Leitsatz (amtlich)
Überträgt ein erbvertraglich gebundener Erblasser Vermögensgegenstände lebzeitig an einen Dritten, so ist ein solches Rechtsgeschäft nicht deshalb nichtig, weil dadurch dem Vertragserben das erwartete Erbgut entzogen wird. Die Rechtsprechung zu der sogenannten „Aushöhlungsnichtigkeit” von Rechtsgeschäften unter Lebenden bei Erbverträgen und gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Testamenten wird aufgegeben.
Die Anwendung des § 2287 BGB setzt nicht voraus, daß die Absicht, dem Vertragserben die Vorteile der Erbeinsetzung zu entziehen oder zu schmälern, der eigentlich leitende Beweggrund der Schenkung war (Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung).
Normenkette
BGB §§ 2286-2287, 2271, 2207
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 06.02.1970) |
LG Duisburg |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf von 6. Februar 1970 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen,
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten Rechte aus dem Erbvertrag vom 15. Dezember 1949 geltend. Dieser Erbvertrag wurde zwischen der Klägerin und ihren Geschwistern, nämlich dem kinderlos verheirateten Gastwirt Wihelm H. und dem Bäckermeister Walter H., dem Vater des Beklagten, abgeschlossen. Wilhelm H. verfügte in diesem Vertrag letztwillig:
„Hinsichtlich der Besitzung D., Hi. Straße Nr. 37 setze ich für den Fall, daß meine Ehe mit Luise geb. K. kinderlos bleiben sollte, meine Geschwister, die Erschienenen zu 2 (Walter H.) und 3 (Klägerin) als Erben ein und zwar den Erschienenen zu 2 zu 1/4 und die Erschienene zu 3 zu 3/4. Auch die auf dem Hause D., Hi. Straße 37 ruhende Schankkonzession soll nach meinem Tode auf meine Geschwister übergehen.
Meine Ehefrau soll hinsichtlich der vorbezeichneten Besitzungen den lebenslänglichen Nießbrauch haben. Sie soll insbesondere den Nießbrauch hinsichtlich der Schankkonzession, die auf der Besitzung ruht, bekommen. Soweit erforderlich soll sie für die Dauer ihres Lebens in eigenen Namen die Schankkonzession ausüben können, wenn ein Nießbrauch an der Schankkonzession nicht möglich ist. In diesem Falle soll aber nach ihrem Tode meinen oben bezeichneten Geschwistern bzw. deren Erben die Schankkonzession zustehen.
Sollten aus meiner Ehe Kinder hervorgehen, behalte ich mir ausdrücklich das Recht des Rücktritts von diesem Erbvertrag vor.”
Am 20. Dezember 1954 schloß Wilhelm H. mit dem damals zwölf Jahre alten Beklagten – dieser vertreten durch seinen Vater Walter H. – einen notariellen Vertrag, durch den Wilhelm H. sein gesamtes gegenwärtiges Vermögen – einschließlich des Grundbesitzes, bestehend aus dem Anwesen in Dinslaken und der zum Betrieb einer Gastwirtschaft auf diesem Anwesen erteilten Schankkonzession – auf den Beklagten übertrug. Als Grund für diese Maßnahme ist in dem Vertrag angegeben:
„Zu dieser Maßnahme hat Herr Wilhelm H. sich entschlossen, weil es ihm sehr am Herzen liegt, daß die Besitzung in der Familie H. bleibt und daß insbesondere der Name H. mit dieser Besitzung verbunden bleibt.”
In dem Vermögensübertragungsvertrag behielt sich der damals 50jährige Wilhelm H. den lebenslänglichen Nießbrauch an seinem Vermögen vor. Er untersagte dem Beklagten zugleich, zu seinen Lebzeiten über das übertragene Vermögen oder Teile desselben zu verfügen. Für den Fall eines Verstoßes gegen dieses Verbot behielt er sich das Recht vor, von dem Vertrag zurückzutreten und insbesondere Rückauflassung des Grundstücks zu verlangen. Der Nießbrauch und der Auflassungsanspruch wurden dinglich gesichert. Dem Beklagten wurde die Verpflichtung auferlegt, an den Sohn der Klägerin 6.500 DM – fällig fünf Jahre nach dem Tode des Wilhelm H. – zu zahlen. Weiter wurde bestimmt, daß der Beklagte und der Sohn der Klägerin die Verpflichtungen aus dem Lastenausgleich je zur Hälfte tragen sollten, während umgekehrt eine etwaige aus Lastenausgleichsmitteln zu erwartende Entschädigung beiden zu gleicher Teilen zustehen sollte.
Aufgrund des vorbezeichneten Vertrages wurde der Beklagte als Eigentümer des Grundstücks D., H. Straße 37, im Grundbuch, eingetragen.
Wilhelm H. verstarb an 28. Oktober 1965, nachdem seine Ehefrau und sein Bruder Walter H. vor ihm verstorben waren. Alsbald nach dem Erbfall trat die Klägerin unter Berufung auf den Erbvertrag vom 15. Dezember 1949 mit Ansprüchen an den Beklagten heran. Da die längere Zeit zwischen den Parteien geführten Verhandlungen zu keinem Erfolg führten, beschritt die Klägerin den Klageweg.
Sie ist zunächst davon ausgegangen, daß sie zu 3/4 Anteil Erbin sei und hat ihre Klage nur auf § 2287 BGB gestützt. Hierzu hat sie vorgetragen: Der Erblasser habe den Vermögensübertragungsvertrag vom 20. Dezember 1954 in der Absicht geschlossen, den Erbvertrag vom 15. Dezember 1949 zunichte zu machen und sie als seine Vertragserbin zu benachteiligen. Der Erbvertrag sei im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzungsvereinbarung geschlossen worden und sie habe dieser Auseinandersetzungsvereinbarung nur unter der Bedingung zugestimmt, daß Wilhelm H. sie in der geschehenen Weise durch den am gleichen Tage geschlossenen Erbvertrag bedenke. Auf den Bestand dieses Erbvertrages habe sie vertraut. Demgemäß habe ihr am 5. März 1966 verstorbener Ehemann bis zu seinem Tode die Verwaltung des Grundbesitzes und des seit jeher verpachteten Gaststättenbetriebes des Erblassers geführt,
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen darin einzuwilligen, daß sie als Eigentümerin der Besitzung D., H. Straße 37, zu 3/4 Anteilen eingetragen werde,
ferner darin einzuwilligen, daß von dem in der Gaststätte D., Hi. Straße 37 vorhandenen Gaststätteninventar 3/4 Anteile auf sie übertragen würden;
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 122.500 DM nebst Zinsen zu zahlen.
Der Beklagte hat um Klageabweisung gebeten.
Er hat vorgetragen: Bestimmendes Motiv für den Abschluß des Vermögensübertragungsvertrages vom 20. Dezember 1954 sei gewesen, ihn zu begünstigen und den seit zwei Generationen im Familienbesitz befindlichen Gaststättenbetrieb weiterhin mit dem Namen H. verbunden zu sehen. Die Verwaltung des Gaststättenbetriebes habe daher auch bis zum 1. Januar 1960 sein Vater geführt. Erst nach dessen Ableben habe der Ehemann der Klägerin die Verwaltung übernommen. Im übrigen sei ein etwaiger aus § 2287 BGB abzuleitender Bereicherungsanspruch verjährt.
Die Klägerin ist der Verjährungseinrede des Beklagten mit dem Einwand der Arglist entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, etwaige aus § 2287 BGB abzuleitende Ansprüche der Klägerin seien verjährt, sonstige Ansprüche seien nicht hinreichend dargelegt.
In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihr Klagebegehren erweitert und unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens ergänzend insbesondere geltend gemacht:
Sie sei aufgrund des Erbvertrages vom 15. Dezember 1949 Alleinerbin ihres Bruders Wilhelm geworden, weil die übrigen im Vertrag Bedachten vor dem Erblasser verstorben seien. Der Übertragungsvertrag vom 20. Dezember 1954 sei in der Absicht geschlossen worden, die Bindungen des Erbvertrages zu umgehen, und daher nichtig, Zumindest habe der Erblasser in der Absicht gehandelt, sie als Vertragserbin zu benachteiligen. Das zeige sich darin, daß der Übertragungsvertrag bis zum Tode des Erblassers vor ihr und ihrem Ehemann geheimgehalten worden sei. Bis unmittelbar vor der Klageerhebung habe der Beklagte sich verhandlungsbereit gezeigt. Er handele daher arglistig, wenn er sich nunmehr auf Verjährung berufe.
Die Klägerin hat daher ihre im ersten Rechtszug gestellten Anträge bis auf den Zahlungsantrag wiederholt, jedoch mit der Maßgabe,
- den Beklagten zu verurteilen darin einzuwilligen, daß sie als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen werde, hilfsweise: den Beklagten zu verurteilen, die Auflassung an sie zu erklären und ihre Eintragung im Grundbuch zu bewilligen;
- festzustellen, daß sie Eigentümerin des vorhanden gewesener Gaststätteninventars geworden sei, hilfsweise festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihr das Gaststätteninventar herauszugeben und für nicht mehr vorhandene Inventarstücke Wertersatz zu leisten.
Der Beklagte hat um Zurückweisung der Berufung gebeten und hierzu ergänzend vorgetragen: Der Vertrag vom 20. Dezember 1954 sei ein gesetzlich erlaubtes Rechtsgeschäft unter Lebenden und als solches rechtswirksam gewesen. Im Dezember 1954 sei das Verhältnis des Erblassers zu seiner Ehefrau gespannt gewesen. Möglicherweise habe er den Vertrag vom 20. Dezember 1954 nur geschlossen, um – vor Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes – einen Zugriff seiner Ehefrau auf das Grundvermögen zu verhindern und der Gefahr zu begegnen, daß seine Ehefrau den Wunsch, das Grundstück und die Gastwirtschaft einem Träger seines Namens zu überlassen, durchkreuze. Der Vertrag vom 20. Dezember 1954 sei auch vor der Klägerin nicht geheimgehalten worden, die Klägerin sei vielmehr mit der Regelung dieses Vertrages und der darin vorgesehenen Begünstigung ihres Sohnes durchaus einverstanden gewesen.
Das Berufungsgericht hat unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils den Beklagten verurteilt, darin einzuwilligen, daß die Klägerin an seiner Stelle als Eigentümerin der Besitzung D., H. Straße 37, im Grundbuch eingetragen wird, und festgestellt, daß die Klägerin Eigentümerin des Gaststätteninventars geworden ist, das am 28. Oktober 1965 in der in diesem Hause betriebenen Gastwirtschaft vorhanden war.
Mit der Revision, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet, verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
1. Das Berufungsgericht hat den Vermögensübertragungsvertrag vom 20. Dezember 1954 und die darin zugunsten des Beklagten erklärte Auflassung des Hausgrundstücks mit der Gastwirtschaft und die Übereignung der beweglichen Habe für nichtig angesehen.
Das Berufungsgericht ist hierbei der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gefolgt, in der dieser in einer Anzahl von Entscheidungen Verfügungen, die ein durch Erbvertrag oder gemeinsames Testament gebundener Erblasser zu seinen Lebzeiten vorgenommen hatte, unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Testamentsaushöhlung geprüft und verschiedentlich für nichtig erklärt hat. Es wird hierzu verwiesen auf die Entscheidungen des früheren IV. Zivilsenats LM BGB § 2271 Nr. 4 = JZ 1954, 676, BGHZ 26, 274; des V. Zivilsenats LM BGB § 2271 Nr. 9, 11, 15 = NJW 1960, 524; 1961, 111; 1964, 547 und des III. Zivilsenats NJW 1968, 2052; 1971, 188; FamRZ 1971, 641. Übersichten über die gesamten zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes finden sich in den Aufsätzen von Mattem, MDR 1960, 1 ff; DNotZ 1965, 375 und 617 und von Johannsen, WM 1969, 1227.
In diesen Entscheidungen ist zwar anerkannt worden, daß der durch Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Testament gebundene Erblasser grundsätzlich durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden unbeschränkt über sein Vermögen verfügen kann. In „ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen” wurde aber die Nichtigkeit einer lebzeitigen Verfügung daraus hergeleitet, daß der Erblasser in der Sache eine mit seiner Bindung nicht vereinbare erbrechtliche Regelung vorgenommen habe, wobei die Entscheidungen zum Teil darauf abhoben, daß die wesentlichen Auswirkungen des in dem „Zweitgeschäft” liegenden Vermögensopfers erst mit dem Tode des Erblassers eintraten. Nach den letzten Entscheidungen sollte die Beurteilung davon abhängig sein, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände, die zu der lebzeitigen Zuwendung (dem „Zweitgeschäft”) geführt hatten, und der wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Geschäftes eine anstößige Umgehung der Vorschriften der §§ 2289 Abs. 1 Satz 2, 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB vorlag.
Diese Rechtsprechung hat in der Literatur vereinzelt Zustimmung (BGB-RGRK. 11. Aufl., § 2271 Anm. 14; Kipp/Coing, Erbrecht, 12. Aufl. § 38 IV 3 d. S. 188 Note 33; Teichmann, MDR 1972, 1 ff), überwiegend jedoch Widerspruch gefunden (Bartholomeyczik, Erbrecht, 9. Aufl., § 26 I 3 c, S. 152; Heinrich Lange, Erbrecht, § 38 II 5, S. 424 und NJW 1963, 1571, 1576; Dittmann, DNotZ 1958, 268 ff; Boehmer, FamRZ 1961, 253 ff; Brox, Erbrecht, 2. Aufl., Nr. 159; Bund, JuS 1968, 268 ff; Lüderitz, AcP 168 (1968), S. 329, 339 ff; Speckmann, NJW 1968, 2222 ff und 1971, 176 ff; Spellenberg, FamRZ 1972, 349 ff).
Der Kritik ist zuzugeben, daß die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowohl in der Begründung wie in der Tendenz nicht immer einheitlich war, wenn auch im ganzen das Bestreben festzustellen ist, die Fallgruppe der unter dem Gesichtspunkt der Aushöhlung von Testamenten oder Erbverträgen nichtigen Zweitgeschäfte eng zu halten.
2. Der nunmehr für erbrechtliche Streitigkeiten zuständige IV. Zivilsenat gibt die bisherige Rechtsprechung, die zu einer Rechtsunsicherheit geführt hatte, auf. Seiner Entscheidung liegen dabei im wesentlichen die gleichen Erwägungen zugrunde, wie sie das herrschende Schrifttum (zuletzt eingehend Spellenberg in FamRZ 1972, 349 ff) angestellt hat. Mit dem herrschenden Schrifttum ist Ausgangspunkt der Erwägungen des Senats, daß der durch einen Erbvertrag gebundene Erblasser nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden verfügen kann (§ 2286 BGB).
Diese Vorschrift macht keinen Unterschied, welcher Absicht die Verfügung dient und in welchem Umfang das Vermögen von ihr betroffen wird. Sehr häufig stehen lebzeitige Verfügungen über größere Vermögensobjekte im Zusammenhang mit erbrechtlichen Planungen, ohne daß diese Geschäfte dadurch den Charakter einer Verfügung von Todes wegen erhalten. Es können manigfaltige Erwägungen, z. B. solche steuerrechtlicher Art. für den Entschluß entscheidend sein, bei Vermögens Zuwendungen an Angehörige nicht die Form der letztwilligen Verfügung zu wählen, sondern die Übertragung durch Rechtsgeschäft unter Lebenden vorzunehmen. Erfolgt der rechtliche Vollzug eines Geschäftes zu Lebzeiten, so ändern auch vorbehaltene Sicherungs- oder Nutzungsrechte nichts daran, daß rechtsgeschäftlich zu Lebzeiten verfügt wurde. Wie die bisherige Rechtsprechung zeigt, sind auch die Kriterien einer sogenannten wirtschaftlichen Betrachtung für die hier zu treffende Abgrenzung wenig ergiebig, zumal eine wirtschaftliche Betrachtung nicht daran vorbeikommt, daß der Erblasser auch bei Vorbehalt von Sicherungs- und Nutzungsrechten den Vermögensgegenstand schon vor seinem Tode weggegeben und damit ein Vermögensopfer erbracht hat. Eine Unsicherheit in der Beurteilung der Gültigkeit solcher Übertragungsgeschäfte ist rechtspolitisch deshalb besonders bedenklich, weil bis zur Klärung, die durchweg erst nach dem Tode des Erblassers erfolgt, lange Zeit, vergehen kann und weil auch die Interessen anderer Personen, etwa die von Zwangsvollstreckungsgläubigern, berührt werden. Es ist auch nicht so, daß erst verfeinerte Vertragstechniken die Grundlage der Regelung, wie sie dem Gesetzgeber vorschwebte, aus dem Gleichgewicht gebracht haben (so Teichmann, MDR 1972, 1, 6 ff). Vielmehr sind Verträge der Art. wie sie in den angeführten Entscheidungen zur Erörterung standen, sicher auch schon früher abgeschlossen worden. Das gilt insbesondere von Veräußerungsverträgen über Grundstücke mit dem Vorbehalt des Nießbrauchs für den Übergeber (so mit Recht Spellenberg, FamRZ 1972, 349, 353). Angesichts der klaren Abgrenzung des Gesetzes, das lebzeitige Verfügungen zuläßt und nur Verfügungen von Todes wegen die Wirkung versagt, ist daher der Gesichtspunkt der Umgehung nicht geeignet, solche Geschäfte unter Anwendung des § 134 BGB als nichtig zu erklären. Was die Anwendung des § 138 BGB angeht, so kommt die Anwendung dieser Vorschrift nur dann in Betracht, wenn weitere Momente hinzukommen. Es wird auf die Darlegungen unter I. 4 zu dem hier vorliegenden Fall verwiesen (Anstößiges Zusammenwirken beider Parteien, um die in einem entgeltlichen Erbvertrag übernommene Bindung im Ergebnis wirkungslos zu machen und einen Dritten zu bereichern).
Eine vorrangige Bedeutung für eine zufriedenstellende und dem gesetzlichen Ordnungsplan entsprechende Lösung der bisher von der Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Aushöhlung behandelten Fälle hat nach der Ansicht des Senats die Vorschrift des § 2287 BGB. Die Vorschrift bestimmt, wann und in welcher Weise der Vertragserbe gegenüber lebzeitigen Verfügungen des Erblassers, die seine Erberwartung schmälern, geschützt wird. Hat der Erblasser in den Absicht, den Vertragserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht, so kann der Vertragserbe, nachdem der Erbfall eingetreten ist, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verlangen. Die Vorschrift umfaßt auch die gemischte Schenkung (siehe hierzu BGHZ 59, 132) und ist auf ein wechselbezügliches gemeinschaftliches Testament entsprechend anwendbar (OGHZ NJW 1947/1948, 690; BGH DNotZ 1951, 394). Wie diese Vorschrift zeigt, sollen lebzeitige Übertragungsgeschäfte, die nach Ansicht des Gesetzgebers eine mißbräuchliche Ausnutzung der Verfügungsfreiheit des Erblassers darstellen, nicht unwirksam sein, vielmehr wird der Vertragserbe durch die Gewährung eines mit Anfall der Erbschaft entstehenden Bereicherungsanspruches geschützt.
Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist allerdings – insbesondere in der neueren Rechtsprechung – so eingeengt worden, daß die Vorschrift ihre Schutzfunktion nicht mehr erfüllen kann. Die Rechtsprechung fordert durchweg, daß der Wille, den Vertragserben zu beeinträchtigen, der „treibende” oder „eigentlich leitende” Beweggrund der Schenkung gewesen sein müsse (V ZR 71/52 vom 26. Juni 1953 = LM KO § 146 Nr. 1; IV ZR 198/57 vom 27. November 1957 = LM BGB § 2287 Nr. 5 m.w.N.). In der letzteren Entscheidung wird ausgeführt, falls die Möglichkeit gegeben sei, daß der Erblasser auch aus dem Beweggrund bestimmt worden sei, dem Beschenkten etwas zukommen zu lassen, so habe der Vertragserbe zu beweisen, daß dieser Beweggrund gegenüber dem anderen, die erbvertragliche Anwartschaft des Vertragserben zu schmälern, der schwächere gewesen sei. Im allgemeinen spreche die Lebenserfahrung dafür, daß bei einem Menschen mit einem normalen und gesunden sittlichen Empfinden der Wunsch, durch seine Handlung den Beschenkten zu begünstigen, stärker gewesen sei als der Wille, durch eine mit derselben Handlung unvermeidbar verbundene Folge das Interesse des Vertragserben zu verletzen. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß eine Benachteiligungsabsicht in diesem Sinne kaum je zu beweisen ist. Die Vorschrift läuft daher in der Rechtspraxis leer. Mit Recht wird im Schrifttum (Heinrich Lange, NJW 1963, 1571, 1577; Kipp/Coing, Erbrecht, § 38 IV 2 c; Palandt/Keidel, BGB-Kommentar, 31. Aufl., § 2287 Anm. 1; Bund JuS 1968, 268, 274; Spellenberg, FamRZ 1972, 349, 354) darauf hingewiesen, daß zur Wahrung des Interesses des Vertragserben eine lebensnahe und dem Schutzzweck entsprechende Auslegung der Vorschrift geboten sei. Einzelne Gerichtsentscheidungen haben auch bewußt erheblich geringere Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des geschädigten Vertragserben gestellt, um einer mißbräuchlichen Ausnutzung der Verfügungsfreiheit des Erblassers entgegenzutreten und damit die Schutzfunktion des § 2287 BGB wahren zu können (vgl. insbesondere die in DJ 1938, 1386 abgedruckte Entscheidung des Reichsgerichts, ferner die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone OGHZ 1, 161, 164 und 2, 161, 167). Nach Ansicht des Senats ist dieser Linie zu folgen. Die Auslegung muß dem Zweck der Vorschrift, den Vertragserben gegen den Mißbrauch des in § 2286 BGB gewährten Rechtes zu schützen, gerecht werden. Ist kein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers erkennbar, die Verfügung vielmehr ersichtlich darauf angelegt, daß anstelle des Vertragserben ein anderer sein wesentliches Vermögen ohne angemessenes Äquivalent erhält, so sollte die Anwendung der Vorschrift eigentlich nicht zweifelhaft sein. Die Anwendung darf nach Ansicht des Senats im besonderen nicht davon abhängig sein, ob die Absicht, den Beschenkten zu begünstigen, oder die Absicht, den Vertragserben zu benachteiligen, die überwiegende Motivationskraft hat. Die beiden Absichten werden praktisch meist in untrennbarem Zusammenhang stehen. Daß der Wortlaut der Bestimmung einer solchen auf den Mißbrauch des Verfügungsrechts abgestellten Auslegung nicht entgegensteht, zeigt die Rechtsprechung zu den Gesetzesvorschriften des Anfechtungsgesetzes und der Konkursordnung, die aus der Absicht des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, Rechtsfolgen herleiten (vgl. BGHZ 12, 232, 237; VIII ZR 158/60 vom 13. November 1961 = LM KO § 30 Nr. 12; VIII ZR 142/59 vom 29. März 1960 = LM KO § 31 Nr. 3; VIII ZR 41/67 vom 26. Februar 1969 = LM KO § 31 Nr. 4 = MDR 1970, 41), Gewährt die Rechtsprechung in der dargelegten Weise dem Vertragserben einen Schutz, so fügt sich diese Ausgleichsregelung bruchlos in den gesetzlichen Ordnungsplan ein, ohne den Rechtsverkehr ernstlich zu gefährden. Wollen die Parteien eines Erbvertrages den Vertragserben stärker schützen, so liegt es an ihnen, andere erbrechtliche Regelungen zu treffen. Dabei ist im besonderen daran zu denken, dem Erblasser vertragliche Verfügungsbeschränkungen aufzuerlegen (vgl. hierzu BGHZ 31, 14, 18; Erman/Hense, BGB-Kommentar, 5. Aufl., § 2286 Rdz. 3; Heinrich Lange, NJW 1963, 1571, 1577).
3. Aus diesen Erörterungen folgt, daß sich das Berufungsurteil mit der in ihm gegebenen Begründung nicht halten läßt. Das angefochtene Urteil ist daher bereits aus diesem Grunde aufzuheben und der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuweisen.
4. In diesem besonders gelagerten Fall wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der Vermögensübertragungsvertrag vom 20. Dezember 1954 nicht nach § 138 BGB nichtig ist. Das Berufungsgericht hat dies zwar bereits angedeutet. Von seinem Rechtsstandpunkt aus hatte es aber keine Veranlassung, dieser Frage nachzugehen.
Die Klägerin hat vorgetragen, der Erbvertrag vom 15. Februar 1949 sei im Zusammenhang mit einem Auseinandersetzungsvertrag der drei Geschwister über das elterliche Vermögen abgeschlossen worden. Sie, die Klägerin, habe in diese Auseinandersetzung, die den Bruder Wilhelm (Erblasser) erheblich begünstigt habe, nur unter der Voraussetzung eingewilligt, daß Wilhelm sie für den Fall seiner Kinderlosigkeit zu 3/4 seines Grundbesitzes mit der Gastwirtschaft durch Erbvertrag als Erben einsetze. Entsprechend habe sich der Bruder Walter versprechen lassen, zu 1/4 als Erbe eingesetzt zu werden. Der Grundbesitz und die Gastwirtschaft sollten danach im Einverständnis der drei Geschwister in dem vorgesehenen Verteilungsverhältnis der Klägerin und dem Bruder Walter zufallen. Träfe dieser Vortrag zu, so haben Wilhelm H. und Walter H. als gesetzlicher Vertreter seines Sohnes, des Beklagten, die ausgewogene Regelung hinter dem Rücken der Klägerin abgeändert, um dem minderjährigen Beklagten den Erwerb des gesamten Grundbesitzes und der Gastwirtschaft zu sichern und die Klägerin, die bei der familienrechtlichen Auseinandersetzung ein Opfer gebracht hatte, von ihrem Erbvertragsteil auszuschließen. Wenn auch die näheren Umstände vom Tatrichter zu beurteilen sind, so liegt es doch nahe, daß die Vertragsparteien des Übernahmevertrages gegen die guten Sitten verstoßen haben.
Soweit der Beklagte demgegenüber vorgetragen hat, die Klägerin habe den Vertrag vom 20. Dezember 1954 gekannt und sei mit dieser Regelung „ganz einverstanden” gewesen, ist dies eine von der Klägerin bestrittene Behauptung geblieben, für die der Beklagte bisher keinen Beweis angetreten hat.
5. Sollte die Vorschrift des § 138 BGB nicht durchgreifen, so wird weiter unter den oben erörterten Gesichtspunkten zu prüfen sein, ob der Erbvertrag vom 15. Dezember 1949 nicht ein Verbot für Wilhelm H. enthielt, hinsichtlich des Grundstücks und der Gastwirtschaft die Vertragserben beeinträchtigende lebzeitige Verfügungsgeschäfte abzuschließen. Der Text des Erbvertrages gibt zwar keinen Anhaltspunkt dafür her. Aber auch hier könnten die Umstände, unter denen der Erbvertrag zustande kam, möglicherweise dafür sprechen, daß mit ihm für Wilhelm H. eine solche Verpflichtung verbunden war. Träfe dies zu und hätte Wilhelm H. mit dem Vertrag vom 20. Dezember 1954 sein ganzes oder wesentlich ganzes Vermögen auf den Beklagten übertragen, dann hätte dieser nach § 419 BGB für den der Klägerin erwachsenen Schadensersatzanspruch einzustehen.
6. Sollte auch dieser Anspruch nicht durchgreifen, dann spricht alles dafür, daß der Klägerin jedenfalls der Bereicherungsanspruch nach § 2287 BGB zusteht. An einer Schenkung oder zumindest einer gemischten Schenkung dürfte kein Zweifel bestehen. Auch die Benachteiligungsabsicht ist unter dem von dem erkennenden Senat eingenommenen Standpunkt zu bejahen. Als Motiv der Schenkung ist in dem Vermögensübertragungsvertrag lediglich ausgeführt, es liege dem Erblasser sehr am Herzen, daß die Besitzung in der Familie H. und mit ihrem Namen verbunden bleibe. Die Parteien selbst haben vorgetragen, daß über die Motive der Vertragspartner bei Abschluß des Vertrages nicht mehr gesagt werden könne. Im Hinblick auf die vom Erblasser eingegangene erbvertragliche Bindung konnte ein solches Anliegen allein keinen anzuerkennenden Grund für seine Maßnahme abgeben. Zumindest waren bei ihm der Begünstigungswunsch und die Beeinträchtigungsabsicht in gleichem Maße untrennbar miteinander verbunden. Hinzu kommt hier weiterhin, daß der Erblasser sich offensichtlich im Grunde selbst nur als bloßer Nutznießer des von den Eltern erworbenen Besitztums auf Lebenszeit ansah, so daß sich für ihn, ganz abgesehen von der wirtschaftlichen Seite, nicht einmal die Aufgabe seiner rechtlichen Eigentumsposition als ein Opfer darstellte. Es fehlte daher an einem beachtenswerten Eigeninteresse des Erblassers. Vielmehr stellte sich sein lebzeitiges Verfügungsgeschäft im Hinblick auf seine erbvertragliche Gebundenheit als Rechtsmißbrauch dar, der dazu führen muß, der Klägerin den Bereicherungsanspruch aus § 2287 BGB zuzusprechen.
Ob die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung durchgreift, wird, falls es hierauf noch ankommt, der Tatrichter zu prüfen haben.
II.
Soweit das Berufungsgericht zu der Annahme gelangt ist, die Klägerin sei auf Grund des Erbvertrages vom 15. Dezember 1949 die alleinige Erbin ihres Bruders Wilhelm geworden, schließen seine Ausführungen hierzu nicht aus, daß es rechtsirrig die Regel des § 2094 BGB (Anwachsung) angewandt hat. Zwar stellt der von der Revision als verletzt gerügte § 2069 BGB eine Vermutung für die Annahme einer stillschweigend erklärten Ersatzerbeneinsetzung der Abkömmlinge eines eingesetzten Erben nur für den Sonderfall auf, daß dieser eingesetzte Erbe seinerseits ein Abkömmling des Erblassers war. Über diesen Rahmen hinaus läßt sich die Vermutungsvorschrift nicht anwenden.
Nach ständiger Rechtsprechung (RGZ 99, 82; OGH 4, 222) kann aber dessen ungeachtet möglicherweise die Auslegung dazu führen, daß vom Erblasser eine dem § 2069 BGB entsprechende Regelung gewollt war. Dabei sind die zur Auslegung letztwilliger Verfügungen in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu berücksichtigen. Lassen sonstige letztwillige Bestimmungen oder auch außerhalb der letztwilligen Verfügung liegende Umstände erkennen, daß der Erblasser die Zuwendung nicht gerade der von ihm bezeichneten Person machen wollte, sondern daß diese dem ganzen Stamm gelten sollte, also die bedachte Person nur als erste ihres Stammes benannt war, so wäre auch für den Fall, daß der Bedachte kein Abkömmling des Erblassers ist, eine stillschweigende Ersatzberufung anzunehmen.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen zumindest nicht erkennen, daß es die Möglichkeit einer Auslegung in diesem Sinne erwogen hat.
Mag auch die Bestimmung in der letztwilligen Verfügung, daß unter bestimmten Voraussetzungen die Schankkonzession den Geschwistern bzw. deren Erben zustehen sollte, nicht den Willen des Erblassers erkennen lassen, er habe damit zugleich eine Regelung für den Fall des Vorversterbens eines der Vertragserben treffen und für diesen Fall eine Anwachsung ausschließen wollen, so kann jedenfalls diese Bestimmung allein auch nicht einer gegenteiligen Auslegung entgegenstehen. Der Grund dafür, daß der Erblasser die Anwachsung nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat, könnte durchaus darin liegen, daß er gar nicht bedacht hat, die von ihm bedachten Geschwister könnten vor ihm sterben, oder daß er dies zwar bedacht, aber ein Einrücken der Abkömmlinge seiner Geschwister für selbstverständlich gehalten hat. Gerade für das letztere könnte es sprechen, wenn die unter Beweis gestellte Behauptung des Beklagten zuträfe, er sei der Liebling des Erblassers gewesen und sei seit seinem dritten Lebensjahr von seiner Großmutter erzogen worden, so daß das hier in Rede stehende Anwesen praktisch sein Elternhaus gewesen sei. Auch der Umstand, daß der Erblasser dem Beklagten mit dem Vertrag vom 20. Dezember 1954 den Grundbesitz übertrug, könnte rückblickend ein Indiz dafür sein, daß sein Wille auch schon bei dem Erbvertrag darauf gerichtet war, den Beklagten nicht als Ersatzerben auszuschließen. Schließlich kann auch die eigene Behauptung der Klägerin nicht unberücksichtigt bleiben, der Erbvertrag habe dem Ausgleich von Nachteilen gedient, die sie und der Bruder Walter bei der dem Erbvertrag vorausgehender. Auseinandersetzung des elterlichen Nachlasses gegenüber dem Erblasser gehabt hätten. Das kann darauf schließen lassen, daß der Erblasser seine Geschwister nicht nach irgendwelchen besonderen Gesichtspunkten ausgewählt hat, sondern mit ihrer Einsetzung nur erreicht werden sollte, daß im Ergebnis die Auseinandersetzung des elterlichen Nachlasses auf eine gleiche Behandlung der Geschwisterstämme und der Angehörigen jedes Stammes im Verhältnis zueinander hinauslief.
Danach läßt sich das angefochtene Urteil auch mit seiner Annahme, die Klägerin sei Alleinerbin geworden, nicht halten.
Bei der neuen Verhandlung wird zu bedenken sein, daß, falls die Klägerin zu 3/4 Erbin wäre, der Anspruch auf Herausgabe gemäß § 2039 BGB geltend gemacht werden müßte, solange eine Erbauseinandersetzung (vgl. § 2042 ff BGB) nicht erfolgt ist.
Unterschriften
Dr. Hauß, Johannsen, Dr. Reinhardt, Dr. Bukow, Dr. Buchholz
Fundstellen
Haufe-Index 970682 |
BGHZ |
BGHZ, 343 |
NJW 1973, 240 |
DRiZ 1973, 95 |
Nachschlagewerk BGH |
DNotZ 1973, 421 |
JZ 1974, 30 |
MDR 1973, 300 |