Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 11.10.2001) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 11. Oktober 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten wird verworfen. Er hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seinen Pkw eingezogen.
Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet insbesondere die Annahme eines minder schweren Falles der schweren räuberischen Erpressung.
Der Angeklagte stützt sein Rechtsmittel auf die Verletzung des formellen und materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
II.
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Der Generalbundesanwalt beanstandet zu Recht, daß das Landgericht den Angeklagten tateinheitlich zur schweren räuberischen Erpressung nicht auch wegen erpresserischen Menschenraubs (§ 239 a StGB) verurteilt hat.
1. Der Angeklagte und der Zeuge A. waren Mitarbeiter der Firma B. … in L.. Der Angeklagte wollte bei seiner Arbeitgeberin Computer und andere Wertgegenstände entwenden und sie über das Internet verkaufen. Mit Hilfe des Generalschlüssels des Zeugen A. wollte er außerhalb der Arbeitszeit unbemerkt in die Büroräume der Firma B. eindringen. Am Abend des 4. Februar 2000 suchte er den mit ihm befreundeten Zeugen in dessen Wohnung auf. Als der Zeuge A. einen gemeinsamen Diebstahl ablehnte, entschloß sich der Angeklagte, den Zeugen mit einem Messer dazu zu bringen, ihm Zutritt zu den Büros zu verschaffen und die Wegnahme der Computer und anderer Wertgegenstände zu dulden oder ihm dabei behilflich zu sein. Der Angeklagte bedrohte den Zeugen daher verbal und mit einem Butterfly-Messer, so daß der einfach strukturierte Mann panische Angst bekam und um sein Leben fürchtete. Er folgte daher im weiteren den Anweisungen des Angeklagten, der ihm zeitweise das Messer drohend an die Rippen hielt. Der Angeklagte zwang den Zeugen auf diese Weise, mit ihm zum Betriebsgelände der B. zu fahren. Auf dem Weg zum Pförtner hielt der Angeklagte dem Zeugen erneut zeitweise das Messer drohend in die Seite und forderte ihn auf, „die Klappe zu halten.” Nachdem beide nacheinander den Pförtner passiert hatten, tranken sie auf Verlangen des Zeugen an einem Getränkeautomaten einen Kaffee. In dem Bürogebäude, dessen Kellertür zufällig nur angelehnt war, ließ sich der Angeklagte von dem Zeugen mit dem Generalschlüssel die Büroräume aufschließen und durchsuchte sie. Um den Zeugen einzuschüchtern, bedrohte er ihn erneut verbal, so daß A. keinen Widerstand wagte. Der Angeklagte nahm aus den verschiedenen Büros insgesamt 15 Notebooks und 2 Mobiltelefone im Gesamtwert von ca. 70.000 DM an sich. Da der Angeklagte nicht alle Geräte selbst tragen konnte, forderte er den Zeugen auf, ihm tragen zu helfen. Eingeschüchtert durch die vorangegangenen Drohungen war ihm der Zeuge A. behilflich. Als die Beute durch ein Erdgeschoßfenster zum Abtransport auf die Straße gebracht wurde und A. zuerst nach draußen kletterte, drohte ihm der Angeklagte, mit einem Messer könne man auch werfen, um ihn an der Flucht zu hindern. Auf der Rückfahrt mit der Beute drohte der Angeklagte dem Zeugen erneut, falls er es wagen sollte, zur Polizei zu gehen. Dann setzte er ihn an einer Tankstelle ab. Die Tat erstreckte sich über einen Zeitraum von etwa fünf Stunden.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hätte das Landgericht den Angeklagten auch wegen tateinheitlich begangenen erpresserischen Menschenraubs (§ 239 a StGB) verurteilen müssen.
Der Angeklagte hat den Zeugen A. entführt, indem er ihn mit dem Messer bedrohte und ihn sodann gegen seinen Willen aus seiner Wohnung in das Bürogebäude der B. brachte. Da sich zur Tatzeit dort keine Mitarbeiter aufhielten, war der Zeuge jedenfalls in dem menschenleeren Bürogebäude in seinen Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten in einem Maße eingeschränkt, daß er dem ungehemmten Einfluß des Angeklagten ausgesetzt war (vgl. BGHSt 40, 350, 359 m.w.N.). Zugleich hat sich der Angeklagte des Zeugen A. auch bemächtigt (zum Verhältnis von Entführen und Sichbemächtigen vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 239 a Rdn. 4; Traeger/Schluckebier in LK 11. Aufl. § 239 a Rdn. 9), weil er die physische Herrschaft über ihn erlangte und an einer freien Bestimmung über sich selbst hinderte (vgl. BGH NStZ 2002, 31, 32; BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 5, 6 und 8, jeweils m.w.N.), indem er ihn durch Bedrohung mit dem Messer zwang, mit ihm in das Bürogebäude zu kommen. Auch die eigenständige Bedeutung der Bemächtigungssituation und eine Stabilisierung der Lage, die ausgenutzt werden sollte, waren somit gegeben. Ebenso bestand zwischen dem Entführen und dem Sichbemächtigen einerseits sowie der angestrebten weiteren Nötigung andererseits der bei diesem unvollkommen zweiaktigen Delikt erforderliche funktionale Zusammenhang. Denn der Angeklagte beabsichtigte, die für den Zeugen A. geschaffene Lage für sein weiteres Vorgehen auszunutzen (vgl. BGHSt 40, 350, 355; BGH NStZ 2002, 31, 32; BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 8, jeweils m.w.N.). Durch die fortbestehende Bedrohungslage hat er den Zeugen gezwungen, ihm die Büros aufzuschließen und ihm beim Abtransport der Beute zu helfen.
Damit ergeben die Feststellungen auch den zweiten, in die subjektive Vorstellung verlagerten Teilakt der angestrebten Erpressung. Der Angeklagte wollte erreichen, daß der Zeuge A. als Hausmeister der B. die Wegnahme der Computer und sonstigen Wertsachen durch Aufschließen der Büros ermöglichte und duldete. Ob sich diese Absicht des Angeklagten auf die Begehung einer schweren räuberischen Erpressung richtete – wie das Landgericht ohne nähere Begründung meint – oder aber auf einen schweren Raub, ist hier nicht zweifelsfrei, für den Schuldspruch nach § 239 a StGB aber nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Denn in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 14, 368, 390; BGH NStZ 2002, 31, 32, jeweils m.w.N.) ist anerkannt, daß der Tatbestand der Erpressung den des Raubs mitumfaßt. Der Raub ist insofern der besondere Tatbestand gegenüber dem allgemeineren des § 255 StGB. Der engere Tatbestand des Raubs schließt zwar die Anwendung des weiteren Tatbestands der räuberischen Erpressung insoweit aus, als seine Voraussetzungen vorliegen. Das ändert aber nichts daran, daß neben dem speziellen Tatbestand des Raubs zugleich auch der allgemeinere Tatbestand der räuberischen Erpressung erfüllt ist. Für den Tatbestand des § 239 a StGB bedeutet dies, daß es nicht darauf ankommt, ob die von dem Angeklagten beabsichtigte Tat rechtlich als schwere räuberische Erpressung oder als schwerer Raub zu werten ist. Für den Schuldspruch im übrigen wird sich der neue Tatrichter aber mit der Abgrenzung dieser beiden Tatbestände zu befassen haben.
3. Neben § 239 a StGB ist § 239 b StGB im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Zwischen erpresserischem Menschenraub und Geiselnahme besteht Gesetzeskonkurrenz (Subsidiarität), wenn die Geiselnahme allein dem Zweck dient, durch Bedrohung des Opfers eine unrechtmäßige Bereicherung zu erlangen (vgl. BGHSt 25, 386).
4. Das rechtsfehlerhafte Unterbleiben des Schuldspruchs auch wegen eines tateinheitlichen erpresserischen Menschenraubs nach § 239 a StGB hat zur Folge, daß der Schuldspruch insgesamt aufzuheben ist. Einer Änderung des Schuldspruchs durch den Senat steht § 265 StPO entgegen.
5. Da schon der Schuldspruch keinen Bestand hat, kommt es auf die von der Staatsanwaltschaft beanstandete Annahme eines minder schweren Falls der schweren räuberischen Erpressung nicht mehr an.
III.
Die Revision des Angeklagten ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Weder die Verfahrensrügen noch die Sachrüge greifen durch. Ergänzend zu bemerken ist lediglich: Selbst wenn man die Tat des Angeklagten abweichend von der rechtlichen Würdigung des Landgerichts nicht als schwere räuberische Erpressung, sondern als schweren Raub wertet, ist der Angeklagte wegen des übereinstimmenden Strafrahmens und des unveränderten Unrechts- und Schuldgehalts bei der Tatbestandsverwirklichung nicht beschwert, zumal das Landgericht einen minder schweren Fall der räuberischen Erpressung angenommen hat.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Detter, Bode, Otten, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558796 |
NStZ 2003, 604 |
www.judicialis.de 2003 |