Leitsatz (amtlich)

›§ 9 Abs. 5, § 10 Abs. 2 der Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherer - MB/KK 76 - halten der Kontrolle nach § 3, § 9 Abs. 1, Abs. 2 AGBG stand.‹

 

Verfahrensgang

LG Mannheim

OLG Karlsruhe

 

Tatbestand

Der Kläger hatte sich bei dem Beklagten gemäß Versicherungsscheinen vom 20. Februar 1975 und vom 9. Oktober 1981 mit einem Krankenhaustagegeld von insgesamt 150 DM versichert. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Musterbedingungen des Verbands der privaten Krankenversicherer 1976 - MB/KK 76 - zugrunde.

§ 9 Abs. 5 MB/KK 76 lautet:

"Eine weitere Krankenhaustagegeldversicherung darf nur mit Einwilligung des Versicherers abgeschlossen werden. "

§ 10 Abs. 2 MB/KK 76 legt fest:

"Wird eine der in § 9 Abs. 4 und 5 genannten Obliegenheiten verletzt, so ist der Versicherer nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn er von seinem Kündigungsrecht innerhalb eines Monats nach dem Bekanntwerden Gebrauch macht. "

Neben den beiden Versicherungen bei dem Beklagten unterhält der Kläger mit Kenntnis des Beklagten zwei weitere Krankenhaustagegeldversicherungen bei dem D., H, in Höhe von insgesamt 150 DM.

Im Januar 1986 beantragte der Kläger bei zwei weiteren Versicherern den Abschluß entsprechender Versicherungsverträge, und zwar bei der C mit einem Krankenhaustagegeld von 100 DM und bei der N mit einem Krankenhaustagegeld von 150 DM. Er unterrichtete den Beklagten davon nicht und gab bei der Antragstellung die beim Beklagten und beim D bestehenden Vorversicherungen - ungeachtet ausdrücklicher Fragen - nicht an. Die N lehnte den beantragten Vertragsschluß ab. Die nahm den Antrag zunächst an. Nachdem sie von den Vorversicherungen erfahren hatte, erklärte sie mit Schreiben vom 21. Februar 1986 den Rücktritt vom Vertrag. Der Beklagte kündigte hierauf das Versicherungsverhältnis mit Schreibe vom 28. Februar 1986 unter Hinweis auf die Bedingungen der MB/KK 76.

Das Landgericht hat der auf Feststellung des Fortbestehens des Versicherungsverhältnisses gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung ist zurückgewiesen worden. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

I. Das Berufungsgericht hat es für fraglich erachtet, ob die §§ 9 Abs. 5, 10 MB/KK 76 allein wegen der in dem Versicherungsantrag enthaltenen Fragen nicht als überraschend im Sinne von § 3 AGB-Gesetz zu werten seien. Es hat.die Entscheidung jedoch offengelassen, weil die genannten Bedingungen der MB/KK 76 seiner Auffassung nach von dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichen und zu einer. unangemessenen Benachteiligung der Versicherungsnehmer führen, die.nicht mit Treu und Glauben zu vereinbaren sei (§ 9 Abs. 1 und 2 Nr. 1 AGB-Gesetz).

Dem Versicherer sei zwar einzuräumen, daß er sich auch gegen solche Ausnahmefälle schützen wolle, in denen sich die Vertragsgefahr durch den seitens des Versicherungsnehmers in betrügerischer Absicht getätigten Abschluß mehrerer Krankenhaustagegeld-Versicherungsverträge oder durch den später gefaßten Betrugsentschluß erhöhe. Das rechtfertige aber nicht ein uneingeschränktes Kündigungsrecht des Versicherers, weil dieses auch den redlichen Versicherungsnehmer treffen würde. Der allgemeingültigen gesetzgeberischen Grundentscheidung, wie sie in § 24 Abs. 2 2. Alternative VVG zum Ausdruck komme, sei vielmehr zu entnehmen, daß eine Kündigung wegen einer nachträglichen Gefahrerhöhung dann nicht mehr möglich sein solle, wenn die vorübergehend eingetretene oder herbeigeführte Gefahrerhöhung wieder entfallen sei. Damit ließen sich die Klauseln der MB/KK 76 - auch wenn die Pflicht zur Einholung der Zustimmung des Versicherers zum Abschluß weiterer Versicherungsverträge als vertragliche Obliegenheit (§ 32 VVG) ausgestaltet sei - unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht in Einklang bringen.

Gegenüber einem redlichen Versicherungsnehmer oder bei einem Wegfall der Doppelversicherung könnten die Bedingungen der MB/KK 76 zu einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers führen, wenn dieser aus Altersgründen oder wegen bestehender Vorerkrankungen angemessenen-Versicherungsschutz nicht mehr erhalten könne. Im vorliegenden Fall sei dem Beklagten bei Eingreifen der gesetzlichen Regelung des § 24 Abs. 2 2. Alternative VVG die Kündigung schon deshalb verwehrt gewesen, weil infolge der Beendigung des Versicherungsvertrags mit dem anderen Versicherer der frühere Zustand wieder hergestellt gewesen sei.

Selbst wenn die §§ 9 Abs. 5, 10 Abs. 2 MB/KK 76 wirksam sein sollten, sei die Kündigung des Beklagten aus zwei Gründen nicht gerechtfertigt.

Zum einen dürfe der Versicherer - was aus den.Grundsätzen zur Relevanzrechtsprechung zu entnehmen sei - nicht unangemessen auf Vertragsverstöße des Versicherungsnehmers antworten, die so wenig intensiv gewesen seien, daß sie ihm bei vernünftiger Betrachtung keinen Grund hätten geben können, von einer ernsthaften Gefährdung auszugehen. Jedenfalls sei kein erhebliches Verschulden des Klägers nachgewiesen, zumal er unwiderlegt vorgetragen habe, der Versuch, sich zu einem Krankenhaustagegeld in Höhe von insgesamt 550 DM zu versichern, sei die Folge einer Psychose, an der er seit Jahren leide.

Zum anderen wäre die Kündigung auch wegen rechtsmißbräuchlicher Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung unwirksam, da hier nicht von einer Erhöhung der Vertragsgefahr ausgegangen werden könne. Die Mehrfachversicherung sei durch den Rücktritt der C. von dem weiteren Krankenhaustagegeld-Versicherungsvertrag mit Schreiben vom 21. Februar 1986 beendet gewesen, bevor der Beklagte seinerseits mit Schreiben vom 28. Februar 1986 gekündigt habe.

II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts (abgedruckt in R+S 1987, 624) halten den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Die §§ 9 Abs. 5, 10 Abs. 2 MB/KK 76 verstoßen nicht gegen § 9 AGB-Gesetz.

a) Das Kündigungsrecht des Versicherers bei nicht angezeigter Mehrfachversicherung durch den Versicherungsnehmer widerspricht nicht der vom Berufungsgericht als Maßstab herangezogenen gesetzlichen Regelung des § 24 Abs. 2 2. Alternative VVG. Letztere betrifft nämlich einen anderen Fall, und zwar den der Kündigung wegen nachträglicher Erhöhung der (Vertrags)-Gefahr (§ 23 Abs. 1 VVG). Demgegenüber haben die hier fraglichen Bedingungen die Kündigung wegen schuldhafter Obliegenheitsverletzung zum Gegenstand. Beide Kündigungsfalle haben unterschiedliche Wurzeln und sind nicht gleichzubehandeln. Das Kündigungsrecht nach §§ 9 Abs. 5, 10 Abs. 2 MB/KK 76 rührt allein aus der Störung des Vertrauensverhältnisses her, wie es dem Versicherungsvertrag zugrunde liegt, und sanktioniert die schuldhafte Verletzung einer Obliegenheit unabhängig von der Frage, ob die Erhöhung der Vertragsgefahr, der durch die Obliegenheit vorgebeugt werden soll, tatsächlich eingetreten ist oder nicht. Dagegen beruht das Kündigungsrecht nach § 24 VVG auf der tatsächlichen Erhöhung der Vertragsgefahr.

b) Auch eine entsprechende Anwendung von § 24 Abs. 2 VVG kommt nicht in Betracht, da gemäß § 32 VVG solche Vereinbarungen von § 24 VVG unberührt bleiben, durch die der Versicherungsnehmer - wie hier der Kläger - bestimmte Obliegenheiten zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder zum Zweck der Verhütung der Gefahrerhöhung übernimmt. Hier kann als gesetzliches Leitbild allenfalls die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 2 VVG herangezogen werden. Mit dieser Bestimmung steht § 10 Abs. 2 MB/KK 76 in Einklang (Honsell, VersR 1982, 112, 117).

c) Weder die vertragliche Vereinbarung der fraglichen Anzeigeobliegenheit bzw. "Gefahrstandsobliegenheit" (Bach Moser, Private Krankenversicherung 1984 §§ 9, 10 Rdn. 2 und 57 a. E.) noch die des Kündigungsrechts für den Fall der Obliegenheitsverletzung benachteiligen den Versicherungsnehmer unangemessen. Im Zusammenhang mit der Frage der - hier allerdings nicht zur Debatte stehenden - Leistungsfreiheit wegen einer die "Vertragsgefahr" betreffenden.Obliegenheitsverletzung hat der Senat bereits entschieden, daß der Kündigung des Vertrages durch den Versicherer wegen der Obliegenheitsverletzung der allgemeine Rechtsgedanke von Treu und Glauben nicht entgegenstehe (BGHZ 79, 6, 11 = VersR 1981, 183, 184), weil die Kündigungsfolgen für den Versicherungsnehmer im allgemeinen keine einschneidenden Wirkungen hätten. Dann ist auch keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers im Sinne von § 9 AGB-Gesetz gegeben.

(1) Soweit der Senat einschränkend dahingehend entschieden hat, daß eine Erhöhung der Vertragsgefahr durch den Abschluß weiterer Kranken- oder Krankenhaustagegeldversicherungen sich keineswegs allgemein, sondern nur in den Ausnahmefällen betrügerischer Handlung praktisch auswirken könne (BGHZ 79, 6, 14; zur Kritik siehe Bach/Moser, Private Krankenversicherung 1984 §§ 9, 10 Rdn. 56), betreffen diese Ausführungen zur Vertragsgefahr jedoch nicht das hier in Rede stehende Kündigungsrecht, sondern die Frage der Leistungsfreiheit.

(2) Es kann auf sich beruhen, ob eine erhöhte Krankheitsneigung nicht die Folgen der Gefahrerhöhung auslöst (so Honsell, VersR 1982, 112, 115 bei Fn. 35). Darum geht es bei der Prüfung der Zulässigkeit der Anzeigeobliegenheit und ihrer Sanktionierung nicht. Anknüpfungspunkt ist letztlich vielmehr die Prognose der Einhaltung vertraglicher Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer, die aus der Sicht des Versicherers eines der maßgeblichen Kriterien für die Begründung und die Aufrechterhaltung des Versicherungsverhältnisses ist. Wird das Vertrauen des Versicherers in die Vertragstreue des Versicherungsnehmers enttäuscht, so muß sich der Versicherer vor der eventuell ungerechtfertigten künftigen Inanspruchnahme schützen dürfen, indem er sich durch.Kündigung von dem unzuverlässigen Versicherungsnehmer wieder trennt (OLG Köln VersR 1979, 1094, 1095). Darin allein liegt keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers.

(3) Als unangemessene Benachteiligung könnte allenfalls die Schärfe der Sanktion erscheinen, wenn sie außer Verhältnis zur Schwere der Obliegenheitsverletzung stünde. Das ist jedoch unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der am Versicherungsvertrag Beteiligten nicht der Fall.

(a) Richtig ist einerseits, daß vor dem Versicherungsfall zu erfüllende, aber nicht die versicherte objektive-Gefahr verhütende Obliegenheiten besonders leicht übersehen (OLG Hamm VersR 1979, 78 dazu Revisionsentscheidung BGHZ 79, 6) und zu einer "Fallgrube" für den redlichen Versicherungsnehmer werden können (Ehrenberg, Zitat nach Honsell, VersR 1982, 112, 117). Unter dem Gesichtspunkt der sozialen Funktion privater Krankenversicherung, auf den das Berufungsgericht im Anschluß an die Rechtsprechung des Senats entscheidend abgestellt hat (BGHZ 79, 6, 14; BGHZ 88, 78, 81), kann ein verhältnismäßig leicht auftretendes Fehlverhalten für den Versicherungsnehmer den Darlegungen im angefochtenen Urteil zufolge je nach Fallgestaltung erhebliche materielle Auswirkungen haben, etwa indem der Versicherungsnehmer nach Kündigung des Erstvertrages bei einem anderen Versicherer entweder überhaupt keinen Versicherungsschutz oder einen solchen nur unter Inkaufnahme von Risikoausschlüssen bzw. -zuschlägen erhält. Das könnte gegen die Verhältnismäßigkeit der Sanktion der Obliegenheitsverletzung sprechen.

(b) Andererseits ist zu berücksichtigen, daß nach der Rechtsprechung des Senats die Krankenhaustagegeldversicherung als Summenversicherung nicht der konkreten, sondern der abstrakten Bedarfsdeckung dient (BGHZ 91, 98, 101f.). Sie bezweckt auch nicht die Abdeckung der Krankenhauskosten. Vielmehr hat sie anerkanntermaßen den Sinn, dem Versicherungsnehmer für die Zeit, in der er im Krankenhaus gewissen.Einschränkungen unterliegt, über die Behandlungs- und Krankenhauskosten hinaus eine gewisse Annehmlichkeit zu ermöglichen. Aus diesem Grund darf die vom Berufungsgericht betonte soziale Funktion des Krankenhaustagegeldes nicht überbewertet werden (vgl. auch Senatsurteil vom 18.12.1985 - IVa ZR 81/84 - VersR 1986, 257, 258 unter II.).

Hinzu kommt, daß für die Versicherer ein berechtigtes Interesse an einer vertraglichen Vereinbarung der fraglichen Anzeigeobliegenheit besteht, damit sie sich gegen die Erhöhung des subjektiven Risikos schützen können. Die Notwendigkeit eines entsprechenden Schutzes folgt aus dem Umstand, daß die §§ 58ff. VVG auf die hier bestehende Summenversicherung nicht anwendbar sind (Bach/Moser, Private Krankenversicherung 1984 §§ 9, 10 Rdn. 44).

2. Die vom Berufungsgericht offengelassene Rechtsfrage, ob §§ 9 Abs. 5, 10 Abs. 2 MB/KK 76 gegen § 3 AGB-Gesetz verstoßen, ist zu verneinen. Es handelt sich nicht um Klauseln mit überraschendem Inhalt. Das Verbot der Mehrfachversicherung und dessen Sanktion durch Einräumung eines Kündigungsrechts des Versicherers für den Fall des ohne seine Einwilligung erzielten mehrfachen Versicherungsschutzes ist nicht so ungewöhnlich, daß ein verständiger Versicherungsnehmer mit derartigen Bedingungen nicht zu rechnen brauchte.

a) Die Mehrfachversicherungsklausel hat einen als billig und gerecht zu bewertenden Sinn. Mit der Existenz einer entsprechenden Regelung muß auch ein Laie rechnen. Es kann nicht ohne weiteres angehen, daß jemand sich bei mehreren Versicherungsunternehmen für den Krankheitsfall versichert und dadurch als kranker Mensch höhere Bezüge hat, als sein Arbeitsverdienst beträgt (OLG Köln VersR 1980, 738, 739; Bach/Moser, Private Krankenversicherung 1984 §§ 9, 10 Rdn. 59 m.w.N.). Daher ist es - worauf die Revision zu Recht hinweist - nicht überraschend, wenn der Versicherer Vorkehrungen gegen eine derartige "Überversicherung" trifft.

b) Wird bereits im Antragsformular nach dem Bestehen weiterer Versicherungen gleicher Art gefragt, so ist jedenfalls die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, vor Abschluß einer Mehrfachversicherung die vorherige Zustimmung des Erstversicherers einzuholen, nicht als so ungewöhnlich anzusehen, daß der Versicherungsnehmer mit ihr nicht zu rechnen brauchte (BGHZ 79, 6, 10). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts enthielten die Antragsformulare des Beklagten entsprechende Fragen.

3. Die auf die Obliegenheitsverletzung gestutzte Kündigung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 VVG kann gerechtfertigt sein.

a) Mit dem ohne Einwilligung des Beklagten vorgenommenen Abschluß der Krankenhaustagegeldversicherung bei der C war die Obliegenheitsverletzung vollendet.

b) An der Obliegenheitsverletzung trifft den Kläger - vorbehaltlich seines Nachweises, daß er schuldunfähig war (siehe dazu unter 7.) - ein Verschulden. Entgegen der vom Landgericht vertretenen und vom Berufungsgericht gebilligten Auffassung bedarf es keines von der Beklagten zu erbringenden Nachweises erheblichen Verschuldens. Der vom Landgericht zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofes in BGHZ 53, 160, 164 lag der - hier nicht vergleichbare - Sachverhalt der folgenlosen vorsätzlichen Verletzung der Aufklärungspflicht nach Eintritt des Versicherungsfalls (§ 6 Abs. 3 VVG) zugrunde, und es ging um Leistungsfreiheit. Im Rahmen des hier anzuwendenden § 6 Abs. 1 VVG genügt demgegenüber einfache Fahrlässigkeit, - und es geht im vorliegenden Fall nur um die Frage der Kündigungsmöglichkeit des Versicherers.

Auf die Unkenntnis der MB/KK 76 kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Die Unkenntnis von Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist grundsätzlich fahrlässig (Rechtsprechungsnachweise bei Prölss/Martin, VVG 24. Aufl. § 6 Anm. 13), selbst wenn gerade für den redlichen Versicherungsnehmer der Zusammenhang zwischen dem Abschluß des Zweitvertrages und der Notwendigkeit, nochmals die AVB des Erstvertrages zu lesen, nicht immer klar erkennbar ist (Prölss/Martin, MB/KK 24. Aufl. § 10 Anm. 2b).

4. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Obliegenheitsverletzung nicht zu einer konkreten Erhöhung der Vertragsgefahr geführt habe und die Kündigung deshalb rechtsmißbräuchlich sei.

a) Zu Unrecht stellt das Berufungsgericht unter Heranziehung der Rechtsprechung des IV. Senats (BGH VersR 1972, 341) auf das Kausalitätserfordernis bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Kündigung ab. Noch vor dem in Bezug genommenen Urteil hatte der IV. Senat zunächst entschieden, daß der Einredebeweis der Bedeutungslosigkeit der Pflichtverletzung gemäß § 6 Abs. 2 VVG seiner Natur nach nicht für die Fälle der Erhöhung des subjektiven Risikos passe, weil andernfalls die die Vertragsgefahr betreffenden Obliegenheitsverletzungen in vielen Fällen sanktionslos blieben und solche Obliegenheiten nicht die Bedeutung gewännen, die ihnen nach den vertraglichen Vereinbarungen beigelegt worden seien (BGH Urteil vom 28.4.1971 - IV ZR 174/69 - VersR 1971, 662, 663). Der IVa-Senat hat zwar ebenfalls - allerdings bei der Prüfung der Leistungsfreiheit wegen Erhöhung der "Vertragsgefahr" und insoweit unter ausdrücklicher Aufgabe des vorgenannten Rechtsstandpunkts - die aus dem § 6 Abs. 2, 3 VVG in Verbindung mit § 242 BGB zu entnehmenden Leitgedanken dahingehend entsprechend angewendet, daß dabei miteingeflossen ist, ob die fahrlässige Obliegenheitsverletzung irgendwie erkennbar Einfluß auf die Leistungen des Versicherers gehabt hat (BGHZ 79, 6, 15). An anderer Stelle hat der Senat jedoch klargestellt, daß § 6 Abs. 2 VVG, der die Verletzung von Obliegenheiten zur Verminderung der versicherten objektiven Gefahr betrifft, für die Verletzung der Obliegenheit zur Minderung der "Vertragsgefahr" (subjektives Risiko) an sich nicht gilt (BGH Urteil vom 5.3.1986 - IVa ZR 63/84 - VersR 1986, 380, 381 unter 2d zu § 11 VGB). Ob und inwieweit bei vertragsgefahrmindernden Obliegenheiten gleichwohl eine Kausalitätsprüfung stattfinden muß, konnte bei jener Entscheidung offenbleiben.

b) Auch im vorliegenden Fall ist die Entscheidung nicht veranlaßt. Zum einen geht es hier nicht, wie § 6 Abs. 2 VVG voraussetzt, um die Frage der Leistungsfreiheit, sondern nur um die der Kündigung. Zum anderen hat sich die Verletzung der Obliegenheit für den Beklagten nachteilig ausgewirkt, ohne daß der Eintritt des Versicherungsfalls im Zeitraum der Mehrfachversicherung für diese Beurteilung erforderlich war (a.A. Heid/Schmidt VersR 1980, 300, 302 linke Spalte unten). Durch die Nichtanzeige der Mehrfachversicherung war der Beklagte gehindert, das Versicherungsverhältnis unter dem Gesichtspunkt der bestehenden Mehrfachversicherung zu überprüfen und gegebenenfalls daraus Konsequenzen zu ziehen. Das reicht nach ständiger Rechtsprechung des Senats zu der Annahme aus, daß das Unterlassen der Anzeige nicht folgenlos geblieben ist. Deshalb ist es unerheblich, daß das mit der C begründete (Zweit-)Versicherungsverhältnis durch Rücktritt vom 21. Februar 1986 bereits beendet war, bevor der Beklagte den zwischen ihm und dem Kläger bestehenden (Erst-)Versicherungsvertrag am 28. Februar 1986 kündigte.

5. Auch bei Berücksichtigung des Zweckes einer Krankenhaustagegeldversicherung und ihrer - begrenzten - sozialen Komponente ist die Kündigung durch den Versicherer als Antwort auf vertragswidriges Verhalten des Versicherungsnehmers nicht deshalb rechtsmißbräuchlich, weil sie etwa unverhältnismäßig wäre. Die Überlegung des Klägers, als milderes Mittel komme in Betracht, daß der Versicherungsnehmer die Genehmigung oder die Auflösung der zweiten Versicherung betreiben müßte, bietet keine tragfähige Lösungsalternative. Die Einholung der "Genehmigung" des Erstversicherers ist bereits nach der bestehenden Regelung Obliegenheit des Versicherungsnehmers. Die Auflösung des zweiten Versicherungsvertrages kann der Versicherungsnehmer bei wirksamem Vertragsschluß nicht ohne weiteres einseitig herbeiführen. Zumindest bis zur Auflösung des zweiten Vertrags müßte eine Zwischenregelung getroffen werden, welche die nachteiligen Wirkungen der Mehrfachversicherung für die beteiligten Versicherer ausschließt. Inhalt und Durchsetzbarkeit einer solchen Zwischenregelung hat der Kläger weder dargetan, noch sind sie insbesondere mit allgemeinverbindlicher Wirkung ersichtlich.

6. Die Ausübung des Kündigungsrechts durch den Beklagten stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtsmißbräuchlich dar.

a) Rechtsmißbrauch liegt insbesondere dann vor, wenn der Versicherer kündigt, obwohl er auf einen entsprechenden Antrag des Versicherungsnehmers hin die Einwilligung zum Abschluß der weiteren Versicherung erteilt hätte oder wenn die Ablehnung als willkürlich erscheinen wurde (Heid/Schmidt, VersR 1980, 300, 304 unter 7.). Hier ist nicht davon auszugehen, daß der Beklagte auf einen entsprechenden Antrag des Klägers hin die Einwilligung zum Abschluß der weiteren Versicherung erteilt hätte. Die Ablehnung der Einwilligung wäre unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers, der Höhe des insgesamt versicherten Tagegeldes sowie in Anbetracht des bisherigen Schadensverlaufs nicht als willkürlich zu beurteilen gewesen.

b) Die Möglichkeit des Rechtsmißbrauchs wird ferner dann angenommen, wenn der Versicherer zuvor eine andere Zweitversicherung in gleicher Höhe ohne Konsequenz geduldet hatte (Prölss/Martin, VVG 24. Aufl. § 10 MB/KK Anm. 2e a. E.) Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger hatte zwar auch noch beim D eine Krankenhaustagegeldversicherung abgeschlossen. Diese Mehrfachversicherung hat der Beklagte hingenommen, obwohl sie ihm bekannt war. Selbst in Anbetracht der bereits bestehenden Mehrfachversicherung kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß der Beklagte de Abschluß einer zusätzlichen gleichartigen Versicherung zugestimmt hätte; zumindest hätte er dies nicht ohne vorherige Prüfung getan.

c) Schließlich wird Rechtsmißbräuchlichkeit auch dann für möglich gehalten, wenn der Versicherer die Kündigung nur formal auf die Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 9 Abs. 5 MB/KK 76 etwa deshalb stützt, weil sich der Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers verschlechtert hat und insbesondere der Versicherungsfall eingetreten ist (Prölss Martin, MB/KK 24. Aufl. § 10 Anm. 2e). Auch hierfür fehlen Anhaltspunkte.

Die Kündigung erscheint auch unter Berücksichtigung dieser Umstände in ihrer Gesamtheit nicht als rechtsmißbräuchlich.

7. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt daher davon ab, ob der Kläger bei Abschluß der weiteren Krankenhaustagegeldversicherung schuldfähig war. Da das Berufungsgericht aufgrund des von ihm eingenommenen Rechtsstandpunktes zu der Behauptung des Klägers, er sei zum Zeitpunkt des Abschlusses der Versicherung mit der C infolge einer schweren Psychose schuldunfähig gewesen, keine Feststellungen getroffen hat, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993657

NJW 1990, 767

BGHR AGBG § 3 Krankenversicherung 1

BGHR AGBG § 9 Krankenversicherung 1

BGHR AVB Krankheitsk.- u. Krankenhaustagegeldvers. § 10 Abs. 2 Kündigungsrecht 1

BGHR AVB Krankheitsk.- u. Krankenhaustagegeldvers. § 9 Abs. 5 Mehrfachversicherungsklausel 1

BGHR VVG § 24 Asb. 2 Alt. 2 Kündigungsrecht 1

BGHR VVG § 6 Abs. 1 Satz 2 Kündigung 1

BGHR VVG § 6 Abs. 1 Satz 2 Obliegenheitsverletzung 1

BGHR VVG § 6 Abs. 1 Satz 2 Obliegenheitsverletzung 2

DRsp II(230)111c

MDR 1990, 225

VersR 1989, 1250

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