Entscheidungsstichwort (Thema)
Mobilfunkvertrag, Endgerätewahlfreiheit
Leitsatz (amtlich)
1. Das Recht der Endnutzer eines Internetzugangsdienstes, Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen (Endgerätewahlfreiheit), kann vertraglich nicht abbedungen werden.
2. Die Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Telekommunikationsunternehmens, mit der die vertragsgemäße Nutzung des Internetzugangs auf Endgeräte beschränkt wird, die eine mobile Nutzung unabhängig von einem permanenten kabelgebundenen Stromanschluss ermöglichen, verstößt gegen die Endgerätewahlfreiheit und ist damit unwirksam.
Normenkette
BGB § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1; EUV 2015/2120 Art. 3
Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 17.02.2022; Aktenzeichen 29 U 747/21) |
LG München I (Urteil vom 28.01.2021; Aktenzeichen 12 O 6343/20) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 17. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragene Kläger nimmt die Beklagte gemäß § 1 UKlaG auf Unterlassung in Anspruch.
Rz. 2
Die Beklagte bietet zu verschiedenen Tarifen Mobilfunkdienstleistungen an, unter anderem zu einem Tarif mit der Bezeichnung "O2 Free Unlimited". Die von ihr verwendete "Preisliste Mobilfunk Postpaid" (Stand: 20. Dezember 2019) enthält in einer tabellarischen Darstellung der Merkmale dieses Tarifs zum Inklusiv-Datenvolumen die Angabe "Unbegrenzt7". Unter Nummer 7 der dazugehörigen "Hinweistexte" wird unter anderem ausgeführt, im Tarif enthalten sei ein mobiler Internetzugang mit einer geschätzten maximalen Datenübertragungsrate für mobiles Surfen über LTE mit bis zu 225 Mbit/s. Weiter heißt es:
"Der mobile Internetzugang kann/darf nur mit Smartphones, Tablets oder sonstigen Geräten genutzt werden, die eine mobile Nutzung unabhängig von einem permanenten kabelgebundenen Stromanschluss ermöglichen (nicht z.B. in stationären LTE-Routern)."
Rz. 3
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung von Ordnungsmitteln zu unterlassen, in Bezug auf Telekommunikationsverträge mit Verbrauchern die vorzitierte Klausel und inhaltsgleiche Bestimmungen zu verwenden. Daneben hat er die Erstattung von Abmahnkosten nebst Zinsen begehrt.
Rz. 4
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die zulässige Revision ist unbegründet.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger könne von der Beklagten aus §§ 1, 3 Abs. 1 UKlaG i.V.m. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB verlangen, die Verwendung der streitgegenständlichen Klausel zu unterlassen. Es handele sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, die die Beklagte als Verwenderin der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrags stelle. Sie unterliege der Inhaltskontrolle, weil sie nicht unmittelbar Hauptleistungspflichten der Parteien regele, sondern eine die Leistungspflicht der Beklagten einschränkende Nebenabrede betreffe.
Rz. 7
Die Klausel halte der Inhaltskontrolle nicht stand, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen, von denen abgewichen werde, nicht zu vereinbaren sei und die Kunden der Beklagten unangemessen benachteilige. Sie verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (ABl. L 310 vom 26. November 2015, S. 1). Das Verbot, die SIM-Karte beziehungsweise das eSIM-Profil in Routern zu verwenden, schränke das danach bestehende Recht der Endnutzer ein, ihre Endgeräte frei zu wählen. Dieses Recht könne gemäß Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/2120 nicht vertraglich eingeschränkt werden.
II.
Rz. 8
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Dem Kläger steht aus § 1 UKlaG der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu, weil die von ihm beanstandete Klausel gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist.
Rz. 9
1. Ohne Erfolg wendet die Revision ein, die Klausel sei nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle entzogen.
Rz. 10
a) Die Inhaltskontrolle ist nach dieser Vorschrift auf Klauseln beschränkt, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Bloß deklaratorische Klauseln sowie Klauseln, die Art, Umfang und Güte der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu bezahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen (Leistungsbeschreibungen und Preisvereinbarungen), fallen nicht darunter. Es ist nach dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie den Vertragsparteien im Allgemeinen freigestellt, Leistung und Gegenleistung zu bestimmen (st. Rspr., z.B. Senat, Urteile vom 23. August 2018 - III ZR 192/17, WM 2018, 2290 Rn. 14 und vom 5. Oktober 2017 - III ZR 56/17, WM 2017, 2212 Rn. 15; BGH, Urteil vom 21. April 2022 - I ZR 214/20, ZIP 2022, 2184 Rn. 41; jeweils mwN). Die Freistellung von der Inhaltskontrolle gilt jedoch nur für Abreden über den unmittelbaren Leistungsgegenstand, während Regelungen, die die Leistungspflicht des Verwenders einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, inhaltlich zu kontrollieren sind. Damit bleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich von Regelungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (z.B. Senat, Urteil vom 5. Oktober 2017 aaO; BGH, Urteile vom 11. Juli 2019 - VII ZR 266/17, NJW 2019, 2997 Rn. 19 und vom 19. Oktober 2022 - IV ZR 185/20, WM 2022, 2273 Rn. 15; jeweils mwN).
Rz. 11
b) Ob die von der Beklagten verwendete Klausel, mit der die vertragsgemäße Nutzung des Internetzugangs auf Endgeräte beschränkt wird, die eine mobile Nutzung unabhängig von einem permanenten kabelgebundenen Stromanschluss ermöglichen, eine Hauptleistungspflicht der Beklagten regelt oder eine solche nur einschränkt, verändert, ausgestaltet oder modifiziert, kann der Senat selbst feststellen. Denn die formularmäßig gestalteten Vertragsbedingungen der Beklagten unterliegen der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Nachprüfung und können vom Revisionsgericht selbst ausgelegt werden (Senat aaO Rn. 16).
Rz. 12
c) Hiernach stellt die von der Beklagten verwendete Klausel weder für sich genommen noch in Verbindung mit den sonstigen Tarifbestimmungen eine kontrollfreie Leistungsbeschreibung dar. Der "Vertragstyp Mobilfunkvertrag" wird entgegen der Auffassung der Revision nicht durch eine Beschränkung der nutzbaren Endgeräte "konstituiert". Bei einem Mobilfunkvertrag mit Internetnutzung besteht die Hauptleistungspflicht des Anbieters darin, dem Kunden zum Datentransfer über das Mobilfunknetz den Zugang zum Internet mit einer bestimmten Übertragungsgeschwindigkeit zu verschaffen (Senat aaO Rn. 23 f). Der Anbieter hat dem Kunden insoweit zu ermöglichen, unter Verwendung hierzu geeigneter Endgeräte mittels Funkschnittstelle eine Verbindung zum Internet herzustellen. Die Vorgabe an den Kunden, nur bestimmte Endgeräte für den Internetzugang zu nutzen, soll den mit dieser Hauptleistungspflicht korrespondierenden Anspruch des Kunden lediglich einschränken. Eine vertragliche Regelung, mit welchen Endgeräten der Internetzugang genutzt werden darf, ist hingegen nicht erforderlich, damit der wesentliche Vertragsinhalt bestimmbar ist.
Rz. 13
2. Die Klausel hält einer Inhaltskontrolle nicht stand. Allgemeine Geschäftsbedingungen, die zum Nachteil des Kunden gegen zwingendes Recht verstoßen, benachteiligen ihn zugleich unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2004 - KZR 10/03, GRUR Int 2005, 152, 154; vom 20. Oktober 2015 - XI ZR 166/14, BGHZ 207, 176 Rn. 31; vom 5. Juli 2017 - VIII ZR 163/16, WM 2018, 1016 Rn. 9 und vom 12. September 2017 - XI ZR 590/15, BGHZ 215, 359 Rn. 62). Dies ist hier der Fall. Eine Regelung im Sinne der von der Beklagten verwendeten Klausel, die die Nutzung bestimmter Endgeräte ausschließt, obwohl sie technisch zur Herstellung einer Internetverbindung über das Mobilfunknetz geeignet sind, verstößt gegen die in Art. 3 Abs. 1 VO (EU) 2015/2120 normierte Endgerätewahlfreiheit und damit gegen zwingendes Recht.
Rz. 14
a) Die gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV in allen ihren Teilen verbindliche und in jedem Mitgliedstaat unmittelbar geltende Verordnung (EU) 2015/2120 bestimmt in ihrem Art. 3 Abs. 1, dass Endnutzer eines Internetzugangsdienstes das Recht haben, den Internetzugang mit Endgeräten ihrer Wahl zu nutzen (siehe zum Begriff des Endnutzers: EuGH, ZUM 2020, 843 Rn. 36 ff). Erfasst werden von der Endgerätewahlfreiheit alle "Endeinrichtungen" im Sinne der Richtlinie 2008/63/EG der Kommission vom 20. Juni 2008 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsendeinrichtungen (ABl. L 162 vom 21. Juni 2008, S. 20), die eine Verbindung zum Internet herstellen können (vgl. Erwägungsgrund 5 VO (EU) 2015/2120; siehe auch OLG Köln, MMR 2022, 568 Rn. 23). Endeinrichtungen sind nach der Legaldefinition in Art. 1 Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie direkt oder indirekt an die Schnittstelle eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes angeschlossene Einrichtungen zum Aussenden, Verarbeiten oder Empfangen von Nachrichten. Sowohl bei direkten als auch bei indirekten Anschlüssen kann die Verbindung über Draht, optische Faser oder elektromagnetisch hergestellt werden; bei einem indirekten Anschluss ist zwischen der Endeinrichtung und der Schnittstelle des öffentlichen Netzes ein Gerät geschaltet.
Rz. 15
b) Entgegen der Auffassung der Revision richtet sich der Umfang der Endgerätewahlfreiheit nicht danach, ob dem Internetzugangsdienst ein Mobilfunkvertrag, ein Festnetzvertrag oder ein anderer "Vertragstyp" zugrunde liegt. Die Verordnung (EU) 2015/2120 sieht eine derartige Differenzierung nicht vor. Anknüpfungspunkt für die Endgerätewahlfreiheit ist der Internetzugangsdienst und damit unabhängig von der verwendeten Netztechnologie und den verwendeten Endgeräten (vgl. Art. 2 Satz 2 Nr. 2 VO (EU) 2015/2120) der durch den Dienst bereitgestellte Zugang zum Internet. Bei der Nutzung dieses Zugangs soll der Endnutzer frei unter den verschiedenen Endgeräten im Sinne der Richtlinie 2008/63/EG wählen können (Erwägungsgrund 5 VO (EU) 2015/2120).
Rz. 16
c) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Endgerätewahlfreiheit nicht wirksam abbedungen werden kann (so auch OLG Köln aaO Rn. 42; Kiparski/Wettig, CR 2020, 265 Rn. 24; Klement in: Scheurle/Mayen, Telekommunikationsgesetz, 3. Aufl., EU-NNVO Rn. 78; vgl. auch Mengering in: Säcker/Körber, TKG - TTDSG, 4. Aufl., Neutralitäts-VO Art. 3 Rn. 4). Das Recht des Endnutzers, über seinen Internetzugangsdienst Endgeräte seiner Wahl zu nutzen, wird durch die Verordnung (EU) 2015/2120 ohne Einschränkungen gewährleistet. Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/2120 führt entgegen der Auffassung der Revision zu keiner anderen Beurteilung. Nach dieser Vorschrift dürfen Vereinbarungen zwischen Anbietern von Internetzugangsdiensten und Endnutzern über die gewerblichen und technischen Bedingungen und die Merkmale von Internetzugangsdiensten wie Preis, Datenvolumina oder Geschwindigkeit sowie die Geschäftspraxis der Anbieter die Ausübung der Rechte der Endnutzer gemäß Absatz 1 nicht einschränken. Aus dieser Bestimmung lässt sich nicht herleiten, dass eine vertragliche Beschränkung der Endgerätewahlfreiheit zulässig ist, soweit sie eine "Wesentlichkeitsschwelle" nicht überschreitet.
Rz. 17
aa) Die Revision stützt sich insoweit auf Erwägungsgrund 7 VO (EU) 2015/2120. Dieser besagt, dass es Endnutzern freistehen solle, zur Ausübung ihrer Rechte auf Zugang zu und Verbreitung von Informationen und Inhalten sowie auf Nutzung und Bereitstellung von Anwendungen und Diensten mit den Internetzugangsanbietern Tarife mit bestimmten Datenvolumina und bestimmten Geschwindigkeiten des Internetzugangsdienstes zu vereinbaren (Satz 1). Diese Vereinbarungen sowie die Geschäftsgepflogenheiten der Internetzugangsanbieter sollen die Ausübung dieser Rechte aber nicht beschränken und somit auch nicht die Bestimmungen der Verordnung (EU) 2015/2120 über die Gewährleistung des Zugangs zum offenen Internet umgehen (Satz 2). Die nationalen Regulierungsbehörden und die anderen zuständigen Behörden sollen befugt sein, gegen Vereinbarungen oder Geschäftsgepflogenheiten vorzugehen, die aufgrund ihrer Tragweite zu Situationen führten, in denen die Auswahlmöglichkeit der Endnutzer in der Praxis "wesentlich eingeschränkt" werde (Satz 3).
Rz. 18
bb) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass daraus nicht der Schluss gezogen werden kann, der Ausschluss der Verwendung bestimmter Endgeräte sei als Merkmal des Internetzugangsdienstes nur unzulässig, wenn dadurch die Wahlmöglichkeit des Endnutzers nach dem Ergebnis einer einzelfallbezogenen Abwägung mehr als nur geringfügig eingeschränkt werde. Erwägungsgrund 7 bezieht sich nur auf die in Art. 3 Abs. 1 VO (EU) 2015/2120 neben der Endgerätewahlfreiheit normierten Rechte der Endnutzer, unabhängig von näher bestimmten Bedingungen Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten sowie Anwendungen und Dienste zu nutzen und bereitzustellen. Dies ergibt der Vergleich der in diesem Erwägungsgrund und in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung aufgezählten Rechte der Endnutzer. Im Gegensatz zu den übrigen in dieser Norm statuierten Rechten findet die darin ebenfalls bestimmte Endgerätefreiheit im Erwägungsgrund 7 keine Erwähnung. Zur Endgerätewahlfreiheit verhält sich vielmehr Erwägungsgrund 5 VO (EU) 2015/2120. Danach sollten die Internetzugangsanbieter über die von den Herstellern oder Händlern der Endgeräte im Einklang mit dem Unionsrecht angewandten Beschränkungen hinaus gerade keine weiteren Beschränkungen auf die Nutzung von Endgeräten, die die Verbindung zum Netz herstellen, anwenden.
Rz. 19
Ungeachtet dessen geht aus Erwägungsgrund 7, anders als die Revision meint, zudem nicht hervor, dass eine Einschränkung der nach Art. 3 Abs. 1 VO (EU) 2015/2120 gewährleisteten Rechte bei einer Vereinbarung im Sinne von Absatz 2 erst angenommen werden kann, wenn diese Einschränkung eine "Wesentlichkeitsschwelle" überschreitet. Das im Erwägungsgrund 7 Satz 3 enthaltene Merkmal einer wesentlichen Einschränkung betrifft nur die Möglichkeit der Endnutzer in der Praxis, den Dienst auszuwählen, über den er die durch die Verordnung garantierten Rechte nach Maßgabe ihrer Merkmale ausüben möchte (vgl. EuGH aaO Rn. 33, 41). Lediglich diesbezüglich soll von einer wesentlichen Einschränkung abhängen, ob die nationalen Regulierungsbehörden und die anderen zuständigen Behörden befugt sind, gegen Vereinbarungen oder Geschäftsgepflogenheiten der Anbieter von Internetzugangsdiensten vorzugehen.
Rz. 20
Schließlich stellt Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/2120 ebenso wie Erwägungsgrund 7 nur auf die Auswirkungen ab, die Folgen der Vereinbarungen und Geschäftsgepflogenheiten der Internetzugangsanbieter für die Ausübung der nach Absatz 1 (unverändert) gewährleisteten Rechte sind. Dies ergibt sich aus der Formulierung in Satz 3 des Erwägungsgrunds, dass die Behörden befugt sein sollten, gegen Vereinbarungen und Gepflogenheiten vorzugehen, die "aufgrund ihrer Tragweite zu Situationen führen", in denen die (in Satz 1 aufgeführten, siehe oben) Auswahlmöglichkeiten wesentlich eingeschränkt werden. Aus den englischen ("by reason of their scale lead to situations where end-users’ choice is materially reduced in practice"), französischen ("en raison de leur ampleur, donnent lieu à des situations où le choix des utilisateurs finals est largement réduit dans les faits") und spanischen ("por su escala, conduzcan a situaciones en que las opciones de los usuarios finales se vean significativamente reducidas en la práctica") Fassungen des Erwägungsgrunds wird noch deutlicher, dass es nur um die praktisch-tatsächlichen Folgen von Vereinbarungen und Geschäftsgepflogenheiten geht, die zu wesentlichen Einschränkungen der Auswahlmöglichkeiten führen. Die unmittelbare Beschränkung oder Abbedingung dieser Rechte selbst ist hingegen nicht Gegenstand der Bestimmung. Dementsprechend kann auch eine Vereinbarung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/2120 eine unmittelbare Einschränkung dieser Rechte nicht rechtfertigen.
Rz. 21
Der dagegen von der Revision erhobene Einwand, damit postuliere man abwegig als Regelungsziel eine von der Internetnutzung unabhängige, das heißt zweckfreie technische Konnektivität, ist unbegründet. Die Möglichkeit der Endnutzer, beim Zugang zum Internet im Grundsatz frei und unabhängig von der verwendeten Netztechnologie unter den verschiedenen Arten von Endgeräten im Sinne der Richtlinie 2008/63/EG wählen zu können, ist vielmehr nach Erwägungsgrund 5 VO (EU) 2015/2120 erklärtermaßen ein Ziel der Verordnung (vgl. dazu auch Klement aaO).
Rz. 22
cc) Diese Auslegung steht entgegen der Ansicht der Revision im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Sache "Telenor" (EuGH aaO). Das Urteil hat die Endgerätefreiheit nicht zum Gegenstand. Der zugrunde liegende Sachverhalt betraf vielmehr die bevorzugte Behandlung einzelner Dienste durch Internetzugangsanbieter durch Angebote zum "Nulltarif". Zudem nimmt der Gerichtshof vielfach auf den Erwägungsgrund 7 der Verordnung Bezug (aaO Rn. 31, 33, 39, 41, 43, 45), der sich - wie ausgeführt - nicht auf die Endgerätewahlfreiheit bezieht. Dessen ungeachtet vermag die Beklagte auch im Übrigen nichts zu ihren Gunsten aus den Erwägungen in dieser Entscheidung herzuleiten. Der Gerichtshof betont darin, dass nach Absatz 1 des Art. 3 VO (EU) 2015/2120 die dort gewährleisteten Rechte "über ihren Internetzugangsdienst" ausgeübt werden sollten, während Absatz 2 verlange, dass die "Ausübung dieser Rechte" durch einen solchen Dienst nicht eingeschränkt werde (EuGH aaO Rn. 30). Nach den weiteren Entscheidungsgründen konkretisieren die Vereinbarungen über die Modalitäten des Internetzugangs, auf die sich Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/2120 bezieht, die jedem Endnutzer zustehende Freiheit, die Dienste auszuwählen, über die er die durch die Verordnung garantierten Rechte nach Maßgabe ihrer Merkmale ausüben möchte (EuGH aaO Rn. 33). Diese Vereinbarungen dürfen die "Ausübung der Rechte der Endnutzer" gemäß Art. 3 Abs. 1 VO (EU) 2015/2120 nicht einschränken und somit auch nicht die Bestimmungen der Verordnung über die Gewährleistung des Zugangs zum offenen Internet umgehen (EuGH aaO Rn. 30, 33, 35; Erwägungsgrund 7 VO (EU) 2015/2120). Damit spricht die Entscheidung zugleich auch dafür, dass diese Rechte selbst in keinem Fall unmittelbar zur vertraglichen Disposition der Vertragsparteien stehen.
Rz. 23
d) Der Einwand der Revision, die von der Beklagten verwendete Klausel verstoße nicht gegen die Endgerätewahlfreiheit, weil es sich bei dem darin genannten LTE-Router um keine Endeinrichtung im Sinne von Art. 1 Nr. 1 Buchst. a Richtlinie 2008/63/EG, sondern um ein "Zwischengerät" handele, führt zu keiner anderen Beurteilung. Dabei kann auf sich beruhen, ob ein LTE-Router die Voraussetzungen der vorgenannten Begriffsbestimmung erfüllt (so OLG Köln aaO Rn. 42 ff). Nach der Klausel ist die Nutzung des Internetzugangs mit sämtlichen Geräten, die zum Betrieb mit einem Kabel dauerhaft an die Stromversorgung angeschlossen sein müssen, nicht zulässig. Der Ausschluss erfasst damit neben dem LTE-Router, der in der Klausel nur exemplarisch genannt wird, auch stromkabelgebundene (End-)Geräte, die zur Nutzung des Internetzugangs an diesen Router angeschlossen werden, wie etwa ein von der Revision selbst als Endeinrichtung im Sinne von Art. 1 Nr. 1 Buchst. a Richtlinie 2008/63/EG bezeichneter PC. Die Geltung der Klausel könnte nach dem "blue-pencil-test" (vgl. dazu Senat, Urteile vom 10. Oktober 2013 - III ZR 325/12, NJW 2014, 141 Rn. 14 mwN und vom 9. Oktober 2014 - III ZR 32/14, NJW 2015, 328 Rn. 33) ohnehin nicht auf den Ausschluss von LTE-Routern reduziert werden.
Rz. 24
e) Die unangemessene Benachteiligung der Kunden der Beklagten ergibt sich unmittelbar aus dem Verstoß gegen die Endgerätewahlfreiheit, weil es sich bei Art. 3 Abs. 1 VO (EU) 2015/2120 aus oben genannten Gründen um zwingendes Recht handelt (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2004 aaO; vom 20. Oktober 2015 aaO; vom 5. Juli 2017 aaO und vom 12. September 2017 aaO). Die von der Revision angestellten Erwägungen zum schutzwürdigen Interesse der Beklagten an der gesetzeswidrigen Klausel sind dementsprechend unerheblich.
Rz. 25
3. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob die in Art. 3 Abs. 1 VO (EU) 2015/2120 normierte Endgerätewahlfreiheit den gleichen (Wesentlichkeits-)Einschränkungen wie die zuvor in dieser Bestimmung genannten Rechte unterliegt und ihre Verletzung daher nur durch Einzelfallwürdigung festgestellt werden kann. Diese Frage ist mit Blick auf den Streitfall dahingehend zu beantworten, dass die Endgerätewahlfreiheit weder ganz noch teilweise abbedungen werden kann. Auf die vorstehenden Ausführungen, insbesondere zu Erwägungsgrund 5 VO (EU) 2015/2120 (siehe oben 2 c bb), deren Richtigkeit zur Überzeugung des Senats mit der nach der acte-clair-Doktrin erforderlichen Gewissheit feststehen (vgl. hierzu zB EuGH, NJW 1983, 1257, 1258; EuZW 2016, 111Rn. 38 ff; Senat, Urteil vom 17. April 2014 - IIIZR 87/13, BGHZ 201, 11 Rn. 29), wird Bezug genommen.
Herrmann |
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Reiter |
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Kessen |
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Herr |
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Fundstellen
Haufe-Index 15747734 |
BB 2023, 1665 |