Leitsatz (amtlich)
a) Zur Frage, ob die Partei alleine deswegen, weil sie den von ihr für die Ladung eines Zeugen geforderten Auslagenvorschuß in erster Instanz nicht gezahlt hat, mit dem Beweismittel in zweiter Instanz ausgeschlossen ist.
b) Zur Frage, ob das Berufungsgericht die Vernehmung eines vom Vorsitzenden nach § 273 ZPO ordnungsgemäß zum Berufungsverhandlungstermin geladenen, in erster Instanz wegen Unterbleibens der von der Partei geforderten Vorschußzahlung nicht vernommenen Zeugen ablehnen darf, wenn der Zeuge ohne hinreichenden Grund zu diesem Termin nicht erschienen ist.
Verfahrensgang
OLG Hamm (Entscheidung vom 23.03.1981) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. März 1981 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger ist Viehhändler. Der Beklagte betreibt eine Großschlachterei. Am 8. Februar 1980 verkaufte der Kläger dem Beklagten mehrere Kühe. Der Kläger behauptet, der Kaufvertrag sei über sechs Kühe und zum Preise von 6,- DM je kg Schlachtgewicht zustandegekommen, und zwar vor dem Schlachten der Tiere. Der Beklagte bestreitet, mehr als drei Kühe gekauft und sich verpflichtet zu haben, mehr als 5,80 DM je kg Schlachtgewicht zu zahlen. Nach seinem Vorbringen kam der Kaufvertrag erst nach dem Schlachten der Kühe zustande. Er hat dem Kläger nur den Kaufpreis für drei Kühe unter Zugrundelegung von 5,80 DM je kg Schlachtgewicht gezahlt.
Mit der Klage macht der Kläger den Betrag von 6.821,21 DM geltend, der sich als Kaufpreisrest ergibt, wenn der Kaufvertrag über sechs Kühe zum Preise von 6,- DM je kg Schlachtgewicht zustandegekommen ist.
Das Landgericht hat die Vernehmung des vom Kläger benannten Zeugen F. und der vom Beklagten benannten Zeugen Ra. und T. angeordnet. Im Beweisbeschluß hat es die Ladung der Zeugen von der Zahlung von Auslagenvorschüssen abhängig gemacht. Da der Kläger den von ihm geforderten Vorschuß nicht zahlte, hat es den Zeugen Funke zum Beweisaufnahmetermin nicht geladen. Nach Vernehmung der Zeugen Ra. und T. hat es die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger sei beweisfällig dafür geblieben, dem Beklagten mehr als drei Kühe verkauft und einen höheren Kaufpreis als 5,80 DM pro kg Schlachtgewicht mit dem Beklagten vereinbart zu haben.
Der Vorsitzende des Berufungsgerichts hat bei Bestimmung des Berufungsverhandlungsterminis nach § 273 ZPO die Ladung der Zeugen F., Ra. und T. angeordnet. Die Parteien haben die von ihnen geforderten Auslagenvorschüsse rechtzeitig gezahlt. Der Zeuge F. ist trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Berufungsverhandlungstermin nicht erschienen. Er hatte sich wegen Krankheit entschuldigt, war aber der Aufforderung des Berichterstatters, eine ärztliche Bescheinigung darüber vorzulegen, daß er nicht vernehmigungsfähig sei, nicht nachgekommen. Das Berufungsgericht hat, ohne Zeugen vernommen zu haben, die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Wie das Landgericht hat es angenommen, der Kläger sei beweisfällig dafür geblieben, daß er dem Beklagten mehr als drei Kühe verkauft und mit ihm einen höheren Kaufpreis als 5,80 DM pro kg Schlachtgewicht vereinbart habe. Die vom Kläger beantragte Ladung des Zeugen F. hat es abgelehnt mit der Begründung, sie sei nach § 379 Satz 2 ZPO nicht mehr zulässig. Vorsorglich hat es die Ablehnung der Ladung damit begründet, daß sie nach § 528 Abs. 2 i.V. mit § 282 Abs. 1 ZPO nicht zugelassen werden könne.
Mit der - zugelassenen - Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, erstrebt der Kläger die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Entscheidungsgründe
1.
a)
Der Kläger hat sich darauf berufen, es bestehe ein Handelsbrauch im Viehhandelsgewerbe, daß ein Viehhändler, der zum Zwecke des Verkaufs mit seinen Tieren zu einem Schlachthof fahre, sich grundsätzlich mit dem Abnehmer bereits über den Verkauf einige, bevor die Tiere geschlachtet seien. Das Berufungsgericht hat sich weder hiermit noch damit auseinandergesetzt, ob es sich der rechtlichen Würdigung des Landgerichts anschließt, es komme auf das Bestehen eines derartigen Handelsbrauches nicht an, weil aufgrund der Aussagen der vom Beklagten benannten Zeugen Ra. und T. feststehe, daß der Kaufvertrag über die Kühe erst abgeschlossen worden sei, als die Tiere geschlachtet gewesen seien. Es hat auch keinen Beweis über das Bestehen des vom Kläger behaupteten Handelsbrauches erhoben.
b)
Die Revision wendet sich dagegen, daß das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers über das Bestehen eines Handelsbrauches nicht berücksichtigt hat. Hiermit hat sie keinen Erfolg.
Für die Revisionsinstanz ist zu unterstellen, daß der vom Kläger behauptete Handelsbrauch besteht. Die Frage, ob dann, wenn das Bestehen eines Handelsbrauches feststeht, die Beweislast für ein Abweichen der Vertragsteile vom Handelsbrauch derjenige trägt, der ein solches behauptet (so Karsten Schmidt, Handelsrecht, 1980 S. 21), braucht hier nicht entschieden zu werden. Nach dem Vorbringen des Klägers bezieht sich der Handelsbrauch nämlich nur auf die Frage, ob der Kaufvertrag üblicherweise bereits vor dem Schlachten der Tiere oder erst danach abgeschlossen wird. Hier ist es aber unstreitig, daß ein Kaufvertrag zustandegekommen ist. Streitig ist lediglich, ob sechs oder nur drei Kühe verkauft worden sind und wie hoch der Kaufpreis ist. Auch bei Bestehen des vom Kläger behaupteten Handelsbrauches und wenn unterstellt wird, daß die Parteien vom Handelsbrauch nicht abgewichen sind, steht damit noch nicht fest, wieviele Kühe der Kläger dem Beklagten verkauft hat und zu welchem Preis dies geschehen ist. Allerdings kann das Bestehen des vom Kläger behaupteten Handelsbrauches für die Glaubwürdigkeit der vom Berufungsgericht vernommenen Zeugen Ra. und T. von Bedeutung sein, nach deren Angaben der Kaufvertrag erst nach dem Schlachten der Tiere abgeschlossen worden ist. Aber auch wenn von der Unglaubwürdigkeit dieser Zeugen auszugehen ist, steht damit die Richtigkeit der Behauptung des Klägers noch nicht fest, der Kaufvertrag sei über sechs Tiere zum Preis von 6,- DM pro kg Schlachtgewicht zustandegekommen. Hierzu bedürfte es der Vernehmung des einzigen vom Kläger benannten Zeugen F., einer Bestätigung des Vorbringens des Klägers durch den Zeugen und der Würdigung einer solchen Aussage als glaubhaft. Für die Entscheidung über die Begründetheit der Revision kommt es deshalb entscheidend darauf an, ob das Berufungsgericht die Ladung des Zeugen F. mit Recht abgelehnt hat.
2.
a)
Das Berufungsgericht hat die erneute Ladung des von seinem Vorsitzenden nach § 273 ZPO zum Berufungsverhandlungstermin geladenen Zeugen Funke mit der Begründung abgelehnt, sie würde gegen § 379 Satz 2 ZPO verstoßen. Da der Zeuge zum Berufungsverhandlungstermin nicht erschienen sei, würde seine erneute Ladung wegen der Notwendigkeit einer Vertagung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern. Diese Verzögerung verbiete nach § 379 Satz 2 ZPO die Ladung des Zeugen, nachdem der Kläger in erster Instanz den Vorschuß nicht gezahlt habe und deshalb die Vernehmung des Zeugen unterblieben sei.
b)
Hiergegen wendet sich die Revision mit Recht.
Wird der für die Ladung eines Zeugen geforderte Auslagenvorschuß nicht innerhalb der gesetzten Frist gezahlt, unterbleibt nach § 379 Satz 2 ZPO die Ladung des Zeugen, wenn die Zahlung nicht so zeitig nachgeholt wird, daß die Vernehmung durchgeführt werden kann, ohne daß dadurch das Verfahren verzögert wird. Nach der Auffassung des Berufungsgerichts wirkt die Unterlassung einer Vorschußzahlung im ersten Rechtszug auch noch in die Berufungsinstanz hinein fort. Diese Ansicht ließe sich nur unter der Voraussetzung rechtfertigen, daß die Versäumung der Vorschußzahlung den Ausschluß mit dem Beweismittel zur Folge für den Fall hätte, daß die Ladung nicht noch ohne Verzögerung des Rechtsstreits nachgeholt werden kann. Das nimmt das Berufungsgericht auch an, weil es sich zur Rechtfertigung seiner Auffassung auf die Ausführungen von Weber in MDR 1979, 799 stützt, der die Ansicht vertritt, nach fruchtlosem Ablauf der zur Vorschußzahlung gesetzten Frist sei der Beweisführer mit dem Beweismittel ausgeschlossen, es sei denn, daß er es zum Termin stellt oder die Voraussetzungen des § 379 Satz 2 ZPO für eine Ladung des Zeugen vorliegen. Dieser Auffassung kann aber nicht gefolgt werden.
Weber gibt als entscheidenden Gesichtspunkt für seine Ansicht an, es sei kein Grund dafür ersichtlich, § 379 ZPO anders auszulegen als § 356 ZPO, wonach der Beweisführer mit dem Beweismittel, zu dessen Beibringung ihm eine Frist gesetzt worden ist, ausgeschlossen wird. Für eine Auslegung des § 379 ZPO ist aber bei dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift kein Raum. Deshalb hat bereits das Reichsgericht in RGZ 7, 389, 392 zwischen den beiden Bestimmungen unterschieden und ausgeführt, der fruchtlose Ablauf der nach § 344 ZPO (jetzt § 379 ZPO) bestimmten Frist habe nicht, wie im Falle des § 321 ZPO (jetzt § 356 ZPO) die Folge, daß das Beweismittel nicht mehr benutzt werden könne, sondern nur die Folge, daß die Ladung unterbleibe. Bei Zeugen, so hat es weiter angenommen, werde allerdings das Unterbleiben der Ladung im tatsächlichen Erfolg dem Verlust des Beweismittels gleichkommen, indem bei der individuellen Natur dieses Beweismittels die Vernehmung des Zeugen, dessen Ladung das Gericht verweigere und welcher ohne Ladung nicht erscheinen wolle, durch nichts ersetzt werden könne. In diesem Sinne sind auch die späteren zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen des Reichsgerichts zu verstehen (vgl. JW 1895, 380; LZ 1933 Spalte 1032). Daß die Partei durch das Unterlassen der Vorschußzahlung nicht mit dem Beweismittel ausgeschlossen wird, hat auch der erkennende Senat in dem Urteil vom 17. Oktober 1979 (- VIII ZR 221/78 = LM ZPO § 528 Nr. 13 = NJW 1980, 343) angenommen. An der dort vertretenen Auffassung, daß bei Unterlassen der Vorschußzahlung zwar der Zeuge ohne Rücksicht darauf, ob die Partei ein Verschulden trifft, nicht geladen wird, die Partei aber den Zeugen zum Termin stellen oder bis zur letzten mündlichen Verhandlung den Antrag auf Vernehmung des Zeugen aufrechterhalten kann, und daß das Gericht in dem zuletzt genannten Fall darüber zu entscheiden hat, ob es dem Beweisantrag noch stattgibt oder ihn unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO zurückweist, ist festzuhalten. Der Umstand, daß § 379 Satz 2 ZPO der Beschleunigung des Verfahrens dient, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Die Annahme eines Beweismittelausschlusses würde darauf hinauslaufen, das Unterlassen der Zeugenladung wie eine Zurückweisung des Beweismittels nach § 296 Abs. 2 ZPO zu behandeln, die nach § 528 Abs. 3 ZPO zur Folge hätte, daß die Partei das Beweismittel im zweiten Rechtszug nicht mehr geltend machen kann. Das ist, wie der Senat in seinem Urteil vom 17. Oktober 1979 a.a.O. ausgeführt hat, schon deswegen nicht möglich, weil das Unterbleiben der Vorschußzahlung keineswegs stets auf grober Nachlässigkeit beruhen muß, das Vorliegen eines derartigen Verschuldens aber Voraussetzung für eine Zurückweisung nach § 296 Abs. 2 ZPO ist.
3.
Mit Erfolg wendet sich die Revision auch dagegen, daß das Berufungsgericht in einer Hilfsbegründung die erneute Ladung des Zeugen F. nach § 528 Abs. 2 i.V. mit § 282 Abs. 1 ZPO als unzulässig angesehen hat. Nach diesen Bestimmungen sind neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen der Prozeßförderungspflicht aus § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht worden sind, nur zuzulassen, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei das Vorbringen im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen hatte.
a)
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Kläger habe ein neues Angriffsmittel geltend gemacht. Es hat diese Auffassung allerdings nicht erläutert. Die Revision erhebt gegen die Annahme des Berufungsgerichts keine Einwendungen. Sie ist auch nicht zu beanstanden. Neu im Sinne des § 528 Abs. 2 ZPO sind, wie der insoweit eindeutige Wortlaut des Gesetzes ergibt, nämlich alle Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug verspätet vorgebracht worden sind. Das ist hier anzunehmen, weil die Vorschußzahlung in der ersten Instanz unterlassen worden ist.
b)
Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht dem Kläger grobe Nachlässigkeit angelastet hat. Der Kläger, der von sich aus darlegen mußte, daß ihn grobe Nachlässigkeit nicht treffe (vgl. Egon Schneider, MDR 1977, 90), hat nämlich in den Tatsacheninstanzen keinen Grund dafür angegeben, warum er im ersten Rechtszug den Vorschuß nicht gezahlt hat.
c)
Mit Recht wendet sich die Revision aber gegen die Annahme des Berufungsgerichts, hier würde eine die Zulassung des neuen Angriffsmittels ausschließende Verzögerung in der Erledigung des Rechtsstreits eintreten. Die Verzögerung, zu der es nach Meinung des Berufungsgerichts bei Zulassung der Vernehmung des Zeugen F. gekommen wäre, beruhte nämlich nicht mehr auf dem Verhalten des Klägers, sondern ausschließlich darauf, daß der Zeuge F., der zum Verhandlungstermin ordnungsgemäß - auch rechtzeitig - geladen war, nicht erschien. Wäre der Zeuge seiner Verpflichtung zum Erscheinen nachgekommen, hätte die Beweisaufnahme im Berufungsverhandlungstermin durchgeführt werden können. Es ist nicht der Sinn des § 528 Abs. 2 ZPO, die Partei auch in einem solchen Fall mit dem neuen Angriffsmittel auszuschließen. Die §§ 528 Abs. 2, 282 ZPO enthalten keine Strafvorschrift für säumige Prozeßführung. Sie dienen vielmehr allein der Beschleunigung des Rechtsstreits (vgl. BGHZ 75, 138, 142 zu § 296 ZPO n.F.).
Der Senat setzt sich mit dieser Entscheidung nicht in Widerspruch zu dem Urteil des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 17. März 1969 - II ZR 21167 (LM ZPO § 272 b Nr. 8 = MDR 1969, 643). Abgesehen davon, daß sie zu Bestimmungen ergangen ist, die jetzt nicht mehr gelten, war der Sachverhalt in jener Entscheidung anders gelagert. Dort lagen - anders als hier - erhebliche Versäumnisse, die der Partei angelastet wurden, in der Berufungsinstanz selbst. Vor allem aber war es möglicherweise ausschließlich auf das Verhalten der Partei zurückzuführen, daß die Zeugen, deren Vernehmung das Berufungsgericht nicht zuließ, bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nicht vernommen werden konnten. Hier dagegen ist es zu einer Vernehmung des Zeugen F. im Berufungsverhandlungstermin nur deswegen nicht gekommen, weil dieser seiner Verpflichtung zum Erscheinen ohne hinreichenden Grund nicht nachgekommen war.
4.
Demnach mußte das Berufungsurteil aufgehoben werden. Die Sache war zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Diesem wurde auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen, weil sie vom endgültigen Ausgang des Rechtsstreits abhängt.
Fundstellen
Haufe-Index 3018814 |
NJW 1982, 2559 |
NJW 1982, 2559-2561 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1982, 1012-1013 (Volltext mit amtl. LS) |
Deubner, NJW 82, 2559 |