Leitsatz (amtlich)
›Zur Geltung einer Schiedsabrede kraft Handelsbrauchs.‹
Tatbestand
Mit Telegramm vom 1. Mai 1987 teilte die Firma R. der Beklagten mit, sie benötige 3000 Dutzend Wetblue-Schaffelle; sie wies in diesem Zusammenhang auf "unseren Contract C 3132" hin. Mit Schreiben vom 8. Mai 1987 bestätigte die Beklagte, die aufgrund des Telegramms davon ausging, die Firma R. sei ihr Vertragspartner, dieser den Verkauf von 3000 Dutzend Wetblue-Schaffellen. In dem Schreiben, in dem sie die Contract-Nummer mit 7297 angab, heißt es u.a.: "Bemerkungen Basis: International H. & S. Contract No. 2 Arbitration and Appeal H.".
Schon am 7. Mai 1987 richtete die Firma R. eine "Contract Note" mit der Nummer "C 3132" an die Klägerin, in der es heißt, sie habe an demselben Tag "als Vertreterin W. Sch. KG" 3000 Dutzend Wetblue-Schaffelle an sie verkauft; die Klägerin bestätigte den Erhalt dieses Vertrages und erkannte die in ihm genannten Bedingungen an. Ebenfalls am 7. Mai 1987 übersandte die Firma R. die Contract Note Nr. C 3132 der beklagten KG. Diese erhielt dieses Schreiben am 14. Mai 1987 und sandte am 20. Mai 1987 an R. ein Telegramm, in dem sie den Erhalt des Vertrages bestätigte und bat: "Bitte ändern Sie unseren Contract 7297 entsprechend". Diese Bitte war ersichtlich auf die Person des Käufers gerichtet.
Am 22. Juni 1987 stellte die Beklagte der Klägerin unter Bezugnahme auf den Contract 7297 vom 8. Mai 1987 eine Rechnung über 161000 US Dollar aus. Die Klägerin entrichtete den Kaufpreis am 13. Juli 1987.
Nachdem die Klägerin die Wandlung des Kaufvertrages erklärt hat, verlangt sie mit der vorliegenden Klage den Kaufpreis zurück. Die Beklagte hat die Einrede des Schiedsvertrages erhoben.
Das Landgericht hat die Schiedseinrede der Beklagten als durchgreifend erachtet und dementsprechend die Klage als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Mit ihrer Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren unter dem Gesichtspunkt der Schiedseinrede weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung: Die Klage sei zulässig, da zwischen den Parteien eine Schiedsvereinbarung nicht zustandegekommen sei. Der Kaufvertrag zwischen den Parteien sei von der Klägerin und der Firma R. als Vertreterin der beklagten KG geschlossen worden; dieses Vorgehen der Firma R. als ihr Vertreter habe die beklagte KG gebilligt. Die Klägerin habe bei Vertragsschluß von dem eine Schiedsklausel enthaltenen Schreiben der beklagten KG keine Kenntnis gehabt. Der Zugang des Schreibens der beklagten KG bei der Firma R. sei unerheblich, da R. Vertreterin der beklagten KG und nicht der Klägerin gewesen sei. Die Klägerin habe auch nicht nachträglich eine Einbeziehung der Schiedsklausel in den Vertrag zugestimmt.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
II. 1. Ohne Erfolg bekämpft die Revision allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, die Firma R. sei nicht als Vertreter der Klägerin, sondern der beklagten KG tätig geworden. Die tatrichterliche Auslegung von Vereinbarungen wie auch von Urkunden individuellen Inhalts unterliegt der Nachprüfung im Revisionsrechtszug nur insoweit, als gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungsätze oder Verfahrensvorschriften verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer acht gelassen ist (Senatsurteil vom 6. Juli 1989 - III ZR 35/88 - WM 1989, 1743, 1744).
Aus den Schreiben der Firma R. läßt sich ohne Rechtsfehler entnehmen, daß sie nicht als Vertreter der Klägerin von der beklagten KG Felle kaufen wollte. Daran ändert sich auch nichts durch den Vortrag der Beklagten, R. sei von der Klägerin generell bevollmächtigt gewesen, für sie Felle einzukaufen. Das schließt nicht aus, daß R. im konkreten Fall eine andere Vertragsgestaltung wollte und entsprechende Erklärungen abgegeben hat.
2. Ebenfalls ohne Erfolg beanstandet die Revision, das Berufungsgericht habe sich nicht mit dem Vortrag der Beklagten auseinandergesetzt, die Firma R. habe den Vertrag Nr. 7297 an die Klägerin weitergegeben und letztere habe diesen Vertrag akzeptiert. Das Berufungsgericht führt ausdrücklich aus, die Klägerin bestreite, den Vertrag Nr. 7297 erhalten zu haben (BU 5), und dafür, daß sie bei Unterzeichnung des Vertrages Nr. 3132 Kenntnis von dem eine Schiedsklausel enthaltenden Schreiben gehabt habe, sei "kein Beweis angetreten oder sonst ersichtlich" (BU 8). Dies wird von der Revision nicht mit zulässigen Rügen angegriffen. Insbesondere macht die Revision nicht geltend, die Beklagten hätten für ihre Behauptung, die Klägerin habe den Vertrag mit der Schiedsklausel erhalten, Beweis angetreten.
3. Der Revision kann jedoch der Erfolg nicht versagt bleiben, soweit sie rügt, das Berufungsgericht habe ihren Vortrag übergangen, im internationalen Handel mit Fellen gelte die Schiedsklausel des "International Hide & Skin Contract No. 2" als Handelsbrauch (§ 346 HGB), so daß sie auch ohne ausdrückliche Abrede als vereinbart gelte. Dies hat die Beklagte sowohl in der Klageerwiderung als auch in ihrer Berufungserwiderung ausdrücklich vorgetragen und unter Beweis gestellt. Die Klägerin ist auf diesen Vortrag jedenfalls schriftsätzlich nicht eingegangen. Das Berufungsgericht hat sich damit nicht auseinandergesetzt.
Handelsbrauch ist die Verkehrssitte des Handels und dient vor allem der Auslegung von Willenserklärungen sowie der Deutung von anderweitigen Handlungen und Unterlassungen der Kaufleute. Er kann auch herangezogen werden, um Vertragslücken zu schließen oder bestehende Verpflichtungen zu ergänzen, und hat dann in gewisser Weise normativen Charakter (BGH, Urteil vom 28. März 1969 - I ZR 33/67 - DB 1969, 1010).
Handelsbrauch kann zu einer stillschweigenden Schiedsvereinbarung führen, sofern es sich um branchentypische Geschäfte handelt und die Beteiligten regelmäßig in dem betreffenden Geschäftskreis tätig werden (Schwab, Schiedsgerichtsbarkeit, 4. Aufl. Kap. 5 Rn. 15; Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, 2. Aufl. Rn. 87). Mangels besonderer Umstände erfolgt dann die Einbeziehung auch, wenn ein entsprechender ausdrücklicher Hinweis fehlt (Schwab a.a.O.; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 2 Rn. 59). Die Formvorschrift des § 1027 ZPO steht dem nicht entgegen, weil § 1027 Abs. 2 ZPO eingreift. Dasselbe gilt für das UN-Übereinkommen (Art. II), weil es die Berufung auf einen formlos geschlossenen Schiedsvertrag nach innerstaatlichem Recht zuläßt (Schwab a.a.O. Kap. 44 Rn. 12).
Da das Vorliegen eines Handelsbrauchs die Annahme begründet, daß zwischen den Parteien auch ohne ausdrückliche Erklärung eine Schiedsvereinbarung zustande gekommen ist, war die diesbezügliche Behauptung der Beklagten erheblich. Das Berufungsgericht durfte sie nicht übergehen; es hat damit gegen § 286 ZPO verstoßen. Der Umstand, daß die Klägerin die Behauptung der Beklagten bestritten hat, rechtfertigte das Übergehen nicht; denn die Beklagten hatten Beweis angetreten, und zwar in der Klageerwiderung durch Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens und in der Berufungserwiderung durch Benennung des Hamburger Schiedsgerichts für Häute und Felle und des International Council of Hides, Skins & Leather Traders' Associations. Dieser letzte Beweisantritt mag unvollständig sein, da die Beklagten keine natürliche Person benannt und keine genaue Anschrift angegeben haben; dies hätte dem Gericht aber allenfalls Anlaß geboten, ihnen die Vervollständigung ihres Antrages unter Fristsetzung aufzugeben (§ 356 ZPO).
4. Die von den Beklagten erhobene Schiedseinrede ist auch nicht deshalb unerheblich, weil der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag wegen Einigungsmangels vollständig unwirksam wäre. Ein solcher Einigungsmangel liegt nicht vor.
Ein versteckter Einigungsmangel im Sinne des § 155 BGB ist nur gegeben, wenn die Erklärungen der Parteien sich ihrem Inhalt nach nicht decken; es genügt nicht, daß die Parteien Verschiedenes (innerlich) gewollt haben (BGH Urteile vom 31. Mai 1961 - VIII ZR 28/60 - NJW 1961, 1668 und vom 9. Juli 1973 - II ZR 45/72 - WM 1973, 1114; RGZ 58, 235). Wenn der von den Beklagten behauptete Handelsbrauch besteht, ist aufgrund dieses Handelsbrauchs der von den Parteien geschlossene Vertrag mit einer Schiedsabrede zustandegekommen, auch wenn zumindest die Erklärung der Klägerin keine ausdrückliche Schiedsklausel enthält. Denn die Klägerin hat eine Schiedsabrede nicht ausdrücklich ausgeschlossen; deshalb ist - bei Bestehen eines dahingehenden Handelsbrauchs - ihre Erklärung so auszulegen, daß sie eine stillschweigende Schiedsabrede einschließt. Aus demselben Grund kommt es nicht darauf an, ob die Erklärung der beklagten KG der Klägerin mit der ausdrücklichen Schiedsklausel zugegangen ist oder nicht.
II. Das Berufungsurteil kann daher mit der gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben. Eine abschließende Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage ist dem Senat nicht möglich, weil nunmehr Beweis zu erheben ist über die Behauptung der Beklagten, es bestehe ein internationaler Handelsbrauch, nach dem bei Kaufverträgen über Felle stets eine Schiedsklausel entsprechend dem International Hide & Skin Contract No. 2 vereinbart werde.
Fundstellen
Haufe-Index 2993171 |
DB 1993, 1415 |
NJW 1993, 1798 |
BGHR BGB § 155 Schiedsvereinbarung 1 |
BGHR HGB § 346 Handelsbrauch 2 |
BGHR ZPO § 1027 Handelsbrauch 1 |
BGHR ZPO § 286 Beweisantrag 1 |
WM 1993, 1307 |
DZWir 1993, 465 |
MDR 1993, 631 |