Verfahrensgang
LG Memmingen (Entscheidung vom 13.07.2022; Aktenzeichen 1 Ks 301 Js 15992/21) |
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 13. Juli 2022 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Rz. 2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 3
1. Der Angeklagte und seine Ehefrau unterschrieben am 16. Juli 2021 einen notariellen Kaufvertrag mit dem späteren Opfer über ein als renovierungsbedürftig bezeichnetes Wohnhaus, welches das Opfer geerbt und zunächst vermietet hatte, zu einem Kaufpreis von 497.200 Euro. Dabei war vertraglich ein Gewährleistungsausschluss - „gekauft wie gesehen“ - vereinbart worden. Als der Angeklagte zusammen mit weiteren Personen mit den umfangreichen Sanierungsarbeiten beginnen wollte und nach Vereinbarung mit dem Opfer bereits vor der Kaufpreiszahlung Zugang zum Haus erhalten hatte, stellte sich alsbald heraus, dass das Haus deutlich mehr Mängel aufwies als gedacht. So stellte ein vom Angeklagten beauftragter Statiker Anfang September 2021 fest, dass nach vorläufiger Schätzung zusätzliche Sanierungskosten in Höhe von 200.000 Euro auf die Käufer zukommen würden. Deshalb verfolgten der Angeklagte und seine Ehefrau das Ziel, die Getötete zu einer Rückabwicklung des Vertrages oder wenigstens zu einer Kaufpreisminderung zu veranlassen, wenn nötig auch unter Einschaltung eines Rechtsanwalts. Allerdings reagierte das Opfer, auf die Mängel angesprochen, abweisend, verwies auf den abgeschlossenen Vertrag und drängte auf eine Kaufpreiszahlung.
Rz. 4
Als das Opfer den Angeklagten am 7. September 2021 an seinem Arbeitsplatz anrief und nachfragte, weshalb der Kaufpreis noch nicht bezahlt worden sei, vereinbarten beide für den Nachmittag ein persönliches Gespräch bei ihr zu Hause. Gegen 16.00 Uhr sprachen sie am Wohnhaus des Opfers sachlich über eine Kaufpreisminderung oder Vertragsrückabwicklung, wobei das Opfer dieses Anliegen aber ablehnte und meinte, er solle sich „verpissen“ und zu seiner dummen Frau zurückgehen. Der in seinem Hemmungsvermögen erheblich eingeschränkte Angeklagte riss oder stieß das Opfer daraufhin zu Boden, so dass es mit dem Hinterkopf aufschlug. Der Angeklagte trat „stampfend“ viermal mit hoher Wucht in Tötungsabsicht gegen den Kopf des am Boden liegenden Opfers, so dass dieses ein schweres offenes Schädel-Hirn-Trauma erlitt und nach kurzer Zeit verstarb.
Rz. 5
2. Das Landgericht ist beim Angeklagten von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB auf Grund einer Impulstat ausgegangen und hat im Rahmen der Strafzumessung einen minder schweren Fall des § 213 Alt. 1 StGB wegen Fehlens einer schweren Beleidigung verneint ebenso wie einen Fall des § 213 Alt. 2 StGB unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen. Es hat aber unter zusätzlicher Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes aus §§ 21, 49 Abs. 1 StGB die Anwendung des gemilderten Strafrahmens von § 213 Alt. 2 StGB für angemessen erachtet und keine weitere Strafrahmenverschiebung vorgenommen.
II.
Rz. 6
Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts hält der Strafausspruch einer revisionsgerichtlichen Prüfung stand. Die Verneinung eines minder schweren Falles nach § 213 Alt. 1 und Alt. 2 StGB ohne zusätzliche Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes der verminderten Schuldfähigkeit nach §§ 21, 49 StGB ist nicht rechtsfehlerhaft.
Rz. 7
1. Die Frage, ob von der Strafzumessungsregel des § 213 Alt. 1 StGB Gebrauch zu machen ist, ist revisionsrechtlich nur auf Rechtsfehler überprüfbar. Denn die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Das Revisionsgericht darf die der Entscheidung des Tatrichters über das Vorliegen eines minder schweren Falles unterliegende Wertung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich daraufhin überprüfen, ob dem Tatgericht insoweit ein Rechtsfehler unterlaufen ist (vgl. hierzu nur BGH, Urteile vom 21. März 2017 - 1 StR 663/16 Rn. 12 und vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 15 f. mwN). Solche Rechtsfehler weist das Urteil nicht auf.
Rz. 8
a) Ob eine „schwere Beleidigung“ vorliegt, beurteilt sich nach einem objektiven Maßstab. Die Handlung muss auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände unter objektiver Betrachtung und nicht nur aus der subjektiven Sicht des Täters als schwer beleidigend zu beurteilen sein (BGH, Urteile vom 21. März 2017 - 1 StR 663/16, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 10 Rn. 15 und vom 13. Mai 1981 - 3 StR 42/81; Beschluss vom 8. September 2016 - 1 StR 372/16 Rn. 8), wobei die Anforderungen nicht zu niedrig anzusetzen sind (BGH, Urteile vom 1. September 2011 - 5 StR 266/11 Rn. 10 und vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 19 mwN; Beschluss vom 8. Juli 2014 - 3 StR 228/14 Rn. 5). Maßgebend ist dafür der konkrete Geschehensablauf unter Berücksichtigung von Persönlichkeit und Lebenskreis der Beteiligten, der konkreten Beziehung zwischen Täter und Opfer sowie der tatauslösenden Situation (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 2017 - 1 StR 663/16, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 10 Rn. 15; vom 30. Oktober 1984 - 1 StR 597/84 und vom 12. Mai 1987 - 1 StR 43/87; Beschluss vom 21. Mai 2004 - 1 StR 170/04; Urteile vom 1. September 2011 - 5 StR 266/11 Rn. 10 ff. und vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 20). Die Schwere kann sich auch erst aus fortlaufenden, für sich allein noch nicht schweren Kränkungen ergeben, wenn die Beleidigung nach einer Reihe von Kränkungen gleichsam „der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte“ (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 21. März 2017 - 1 StR 663/16, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 10 Rn. 15; Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 454/10 Rn. 5 und vom 8. Juli 2014 - 3 StR 228/14 Rn. 5). Deswegen ist es geboten, in die erforderliche Gesamtwürdigung auch in der Vergangenheit liegende Vorgänge als mitwirkende Ursachen miteinzubeziehen (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 3 StR 228/14 Rn. 5; Urteil vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 22.; Beschluss vom 8. September 2016 - 1 StR 372/16 Rn. 8).
Rz. 9
b) Diesen Anforderungen genügt das Urteil. Das Landgericht hat ausdrücklich eine objektive Bewertung der seitens des Opfers - nach einem zunächst sachlich begonnenen Gespräch - getätigten Äußerungen „verpiss’ dich und gehe zurück zu deiner dummen Frau“ vorgenommen und dabei berücksichtigt, dass diese Äußerung zwar kränkend für den Angeklagten war, der Angeklagte aber auf Grund des abgeschlossenen notariellen Kaufvertrags mit einem vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschluss keinen Anspruch auf eine Minderung des Kaufpreises oder eine Rückabwicklung des Kaufvertrages hatte. Insoweit war das Beharren des Opfers auf den abgeschlossenen notariellen Kaufvertrag und auf die Zahlung des vereinbarten Kaufpreises nicht inadäquat. Dabei hat das Landgericht für die Wertung der Schwere auf den Lebenskreis der Beteiligten abgestellt, was zu dem Ergebnis geführt hat, dass die Beleidigung unmittelbar vor der Tat für sich genommen nicht als hinreichend schwer gewertet worden ist.
Rz. 10
Das Landgericht hat im Rahmen der erforderlichen „Ganzheitsbetrachtung“ (vgl. nur BGH, Urteile vom 21. März 2017 - 1 StR 663/16, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 10 Rn. 15 und vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 18) auch die Entwicklung des Verhältnisses des Angeklagten zum Opfer ausführlich und sorgfältig erörtert und in die Gesamtbewertung einbezogen. Der Senat besorgt deshalb auch nicht, dass das Landgericht seiner Beurteilung des Vorliegens einer schweren Beleidigung rechtsfehlerhaft lediglich die der unmittelbar der Tötung vorausgehenden Äußerungen des Opfers zu Grunde gelegt hat. So hat das Landgericht ausdrücklich umfangreiche Feststellungen zur Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Opfer im Vorfeld der späteren Tat getroffen und im Rahmen seiner Abwägung auch berücksichtigt, dass das Opfer seine Ablehnung einer Änderung des abgeschlossenen notariellen Kaufvertrags vor der Tat bereits wiederholt sachlich zum Ausdruck gebracht hatte. Aus der vom Landgericht im Detail mitgeteilten und im Vorfeld der Tat geführten Kommunikation über WhatsApp zwischen dem Angeklagten und dem Opfer (UA S. 26 bis 29) ergeben sich im Übrigen keine Anhaltspunkte für dem unmittelbaren Tatgeschehen bereits vorangegangene Beleidigungen seitens des Opfers. Der Senat vermag auf Grund dieser Feststellungen auszuschließen, dass das Landgericht den Aspekt eines sich zu einer schweren Beleidigung aufsummierenden, sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Geschehens wiederholter Kränkungen aus dem Blick verloren haben könnte.
Rz. 11
2. Auch die Verneinung eines sonst minder schweren Falls gemäß § 213 Alt. 2 StGB - ohne zusätzlichen Verbrauch des vertypten Milderungsgrundes der verminderten Schuldfähigkeit nach §§ 21, 49 StGB - hält einer sachlich-rechtlichen Überprüfung stand. Die Gesamtwürdigung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
Rz. 12
a) Soweit das Landgericht dabei neben zahlreichen zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkten zu seinen Lasten auch „die erhebliche Brutalität der mit Tötungsabsicht ausgeführten Tat“ (UA S. 45) berücksichtigt, ist darin kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) zu sehen. Diese zu Lasten des Angeklagten berücksichtigte Wertung des Landgerichts bezieht sich erkennbar nicht auf die zur Tötung erforderliche Gewalt, die nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf (vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Juni 2013 - 2 StR 117/13 Rn. 7), sondern auf den Umstand, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung mit Tötungsabsicht gehandelt hat. Dies kann beim vorsätzlichen Tötungsdelikt ohne Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB) strafschärfend berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 10. Januar 2018 - 2 StR 150/15, BGHSt 63, 54 Rn. 26). Im Übrigen hat das Landgericht insoweit auch weiter ausgeführt, dass dieser Aspekt im Blick auf § 21 StGB „nur eingeschränkt strafschärfend berücksichtigt werden kann“ (UA S. 45).
Rz. 13
b) Auch die vom Landgericht zu Lasten des Angeklagten angeführten Folgen der Tat für die 88-jährige Mutter des Opfers, die unter Schlafstörungen leidet und zu einer Bekannten ziehen musste, weil sie ohne die Getötete als ihre wichtigste Bezugsperson nicht mehr alleine wohnen kann, stellt hier - entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts - ebenfalls keinen Wertungsfehler dar. Zwar gehört das generelle Zufügen von Leid bei den Angehörigen zum regelmäßigen Erscheinungsbild eines vollendeten Tötungsdelikts und kann deshalb im Allgemeinen keinen Strafschärfungsgrund abgeben (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2010 - 2 StR 489/10, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Totschlag 3 Rn. 4). Soweit es sich aber - wie hier - um besondere Auswirkungen der Tat handelt, die voraussehbar und geeignet sind, das Tatbild zu prägen und die Bewertung der Schuldschwere zu beeinflussen, können diese im Blick auf die verschuldeten Auswirkungen der Tat (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) auch ausnahmsweise Berücksichtigung finden (BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2017 - 4 StR 575/16 Rn. 8 und vom 29. August 2006 - 1 StR 285/06 Rn. 5).
Rz. 14
3. Unter den konkreten Umständen wäre im Übrigen eine weitere Milderung des Strafrahmens neben der Annahme des § 213 StGB im Blick auf eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten ohnehin nicht in Betracht gekommen. Da nach den Feststellungen des Landgerichts zwischen den der Tat vorausgegangenen Äußerungen des Opfers und dem affektiven Ausnahmezustand des Angeklagten eine enge Verbindung bestand, sie also auf dieselbe Wurzel zurückzuführen sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Strafrahmenwahl 1 Rn. 37; Beschluss vom 14. Mai 2002 - 5 StR 119/02 Rn. 6 mwN), hätte eine weitere Milderung des Strafrahmens von § 213 StGB über §§ 21, 49 StGB hier nicht erfolgen können.
Bellay |
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Bär |
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Leplow |
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Allgayer |
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Munk |
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Fundstellen
Haufe-Index 15734929 |
NStZ 2023, 604 |
NStZ-RR 2023, 5 |
StV 2024, 111 |