Verfahrensgang
LG Leipzig (Urteil vom 21.11.2003) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21. November 2003 wird verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen. Er hat jedoch die der Nebenklägerin durch seine Revision entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten des versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter sexueller Nötigung und gefährlicher Körperverletzung sowie des Diebstahls schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung von drei Strafbefehlen zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der knapp 20 Jahre alte Angeklagte verbrachte den Abend des 15. April 2003 in einer Leipziger Gaststätte. Er traf auf mehrere Bekannte, darunter die Nebenklägerin R P und C H, die er während einer Faschingsfeier in diesem Lokal kennengelernt hatte. R P. tanzte zunächst mit C H. Diesen wollte sie eifersüchtig machen. Deshalb flirtete sie mit dem Angeklagten. Es kam zum Austausch von Küssen und Zärtlichkeiten. Der Angeklagte deutete gegenüber mehreren Personen an, daß er mit R P sexuell verkehren wolle. Gegen zwei Uhr bat die alkoholisierte R P den Angeklagten, sie zu ihrer nahegelegenen Wohnung zu begleiten. Dort angekommen, drückte der mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,9 ‰ unter Alkoholeinfluß stehende kräftige Angeklagte die schmächtige R P gegen deren Willen in ihre Wohnung, schloß die Wohnungstür und schob die Frau in das Wohnzimmer. R. P. forderte den Angeklagten auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte drückte die Frau zu Boden, setzte oder legte sich auf sie und verursachte dadurch eine Rippenserienfraktur. „R P wehrte sich und schrie um Hilfe. Der Angeklagte hielt ihr den Mund und die Nase zu und sagte, wenn sie jetzt nicht ruhig sei, werde er sie umbringen. Als R. P. weiterhin versuchte, den Angeklagten abzuwehren und sich zu befreien, umfaßte er ihren Hals mit seinen Händen und würgte R P kraftvoll, bis sie bewußtlos wurde und reglos am Boden lag. Anschließend entkleidete der Angeklagte ihren Genitalbereich, um mit ihr den Geschlechtsverkehr durchzuführen, jedoch ohne daß es hierzu kam, ließ er von ihr ab” (UA S. 10 f.). Der Angeklagte schüttete Wasser auf die Bewußtlose und hüllte sie in eine Decke. Er „hielt es für möglich, daß R P nicht mehr lebte. Er wußte, daß seine Handlung dazu geeignet war, R P erheblich zu verletzen und ihren Tod herbeizuführen. Er nahm billigend in Kauf, daß R. P eine lebensgefährliche Verletzung erleidet und stirbt, um die Durchführung des Geschlechtsverkehrs zu erzwingen” (UA S. 11).
Der Angeklagte nahm sodann eine Geldbörse mit etwa 100 Euro aus der Jacke der R P. Ferner nahm er den zweiten Wohnungsschlüssel im Flur an sich und verließ die Wohnung. Gegen 7.30 Uhr erwachte R. … P. Sie konnte den Notarzt anrufen. Nach dreitägiger Behandlung in der Intensivstation wurde die Lebensgefahr überwunden, die durch die Rippenbrüche und das Würgen bis zur Bewußtlosigkeit hervorgerufen worden war. R P leidet noch immer unter Alpträumen und lebt in der Angst, erneut in ihrer Wohnung Opfer einer Straftat zu werden.
2. Die Revision des Angeklagten zeigt keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
a) Zwar hat das Landgericht zur Feststellung des Tötungsvorsatzes und des Mordmerkmals Befriedigung des Geschlechtstriebs keine ins einzelne gehende Beweiswürdigung vorgenommen. Solches war hier angesichts der den Vorsatz und das Mordmerkmal begründenden offen zu Tage liegenden objektiven Tatsachen und der von dem Angeklagten geäußerten Todesdrohung auch nicht unerläßlich (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 57; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Befriedigung des Geschlechtstriebs 2). Der daraus von der Jugendkammer gezogene Schluß auf den subjektiven Tatbestand ist ohne weiteres tragfähig. Der Angeklagte hatte bereits in der Gaststätte die Vornahme des Geschlechtsverkehrs mit R P angekündigt und den ersten Widerstand des Opfers durch Zufügung der lebensgefährlichen Rippenfraktur überwunden. Weiterem Widerstand und den Hilfeschreien begegnete der Angeklagte zunächst mit der Drohung, R. P. umzubringen. Nachdem diese Drohung ergebnislos geblieben war, da das Opfer sich wehrte, würgte der Angeklagte R P kraftvoll bis zum Eintritt der – mehrere Stunden anhaltenden – Bewußtlosigkeit. Damit hatte der Angeklagte seinen zuvor geäußerten Tötungswillen durch Vornahme einer das Leben äußerst bedrohenden Gewalthandlung verwirklicht. Das kraftvolle Würgen hatte unter diesen Umständen seine Eignung als bloße Verletzungshandlung bereits vollständig verloren (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 57). Der Angeklagte verfolgte damit auch das Ziel weiter, seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen. Denn nachfolgend entkleidete er R. P im Genitalbereich.
b) Nach den Darlegungen des Landgerichts verbleiben auch keine Zweifel hinsichtlich der für eine Vorsatzbildung erforderlichen Erkenntnisfähigkeit und Willenskräfte des Angeklagten (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 54). Zwar hat das Landgericht solches nicht ausdrücklich erörtert. Der Senat entnimmt aber den vom psychiatrischen Sachverständigen übernommenen Feststellungen und dem weiteren Tatgeschehen, daß keine die Vorsatzbildung beeinträchtigenden psychischen Faktoren zur Wirkung gelangten. Der Angeklagte litt zwar an einer leichten Intelligenzminderung, die dazu führte, daß er komplexere Sachverhalte und Probleme nur schwer überschauen konnte. Die im Alltag geltenden Normen waren ihm aber gut bekannt, und er konnte sich auch danach verhalten. Die hier vom Angeklagten zu leistende Erkenntnis, daß kräftiges Würgen bis zur Bewußtlosigkeit zur Herbeiführung des Todes geeignet ist, erfordert aber gerade nicht die Bewertung eines komplexen Sachverhalts, sondern zählt zu dem auch dem Angeklagten zur Verfügung stehenden Erfahrungswissen. Daß auch die Alkoholisierung des Angeklagten keine andere Bewertung von dessen intellektueller Leistungsfähigkeit erfordert, belegt auch der Umstand, daß der Angeklagte sich die in der Gaststätte erworbene Erkenntnis vom Besitz eines erheblichen Geldbetrages der R P (UA S. 9, 20 f.) nach Begehung seines Verbrechens zunutze machte und den Geldbeutel seines Opfers stahl.
c) Das Verhalten des Angeklagten nach dem Würgen rechtfertigt keine andere Betrachtung. Die naheliegende Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe aufgrund der wesentlich veränderten Umstände sein sexuelles Begehren nicht weiterverfolgt (UA S. 28 f.), stellt den Tötungsvorsatz und das Mordmerkmal nicht in Frage. Zwar hat das Landgericht die aufgrund der Aussage der Zeugin P festgestellten Handlungen des Angeklagten, Überschütten des Opfers mit Wasser zur Wiederbelebung und Zudecken des Opfers, nicht – wie die Verteidigung es für geboten hält – als Ausdruck der Fürsorge des Angeklagten für das noch für lebend gehaltene Opfer bewertet, was einen vorherigen Tötungsvorsatz in Frage stellen könnte. Solches war vor dem Hintergrund eines naheliegenden spontanen Handlungsantriebs nach der bedrückenden Wahrnehmung der regungslosen schwerverletzten Frau aber auch nicht geboten, um eine Lücke in der Beweiswürdigung zu vermeiden, zumal der Angeklagte durch Begehung des Diebstahls rasch sein nächstes Handlungsziel erkannt und verwirklicht hat.
d) Damit ist die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe es zunächst für möglich gehalten, daß R P nicht mehr lebe, als er die Wohnung verließ, nicht zu beanstanden. Seine Überlegung, die Frau könne jedenfalls auf Grund der Verletzungen versterben, versteht sich danach von selbst. Ein Rücktritt von dem hier ersichtlich vorliegenden beendeten Versuch (vgl. BGHSt 39, 221, 227) scheidet aus. Die von dem Angeklagten alsbald erkannte Erfolglosigkeit seiner Wiederbelebungsversuche ändert daran nichts. Der durchweg sprunghaft agierende Angeklagte hat sich danach nicht mehr im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB bemüht, die Vollendung zu verhindern.
e) Der Senat kann dahingestellt lassen, ob hinsichtlich des tateinheitlich begangenen Sexualdelikts ein Rücktritt bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil schon das Ausziehen nach zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs eingesetzter Gewalt eine vollendete sexuelle Nötigung darstellt (vgl. BGH, Beschl. vom 31. Juli 2002 – 1 StR 241/02; BGH NStZ 1993, 78). Durch die Annahme eines bloßen Versuchs ist der Angeklagte nicht beschwert. Ein Rücktritt davon scheidet nach dem eindeutigen Gesamtzusammenhang der Urteilsfeststellungen wegen Fehlschlags aus (vgl. BGHSt 39, 221, 228).
3. Auch die Bemessung der Jugendstrafe hält sachlichrechtlicher Prüfung stand. Zwar stoßen die Erwägungen des Landgerichts, bei Anwendung des allgemeinen Strafrechts spreche gegen eine Strafmilderung wegen Versuchs, daß dessen Handlungsunwert nicht wesentlich hinter dem Erfolgsunwert der vollendeten Straftat zurückgeblieben sei, bezogen auf den versuchten Mord auf erhebliche Bedenken. Zudem durfte die Jugendkammer nicht in erster Linie auf das Tatunrecht abstellen (vgl. BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 10), dem für die Beurteilung der Schuldschwere lediglich insoweit Bedeutung zukommt, als es auch Rückschlüsse auf das Maß der Schuld zuläßt (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 8 m.w.N.). Diese Bedenken greifen aber nicht durch, weil die Jugendkammer das insgesamt massive Tatbild zutreffend bewertet und unter Berücksichtigung des Erziehungsgedankens zu einem vertretbaren Ergebnis gefunden hat.
Unterschriften
Basdorf, Häger, Raum, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2558281 |
NStZ 2005, 90 |