Leitsatz (amtlich)
Werden Stanzpressen in regelmäßigen Zeitabständen in einer betriebseigenen Werkstatt überholt, so hat der Unternehmer dafür Sorge zu tragen, daß ein fachkundiger Verantwortlicher die Maschinen vor ihrer Wiederinbetriebnahme auf das Vorhandensein der nach den Unfallverhütungsvorschriften gebotenen Schutzvorrichtungen prüft. Das Unterlassen einer entsprechenden Anordnung kann den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründen.
Normenkette
RVO § 640
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 28.09.1967) |
LG Stuttgart |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. September 1967 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt gemäß § 640 RVO die Beklagte auf Ersatz von Aufwendungen in Anspruch, die sie uns aus Anlaß des Unfalls des bei ihr versicherten, im Betrieb der Beklagten beschäftigten griechischen Gastarbeiters Th. hat machen müssen. Th. arbeitete am 12. Februar 1965 an einer Stanzmaschine, an der er offene Einlegearbeiten mittels Fußeinrückung zu verrichten hatte. An der Stanzmaschine fehlten die nach der Unfallverhütungsvorschrift „11.062 Exzenter- und verwandte Pressen” vorgeschriebenen Handschutz-Vorrichtungen. Diese Vorrichtungen waren bei einer der jeden Monat erfolgenden Reparaturen der Maschine abmontiert und danach nicht mehr angebracht worden. Th. geriet mit dem linken Zeige- und Mittelfinger in das nicht geschützte Stanzwerk und erlitt Quetschverletzungen.
Die Klägerin hat den Ersatz von Heilungskosten, Verletztengeld, Rente und Feststellungskosten für die Zeit vom 12. Februar 1965 bis 31. Oktober 1966 in Höhe von 4.452,46 DM nebst Zinsen verlangt und die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz des Zukunftschadens begehrt.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.
Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß für den Klageanspruch der ordentliche Rechtsweg gegeben ist. Diese mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteile vom 9. Januar 1968 – VI ZR 77/66 – VersR 1968, 373 und vom 30. April 1968 – VI ZR 29/67 – VersR 1968, 673) in Einklang stehende Auffassung wird von der Revision nicht in Zweifel gezogen.
II.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Geschäftsführer der Beklagten als deren nach § 35 GmbHG vertretungsberechtigtes Organ habe den Unfall des Arbeiters Th. dadurch verursacht, daß er die Ausführung einer ihm obliegenden Verrichtung grob fahrlässig unterlassen habe. Der Geschäftsführer sei zwar nicht verpflichtet gewesen, selbst zu prüfen, ob in den Fabrikationsräumen die Unfallverhütungsvorschriften eingehalten, insbesondere ob die Handschutz-Vorrichtung an den einzelnen Stanzmaschinen vor Beginn der Arbeit angebracht wurden. Zu den Aufgaben des Geschäftsführers habe es jedoch gehört, die Betriebsvorgänge, vor allem den Produktionsablauf, so zu organisieren, daß Arbeitsunfälle möglichst vermieden und deshalb die Unfallverhütungsvorschriften eingehalten wurden. Dieser Verpflichtung sei der Geschäftsführer nicht nachgekommen.
Nach den von dem Berufungsgericht auf Grund des eigenen Vorbringens der Beklagten getroffenen Feststellungen werden die von der Beklagten verwendeten Stanzmaschinen jeweils im Abstand von 3 bis 4 Wochen aus der Produktion gezogen und in der betriebseigenen Werkzeugmacherei überholt; bei diesen Arbeiten müssen die besonderen Handschutz-Vorrichtungen wie Schiebewerkzeuge, Magazin-Einlegeapparate, feste oder bewegliche Abschirmungen des Gefahrenbereichs, deren Anwendung die Unfallverhütungsvorschrift „11.062 Exzenter- und verwandte Pressen” vorschreibt, entfernt werden. Der Geschäftsführer oder der von ihm beauftragte Betriebsingenieur hatten der Werkzeugmacherei lediglich die Weisung erteilt, nach Beendigung der Reparatur an den Stanzwerkzeugen die Schutzvorrichtungen wieder anzubringen. Weder der Geschäftsführer noch der Betriebsingenieur kontrollierten die Befolgung dieser Anweisung. In der Werkzeugmacherei war auch keine bestimmte Person – etwa ein Werkmeister – damit beauftragt, die herausgehenden Maschinen entsprechend zu überprüfen. Auch der Meister des Betriebes, in welchem die überholten Maschinen eingesetzt wurden, hatte keine Anweisung, die Maschinen auf ihre Betriebs- und Unfallsicherheit zu untersuchen; er hat dies auch aus eigenem Antrieb nicht getan.
Zu Recht hat das Berufungsgericht hierin ganz erhebliche Organisationsfehler gesehen und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß der Geschäftsführer die im Verkehr erforderliche, d. h. die in den Unfallverhütungsvorschriften geforderte Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und grobfahrlässig gehandelt hat.
Diese Auffassung wird von der Revision vergeblich bekämpft. Das Berufungsgericht hat die dem Geschäftsführer der Beklagten obliegende Sorgfaltspflicht nicht überspannt. Insbesondere hat das Berufungsgericht keine doppelte Überwachung verlangt. Die Ansicht der Revision, die Werkzeugmacherei der Beklagten sei bereits eine Prüfstation gewesen, findet weder in den tatsächlichen Feststellungen noch in dem eigenen Vorbringen der Beklagten eine Stütze. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen handelte es sich bei der Werkzeugmacherei um die Stelle, welche die Reparatur ausführte und welcher die Weisung erteilt war, nach Beendigung der Reparatur die Schutzvorrichtungen wieder anzubringen. Das Verschulden des Geschäftsführers der Beklagten liegt gerade in der Versäumnis, jemanden dafür zu bestellen, daß die Einhaltung dieser Weisung auch überwacht wurde. Wäre jemand beauftragt worden, die in der Werkzeugmacherei überholten Stanzmaschinen ordnungsmäßig abzunehmen, d. h. insbesondere auch darauf zu achten, daß die Schutzvorrichtungen wieder angebracht waren, so könnte man von einer besonderen, die Verantwortung der Geschäftsführung entlastenden Prüfstation sprechen. Nach § 9 Abs. 1 der einschlägigen Unfallverhütungsvorschrift darf das Ein- und Umstellen der Presse und das Einrichten der Werkzeuge nur durch dazu beauftragte, geeignete und mit den Unfallverhütungsvorschriften vertraute Personen vorgenommen werden. Hätte die Beklagte diese Vorschrift beachtet, so wäre es ausgeschlossen gewesen, daß eine Maschine, an der die Schutzvorrichtungen versehentlich nicht angebracht waren, in Betrieb genommen wurde.
Das Berufungsgericht hat den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht verkannt. Auf Grund der von ihm getroffenen Feststellungen ist es zu dem Ergebnis gelangt, daß der Geschäftsführer der Beklagten schon ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht einmal das beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Das Berufungsgericht hat auch die Umstände berücksichtigt, welche die subjektive (personale) Verantwortlichkeit des Geschäftsführers der Beklagten betreffen. Zutreffend hat es angenommen, daß dieser, wenn er auch nur einfache Überlegungen zum Schutz der Maschinenarbeiter gegen Betriebsunfälle angestellt hätte, den Meister im Produktionsbetrieb dahin hätte anweisen müssen, eine aus der Werkzeugmacherei zurückkommende Stanzpresse erst dann wieder einzusetzen, wenn ihre Betriebssicherheit geprüft worden war.
Bei der Beurteilung der Frage, ob einfache oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist dem Tatrichter ein revisionsrechtlich nur ausnahmsweise nachprüfbarer Ermessenspielraum gesetzt. Das angefochtene Urteil läßt in dieser Richtung Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 28. Mai 1968 – VI ZR 44/67 – VersR 1968, 768 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Unterschriften
Engels, Hanebeck, Dr. Nüßgens, Sonnabend, Dunz
Fundstellen
Haufe-Index 845497 |
MDR 1969, 652 |