Entscheidungsstichwort (Thema)

Tragung der Kosten für eine Umschulung bei Verantwortlichkeit für den Eintritt eines Schadens zum Auffang eines Verdienstausfalls

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Kosten einer beruflichen Umschulung des Verletzten sind vom Schädiger zu ersetzen, wenn diese im Zeitpunkt der Entschließung bei verständiger Beurteilung ihrer Erfolgsaussichten und des Verhältnisses dieser Chancen zum wirtschaftlichen Gewicht des anderenfalls absehbaren Erwerbsschadens geeignet und sinnvoll erscheint.
  2. Zur sachlichen Kongruenz von Leistungen der Sozialversicherungsträger zur beruflichen Rehabilitation mit Schadensersatzansprüchen des Behinderten wegen der Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit.
 

Normenkette

BGB §§ 249, 254, 823 Abs. 1, § 842; RVO § 1542

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Koblenz vom 30. Mai 1980, ergänzt durch Urteil vom 3. Oktober 1980, aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Am 16. Mai 1970 besichtigte W. auf dem Betriebsgelände des Beklagten, der einen Kraftfahrzeughandel und eine Reparaturwerkstätte betrieb, einen zum Verkauf angebotenen Gebrauchtwagen. Um das Fahrzeug von unten besichtigen zu können, stieg er mit dem Beklagten in eine Grube unter das Fahrzeug. Als der Beklagte in der Grube eine Zigarette anzündete, kam es zu einer Explosion. Dabei zog sich W. vor allem an den Händen Verbrennungen 2. und 3. Grades zu. Deshalb hat die klagende Landesversicherungsanstalt zur beruflichen Rehabilitation des nach ihrer Behauptung zuletzt als Montageschlosser beschäftigt gewesenen W. im Wege einer Umschulung zum Nachrichtengerätemechaniker Leistungen zu erbringen, die sie von dem Beklagten mit ihrer Klage erstattet verlangt.

Sie hat ihren Zahlungsanspruch auf 1.864,70 DM errechnet (Aufwendungen für die Arbeitserprobung des W. im Berufsförderungswerk B. in der Zeit vom 2. bis 13. Juli 1973: 1.080 DM Unterbringungskosten und 784,70 DM zu ersetzender Verdienstausfall) sowie ferner begehrt, die Pflicht des Beklagten festzustellen, ihr sämtliche Aufwendungen aus dem Schadensereignis vom 16. Mai 1970 zu ersetzen.

Das Landgericht hat - zunächst durch Versäumnisurteil - gegen den Beklagten nach dem Klageantrag erkannt. Es hat das Versäumnisurteil auf den Einspruch des Beklagten aufrecht erhalten. Auf seine Berufung hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen.

Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte die Explosion in der Montagegrube verschuldet und muß deshalb für die Verbrennungen, die W. hierbei davongetragen hat, und ihre Folgen nach den Haftungsgrundsätzen für culpa in contrahendo sowie nach § 823 Abs. 1 BGB einstehen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts erfaßt seine Schadensersatzpflicht aber nicht die durch die Umschulung von W. entstandenen Kosten. Dazu erwägt das Berufungsgericht:

Grundsätzlich habe zwar der Schädiger auch die Kosten einer Umschulung des Verletzten zu erstatten, wenn das eine verständige Maßnahme sei, um den Verdienstausfallschaden aufzufangen. Dagegen falle der Aufwand, den die Klägerin erstattet verlange, nicht mehr unter den Schutzzweck der Haftungsnormen. Vorrangiges Ziel solcher Rehabilitation sei nicht die Schadensbeseitigung, sondern die Eingliederung des Verletzten in den Arbeitsprozeß als Ausfluß des Sozialstaatsprinzips in Erfüllung öffentlicher Fürsorgepflichten und mit den Zielen der Entlastung des Arbeitsmarkts. Sie setze sich im wesentlichen auch zur Aufgabe, dem Betroffenen gehobenere Berufe und größere Verdienstchancen zu ermöglichen. Es würden auch Maßnahmen durchgeführt, die reinen Versuchscharakter hätten. Zudem beschränke sich die Rehabilitation nicht auf die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit und die Eingliederung in einen Beruf, sondern sie diene daneben auch dem Ausgleich aller anlagebedingter Behinderungen, die sich im Arbeitsprozeß nachteilig auswirken könnten. Damit werde die Grenze überschritten, bis zu der dem Schädiger eine Haftung für die Schadensfolgen billigerweise zuzumuten sei.

II.

Gegen diese Ausführungen wehrt sich die Revision zu Recht.

1.

Auszugehen ist mit dem Berufungsgericht davon, daß die Klägerin wegen ihrer Sozialversicherungsleistungen an W. nach § 1542 RVO aus übergegangenem Recht - sei es nach den Grundsätzen der c.i.c. oder mit deliktischer Begründung - bei dem Beklagten nur in Höhe des von diesem dem W. zugefügten Schadens und auch in diesen Grenzen nur Rückgriff nehmen kann, wenn und soweit die Versicherungsleistungen zeitlich und sachlich in einem inneren Zusammenhang mit dem Schaden des W. stehen (Grundsatz der zeitlichen und sachlichen Kongruenz). Dagegen begründet § 1542 RVO keine erweiterte Einstandspflicht des Ersatzpflichtigen für Belastungen des Sozialversicherungs- oder Rehabilitationsträgers durch dessen vom Gesetz angeordnete Leistungsverpflichtungen (vgl. Senatsurteil vom 1. April 1980 - VI ZR 36/79 = VersR 1981, 427, 428 m.w.Nachw.). Deshalb bestehen in der Tat Bedenken gegen den Feststellungsausspruch des Landgerichts; mit seiner unbegrenzten Ausrichtung allein auf den der Klägerin entstandenen Rehabilitationsaufwand ist er nicht deutlich genug an den W. auf seinen Schaden gewährten kongruenten Leistungen der Klägerin orientiert. Dem wird das Berufungsgericht, an das die Sache aus anderen Gründen zurückverwiesen werden muß, Rechnung zu tragen haben.

2.

Die erforderliche sachliche Kongruenz der Leistungen der Klägerin mit der Verpflichtung des Beklagten zur Schadlosstellung des W. ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht schon wegen der Zweckbestimmung der beruflichen Rehabilitation in der Arbeiterrentenversicherung (§§ 23 Abs. 1 Nr. 1 a, 29 Abs. 1 Nr. 2, 64 ff SGB I; §§ 1226, 1235 Nr. 1, 1236, 1237 a ff RVO) oder gar deshalb zu verneinen, weil das soziale Anliegen, das ihnen - wie nicht anders allen anderen Sozialversicherungsleistungen - zugrundeliegt, durch den Gedanken sozialer Fürsorge und Existenzsicherung geprägt ist. Maßnahmen zur Umschulung einschließlich der diese absichernden Leistungen zur Berufsfindung und Arbeitserprobung, wie sie hier in Frage stehen, sind darauf gerichtet, dem Behinderten zu helfen, seinen Platz im Berufs- und Erwerbsleben trotz der Behinderung nach Möglichkeit zu behaupten. In diesem Sinn ergänzen sie die medizinische Rehabilitation. Wie diese ist die berufliche Rehabilitation zunächst auf die Behinderung und ihre dauerhafte Überwindung ausgerichtet, auch wenn das Gesetz die Hilfe zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation als Teil der übergreifenden Aufgabe sieht, dem Einzelnen die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Gesellschaft zu ermöglichen (amtl. Begründung zum Entwurf des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes, BT Drucks. 7/1237 S. 49, 57).

In ihrer Zielrichtung stimmen deshalb solche Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation mit den von dem Schädiger geschuldeten Schadensausgleich grundsätzlich überein. Das Interesse, das die Rehabilitationsgesetzgebung dem Behinderten an der Verwirklichung seiner Persönlichkeit im Berufs- und Erwerbsleben durch Gewährung von Hilfen zur Überwindung von Leistungsbeschränkungen zuerkennt, kann für den Schadensausgleich in der zivilrechtlichen Haftungsbeziehung nicht geringer wiegen. Viel spricht deshalb schon für die Ansicht, daß bei Verletzung von Körper und Gesundheit zur Naturalrestitution, die der Schädiger nach § 249 BGB in erster Linie schuldet, außer der medizinischen Rehabilitation auch eine Umschulung des Verletzten zu seiner beruflichen Rehabilitation gehören kann, die diesen in die Lage versetzen soll und kann, die nachteiligen Auswirkungen bleibender körperlicher Behinderungen im Beruf durch Ausweichen auf ein anderes Arbeitsfeld "in natura" abzuschwächen oder ganz abzuwenden (so Baltzer VersR 1976, 1 ff, 6 ff; Grunsky in: MünchK § 249 Rdnr. 6; Palandt/Heinrichs BGB 41. Aufl. § 249 Anm. 2 d). Jedenfalls aber gehören die Kosten für eine berufliche Umschulung des Geschädigten als Aufwendungen zur Minderung oder Abwehr von Verdienstausfallschäden in den Grenzen des Vertretbaren zur Belastungssphäre des Schädigers und sind deshalb von ihm unter diesem Gesichtspunkt zu erstatten (so schon RG JW 1938, 2203; allgemein zur Ersatzpflicht für Kosten vorsorglicher Maßnahmen zur Schadensminderung BGHZ 32, 280, 285; vgl. ferner BGHZ 75, 230, 234; 76, 216). Das gilt nicht nur unter den Voraussetzungen, unter denen der Schädiger dem Verletzten im Interesse einer Geringhaltung des Schadens die Einwilligung in eine berufliche Umschulung nach § 254 BGB zumuten kann (dazu BGHZ 10, 18 ff; Senatsurteile vom 6. November 1954 - VI ZR 70/54 = VersR 1955, 38, 39 und vom 26. September 1961 - VI ZR 234/60 - VersR 1961, 1018), sondern immer dann, wenn im Zeitpunkt der Entschließung zu der Umschulung diese bei verständiger Beurteilung der Erfolgsaussichten für die Rückgewinnung einer der verlorenen bestmöglich entsprechenden Erwerbstätigkeit und des Verhältnisses dieser Chancen zum wirtschaftlichen Gewicht des andernfalls - sei es demnächst, sei es in späterer Zukunft - absehbaren Erwerbsschadens geeignet und sinnvoll erscheint. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann bei der Ausgrenzung der infragekommenden Berufsfelder durchaus auch die berufliche Neigung des Verletzten auch dann zu berücksichtigen sein, wenn er sie in seinem verlorenen Beruf nicht hat verwirklichen können. Die Schwelle, von der ab der Geschädigte im Interesse des Schädigers an der Geringhaltung des Schadens auf eine Umschulung verzichten und sich mit dem finanziellen Ausgleich seiner Erwerbseinbußen zufrieden geben muß, wird in aller Regel hoch anzusetzen sein. Grundsätzlich wird bei ernsten Anhaltspunkten für ins Gewicht fallende Dauerbehinderungen der Berufsausübung der für das Rehabilitationsrecht geltende Grundsatz: "Vorrang der Rehabilitation vor Rente" (§ 7 Abs. 1 RehabG vom 7. August 1974 - BGBl. I 1881) auch für den Schadensausgleich in der Individualhaftung nicht nur dem im Rahmen der Schadensursächlichkeit auch hier relevanten Integritätsinteresse des Geschädigten, sondern auch der Wirtschaftlichkeit der Schadensregulierung dienen.

3.

Daher gehen die sozialen Leistungen zur beruflichen Rehabilitation, jedenfalls die dem Behinderten selbst zu gewährenden, nicht schon ihrem Wesen nach stets oder auch nur in einer ins Gewicht fallenden Zahl von Fällen so weit über das hinaus, was der Schädiger bei unbeschränkter Haftung dem Verletzten schuldet, daß man, wie es das Berufungsgericht tut, für solche Leistungen des Sozialversicherungsträgers die Anwendbarkeit von § 1542 RVO schon prinzipiell nach dem der Vorschrift zugrunde liegenden Zweck in Zweifel ziehen könnte. § 1542 RVO soll verhindern, daß die Leistung aus der Sozialversicherung dem Schädiger zugute kommt. Gerade das würde aber bewirkt werden, wenn der SVT den Schädiger nicht mit dem Aufwand der beruflichen Rehabilitation belasten könnte, der auf die Abwendung von Nachteilen einer bestehenden oder doch zu erwartenden Erwerbsunfähigkeit oder Erwerbsminderung zielt und von dem der Schädiger deshalb profitiert.

Im Streitfall kann es daher nur darum gehen, ob die Umschulung des W. nach den oben aufgezeigten Maßstäben für einen das Integritätsinteresse des Geschädigten, aber auch die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit berücksichtigenden zivilrechtlichen Schadensausgleich als vertretbare Maßnahme der Schadensbeseitigung oder -abwehr anzusehen ist. In diesen Grenzen kann die Klägerin von dem Beklagten gemäß § 1542 RVO Erstattung der von ihr dem W. gewährten Aufwendungen zur beruflichen Rehabilitation verlangen. Nur soweit der Beklagte dem W. den eingeschlagenen Weg als zur Schadensbeseitigung ungeeignet oder als dem Aufwand nach unzumutbar verweigern durfte, hat die Klägerin im Verhältnis zu ihm die Kosten der Umschulung selbst zu tragen. Nur unter diesem Gesichtspunkt kann auch der von dem Berufungsgericht besonders herausgestellte Umstand, daß die Rehabilitation nach § 1237 a Abs. 2 Satz 3 RVO auch zum beruflichen Aufstieg erbracht werden kann und in solchen Fällen möglicherweise mehr umfaßt, als der Schädiger dem Verletzten schuldet, für den Forderungsübergang auf die Klägerin nach § 1542 RVO beachtlich sein (vgl. auch Baltzer a.a.O. S. 7 ff). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß der von dem Schädiger geschuldete Schadensersatz, sofern auf andere Weise eine berufliche Eingliederung des Verletzten nicht möglich ist, u.U. auch die Kosten einer Umschulung zu einem qualifizierteren Beruf umfassen kann, jedenfalls wenn dadurch ein auf Dauer höherer Verdienstausfallschaden abgewendet wird. Im übrigen fehlt es für den zu entscheidenden Fall bisher an jedem Anhalt dafür, daß die Umschulung des W. vom Montageschlosser zum Nachrichtengerätemechaniker zu einer finanziellen Besserstellung geführt hat, auf die er nach Schadensersatzgrundsätzen keinen Anspruch gehabt hätte.

4.

Bisher sind auch keine anderen Umstände festgestellt, die es rechtfertigen könnten, das Berufungsurteil nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen aufrecht zu erhalten. Vieles spricht bisher sogar dafür, daß die erfolgreich verlaufene Umschulung des W. die begründete Möglichkeit eines weit höheren Erwerbsschadens abgewendet, also sehr wohl im Interesse auch des Beklagten gelegen hat. Die Feststellungen hierzu hat jedoch zunächst der Tatrichter zu treffen, der zu diesen Fragen bisher noch keine Stellung genommen hat. Dem Berufungsgericht war auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen, da diese vom Ausgang des Rechtsstreits abhängt.

 

Unterschriften

Dunz,

Scheffen,

Dr. Steffen,

Dr. Kullmann,

Dr. Lepa

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456058

NJW 1982, 1638

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