Leitsatz (amtlich)

Zum "gewöhnlichen Aufenthalt" i. S. des Haager Unterhaltsübereinkommens (Internatsaufenthalt eines 5jährigen Kindes im Ausland).

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Entscheidung vom 13.03.1973)

AG Hannover

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 13. März 1973 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Der am 23. Juni 1967 nichtehelich geborene Kläger nimmt den Beklagten als Vater in Anspruch. Der Kläger, seine Mutter und der Beklagte sind spanische Staatsangehörige. Die Mutter des Klägers lebt seit etwa 9 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Sie hatte den Kläger selbst betreut. Am 20. Dezember 1972 brachte sie ihn in einem Internat in Madrid unter.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe seiner Mutter in der gesetzlichen Empfängniszeit (25. August bis 24. Dezember 1966) beigewohnt; ein anderer Mann komme als sein Erzeuger nicht in Betracht. Mit der im Jahre 1967 anhängig gemachten Klage hat er zunächst einen bezifferten Unterhaltsanspruch geltend gemacht. Nach Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes hat er den Antrag gestellt, festzustellen, daß der Beklagte sein Vater sei, und den Beklagten zur Zahlung des Regelunterhalts zu verurteilen.

Der Beklagte hat behauptet, die Mutter des Klägers habe sich mit anderen Männern eingelassen. Er habe mit ihr nur einmal im Juli 1966 Geschlechtsverkehr gehabt, nicht dagegen innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit.

Das Amtsgericht hat dem Klageantrag durch Teilurteil stattgegeben, nachdem es wegen des bezifferten Unterhaltsanspruchs den Rechtsstreit ausgesetzt hatte. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte weiter die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Mit Recht hat das Berufungsgericht die Ansicht vertreten, daß für die Feststellung der Vaterschaft eines nichtehelichen Kindes deutsches Recht anzuwenden ist, wenn der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen den Vater sich nach deutschem Recht bestimmt. Diese Ansicht entspricht dem von dem erkennenden Senat des Bundesgerichtshofes ergangenen Grundsatzurteil (BGHZ 60, 247).

Unterhaltsstatut sind für die Unterhaltsansprüche eines Kindes gemäß Art. 1 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht das Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für die Anwendung dieses Abkommens ist es entgegen der Ansicht der Revision unerheblich, ob der in Anspruch genommene Mann einem Vertragsstaat angehört (Dölle NJW 1967, 2250; OLG Stuttgart FamRZ 1973, 44), ebenso wie es nicht darauf ankommt, welche Staatsangehörigkeit das Kind besitzt (BGH FamRZ 1973, 185 = NJW 1973, 950). Mit dem Abkommen haben die es ratifizierenden Vertragsstaaten für sich die Kollisionsregel eingeführt, daß für Unterhaltsansprüche aller Kinder, die in einem Vertragsstaat ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, das Recht dieses Aufenthaltsstaates ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Beteiligten maßgeblich ist.

Das Berufungsgericht hat angenommen, der Kläger habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Maßgebend sei, an welchem Ort für ihn der Daseinsmittelpunkt oder der Schwerpunkt des Lebensverhältnisses liege. Das sei für den Kläger die Stadt Hannover, wo seine Mutter ihren Wohnsitz habe. Der Kläger sei zwar zur Zeit in einem Internat in Spanien untergebracht. Das sei aber nur eine Notlösung, die darin ihren Grund habe, daß die berufstätige Mutter ihn, da er die Schule besuchen solle, nicht hinreichend betreuen könne. Vorher sei er tagsüber in einem Kindergarten gewesen, wo sie ihn nach Arbeitsschluß abgeholt habe. Mit Beginn des Schulbesuchs sei diese Lösung nicht mehr möglich, weil ein Kindergarten nicht für eine Unterbringung nur für den Nachmittag zur Verfügung stehe. Der Wohnort der Mutter bilde für den Kläger um so mehr den Daseinsmittelpunkt, als er erst 5 Jahre alt und seine Mutter seine einzige Verwandte sei, zu der er in den Ferien - das seien 3 Sommermonate - nach Deutschland kommen werde.

Die sich gegen diese Ausführungen richtenden Angriffe der Revision können keinen Erfolg haben.

Das Berufungsgericht hat in zutreffender Auslegung des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" angenommen, als solcher sei der Ort oder das Land anzusehen, in dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person, ihr Daseinsmittelpunkt, liege. Das entspricht der in neuerer Zeit von Rechtslehre und Rechtsprechung ganz überwiegend vertretenen Ansicht (vgl. Kegel, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. S. 185 f sowie Soergel/Kegel EGBGB 10. Aufl. Art. 29 Rn. 13; Staudinger/Gamillscheg EGBGB 10./11. Aufl. vor Art. 13 Rn. 107 ff; BayObLG FamRZ 1974, 150 f; OLG Hamm FamRZ 1974, 155, sämtlich m.w.N.; auch schon RG DR 1944, 913 zu § 606 ZPO). Diese Auslegung des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" gilt nicht nur für seine Verwendung nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen, sondern auch für das hier in Rede stehende Haager Unterhaltsübereinkommen. Gerade die Wandelbarkeit des Unterhaltsstatuts gebietet es, nicht zu geringe Anforderungen an die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts zu stellen. Zu fordern ist daher nicht nur ein Aufenthalt von einer Dauer, die zum Unterschied von dem einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering sein darf. Vielmehr ist das Vorhandensein weiterer Beziehungen zu dem Aufenthaltsort zu verlangen, speziell in familiärer oder beruflicher Hinsicht, in denen - im Vergleich zu einem sonst in Betracht kommenden Aufenthaltsort - der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist. Dieser in den neueren international-privatrechtlichen Abkommen gebräuchlich gewordene Begriff ist aus Gründen besserer internationaler Verwendbarkeit an die Stelle des Wohnsitzbegriffs getreten, von dem er sich wesentlich nur dadurch unterscheidet, daß der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, nicht erforderlich ist. Es handelt sich bei dem gewöhnlichen Aufenthalt somit um einen "faktischen" Wohnsitz, der ebenso wie der gewillkürte Wohnsitz Daseinsmittelpunkt sein muß (Kegel, Internationales Privatrecht 3. Aufl. S. 185; noch weitergehend Mann JZ 1956, 466, 470, der jedenfalls für den Bereich des Art. 29 EGBGB einen Niederlassungswillen fordert).

Die Entscheidung, ob im Einzelfall der Aufenthalt als gewöhnlicher Aufenthalt im vorstehend gekennzeichneten Sinne anzusehen ist, liegt wesentlich auf dem Tatsachengebiet. Daß das Berufungsgericht hier auf Grund der Würdigung des festgestellten Sachverhalts zu dem Ergebnis gelangt ist, der Kläger habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Wohnort seiner Mutter in Hannover, läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Der Kläger hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem Internatsbesuch bei seiner Mutter in Hannover. Durch zeitweilige Abwesenheit, auch von längerer Dauer, wird der gewöhnliche Aufenthalt normalerweise nicht aufgehoben, sofern die Absicht besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren (Soergel/Kegel EGBGB 10. Aufl. Art. 29 Rn. 21; Stauding Gamillscheg EGBGB, 10./11. Aufl. vor Art. 13 Rn. 108, 109). Das wird insbesondere regelmäßig dann gelten, wenn jemand s außerhalb des Wohnorts seiner Eltern ausbilden läßt (Soerge Kegel wie vor Rn. 14). Entsprechendes konnte das Berufungsgericht für den Internatsaufenthalt des noch kindlichen Klägern in Spanien annehmen, wenn dieser Aufenthalt, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, nach der Absicht seiner Mutter,?? das Aufenthaltsbestimmungsrecht besitzt, nur als eine vorübergehende "Notlösung" gedacht war (ebenso verneint Stoll Rabe 1957, 192 für den Fall, daß ein Minderjähriger von seinen?? Deutschland lebenden Eltern für eine vorübergehende,?? Zeit in ein Internat nach Italien gegeben worden ist, eingewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in Italien).

Zur Abstammung des Klägers hat das Berufungsgericht ausgeführt, aus der für glaubhaft gehaltenen eidlichen Aussage der Mutter des Klägers in Verbindung mit dem Ergebnis des erbbiologischen Gutachtens des Professors Dr. Steiniger sei zu entnehmen, daß der Beklagte ihr während der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt habe. Schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft des Beklagten bestünden nicht, da der Kläger serologisch als Erzeuger des Kindes nicht ausgeschlossen sei, die serostatistische Untersuchung mit einem Essen-Möller-Wert von 55 % zwar keine Schlüsse auf die Vaterschaft des Klägers zulasse, ihr aber auch nicht entgegenstehe und nach dem erbbiologischen Gutachten des Professors Dr. Steiniger der Beklagte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Vater in Betracht komme. Hinreichende Hinweise, daß ein anderer Mann Erzeuger des Klägers sein könne, hätten sich nicht ergeben.

Die gegen diese Feststellung erhobenen Revisionsrügen sind nicht begründet. Wenn auch der Essen-Möller-Wert von 55 % keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten zuläßt, so ist er doch, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, auch nicht geeignet, die Vaterschaft des Beklagten in Zweifel zu ziehen. Anders als in dem von der Revision angezogenen Fall der in BGHZ 61, 186 = NJW 1973, 1924 veröffentlichten Entscheidung des erkennenden Senats sind nach der Feststellung des Berufungsgerichts irgendwelche Anhaltspunkte für die Abstammung des Klägers von einem anderen Mann nicht hervorgetreten. Die im wesentlichen tatrichterliche Entscheidung, daß schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft des Beklagten nicht bestehen, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Revision mußte somit als unbegründet zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018698

NJW 1975, 1068

NJW 1975, 1068-1069 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1975, 477 (Volltext mit amtl. LS)

IPRspr. 1975, 83

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