Leitsatz (amtlich)
Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunde wirkt sich bei der Auslegung des Vereinbarten dahin aus, daß die Partei, die ein ihr günstiges Auslegungsergebnis auf Umstände außerhalb der Urkunde stützt, diese zu beweisen hat (im Anschluß an BGHZ 20, 109).
Normenkette
BGB §§ 125, 133
Verfahrensgang
KG Berlin (Aktenzeichen 21 U 6074/96) |
LG Berlin (Aktenzeichen 36 O 85/96) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 23. September 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagten sind Inhaber des Teileigentums an Räumen im Dachgeschoß eines Gebäudes in Berlin-Charlottenburg, verbunden mit einem Miteigentumsanteil an dem Grundstück. Die Räume sind über eine Wendeltreppe mit einem darüberliegenden, ca. 200 m² großen Dachgarten verbunden, der nicht zum Sondereigentum zählt und an dem auch kein Sondernutzungsrecht des Inhabers des Teileigentums besteht. Im Anschluß an eine von der Maklerin der Beklagten, B. & R. I. GmbH, veranlaßte Anzeige, die das Objekt als „200 m² Dachgarten in Charlottenburg …, 210 m² Wohnfläche, Terrasse …, Dachgarten mit 40 Rosensorten, Grillplatz …” beschrieb, kam es am 4. Juli 1995 zum notariellen Kaufvertrag mit dem Kläger. Zu Beginn der Urkunde bezeichnen sich die Beklagten als Inhaber des Sondereigentums „an den im Aufteilungsplan mit Nr. 39 bezeichneten Räumen im Dachgeschoß”. Nach der Bestimmung über „Zustand und Rechtsverhältnisse der Kaufsache” ist das verkaufte Teileigentum „nach den Plänen ca. 204,51 m² zuzüglich Dachgarten groß” und die Haftung der Verkäufer für ihnen unbekannte Rechtsmängel ausgeschlossen. Mit Anwaltsschreiben vom 1. September 1995 verlangte der Kläger die Herabsetzung des Kaufpreises von 1.160.000 DM auf 950.000 DM, da der Dachgarten nicht zu dem verkauften Sondereigentum gehöre. Die Beklagten wiesen Ansprüche des Klägers „endgültig zurück” und bestätigten diese Haltung, nachdem der Kläger sich Schadensersatz wegen Nichterfüllung vorbehalten hatte, mit Anwaltschreiben vom 2. November 1995. Am 14. November 1995 forderte der Kläger die Beklagten auf, ihm bis 15. Dezember 1995 das Sondereigentum an der Dachgeschoßfläche zu verschaffen und setzte ihnen, unter Androhung der Nichtannahme nach fruchtlosem Ablauf, Nachfrist bis 29. Dezember 1995.
Der Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung ist vom Landgericht abgewiesen worden. Im Berufungsrechtszug hat er zuletzt beantragt, die Beklagten zur Zahlung von 796.233,49 DM (Baranteil des Kaufpreises) nebst Zinsen und zur Befreiung von einer, für die Beklagten übernommenen, durch das Teileigentum gesicherten Darlehensverbindlichkeit (Stand: 363.766,64 DM) Zug um Zug gegen die Bewilligung der Löschung einer Auflassungsvormerkung und eines (weiteren) Grundpfandrechtes sowie die Rückübertragung von Einrichtungsgegenständen zu verurteilen. Weiter hat er Zahlung von 58.053,07 DM (Maklerprovisionen für den Kauf und die Finanzierung, Beurkundungs- und Grundbuchkosten sowie Kosten einer Sonderumlage für Modernisierungsmaßnahmen) nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, daß die Beklagten verpflichtet sind, ihm alle weiteren Schäden zu ersetzen, die ihm durch den Erwerb und die Rückübertragung sowie den Bezug und die Aufgabe des Teileigentums entstanden sind und künftig entstehen. Das Oberlandesgericht hat diesen Anträgen stattgegeben und einen weiteren Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten hinsichtlich der Zug um Zug zu erbringenden Leistungen abgewiesen.
Mit der Revision erstreben die Beklagten die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts. Der Kläger beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht legt den Kaufvertrag anhand des Urkundsinhalts, der Zeitungsannonce und anhand von Erklärungen der Beklagten im ersten Rechtszug dahin aus, daß dem Kläger jedenfalls zusätzlich zum Teileigentum ein Sondernutzungsrecht an dem Dachgarten verkauft worden sei. Eine abweichende Auslegung lasse sich nicht daraus herleiten, daß die Beklagten den Kläger vor Vertragsschluß darüber unterrichtet hätten, die Einräumung des Sondernutzungsrechtes sei lediglich geplant. Diese Behauptung der Beklagten stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest. Da die Beklagten das Nichtbestehen des Sondernutzungsrechtes gekannt hätten, liege ein Rechtsmangel im Sinne des Vertrags vor. Von einer die Haftung ausschließenden Kenntnis des Klägers (§ 439 BGB) könne nach dem Beweisergebnis nicht ausgegangen werden. Schadensersatz stehe dem Kläger nach § 325 BGB zu, denn die Beklagten seien zur Begründung des Sondernutzungsrechtes mangels Zustimmung der übrigen Miteigentümer nicht in der Lage gewesen.
II.
Die Revision greift die Auslegung des Kaufvertrags nicht (ausdrücklich) an, sondern erhebt eine Verfahrensrüge gegen die zur Kenntnis des Klägers vom Fehlen des Rechts (§ 439 BGB) getroffenen verneinenden Feststellungen. Mit ihr dringt sie durch.
1. Die von Amts wegen vorzunehmende sachlich-rechtliche Überprüfung des Auslegungsergebnisses (§ 559 Abs. 2 ZPO, §§ 133, 157 BGB) deckt keinen, das Berufungsurteil erschütternden Rechtsfehler auf.
a) Das Berufungsgericht konnte die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei darüber unterrichtet worden, es liege lediglich der Entwurf der Vereinbarung über ein Sondernutzungsrecht vor, in dem Sinne würdigen, daß sie einer Verpflichtung der Beklagten zur Einräumung des Rechtes entgegengestanden habe. Die Deutung, die Beklagten hätten sich auf dieser Grundlage verpflichtet, dem Kläger das noch nicht bestehende Recht zu verschaffen, ist zwar ebenfalls möglich, aber nicht zwingend. Sie könnte der Revision zudem nicht zum Erfolg verhelfen.
b) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die nach der Beweisaufnahme verbliebenen Zweifel an der Unterrichtung des Klägers den Beklagten angelastet. Zwar ist es grundsätzlich Sache der Partei, die aus einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung einen Anspruch für sich herleitet, die tatsächlichen Umstände, die Grundlage einer für sie günstigen Auslegung sind (Erklärungstatbestand), darzulegen und, auch durch Widerlegung entgegenstehenden Vortrags, zu beweisen. Anderes gilt aber, wenn über das Rechtsgeschäft eine Urkunde aufgenommen ist, für solche Umstände, die außerhalb der Urkunde liegen. Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde wirkt sich in einem solchen Falle dahin aus, daß die Beweislast für außerhalb der Urkunde liegende Umstände die Partei trifft, die sich auf sie beruft (BGHZ 20, 109, 111; Urt. v. 2. März 1970, II ZR 59/69, BB 1970, 685; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Band 1, 2. Aufl., § 133 Rdn. 2). Der umstrittene Vortrag der Beklagten zum Erklärungstatbestand ist mithin bei der Auslegung zu Recht unberücksichtigt geblieben.
2. Zum Erfolg führt die Verfahrensrüge.
Das Berufungsgericht hat unter Verletzung des § 139 ZPO davon abgesehen, zu klären, ob der Zeuge R. von den Beklagten zum Beweis dazu benannt worden war, daß der Kläger bei der vorvertraglichen Besprechung vom 29. Juni 1995 von der Beklagten zu 1 den Hinweis erhalten hatte, die Vereinbarung über die Bestellung des Sondernutzungsrechtes existiere nur im Entwurf. Hätte das Berufungsgericht den Punkt aufgegriffen, so wäre, wie die Revision ausführt, der Beweis in einer Zweifel beseitigenden Weise angetreten worden. Die Rüge erschüttert nicht nur die von der Revision ins Auge gefaßten tatsächlichen Grundlagen des § 439 BGB, sondern bereits den der Vertragsauslegung zugrundeliegenden Erklärungstatbestand.
a) Allerdings konnte das Berufungsgericht davon absehen, den Zeugen R. zu der bereits im Schriftsatz der Beklagten vom 29. Januar 1997 aufgestellten und im Schriftsatz vom 2. September 1997 wiederholten Behauptung zu vernehmen, der Zeuge habe darauf hingewiesen, der Dachgarten könne mit einem ideellen Wert von 1.000 DM/m² bewertet werden; es sei nur ein ideeller Wert anzusetzen da der Dachgarten nicht zum Eigentum gehöre, allerdings vom jeweiligen Eigentümer genutzt werden könne. Dies steht, sowohl was die Wertverhältnisse als auch die Berechtigung zur Nutzung angeht, der Auslegung, Gegenstand des Vertrags sei ein Sondernutzungsrecht am Dachgarten gewesen, des weiteren der Feststellung, dem Kläger sei das Fehlen des Rechts unbekannt geblieben, nicht entgegen. Die im Schriftsatz vom 29. Januar 1997 aufgestellte, am 2. September 1997 wiederholte weitere Behauptung, die Beklagte zu 1 habe dem Kläger alles Wissenswerte über Art und Beschaffenheit der Wohnung sowie der Nutzungsmöglichkeit des Hauses und des Dachgartens erläutert, war, was die erheblichen Umstände anlangt, im Unbestimmten geblieben und mithin kein Anlaß, den dazu benannten Zeugen R. zu hören.
b) Die Beklagten haben im Schriftsatz vom 2. September 1997 jedoch für den Fall, daß das Berufungsgericht einen substantiierten Vortrag vermisse, zusätzlich behauptet, die Beklagte zu 1 habe den Kläger am 29. Juni 1995 (19. Juni 1995 ist Schreibfehler) ausdrücklich auf die Existenz des Entwurfes eines Nutzungsvertrages über die begehbare Dachgartenfläche hingewiesen. Zum Beweis hierfür haben sie „insbesondere (nochmals) Bezug genommen auf die Zeugin W. ”, deren Stellung zu dem auf den 23. September 1997 bestimmten Beweisaufnahmetermin sie ankündigten. Diesem Vortrag war nicht mit der nach § 373 ZPO gebotenen Bestimmtheit zu entnehmen, daß auch der Zeuge R. Beweisperson sein sollte. Andererseits stand diese Möglichkeit im Raum, denn die Beklagten hatten den Zeugen bereits zu den Vorgängen am 29. Juni 1995 benannt und den ergänzenden Vortrag mit dem Hinweis versehen, die Aufklärung des Klägers über die Existenz des Vertragsentwurfs sei in Anwesenheit des Zeugen erfolgt. In die gleiche Richtung deutete die Wendung „insbesondere (nochmals)” bei der Benennung der Zeugin W.. Dem Berufungsgericht hätte es bei dieser Sachlage nach § 139 ZPO frei gestanden, zu fragen, ob auch R. als Zeuge benannt sei oder statt dessen seine Auffassung kundzutun, der Zeuge sei nicht benannt. In beiden Fällen hätten die Beklagten Gelegenheit gehabt, für eine Klarstellung zu sorgen. Von keiner der Möglichkeiten der Aufklärung hat indessen das Berufungsgericht Gebrauch gemacht. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist der Fehler auch nicht dadurch geheilt, daß die Beklagten im Termin vom 23. September 1997 eine Rüge unterließen (§ 295 ZPO). Eine Heilung von Aufklärungsmängeln durch Unterlassen der Rüge fehlender Aufklärung kommt naturgemäß nicht in Frage.
III.
Kann sich das Berufungsgericht nach der erneuten Verhandlung wiederum von der Behauptung der Beklagten nicht überzeugen, bestehen keine Bedenken, seinen Ausspruch in der Sache aufrechtzuerhalten.
Der Kläger war durch den Umstand, daß er zunächst eine Herabsetzung des Kaufpreises beansprucht hatte, nicht gehindert, später Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. Dies gälte ohnehin, wenn er der irrigen Vorstellung Ausdruck gegeben hätte, den Kaufpreis wegen eines Sachmangels mindern zu können. Denn die Minderung ist nach § 465 BGB erst vollzogen, wenn der Verkäufer sich auf Verlangen des Käufers mit ihr einverstanden erklärt. Aber auch wenn dies, wofür das Schreiben vom 1. September 1995 eher spricht, nicht der Fall war, ist eine Bindung nicht eingetreten. Der Senat hat es zwar als zumindest zweifelhaft bezeichnet, ob der Gläubiger, der die Kürzung der Gegenleistung, was hier in Frage kommen konnte, nach § 323 Abs. 1 (hier 2. Halbsatz i.V.m. § 325 Abs. 1 Satz 3 BGB) geltend macht, später noch zu einem Anspruch auf Schadensersatz übergehen kann (Urt. v. 11./12. Mai 1971, V ZR 185/67, NJW 1971, 1560; vgl. schon RGZ 108, 184, 186). Dies würde indessen im Tatsächlichen voraussetzen, daß der Kläger ausdrücklich oder durch schlüssige Handlung erklärt hätte, er mache eine Schuld der Beklagten an dem Unvermögen nicht geltend (Senat aaO; zum ganzen auch Staudinger/Otto, BGB, 13. Bearb. 1995, § 325 Rdn. 102). Hieran fehlt es, der Kläger brachte vielmehr die Verpflichtung der Beklagten zum Ausdruck, für ihr Vermögen, die geschuldete Verkäuferleistung zu erbringen, auch einzustehen.
Der Kläger kann nach § 440 Abs. 1 i.V.m. § 325 Abs. 1 Satz 2 BGB (Senatsurt. v. 28. Februar 1997, V ZR 27/96, WM 1997, 1064) bei objektiv fehlendem Interesse an der teilweisen Erfüllung Schadensersatz wegen Nichterfüllung des gesamten Kaufvertrages verlangen. Die Erwägungen der Revision zur Behebbarkeit von Rechtsmängeln gehen, wenn es bei der Feststellung des Berufungsgerichts verbleibt, den Beklagten sei die Behebung nicht möglich gewesen, ins Leere. Fehl geht die weitere Überlegung der Revision, der Kläger verlange seine bereits erbrachte Leistung zurück, dies sei im Rahmen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung grundsätzlich ausgeschlossen (Differenztheorie). Der Kläger stellt eine Summe in Höhe des hingegebenen Kaufpreises den Beklagten auf der Grundlage der Rentabilitätsvermutung als Mindestschaden in Rechnung (Senat BGHZ 71, 234, 238). Entsprechendes gilt für den Befreiungsanspruch, der einen Teil des Mindestschadens in anderer Weise ausgleicht. Die weiteren Schadenspositionen sind ebenfalls von der Vermutung, sie wären durch die Gegenleistung aufgewogen worden, erfaßt. Dies gilt auch für die Sonderumlage, denn die Rentabilitätsvermutung ist nicht auf die Aufwendungen zur Erlangung der Gegenleistung beschränkt (im einzelnen Senat BGHZ 114, 193, 197 ff). Die Modernisierung wäre, wenn die Beklagten ordnungsgemäß erfüllt hätten, dem Teileigentum des Klägers zugute gekommen.
An einer, von seiner bisherigen Auffassung abweichenden Deutung des Erklärungstatbestandes (vgl. oben zu II 1 a) ist das Berufungsgericht im weiteren Verfahren nicht durch § 565 Abs. 2 ZPO gehindert.
Unterschriften
Vogt, Tropf, Schneider, Krüger, Klein
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 05.02.1999 durch Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538929 |
DB 1999, 1318 |
NJW 1999, 1702 |
BGHR |
EWiR 1999, 441 |
JR 2000, 292 |
NZM 1999, 565 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 965 |
ZAP 1999, 439 |
ZfIR 1999, 516 |
MDR 1999, 759 |
VersR 1999, 1373 |
ZWE 2000, 68 |