Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Haftung für eine ehrverletzende Pressereportage
Leitsatz (amtlich)
An dem in BGH, 1961-09-19, VI ZR 259/60, BGHZ 35, 363 vertretenen Standpunkt über die Ersatzfähigkeit des ideellen Schadens bei schweren Persönlichkeitsverletzungen wird festgehalten.
Tatbestand
Die Klägerin war Fernsehansagerin beim Sender Freies Berlin (SFB). Im Juni 1960 reiste sie in die USA; sie wurde dort und während einer Zwischenstation in Paris als Berliner Fernsehansagerin vorgestellt. Zwei Redakteure der Erstbeklagten hielten in den USA mit ihr Verbindung. Nach ihrer Rückkehr wurde die Klägerin von dem Reporter R. für einen Artikel in der von dem Erstbeklagten herausgegebenen illustrierten Wochenzeitschrift „St.” interviewt. Dem Reporter wurden dabei Aufnahmen der Klägerin übergeben.
In einer Fortsetzungsserie mit dem Titel „Lächeln auf allen Kanälen”, die in den Nummern 29 – 31 vom 16., 23. und 30. Juni 1960 erschienen, nahm der „St.” kritisch zu den Fernsehansagerinnen des SFB und ihren Leistungen Stellung. Dabei wurde im besonderen die Klägerin abfällig kritisiert. Der Autor dieser Reportagen ist der Zweitbeklagte. Eine von der Klägerin erwirkte einstweilige Verfügung konnte die Verbreitung der Artikel nicht mehr verhindern, weil die Auflage der Zeitschrift bereits ausgeliefert war. Am 28. Juli 1960 erhielt die Klägerin einen Brief des SFB, in dem Verhandlungen über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses angekündigt wurden. Am 9. September 1960 kündigte der SFB das Arbeitsverhältnis.
Die Klägerin sieht in der Reportage des „St.” eine schwerwiegende Verletzung ihrer Ehre. Das dem Reporter vorliegende Informationsmaterial sei einseitig ausgewertet und entstellt wiedergegeben worden. Der Artikel gehe in beleidigender Weise auf ihr Privatleben ein und enthalte eine Reihe unrichtiger Angaben. Er erwecke bei den Lesern den Eindruck, sie sei abartig veranlagt, und enthalte auch in seinem übrigen Inhalt eine diffamierende Tendenz. In Verbindung mit der Wiedergabe ungünstiger Lichtbilder sei der Leserschaft ein verzerrtes Bild ihrer Person vermittelt worden. Die Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts habe sich deshalb besonders nachhaltig ausgewirkt, weil sie durch das Fernsehen weithin bekannt sei und der „St.” eine Auflagenhöhe von 1 Million habe. Die Reportage habe im In- und Ausland große Beachtung gefunden und zur Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses geführt. Darüber hinaus habe sie seelische Schmerzen erleiden müssen, die mindestens ebenso schwer wägen wie körperliche Schmerzen. Seitdem sei sie in Fachkreisen und bei ihren Kollegen mit einem Makel behaftet, da die ausgesprochenen Verdächtigungen an ihr hängen geblieben seien. Sie sei auch in ihrer inneren Sicherheit erheblich gestört, zumal sie immer wieder auf die Verdächtigungen hin angesprochen werde.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten zu verurteilen, ihr Bedauern auszudrücken, die im einzelnen näher bezeichneten Zußerungen veröffentlicht zu haben, und den erkennenden Teil des Urteils im „St.” bekannt zu geben. Ferner hat die Klägerin um Zubilligung eines Schmerzensgeldes von 20.000 DM und die Feststellung gebeten, daß die Beklagten ihr allen aus der Reportage entstandenen und noch entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen haben.
Die Beklagten sind der Auffassung, die Klägerin müsse sich als eine weithin bekannte Fernsehansagerin und angesichts ihres Auftretens im Ausland als Vertreterin des Berliner Fernsehens eine Kritik ihrer Leistungen und ihres Aussehens in der Presse gefallen lassen. Unter dem Gesichtspunkt berechtigter Interessenwahrnehmung falle vor allem ins Gewicht, daß die Artikelreihe den Zweck verfolgt habe, die Öffentlichkeit über die verfehlte Personalpolitik des SFB zu unterrichten und auf ein der Bedeutung der Stadt Berlin würdiges Niveau der Darbietungen des SFB hinzuwirken. Im Rahmen der im öffentlichen Interesse notwendigen Kritik sei es erforderlich gewesen, auf das kleinbürgerliche Milieu und das „Fluidum von Altjüngferlichkeit und Säuerlichkeit” einzugehen, das für die Ansagerinnen des SFB kennzeichnend gewesen seien. Das Erscheinungsbild der Klägerin sei den Fernsehteilnehmern bekannt und gehöre nicht einer unantastbaren Intimsphäre an. Gegenüber dem öffentlichen Interesse am künstlerischen Niveau des Fernsehens müßten private Belange der Ansagerinnen zurücktreten. Unwahre oder entstellende Tatsachenbehauptungen seien nicht aufgestellt worden. Die von der Klägerin beanstandeten Wendungen könnten nicht dahin aufgefaßt werden, daß eine abartige Veranlagung der Klägerin behauptet werde. Die Pressefreiheit gestatte es, die Öffentlichkeit über abfällige Zußerungen Dritter über eine Fernsehansagerin zu unterrichten. In Hörerbriefen seien tatsächlich die Zußerungen enthalten, die Klägerin gehöre in ein Tingeltangel und die Ansagerinnen des SFB sähen aus wie ausgemolkene Ziegen.
Die Beklagten sind der Ansicht, die soziale Geltung der Klägerin sei nicht beeinträchtigt worden, zumal der Artikel ausdrücklich hervorgehoben habe, daß die Klägerin gut sprechen könne. Die Entlassung der Klägerin beim SFB sei nicht auf die Veröffentlichung des „St.” zurückzuführen.
Der Erstbeklagte hat für den Zweitbeklagten den Entlastungsbeweis angeboten und vorgetragen, er habe einen umfassenden Überwachungsapparat eingerichtet, um zu verhindern, daß im „St.” unberechtigte Angriffe auf dritte Personen abgedruckt würden. Die Beklagten bestreiten sodann, daß die rechtlichen Voraussetzungen für die verlangte entschuldigende Erklärung und die Zubilligung eines Schmerzensgeldanspruchs gegeben seien. Ein materieller Schaden ist nach ihrer Behauptung nicht eingetreten.
Das Landgericht hat durch Teilurteil den Antrag auf Veröffentlichung einer entschuldigenden Erklärung und auf Einräumung der Befugnis zur Urteilsveröffentlichung zurückgewiesen. Jedoch hat es die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 20.000 DM verurteilt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Schmerzensgeld auf 10.000 DM herabgesetzt und den weiteren Schmerzensgeldanspruch abgewiesen.
Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
I. Mit zutreffender Begründung hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Landgericht ausgeführt, daß die beanstandete Artikelreihe eine schwerwiegende rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin enthält. Dabei ist nicht verkannt worden, daß es der Presse erlaubt war, die Leistungen der Klägerin als Ansagerin des Berliner Fernsehfunks zu kritisieren und dabei auch auf das den Fernsehteilnehmern bekannte äußere Erscheinungsbild der Klägerin einzugehen und es negativ zu würdigen. Die Ausführungen im „St.” gehen aber über das Maß einer erlaubten Kritik weit hinaus. Das gilt einmal von den Formalbeleidigungen, die der „St.” seinen Lesern – wenn auch als Zußerungen dritter Personen – zur Kenntnis bringt, die er sich in abgeschwächter Form aber doch selbst zu eigen macht. Jedenfalls aber – und das ist entscheidend – werden der Leserschaft die Beleidigungen vermittelt, die Klägerin passe „in ein zweitklassiges Tingeltangel auf der Reeperbahn”, sie sehe aus wie eine „ausgemolkene Ziege” und bei ihrem Anblick werde den Zuschauern „die Milch sauer”. Eine solche Reportage bedeutet nicht nur eine Überschreitung der durch die Gesetze des guten Geschmacks gesetzten Grenzen, sie enthält zugleich eine unverantwortliche Herabwürdigung der Frauenehre der Klägerin, auf deren Achtung sie Anspruch hat. Der Angriff ist um so schwerwiegender, als der „St.” von einer über eine Million zählenden Leserschaft gelesen wird, die wenigstens zum Teil die Klägerin aus dem Fernsehen kennt. Wenn sich der Artikel weiter mit der Privatsphäre der Klägerin befaßt, so ist auch unter Würdigung der von den Beklagten angeführten Gesichtspunkte nicht ersichtlich, weshalb diese Ausführungen im Zusammenhang mit dem behaupteten Ziel der Artikelreihe von Bedeutung waren, den Sender Freies Berlin zu einer Auswechslung seiner Ansagerinnen zu veranlassen. Das gilt sowohl von den angedeuteten Beziehungen der Klägerin zu einem Direktor W. wie von der Mitteilung, daß die Klägerin dicht am A.-Bahnhof, in einer „nicht besonders vornehmen Gegend” wohne. Der Artikel war auch, wie beide Vorurteile überzeugend darlegen, geeignet, einem größeren Kreis der Leserschaft den Eindruck zu vermitteln, die Klägerin sei abartig veranlagt. Die fragliche Stelle lautet:
„Und dann seufzt der Sendeleiter und kommt mit seiner Patentlösung heraus:
„Am besten wäre es, die Damen würden heiraten”. „Aber ich bitte Sie”] antwortete R. … B. … erschrocken, wenn sie auf diese Möglichkeit hin angesprochen wird. Ein Mann, ein Ehemann. Schließlich ist sie 16 Jahre ohne einen solchen ausgekommen – genau so viele Jahre, wie man alt sein muß, um überhaupt heiraten zu können. Sie hat eine Freundin und einen Hund, denen ihr Herz gehört – was soll sie dann mit einem Mann”?
Daß gerade diese Anspielung, die durch ein Lichtbild noch deutlicher gemacht wurde, für eine Frau eine schwere Kränkung und eine ernste Rufgefährdung bedeutet, bedarf keiner näheren Begründung. Die Beklagten haben selbst nicht geltend gemacht, daß für die Anspielung, so wie sie viele Leser verstehen mußten, auch nur Anhaltspunkte bestehen. Daher ist es vollends unverständlich, weshalb der Artikel auf diese Weise auf das Privatleben der Klägerin einging. Die Berufung auf das Grundrecht der Pressefreiheit ist fehl am Platz. Dieses Grundrecht wird in seinem Wesen verkannt, wenn ihm die von einer Verantwortung entbundene Freiheit entnommen wird, Klatsch zu verbreiten und die Berichterstattung auf Kosten der Ehre anderer zugkräftig zu machen (vgl Art 5 Abs 2 GG). Eben das ist in der Aufsatzreihe geschehen, indem in verzerrter und beleidigender Art auf das Privatleben der Klägerin ohne sachlichen Grund eingegangen wurde. Das ist vom Berufungsgericht nicht zutreffend dargelegt worden, das entgegen der Ansicht der Revision die von der Klägerin beanstandeten Zußerungen sehr wohl im Zusammenhang mit dem Gesamtinhalt und dem Zweck der Reportage gewürdigt hat. Dem vom Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Landgericht gewonnenen Ergebnis ist zuzustimmen: Weder die Absicht der Beklagten, die nach ihrer Ansicht verfehlte Personalpolitik des SFB öffentlich anzuprangern, noch das Auftreten der Klägerin auf ihrer Auslandsreise rechtfertige die geschehene schwere Beeinträchtigung der Ehre und des geschützten privaten Bereichs der Klägerin (§ 823 Abs 1 BGB).
Für diese Beeinträchtigung hat der Zweitbeklagte einzutreten; denn er mußte als Journalist selbst bei Anwendung geringer Sorgfalt erkennen, daß seine beleidigenden Ausführungen nicht einer angemessenen Wahrung öffentlicher Interessen dienten und einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin enthielten.
Mit Recht hat das Berufungsgericht aber auch die Haftung des erstbeklagten Verlags bejaht, der Herr der Zeitschrift ist. Es hat ausgeführt, es habe den beklagten Verlag schon in einem früheren Urteil darauf hingewiesen, daß dessen Geschäftsführer verpflichtet seien, durch organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, daß im „St.” unberechtigte Eingriffe in fremde Rechtssphären vermieden würden. Das Berufungsgericht stellt fest, daß dieses Urteil ohne Wirkung geblieben ist und entnimmt hieraus, daß es an den zum Schutz Dritter erforderlichen Leitungs- und Organisationsmaßnahmen im Betrieb des Erstbeklagten fehlte. Daraus, daß der Erstbeklagte selbst die unhaltbare Auffassung vertritt, in seiner Zeitschrift dürfe in der geschehenen Weise berichtet werden, konnte das Berufungsgericht entnehmen, daß die Redakteure des „St.” nicht mit den erforderlichen Anweisungen versehen worden sind. Endlich ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, daß der Erstbeklagte verpflichtet gewesen sei, einen seiner vier Geschäftsführer oder ein Sonderorgan (§ 31 BGB) mit der Aufgabe zu betreuen, kritische Beiträge der Zeitschrift unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes Dritter zu prüfen. Zu dieser Maßnahme hatte schon nach dem Hinweis in dem früheren Urteil Anlaß bestanden. Es kommt hinzu, daß sich der „St.” nach der Feststellung des Berufungsgerichts in seinen Artikeln häufig mit sogenannten „heißen Eisen” befaßt. Daher durfte der Verlag schon im Hinblick auf das Ausmaß materieller und immaterieller Schäden, die den durch unzulässige Veröffentlichungen betroffenen Personen drohen, die Entscheidung über die Aufnahme von Reportagen im Stil der hier vorliegenden nicht allein den von ihm abhängigen Redakteuren überlassen (vgl RG JW 1935, 2428; BGHZ 24, 200, 213). Einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter hätte es aber selbst bei oberflächlicher Kontrolle nicht entgehen dürfen, daß gegen den Artikel schwere Bedenken bestanden. Die Erstbeklagte haftet daher sowohl nach § 831 wie nach § 823 BGB für den angerichteten Schaden. Der Versuch, die Verantwortung allein den Redakteuren zuzuschieben, geht fehl.
II. Der Senat hat in seinem Urteil BGHZ 35, 363 in grundsätzlicher Übereinstimmung mit Entscheidungen anderer Senate des Bundesgerichtshofes (BGHZ 26, 349; 330, 7; LM KunstUrhG § 23 Nr 5) einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens bei schweren Verletzungen des Persönlichkeitsrechts anerkannt (vgl auch LM BGB § 823 (Ah) Nr 16). Er hält an dieser Rechtsprechung gegenüber den im Schrifttum erhobenen Angriffen fest. Der Senat ist sich dessen bewußt gewesen, daß das Bürgerliche Gesetzbuch einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz nur in den gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen gewährt und im übrigen davon ausgeht, ideelle Schäden seien durch Geldentschädigung nicht zu kompensieren. Diese Einstellung des Gesetzgebers, wie überhaupt der unzureichende durch das Bürgerliche Gesetzbuch gewährte Persönlichkeits- und Ehrschutz, war schon bei den Gesetzesberatungen Gegenstand scharfer Kritik gewesen. Die Rechtspraxis erwies alsbald die Berechtigung dieser Bedenken. Um einem „Gebot der Gerechtigkeit” zu genügen (RGZ 60, 6, 7), entwickelte die Rechtsprechung den von einem Verschulden des Verletzers unabhängigen negatorischen Anspruch auf Unterlassung weiterer Ehrkränkungen und Widerruf erfolgter Ehrkränkungen. Auch diese Entwicklung hat sich im wesentlichen neben dem Wortlaut des Gesetzes und entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers von 1900 vollzogen (vgl Mugdan, Materialien zum BGB Band II S 1119). Dem weiteren Ausbau des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes durch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft kam es zugute, daß sich allgemein im Privatrecht gegenüber einer einseitig vermögensrechtlichen Betrachtung persönlichkeitsrechtliche Züge stärker durchsetzten und damit die Schranken deutlicher erkannt wurden, die der Betätigungsfreiheit des einzelnen gegenüber den Persönlichkeitsgütern der Rechtsgenossen gesetzt sind. Neben einer gewandelten Rechtsauffassung fällt für die Rechtsentwicklung weiter ins Gewicht, daß sich seit 1900 tiefgreifende technische und soziale Entwicklungen vollzogen haben. Sie schufen nicht nur ganz neue, für den Gesetzgeber schlechthin unvorhersehbare Möglichkeiten einer Verletzung von Persönlichkeitsgütern, sondern auch – zumal mit dem Einfluß und der Verbreitung der sogenannten Massenmedien – besonders günstige Voraussetzungen für eine nachhaltige Auswirkung von Persönlichkeitsverletzungen. Dem damit gegebenen Bedürfnis eines verstärkten und der Eigenart der Verletzung adäquaten Rechtsschutzes der Persönlichkeit wurde die Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuches offenbar nicht mehr gerecht, dessen Verfasser sich von den Auffassungen hatten leiten lassen, die um die Jahrhundertwende „zumal in den besseren Volkskreisen” über Wiedergutmachung ideeller Schäden herrschten (Mugdan aaO Band II S 517). Mit der Anerkennung eines durch die Normen des Deliktsrechts geschützten „allgemeinen Persönlichkeitsrechts” setzte sich schließlich unter dem Einfluß der Wertentscheidung des Grundgesetzes (Art 1 und 2) eine von der Konzeption des Gesetzgebers von 1900 grundsätzlich abweichende Auffassung über den Privatrechtsschutz ideeller Werte in der Rechtsprechung durch. Wird der Schutz der Würde des Menschen als vordringliche Aufgabe der Staatsgewalt und die Bindung des Richters an die Wertentscheidungen des Grundrechtskatalogs (insbesondere an Art 2 GG) ernst genommen und nicht nur als Proklamation verstanden, so kann der Richter nicht mehr an die Entscheidung des Gesetzgebers von 1900 gebunden sein, die den immateriellen Schadensersatz derart einschränkt, daß er auch bei schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen entfällt. Denn dieser Ausschluß würde unter den heutigen Verhältnissen bedeuten, daß der Rechtsschutz der Persönlichkeit von vornherein verkümmert würde und die Rechtsprechung resignierend auf den Versuch einer angemessenen Restitution verzichten müßte. Damit würde dem Betroffenen nicht nur das Gefühl rechtlicher Schutzlosigkeit gegenüber der rechtswidrigen Beeinträchtigung vermittelt, sondern auch die Beachtung der durch das Persönlichkeitsrecht des Menschen gesetzten Schranken im Sozialleben ernstlich gefährdet. Aus dieser Erkenntnis ist auch in fast allen Rechtsordnungen, in denen entsprechend unserer Auffassung dem Personenwert des einzelnen eine zentrale Bedeutung im Rechtssystem zukommt, der immaterielle Schadensersatz als die der Persönlichkeitsverletzung adäquate privatrechtliche Sanktion anerkannt. Da auch in diesen Rechtsordnungen die Freiheit der Presse grundlegende Bedeutung hat und unbeschadet der Ersatzfähigkeit ideeller Schäden besteht, ist der Einwand unbegründet, die Zulassung des immateriellen Schadensersatzes bei Persönlichkeitsverletzungen bedeute einen unzulässigen Eingriff in die grundgesetzlich anerkannte Pressefreiheit oder eine unzulässige Gefährdung dieser Freiheit. Die öffentliche Aufgabe der Presse und der privatrechtliche Schutz, der ihr bei der Wahrung dieser Aufgabe zukommt, ist gerade in der Rechtsprechung des erkennenden Senats besonders herausgestellt worden, wobei der Senat die wesentlich engere Grenzen setzende Rechtsprechung des Reichsgerichts aufgegeben hat (BGHZ 31, 308). Die Urteile des Senats BGHZ 36, 77 und LM GG art 5 Nr 9 lassen erkennen, daß bei der Abwägung der durch die Presse wahrgenommenen Interessen einerseits und der entgegenstehenden Interessen des einzelnen andererseits die Bedeutung der Pressefreiheit hoch eingeschätzt werden muß und daß der Senat eine kleinliche Prüfung als rechtlich fehlsam ansieht. Wird darüber hinaus der Schmerzensgeldanspruch in der Art beschränkt, wie es durch das Urteil BGHZ 35, 363 geschehen ist, so kann es überhaupt nur bei klaren Fällen eines schwerwiegenden Übergriffs der Presse zur Zubilligung eines immateriellen Schadensersatzes kommen. Dann aber ist kein Grund ersichtlich, die Presse im Sinne einer einseitigen Privilegierung von ihrer privatrechtlichen Verantwortung zu entlasten, vielmehr erfordert es die Gerechtigkeit, daß sie demjenigen eine Genugtuung zahlt, dessen Persönlichkeitsrecht sie schuldhaft in tiefgreifender und sonst nicht behebbarer Weise beeinträchtigt hat. Der Senat ist sich dessen bewußt, daß dem Richter bei der von ihm verlangten wertenden Prüfung auf dem Gebiet des rechtlichen Schutzes der Persönlichkeit ein hohes Maß richterlicher Verantwortung zufällt. Doch liegt es in der Natur der Sache, daß die rechtlichen Konturen bei den sogenannten ideellen Rechtsverletzungen nicht so scharf gezogen werden können wie bei Körper- und Vermögenschäden. Das ist aber kein Grund, den vom Grundgesetz geforderten rechtlichen Schutz der Persönlichkeit von vornherein zu beschneiden und den Ausgleich immaterieller Schäden zu versagen. In dem Maß, in dem die Generalklauseln des Zivilrechts eine wachsende Bedeutung für die Rechtsauslegung und Rechtsentwicklung gewonnen haben, hat die Rechtsprechung auch sonst eine größere Freiheit gewonnen, als sie dem Gesetzgeber von 1900 vorschwebte. Die Aufgabe, die dem Richter bei dem Schutz der Persönlichkeit zufällt, ist keine seiner Stellung wesensfremde.
III. Nach allem ist das Berufungsgericht von einer rechtlich zutreffenden Auffassung über die Zulässigkeit des immateriellen Schadensersatzes bei Persönlichkeitsverletzungen ausgegangen. Die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe grundsätzlicher Art erweisen sich als unbegründet. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend angenommen, daß im vorliegenden Fall die dargelegten Voraussetzungen für den Anspruch auf Zahlung einer Genugtuung gegeben sind. Es hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die von den Beklagten zu vertretende Rechtsverletzung angesichts der Art der Ehrkränkung und der erheblichen Eingriffe in die private Sphäre besonders schwerwiegend ist, wobei die weite Verbreitung der Zeitschrift besonders ins Gewicht fällt. Es liegt ferner ein grobes, von den Beklagten zu vertretendes Verschulden vor. Der angerichtete ideelle Schaden kann endlich nicht auf eine andere Weise angemessen wiedergutgemacht werden. Die Klägerin selbst hat sich bemüht, die Auslieferung der von ihr beanstandeten Nummern des „St.” zu verhindern. Die Bemühung blieb trotz gerichtlicher Anordnung ohne Erfolg. Die Ausführungen des Berufungsgerichts über die höhe der zugesprochenen Entschädigung berücksichtigen die hierfür erheblichen Umstände und lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen.
Fundstellen
Haufe-Index 650393 |
BGHZ, 124 |
NJW 1963, 1403 |
NJW 1963, 902 |
VerwRspr 1963, 238 |
VerwRspr 1963, 801 |