindes an Betreuungsunterhalt decken, weil sie auch in dieser Beziehung Ausgleich für die Beeinträchtigung der Familiengemeinschaft als eines natürlichen wirtschaftlichen Gefüges gewähren sollen (vgl. BVerfGE 17, l, 10 ff, 36 f; 25, 167, 195; 28, 324, 348, 354 f; 40, 121, 134; BSozG, Urt. v. 29.05.1979 - SozR 2200 § 1267 RVO Nr. 20, v. 15.10.1981 - SozR 2200 S 1267 RVO Nr. 25 und v. 06.10.1982 - SozR 2200 § 1267 RVO Nr. 27). Dem stehen, anders als die Anschlussrevision meint, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes BVerfGE 19, 268, 279 und des Bundessozialgerichtes BSGE 23, 151, 156 nicht entgegen. Sie befassen sich nicht mit dem Leistungszweck der Hinterbliebenen- bzw. Waisenrente im Verhältnis zum Ausfall von Unterhalts- und Betreuungsleistungen der Hausfrau. Die Gleichbewertung von Erwerbs- und Hausfrauentätigkeit außerhalb von das Innenverhältnis der Ehegatten betreffenden Rechtsbereichen, um die es in jenen Entscheidungen geht, ist für die Einbeziehung des Betreuungsbedarfs in den Leistungszweck der Waisenrente nicht der maßgebende Gesichtspunkt. Entscheidend ist vielmehr das fürsorgerische Prinzip der Existenzsicherung, das gerade in der Gewährung der Hinterbliebenenrente, vornehmlich der Waisenrente, zum Ausdruck kommt. Dem widerspräche es, den Unterhaltsersatzcharakter, den die Waisenrente hat, auf den Ausgleich lediglich von Lücken im Barunterhalt zu verkürzen und den damit wirtschaftlich eng verzahnten Bedarf an Betreuungsunterhalt außer Betracht zu lassen (vgl. schon BVerfGE 17, 1, 12 f). Dass wegen des sozialen Zweckes der Existenzsicherung für die Funktion der Sozialversicherungsleistungen nicht entscheidend ins Gewicht fallen kann, dass diese Betreuung keine versicherungspflichtige Beschäftigung ist, sondern dass zwischen der Waisenrente und dem Ersatz für den Naturalunterhalt die für den Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger erforderliche sachliche Kongruenz besteht, hat der erkennende Senat in den früheren Entscheidungen eingehend ausgeführt. Diese Auffassung führt nicht, wie Lange meint, zu einer Benachteiligung des Rentenberechtigten, der aus der Sozialversicherung gerade für seinen Unterhalt eine Bedarfsdeckung erhält; im Gegenteil würde die Versagung des Forderungsübergangs auf den Sozialversicherungsträger allein dem Schädiger einen nicht gerechtfertigten Vorteil verschaffen.
Unterschriften
Dr. Steffen
Scheffen
Dr. Kulimann
Dr. Ankermann
Dr. Birkmann
Fundstellen
Haufe-Index 1456385 |
NJW 1987, 2293 |