Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 06.12.1973) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 6. Dezember 1973 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 26. November 1972 stürzte der im Betrieb der Klägerin beschäftigte Arbeiter Mehmet Ö. auf einem – nach der Behauptung der Klägerin damals vereisten und nicht bestreuten – Fußweg zwischen dem P. und der W.gasse in K.. Er war daraufhin mehrere Tage arbeitsunfähig. Die Klägerin zahlte in dieser Zeit den Lohn in Höhe von 369,08 DM sowie Beiträge zur Krankenkasse, Invalidenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Berufsgenossenschaft und zur Sozialkasse des Baugewerbes sowie für eine „Winterbauumlage” von insgesamt 139,63 DM. Diesen Gesamtbetrag von 508,71 DM nebst Zinsen verlangt sie aus übergegangenem Recht von der beklagten Stadt als Ersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
Die Beklagte, die eine schuldhafte Pflichtverletzung in Abrede stellt, ist der Ansicht, daß sie Schadensersatz schon deshalb nicht schulde, weil die Ersatzpflicht ausschließlich aus Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) hergeleitet werden könne und die Lohnfortzahlung für den geschädigten Arbeitnehmer eine anderweite Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB darstelle. Landgericht und Oberlandesgericht haben sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen und die Klage abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die ihrem Klageantrag entsprechende Verurteilung der Beklagten. Diese bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels. Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
I.
1. Die Klägerin hatte, wie dem Berufungsurteil zu entnehmen ist, die Leistungen, wegen derer sie nun Ersatz fordert, nach dem Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) vom 27. Juli 1969 (BGBl I 946) – LFZG – zu erbringen; und zwar gilt das auch hinsichtlich der von ihr aufgewendeten Sozialleistungen (vgl. Doetsch/Schnabel/Paulsdorff, Lohnfortzahlungsgesetz, 3. Aufl., § 4 Rdn. 2). Zu Recht ist das Berufungsgericht bei dieser Sachlage davon ausgegangen, daß der Klägerin Ersatzansprüche nur nach § 4 dieses Gesetzes aus übergegangenem Recht zustehen können, der eingeklagte Anspruch also zur Voraussetzung hat, daß die beklagte Stadt dem Arbeitnehmer Mehmet Ö. Schadensersatz in Höhe der Klageforderung schuldet.
2. Zutreffend ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, daß als Rechtsgrundlage für eine Forderung auf Schadensersatz nur § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG in Betracht kommt. Nach Art. 72 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. April 1968 (BayGVBl 64) sind die aus der Überwachung der Verkehrssicherungspflicht der öffentlichen Straßen sich ergebenden Aufgaben von den Bediensteten der damit befaßten Körperschaften in Ausübung eines öffentlichen Amts wahrzunehmen.
II.
Zu Unrecht meint das Berufungsgericht jedoch, daß der Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte, welcher nach dem Vorbringen der Klägerin allenfalls eine fahrlässige Pflichtverletzung vorzuwerfen sei, in jedem Fall daran scheitern müsse, daß die Weiterzahlung des Arbeitsentgelts aufgrund des Lohnfortzahlungsgesetzes für den geschädigten Arbeitnehmer eine die Amtshaftung ausschließende anderweite Ersatzmöglichkeit im Sinn des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB darstelle. Das trifft nicht zu, wie der erkennende Senat im einzelnen in dem zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmten Urteil vom 20. Juni 1974 in der Sache III ZR 27/73 (= NJW 1974, 1767) ausgeführt hat.
Die Einführung der Lohnfortzahlung durch das Gesetz vom 27. Juli 1969 beruht auf arbeitsrechtlichen Überlegungen und Zielvorstellungen. Die Lohnfortzahlung verfolgt nicht den Zweck, dem geschädigten Arbeitnehmer einen Ausgleich für einen Schadensfall zu verschaffen. Die Lohnfortzahlung weist auch nicht die besonderen Merkmale auf, die den anderweiten Ersatzmöglichkeiten im Sinn des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB gemein sind.
1. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, an den Arbeitnehmer nach den Vorschriften des Lohnfortzahlungsgesetzes im Krankheitsfall den Arbeitslohn fortzuzahlen, entsteht im Einzelfall durch den Abschluß des Arbeitsvertrags mit dem Arbeitnehmer und ist kraft Gesetzes Inhalt aller unter dieses Gesetz fallenden Arbeitsverhältnisse. Die in § 1 Abs. 1 LFZG getroffene Regelung, daß ein Arbeiter, der nach Beginn der Beschäftigung durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, dadurch den Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen nicht verliert, stellt eine besondere Ausgestaltung der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht dar. Diese gebietet dem Arbeitgeber, den Lebensunterhalt des erkrankten Arbeitnehmers sicherzustellen, und zwar grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Gründe der Erkrankung, sofern der Arbeitnehmer sie nicht verschuldet hat.
Die – späteren – Umstände und damit insbesondere die schadenstiftenden Vorgänge, die den Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Schädiger begründen, hier also seinen Ersatzanspruch gegen die beklagte Gemeinde aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, sind für das Entstehen des Lohnfortzahlungsanspruchs ohne Bedeutung. Das Unvermögen des Arbeitnehmers, infolge seiner Erkrankung die an sich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist im Fall des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG nicht Merkmal eines anspruchsbegründenden Tatbestands, sondern tatsächliche Voraussetzung einer Norm, die einen anspruchsvernichtenden Tatbestand des allgemeinen Vertragsrechts – nämlich § 323 Abs. 1 Satz 1 BGB – für einen Sonderfall außer Kraft setzt. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG verliert der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf das Arbeitsentgelt nicht, obwohl er an seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Zahlungen nach dieser Vorschrift sind dementsprechend ihrer Natur nach der dem Arbeitnehmer zustehende Lohn, nicht eine irgendwie geartete Ersatzleistung (BAG NJW 1972, 702). Die dem Arbeitnehmer wegen der auf dem Schadensfall beruhenden Erkrankung an sich zustehende eigentliche Ersatzleistung wäre das von der Krankenkasse zu zahlende Kranken- und Verletztengeld; der Anspruch hierauf ruht jedoch gemäß §§ 189 Satz 1 und 560 Abs. 1 Satz 1 RVO, wenn und soweit der Arbeitnehmer Arbeitsentgelt erhält.
2. Die Leistungen des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG weisen demzufolge wesentliche Unterschiede zu den unter § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB fallenden anderweiten Ersatzleistungen auf:
Die Verpflichtung zu den Ersatzleistungen nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB beruht im Regelfall darauf, daß der Verpflichtete unmittelbar für den Schadensfall und die daraus herrührenden Folgen einzustehen hat, sei es, daß er die eingetretene Schädigung mitverursacht hat, sei es, daß die Ersatzpflicht vertraglich – wie z.B. durch einen Versicherungsvertrag – von ihm übernommen oder durch Gesetz begründet worden ist, wie z.B. für die Träger der Sozialversicherung. Art und Umfang der anderweiten Ersatzleistungen bestimmen sich dabei grundsätzlich nach dem eingetretenen Schaden; die Leistung soll die durch die Schädigung eingetretenen Nachteile ausgleichen. Insoweit besteht in den Fällen des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Kongruenz zwischen Schaden und anderweiter Ersatzmöglichkeit, (vgl. BGHZ 49, 267, 277).
Bei der Lohnfortzahlung liegen die Dinge anders:
Der Arbeitgeber hat das allgemeine Krankheitsrisiko seiner Arbeitnehmer zu tragen. Aus dem Lohnfortzahlungsgesetz ist aber nicht zu entnehmen, daß ihm darüberhinaus auch das Schadensrisiko auferlegt sein soll, und zwar in den Fällen, wenn nicht er, wohl aber ein Dritter für den Schaden und die dadurch verursachte Erkrankung seines Arbeitnehmers verantwortlich zu machen ist. Der Gesetzgeber hat eine solche Regelung im Lohnfortzahlungsgesetz nicht getroffen. Sinn und Zweck der Regelung in dem Gesetz sprechen vielmehr für die gegenteilige Annahme.
Das Lohnfortzahlungsgesetz soll und will dem Schutz und den Interessen der Arbeitnehmer dienen. Sie aber werden durch die Frage, ob der Arbeitgeber oder der Schädiger den Schaden endgültig zu tragen hat, nicht berührt. Für das (Außen-) Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Schädiger ist das Lohnfortzahlungsgesetz mit seiner Regelung des Innenverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer lediglich insoweit von Bedeutung, als es in § 4 den Übergang des Anspruchs des Arbeitnehmers gegen den Schädiger auf den Arbeitgeber anordnet. Damit erschöpft sich die Bedeutung dieser Bestimmung aber darin, daß zu Lasten des Schädigers gleichsam ein Gläubigerwechsel stattfindet; der aus dem schädigenden Ereignis erwachsene Schadensersatzanspruch als solcher bleibt unberührt. § 4 Abs. 1 LFZG fingiert einen Vermögensschaden des Arbeitnehmers, und zwar ausschließlich zu Lasten des Schädigers.
Das wird auch daran deutlich, daß der Gesetzgeber sich mit der Verabschiedung des Lohnfortzahlungsgesetzes nicht für die versicherungsrechtliche Lösung entschieden hat, die während des Gesetzgebungsverfahrens in die Überlegungen einbezogen war. Bei einer versicherungsrechtlichen Lösung könnte zu erwägen sein, ob die dann geschuldete Versicherungsleistung nicht die öffentliche Hand entlasten müßte. Der Gesetzgeber hat sich jedoch für die arbeitsrechtliche Lösung in der Form, der Fortzahlung des Arbeitsentgelts entschieden. Unter diesen Umständen aber besteht kein sachlicher Grund dafür, den für den Schaden deliktisch Verantwortlichen durch Leistungen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz zu entlasten (vgl. BGHZ 7, 30, 47/8 und 21, 112, 116, 119 für die gleiche Regelung in § 616 BGB); „ihn geht” – wie es der Bundesgerichtshof zu § 616 BGB ausgesprochen hat (BGHZ 7, 30, 49) – „der vertragliche Anspruch des körperlich verletzten Arbeiters, den dieser gegen seinen Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsvertrags hat, nichts an”. Der sozialpolitische Sinn solcher Leistungen des Arbeitgebers würde sogar in ihr Gegenteil verkehrt, wenn sie demjenigen zugute kämen, der den Schadensfall in verantwortlicher Weise verursacht hat (BGHZ 21, 112, 116; vgl. auch BGHZ 13, 360, 364). § 4 Abs. 1 LFZG dient daher lediglich der Entlastung des Arbeitgebers (Doetsch/Schnabel/Paulsdorff, Lohnfortzahlungsgesetz, 3. Aufl., § 4 Rdn. 2). Dieser Gesetzeszweck verwehrt es auch dem Beamten und der für ihn nach Art. 34 GG eintretenden Körperschaft, sich auf die Leistungen des Arbeitgebers als anderweiten Ersatz für den dem Arbeitnehmer durch Amtspflichtverletzung zugefügten Schaden zu berufen.
3. Es gilt mithin für Leistungen des Arbeitgebers nach dem Lohnfortzahlungsgesetz nichts anderes als für Leistungen eines öffentlich-rechtlichen Dienstherren aufgrund der Beamtengesetze, die ebenfalls keine anderweite Ersatzmöglichkeit im Sinn des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB darstellen (vgl. BGHZ 43, 115, 117; BGH VersR 1966, 933, 934; NJW 1963, 2168).
III.
Wegen der zu Unrecht auf § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB gegründeten Abweisung der Klage muß das Berufungsurteil aufgehoben werden. Das Berufungsgericht wird nunmehr festzustellen haben, ob und inwieweit die Voraussetzungen für einen, auf die Klägerin übergegangenen Schadensersatzanspruch ihres Arbeitnehmers Mehmet Ö. gegen die beklagte Stadt aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben sind. Hierzu sind weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich, die das Revisionsgericht nicht treffen kann.
Unterschriften
Kreft, Dr. Beyer, Dr. Krohn, Peetz, Lohmann
Fundstellen