Leitsatz (amtlich)
a) Die Vorschriften über den Widerruf von Haustürgeschäften finden nach § 6 Nr. 1 1. Alternative HTürGG auch dann keine Anwendung, wenn ein selbständig erwerbstätiger Kunde den Vertrag zur Vorbereitung einer weiteren, bisher nicht ausgeübten Erwerbstätigkeit abschließt.
b) Wegen der auf typische Fälle zugeschnittenen Regelungen des HTürGG kommt es nicht darauf an, ob der selbständig erwerbstätige Kunde im Einzelfall wegen seiner Unerfahrenheit schutzwürdig erscheint oder den Vertrag in einer konkreten Überrumpelungssituation abgeschlossen hat.
Normenkette
HTürGG § 6 Nr. 1 1. Alternative
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 19.11.1992) |
KreisG Saalkreis |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 19. November 1992 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger zu 1 begehrt Feststellung der Unwirksamkeit eines Mietvertrages über eine automatische Kaffeemaschine nebst Zubehör; mit der Widerklage verlangt die Beklagte unter anderem den Mietzins für die vereinbarte Vertragsdauer.
Zusammen mit seiner Ehefrau, der an dem Rechtsmittelverfahren nicht mehr beteiligten Klägerin zu 2, betreibt der Kläger zu 1 (im folgenden Kläger) eine Bäckerei mit einem Ladengeschäft.
Am 13. November 1991 suchte ein Vertreter der Beklagten den Kläger und seine Ehefrau in dem Ladengeschäft auf und schloß mit ihnen einen schriftlichen Mietvertrag über eine Kaffeemaschine nebst Halter und Einsätzen sowie einem Stehtisch zu einem monatlichen Mietzins von 129 DM zuzüglich Mehrwertsteuer für eine feste Laufzeit von 48 Monaten.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 14. November 1991 widerriefen der Kläger und seine Ehefrau den Mietvertrag unter Hinweis auf das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (im folgenden HTürGG). Sie berufen sich darüber hinaus auf Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.
Das Kreisgericht gab der auf Feststellung der Nichtigkeit gerichteten Klage statt. Zugleich wies es die nur gegen den Kläger gerichtete Widerklage auf künftige Mietzahlung, Feststellung des Annahme Verzuges und Erteilung einer Abbuchungsermächtigung ab. Die Berufung der Beklagten, die sich ebenfalls nur gegen den Kläger richtete, blieb erfolglos.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag sowie ihre Widerklageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht erachtet den Mietvertrag als unwirksam, weil der Kläger sein Widerrufsrecht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HTürGG ausgeübt habe. Er habe den Vertrag aufgrund mündlicher Verhandlungen im Verkaufsraum der Bäckerei und damit an seinem Arbeitsplatz geschlossen. Arbeitsplatz im Sinne des HTürGG sei nicht nur der Beschäftigungsort eines abhängig beschäftigten Arbeitnehmers, sondern – zumindest im vorliegenden Einzelfall – auch der Geschäftsraum eines selbständigen Gewerbetreibenden. Angesichts des auf den Verbraucherschutz gerichteten Zwecks des HTürGG und des systematischen Zusammenhangs von § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 HTürGG sei eine extensive Auslegung des Gesetzes unter Berücksichtigung der konkreten Schutzbedürftigkeit des Kunden geboten. Der Kläger habe sich einem überraschenden Angebot gegenüber gesehen, weil für ihn angesichts der geringen Größe des Verkaufsraums bislang kein Anlaß bestanden habe, sich mit der Aufstellung einer Kaffeemaschine zu befassen.
Die Anwendung des HTürGG sei auch nicht nach § 6 Nr. 1 1. Alternative HTürGG ausgeschlossen, weil der Kläger den Vertrag nicht in Ausübung seiner selbständigen Erwerbstätigkeit abgeschlossen habe. Diese habe sich auf die Herstellung und den Verkauf von Backwaren beschränkt; weitere selbständige Tätigkeiten habe er bis zum Besuch des Vertreters der Beklagten weder ausgeübt noch geplant. Die Anmietung der Kaffeemaschine habe der Aufnahme einer neuen, zusätzlichen selbständigen Tätigkeit dienen sollen. Eine solche bislang nicht betriebene Erwerbstätigkeit werde von § 6 Nr. 1 1. Alternative HTürGG nicht erfaßt; diese Vorschrift beziehe sich vielmehr auf Geschäfte, die mit dem bislang betriebenen Gewerbe in unmittelbarem Zusammenhang stünden.
II.
Das hält rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Das Berufungsgericht hat die Feststellungsklage ohne weiteres für zulässig gehalten, auch nachdem die Beklagte Widerklage auf Zahlung künftigen Mietzinses für die gesamte Vertragsdauer erhoben hatte. Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Es kann dahinstehen, ob das für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche und als Prozeßvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Feststellungsinteresse (vgl. BGHZ 99, 340, 343; Zöller/Greger ZPO 18. Aufl. § 256 Rdn. 7) dadurch nachträglich entfallen ist, daß die Beklagte Widerklage auf Zahlung des Mietzinses erhoben hat und diese einseitig nicht mehr zurücknehmen kann (vgl. RGZ 71, 68, 73; BGHZ 99, 340, 341 f.; Zöller/Greger aaO; Stein/Jonas/Schumann ZPO 20. Aufl. § 256 Rdn. 125; MünchKomm/Lüke ZPO § 256 Rdn. 61; Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 52. Aufl. § 256 Rdn. 84).
Der Feststellungsantrag des Klägers bleibt jedenfalls als Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO zulässig (vgl. BGH, Urt. v. 6. Juli 1989 – IX ZR 280/88 – NJW-RR 1990, 318, 320; MünchKomm/Lüke aaO § 256 Rdn. 83; Thomas/Putzo ZPO 18. Aufl. § 256 Rdn. 30). Dafür genügt die bloße Möglichkeit, daß den Parteien – auch über den gegenwärtigen Streitstand hinaus – noch weitere Ansprüche erwachsen (vgl. RGZ 170, 328, 330; BGHZ 69, 37, 42; BGHZ 83, 251, 255; Zöller/Greger aaO § 256 Rdn. 26; Stein/Jonas/Schumann aaO § 256 Rdn. 134; Baumbach/Lauterbach/Hartmann aaO § 256 Rdn. 114; Schneider MDR 1973, 270, 272; kritisch MünchKomm/Lüke aaO § 256 Rdn. 81). Das ist hier schon deshalb nicht auszuschließen, weil die Möglichkeit besteht, daß ein – etwa bestehendes – Mietverhältnis der Parteien den ursprünglichen Abreden entsprechend doch noch durchgeführt wird und daraus auch andere als die mit der Widerklage geltend gemachten Ansprüche folgen.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der mit Schreiben vom 14. November 1991 erklärte Widerruf des Klägers den Mietvertrag der Parteien nicht unwirksam gemacht. Dem Kläger steht ein Widerrufsrecht nach dem HTürGG nicht zu.
a) Es kann dahinstehen, ob auch die Arbeitsstelle eines selbständig Tätigen generell als Arbeitsplatz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HTürGG anzusehen ist (bejahend Soergel/Wolf BGB 12. Aufl. § 1 HTürGG Rdn. 16; Erman/Klingsporn BGB 9. Aufl. § 1 HTürGG Rdn. 11; Werner/Machunsky HTürGG § 1 Rdn. 77; Wassermann JuS 1990, 548, 549 f.; a.A. Palandt/Putzo BGB 53. Aufl. § 1 HTürGG Rdn. 8; MünchKomm/Ulmer BGB 2. Aufl. § 1 HTürGG Rdn. 21; Klauss/Ose, Verbraucherkreditgeschäfte, 2. Aufl. § 1 HTürGG Rdn. 92).
b) Die Vorschriften des HTürGG finden hier jedenfalls schon deshalb keine Anwendung, weil der Kläger den Mietvertrag in Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit abgeschlossen hat, § 6 Nr. 1 1. Alternative HTürGG. Der als Bäckermeister selbständig erwerbstätige Kläger wollte die Kaffeemaschine im Verkaufsraum seiner Bäckerei betreiben. Wegen dieser auf die selbständige Erwerbstätigkeit des Klägers ausgerichteten Zweckbestimmung fällt der von ihm geschlossene Vertrag nicht unter die Geschäfte, vor deren unbedachtem Abschluß das HTürGG schützen will.
Der Grund für die Einschränkung des Geltungsbereichs des HTürGG in § 6 Nr. 11. Alternative liegt darin, daß das Gesetz grundsätzlich nur den Kunden vor überraschenden Angeboten schützen will, der für eigene private Bedürfnisse Verträge abschließt. Wer dagegen für Zwecke seiner selbständigen Erwerbstätigkeit ein Haustürgeschäft abschließt, wird in aller Regel häufiger derartige Geschäfte eingehen, hierbei Erfahrungen haben und deswegen nicht schutzbedürftig sein (vgl. Begründung des Entwurfs des Bundesrats, BT-Drucksache 10/2876 S. 14; Senatsurt. v. 13. März 1991 – XII ZR 71/90 – NJW-RR 1991, 1074, 1075 = MDR 1991, 942, 943 = NJ 1991, 330). Maßgebender Ausnahmegrund ist allerdings nicht allein die mit der selbständigen Erwerbstätigkeit typischerweise verbundene geschäftliche Erfahrung; vielmehr kommt es zusätzlich auf die Zweckrichtung des Handelns des Kunden, nämlich auf den Zusammenhang des Vertragsschlusses mit der Erwerbstätigkeit an. Das entspricht dem Verbraucherschutzzweck der Regelung des HTürGG und der für das Verbraucherrecht kennzeichnenden Differenzierung zwischen geschäftlichem und privatem Bereich (vgl. MünchKomm/Ulmer aaO § 6 HTürGG Rdn. 9; Soergel/Wolf aaO § 6 HTürGG Rdn. 3; Werner/Machunsky aaO § 6 HTürGG Rdn. 3 f.; Wassermann aaO 554; Teske ZIP 1986, 624, 630). In gleicher Weise beschränkt auch Artikel 1 Abs. 1 der EG-Richtlinie vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (85/577/EWG ABl. EG Nr. L 372 vom 31.12.1985 S. 31, abgedruckt bei Erman/Klingsporn aaO Anhang nach § 9 HTürGG), die bei der Auslegung der Vorschriften des HTürGG ergänzend heranzuziehen ist (vgl. MünchKomm/Ulmer aaO Rdn. 17 vor § 1 HTürGG; Pfeiffer EWiR § 1 HTürGG 1/93 273, 274), den Anwendungsbereich der Richtlinie auf Verträge zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher, der in Artikel 2 als eine natürliche Person definiert wird, die „bei den von dieser Richtlinie erfaßten Geschäften zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann”.
Diese Abgrenzung zwischen privatem und geschäftlichem Bereich spricht dafür, auch solche von selbständigen Erwerbstätigen abgeschlossenen Geschäfte vom Geltungsbereich des HTürGG auszunehmen, die der Vorbereitung der Erwerbstätigkeit dienen wie der Abschluß von Miet-, Wartungs-, Kauf- oder Leasingverträgen, selbst wenn es sich dabei um die Vorbereitungen für die Neuaufnahme einer selbständigen Tätigkeit handelt (vgl. MünchKomm/Ulmer aaO § 6 Rdn. 11; Werner/Machunsky aaO § 6 Rdn. 17 f.; wohl auch Soergel/Wolf aaO § 6 Rdn. 3; noch weitergehend für die analoge Anwendung von § 344 HGB Klauss/Ose aaO § 6 HTürGG Rdn. 366; a.A., soweit ersichtlich, nur Erman/Klingsporn aaO § 6 Rdn. 5 unter Hinweis auf das Verbraucherkreditgesetz). Damit ist das HTürGG vorliegend auch dann nicht anwendbar, wenn der Kläger, wie das Berufungsgericht meint, mit der Anmietung der Kaffeemaschine tatsächlich eine zusätzliche, mit seinem bisherigen Gewerbe nicht im Zusammenhang stehende (neue) selbständige Tätigkeit hätte aufnehmen wollen.
c) Im übrigen macht die Revision zu Recht geltend, daß das Berufungsgericht den unmittelbaren Zusammenhang des Vertragsabschlusses über die Anmietung der Kaffeemaschine mit der bisherigen Erwerbstätigkeit des Klägers verkannt habe. Die Kaffeemaschine sollte unstreitig im Verkaufsraum der Bäckerei betrieben werden und dazu dienen, deren Kunden mit Kaffee zu bewirten. Es handelt sich daher ganz offensichtlich um eine zusätzliche Serviceleistung, die, wie die Revision zutreffend geltend macht, nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet ist, den Verkauf der sonstigen Waren des Klägers zu fördern. Derartige Nebenleistungen haben sich in den typischen Verkaufsstellen des Lebensmitteleinzelhandels und des Lebensmittelhandwerks weithin eingebürgert (vgl. Hoffmann/Seitter, Gaststättenrecht 3. Aufl. § 2 GastG Rdn. 11); der Gesetzgeber hat dieser Entwicklung Rechnung getragen, indem er den Ausschank alkoholfreier Getränke in Ladengeschäften des Lebensmitteleinzelhandels oder des Lebensmittelhandwerks unter der Voraussetzung, daß Sitzgelegenheiten nicht bereitgestellt werden, vom Erfordernis einer Gaststättenerlaubnis ausgenommen hat (§ 2 Abs. 3 GastG).
Der Kläger selbst hat nicht vorgetragen, die Kaffeemaschine abweichend von diesem typischen Verwendungszweck angemietet zu haben, um den Verkauf von Kaffee unabhängig von seiner bisherigen Tätigkeit, der Herstellung und dem Verkauf von Backwaren, durchzuführen.
Das hat das Berufungsgericht bei seiner Feststellung rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt.
d) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist im Rahmen der Ausschlußregelung des § 6 Nr. 1 1. Alternative HTürGG kein Raum dafür, die im Einzelfall möglicherweise vorhandene Überraschungssituation für den selbständig tätigen Kunden oder seine besondere Schutzbedürftigkeit zu berücksichtigen. Es handelt sich hier gerade um eine auf typisierte Fälle zugeschnittene Regelung, die demjenigen, der Verträge in Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeit schließt, den Rückgriff auf die Verbraucherschutzregelungen des HTürGG versagt.
Auch die geschäftliche Unerfahrenheit zahlreicher selbständig Erwerbstätiger im Beitrittsgebiet, die vor Öffnung der Grenzen kaum Erfahrungen mit der Vertriebsform des Direktvertriebs hatten sammeln können (vgl. Haubold/Marko NJ 335, 338), vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Auch der DDR-Gesetzgeber, der das HTürGG der Bundesrepublik Deutschland zum 1. Juli 1990 in der DDR mit der Maßgabe in Kraft gesetzt hat, daß entgegen § 6 Nr. 2 HTürGG auch Versicherungsverträge in den Schutzbereich einbezogen wurden (§ 24 Nr. 2 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990, GBl. I Nr. 34 S. 357), hat keinen Anlaß gesehen, auch den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes zu erweitern.
III.
Hiernach kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben.
Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil das Berufungsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – nicht geprüft hat, ob der Kläger den Mietvertrag wirksam angefochten hat. Das bedarf der tatrichterlichen Prüfung ebenso wie die Frage etwaiger Rechtsfolgen aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Knauber, Gerber, Sprick
Fundstellen
Haufe-Index 947886 |
BB 1994, 1518 |
NJW 1994, 2759 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1994, 1189 |